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20.10.2023

Das erneuerbare Energiesystem – Ausblick auf die Kraftwerksstrategie

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Die Bundesregierung will im Herbst in einer Kraftwerksstrategie präsentieren, wie viele Kraftwerke als Back-up für die erneuerbaren Energien gebaut werden sollen. Die Zahlen dafür hat der Bundeswirtschaftsminister im August schon gestreut. Wir haben nachgerechnet und festgestellt: Sie könnten noch nicht vollständig ausreichen, um die Stabilität des Stromnetzes zu jeder Zeit zu gewährleisten – was heute üblich ist. Der Grund: Vor allem in den Wintermonaten übersteigt der Back-up-Leistungsbedarf die anvisierte Inlands-Kraftwerksleistung. Als wichtige Größe hat sich in unserer Rechnung dabei herausgestellt, in welcher Größenordnung Verbraucher ihren Bedarf flexibel an die Stromerzeugung von Windkraft- und PV-Anlagen anpassen können. Das kann den Kraftwerksbedarf senken.

Eine flexible Stromverbrauchsanpassung in den Größenordnungen, die wir für unsere Rechnung angewendet haben (20 bis 50 Gigawatt), ist heute bei weitem noch nicht üblich, wird jedoch auch in der Forschung oder von der Bundesnetzagentur für 2030 angenommen. Daraus ergeben sich wichtige Fragen: Kann man sich drauf verlassen, dass die Technik in sechs Jahren funktionieren wird und genügend Verbraucher mitmachen, um diese Größenordnung zu erreichen? Oder muss man doch eine Rückversicherung vorsehen – und wie könnte diese aussehen? Wir werden diese Punkte mit Forschern auf einem Press Briefing erörtern.

In Teil I dieses Reports können Sie schon jetzt im Detail nachlesen, warum die bisher bekannten Pläne für Back-up-Kraftwerke noch nicht vollkommen ausreichen, um die Stabilität der Stromversorgung zu jeder Zeit zu gewährleisten und Deutschland dafür auf Stromimporte angewiesen sein wird.

Teil II geht dann der Frage nach, wie viel ungenutzter Strom für die Wasserstofferzeugung im Inland anfallen dürfte. Wasserstoff ist der optimale Langzeitspeicher, um ungenutzten Strom für längere Stromflauten nutzbar zu machen. Zu den für 2030 geplanten Back-up-Kraftwerken gehören auch einige Wasserstoffkraftwerke. Ergebnis: Für einen wirtschaftlichen Betrieb der Elektrolyseure gäbe es 2030 wahrscheinlich noch zu wenig Stunden.

In Teil III schließlich werfen wir wieder einen Blick auf die Stromausbeute des zurückliegenden Quartals, wie in den vorangegangenen Ausgaben. Es war ein eher durchschnittlicher Sommer für die erneuerbaren Energien – auch für die Photovoltaik, trotz des guten Sommers. Die Auswertungen finden Sie nun an neuer Stelle am Ende des Reports.

Übersicht

  • Teil I – Reichen die derzeit geplanten Back-up-Kraftwerke für 2030 aus?
  • Teil II – Wie viel Wasserstoff ließe sich 2030 aus ungenutztem Strom gewinnen?
  • Teil III – War es ein guter Sommer für die erneuerbaren Energien?

Teil I: Reichen die derzeit geplanten Back-up-Kraftwerke für 2030 aus?

Zu Datengrundlage, Begriffen, Annahmen und Berechnungen siehe die Hinweise am Ende des Reports.

Im Herbst 2023 arbeitet die Bundesregierung an einer Kraftwerksstrategie. Die soll den Weg zu einer ausreichenden Menge an Back-up-Kraftwerken weisen. In den zurückliegenden Monaten wurden bereits einige Zahlen veröffentlicht, die Rückschlüsse auf diese Strategie zulassen. Offen ist: Reichen diese Kapazitäten schon vollständig aus, um die Stabilität des Stromnetzes zu jeder Zeit zu garantieren – auch, wenn die Stromerzeugung aus Wind- und Solarkraft schwächelt?

Die Abschätzung des Back-up-Leistungsbedarfs für 2030 ist komplex: Windkraftanlagen (WKA) und Photovoltaik (PV)-Anlagen erzeugen Strom, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Dem müssen sich Stromspeicher und Verbrauch flexibel anpassen; zur Not können auch einige Verbraucher gedrosselt werden. Wenn das nicht ausreicht, müssen steuerbare Kraftwerke oder Stromimporte aus dem Ausland einspringen, damit immer genug Strom für alle anderen Verbraucher da ist. Das ist das Back-up. Um dessen Größe und Zusammensetzung für 2030 und die folgenden Jahre vorzubereiten, kommt es zunächst darauf an, festzustellen, wie hoch die maximale Leistung des Back-ups sein und wie lange diese auftreten kann. Daraus kann man schließen, wie viele Kraftwerke zusätzlich zu WKA und PV-Anlagen wahrscheinlich nötig sind.

Eine besondere Rolle kommt dabei sogenannten Flexibilitäten zu. Damit sind Stromverbraucher gemeint, die für eine kurze Zeit ihren Verbrauch drosseln, abschalten oder steigern können, ohne dass ihre Aufgabe beeinträchtigt würde. Das sind zum Beispiel Wärmepumpen mit Speichern oder Elektroautos, die geladen werden, Industrieprozesse oder auch Batterien. Diese Flexibilitäten optimieren den Stromverbrauch entlang der Stromerzeugung von WKA und PV-Anlagen, sodass weniger Kraftwerke für das Back-up nötig sind. Die Leistung der Flexibilitäten gibt an, wie viel GW an Verbrauch sich im Stromnetz an WKA- und PV-Einspeisung anpassen lässt. Wir legen als maximale Verschiebung von Leistungsbedarfen einen Zeitraum von 48 Stunden zugrunde. Der Strombedarf wird durch die Flexibilität nicht beeinflusst.

Die folgenden Szenarien geben einen Eindruck, wie sich Annahmen über die zur Verfügung stehenden GW an Flexibilität auf die notwendige Back-up-Leistung im Jahr 2030 auswirken. Dabei betrachten wir Batterien (200 GW in unseren Szenarien) und flexiblen Verbrauch getrennt, weil Batterien nur geringen Einfluss auf die maximal notwenige Leistung haben. (Ausführlich dazu siehe die Beschreibung unserer Szenarien im ersten Energiewende-Report, eine kurze Zusammenfassung finden sie am Ende dieses Reports). Grundlage ist der Verlauf der erneuerbaren Stromerzeugung von 2022, hochgerechnet auf die Werte für den Ausbau und den prognostizierten Verbrauch für 2030. Andere Kraftwerke gehen nicht in diese Szenarien ein.

Als Form haben wir die Jahresdauerlinie gewählt. Sie zeigt auf einen Blick, wie hoch die Leistung im Extremfall ansteigen kann und für wie viele Stunden im Jahr welche Leistung erforderlich würde. Indirekt lässt sie auch Rückschlüsse auf die Energiemenge und mögliche Kostengrößen zu, die wir hier aber nicht betrachten. Dafür wurde die erneuerbare Stromerzeugung und der Bedarf für jede Stunde von 2030 berechnet. In den Stunden, in denen der Bedarf nicht komplett von der erneuerbaren Stromerzeugung gedeckt ist, müssten Back-up-Anlagen einspringen. Diese notwendige Back-up-Leistung ist in der Grafik absteigend sortiert über der aufsummierten Betriebszeit eingetragen, links startend mit den höchsten Werten, bis sie schließlich Null beträgt. Ab diesem Punkt können WKA und PV-Anlangen die Stromversorgung für die restlichen Stunden im Jahr – dies sind insgesamt 8760 – allein übernehmen.

Die Anzahl der Stunden mit gleicher Mindestleistung wird beim Hovern über der Kurve angezeigt.