Das erneuerbare Energiesystem – Entwicklung im Frühjahr und Ausblick auf Biogas-Potenzial
Die Stromernte war gut, aber der Ausbau der Erneuerbaren läuft nicht in allen Sektoren gleich glatt. Zudem sinkt trotz mehr verkaufter Elektroautos und Wärmepumpen der Stromverbrauch derzeit. So präsentiert sich die Energiewende in Zahlen zu Beginn des Sommerquartals 2023.
Symbolträchtig war im Frühjahr der Abschied von den letzten Atomkraftwerken in Deutschland. Ersetzt wurde der Atomstrom durch Importe aus verschiedenen Ländern. Wie er dort erzeugt wurde, können wir zwar nicht sehen – aber sicher ist: Die deutschen Kohlekraftwerke kamen nicht zum Zug. Dafür zeigt der Blick auf den Stromverbrauch etwas Überraschendes: Seit 2019 sinkt er. Mehr dazu in Teil I.
Rekordverdächtig sind die Meldungen zur Stromerzeugung durch Erneuerbare. Zum einen stieg die Zahl der Anlagen, zum anderen aber fiel der Stromverbrauch insgesamt deutlich. Die Auslastung von Photovoltaik wie Meereswindanlagen liegen allerdings etwas unter dem langjährigen Mittel, nur Wind an Land steht besser da, das zeigt Teil II.
In Teil III finden Sie wiederum das Szenario für 2030: Was wäre wenn… das Wetter dieses Frühlings auf den geplanten Ausbau der Erneuerbaren stieße? Ergebnis: Ihr Anteil kann über 80 Prozent steigen. Grundlastkraftwerke wie Atom- oder Kohlekraftwerke wären wohl überflüssig, aber Back-up wäre trotzdem nötig. Das nicht alles dafür neu gebaut werden muss, deutet das Szenario auch an. Die Flotte der Biogasanlagen kann schon heute eine spürbare Rolle in der Back-up-Kette spielen. In einem Szenario ganz ohne Anpassung ihrer Betriebsweise an Wind- und Sonnenstrom heben sie den erneuerbaren Anteil weit über 80 Prozent. Das warf für uns die Frage auf: Welches Potenzial haben diese Anlagen für die Energiewende? Wir haben sie Forschenden gestellt, die Antworten finden Sie hier.
In der “Lage” am Beginn des Reports finden Sie schließlich eine kurze Übersicht über den Stand der Entwicklung und Diskussionen der Energiewende – und in welchem Teil unseres Berichts Sie dazu Zahlen finden können.
Übersicht
- Die aktuelle Lage
- Teil I: Stromversorgung nach vollendetem Atomausstieg
- Teil II: Stromerzeugung durch Wind- und PV-Anlagen
- Teil III: Stromerzeugungs-Szenario für 2030: Einfluss von Speichern und Biomasse-Kraftwerken
Die aktuelle Lage
Für die Stromernte war das Frühjahr eine gute Zeit, beim Umbau der Stromversorgung laufen die Entwicklungen derzeit uneinheitlich.
Die Stromernte
Erneuerbare haben zwischen dem 22.03.2023 und dem 21.06.2023 die folgenden Mengen Strom erzeugt:
- Wind, Onshore: 23,11 TWh - entspricht 20,5 Prozent der Netzlast
- Wind, Offshore: 5,12 TWh - entspricht 4,5 Prozent der Netzlast
- Solar: 20,75 TWh - entspricht 18,4 Prozent der Netzlast
- Sonstige Erneuerbare: 14,01 TWh - entspricht 12,7 Prozent der Netzlast
Der Anteil an der Netzlast dient hier nur zur Einordnung der Erzeugungswerte und entspricht nicht genau dem Anteil am Stromverbrauch in Deutschland, da hier die Import-Export-Bilanz nicht berücksichtigt wird und die Netzlast lediglich den Strombezug aller Verbraucher, die an das Stromnetz angeschlossen sind, bezeichnet. Nicht enthalten sind Eigenstromerzeugung von Industrieanlagen, Netzverluste oder der Eigenstrombedarf, zum Beispiel von Kraftwerken.
Die Stromerzeugung und der Anteil der Erneuerbaren an der Netzlast haben sich weiter erhöht und liegen deutlich über 50 Prozent. Das ist nicht nur auf die wachsende Zahl der Windkraft- und PV-Anlagen zurückzuführen. Wie Teil I zeigt, sinkt der Stromverbrauch seit einigen Jahren. Zudem, das zeigt Teil II, lag der Stromertrag für Wind an Land im Frühjahr leicht über dem Durchschnitt.
Umbau der Stromerzeugung
Hier eine kurze Übersicht über den Stand von Ausbau und Diskussionen über einzelne Elemente der Energiewende:
Photovoltaik: Der Zubau läuft nach wie vor schneller als in den zurückliegenden Jahren: Bis 2024 sollen 88 Gigawatt (GW) installiert werden. Ende des Frühjahrs sind der Bundesnetzagentur gut 4 GW angemeldet worden – etwas mehr als die Hälfte des in diesem Jahr nötigen Zubaus, wenn das Ziel erreicht werden soll.
Wind auf See: Das Ergebnis der Ausschreibung 2023 für 7 GW Leistung könnte gut ausfallen. Zum ersten Mal sind mehrere Angebote eingegangen, die gar keine Förderung nach Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) mehr planen. Die Bundesnetzagentur wird daher eine Versteigerung ansetzen.
Wind an Land: Das Tempo der Genehmigungen steigt zwar, aber nicht schnell genug. Die Bundesnetzagentur musste wegen fehlender Genehmigungen die Ausschreibungsmenge für die Mai-Ausschreibung von 3210 auf 2866 Megawatt (MW) reduzieren. In der Februar-Ausschreibung konnten nur 1441 von 3210 MW vergeben werden. Damit wurde zum zweiten Mal in diesem Jahr das Ausschreibungsziel für Wind an Land nicht erreicht. Die Ausbauziel von 12.810 MW für 2025 / 26 zu erreichen, dürfte damit schwieriger werden. Das SMC wird in den kommenden Wochen in einem Extra-Report einen genaueren Blick auf den Ausbau der Windkraftanlagen werfen.
Back-up-Speicher: Leistung und Kapazität der installierten Speicher wachsen. Die Ende des Frühjahrs installierte Leistung von rund 5,5 GW kann rechnerisch bis zu 80 Minuten geliefert werden. Neben Haushaltsbatterien werden immer öfter auch große Batterien im Stromnetz geplant. Welche Rolle Batterien für die Erneuerbare Stromversorgung spielen können, zeigt das Szenario im Teil III.
Back-up-Flexibilitäten: Planungen für den gesetzlichen Rahmen gehen weiter, es können sich wieder Diskussionen entwickeln. Die Bundesnetzagentur hat die zweite Runde für eine Konsultation angestoßen; Netzbetreiber sollen für kurze Zeit in den Verbrauch von Stromkunden vor allem wegen Wärmepumpen und Batterieladungen eingreifen können. Noch vor wenigen Monaten wurde dieses Verfahren von einigen Medien als Rationierung diskutiert, der VDA sieht die Interessen von E-Auto-Besitzern besonders berührt. Welche Bedeutung dieses Verfahren für die erneuerbare Stromversorgung hat, zeigt das Szenario im Teil III.
Back-up-Kraftwerke: Die Bundesregierung plant immer noch eine Strategie für wetterunabhängige Kraftwerke. Für die Ausschreibung der Bundesnetzagentur für Biomethan-Erzeugung – eine mögliche Back-up-Option – sind im Frühjahr unterdessen keine Gebote eingegangen. Schon heute kann ein Teil der Schwestertechnologie Biogasanlagen im Prinzip als flexibles Back-up genutzt werden. Welche Rolle Biogas-Anlagen in Zukunft spielen könnten, zeigt das Szenario im Teil III und Statements, die wir dazu eingeholt haben.
Teil I: Stromversorgung nach vollendetem Atomausstieg
Stromversorgung ist ein schnelles Geschäft: Verbrauch und Erzeugung müssen jede Minute ausgeglichen sein. Wenn Kraftwerke abgeschaltet werden, kommt es daher darauf an, dass die Bilanz aus Verbrauch und Erzeugung zu jeder Minute gewährleistet ist.
Mit dem Abschalten der Atomkraftwerke in Deutschland sind gut 4 von rund 87,3 GW wetterunabhängiger Kraftwerksleistung vom Netz gegangen, etwa 4,5 Prozent. Es wurden nicht unmittelbar neue Kraftwerke als Ersatz dafür in Betrieb genommen, das muss sich allerdings für die Stromversorgung nicht negativ auswirken:
- Zum einen verfügt Deutschland über genügend andere Kraftwerke, um das Abschalten auszugleichen.
- Zum anderen war Deutschland bis jetzt ein Netto-Exporteur von Strom, dass heißt, übers Jahr lieferten deutsche Kraftwerke mehr Strom ins Ausland, als von dort kam.
Im folgenden schauen wir daher zunächst auf den Stromverbrauch und dann auf die Stromerzeugung aus den verbliebenen fossilen Kraftwerken in Deutschland.
Stromverbrauch
Der Stromverbrauch ist saisonabhängig: Im Winter liegt er etwas höher als im Sommer. Diese saisonalen Schwankungen müssen bei Aussagen zu einem Trend im Stromverbrauch berücksichtigt werden. Um neben dem Stromverbrauch in den Jahreszeiten auch einen langfristigen Trend erkennen zu können, zeigt die folgende Grafik zwei Kurven:
- gestrichelte Linie: Hier wurde für jeden Tag der mittlere Stromverbrauch der letzten 30 Tage berechnet.
- durchgezogene Linie: durchschnittlicher Stromverbrauch der letzten 365 Tage.
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Es fällt auf, dass der Stromverbrauch Anfang 2019 sinkt und nach einer kurzen Erholung seit Frühjahr 2022 wieder - sogar etwas steiler. Einzelne Teile der Kurve könnten dabei auf die Pandemie zurückzuführen sein.
Für die Situation der Stromversorgung nach dem Atomausstieg bedeutet das: Im Frühjahr und Sommer kann auf Atomstrom leichter zu verzichten sein. Im Winter kann sich das Bild ändern. Der langfristige Trend erleichterte den Ausstieg eher, ob er sich fortsetzt, ist aber unklar.
Für die Energiewende bedeutet das: Bis 2030 soll der Stromverbrauch um über ein Drittel des langjährigens Mittels auf rund 750 TWh zunehmen. Davon gehen Politik und Forschung aus. Ist diese Annahme zutreffend, und sinkt der Verbrauch dieses Jahr weiter, wird er in den kommenden Jahren stark ansteigen. Nach den Energiewende-Planungen soll die Leistung des Windparks durch beschleunigten Ausbau ab 2025/26 ebenfalls deutlich steigen. Wie sich der Ausbau aktuell entwickelt, werden wir in einem kommenden Sonderreport untersuchen.
Für die aktuelle Bewertung der Energiewende bedeutet das: Prozentangaben für den Anteil Erneuerbarer am Strombedarf können sich durch den Trend zusätzlich verbessern.
Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen
Da der Strombedarf saisonabhängig ist, pendelt auch die Stromerzeugung der fossilen, wetterunabhängigen Kraftwerke. Um neben den saisonalen Schwankungen einen langfristigen Trend erkennen zu können, zeigt die folgende Grafik wie die vorangegangene zwei Kurven, jeweils eine Monats- und Jahresglättung und farbig die Art der Stromerzeugung.