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16.10.2023

Verjüngung von Eizellen durch Spermidin

     

  • Spermidin verbessert laut Studie die Qualität von Eizellen bei alten Mäusen
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  • möglicherweise kann Spermidin auch die Fruchtbarkeit von Frauen verlängern
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  • Forschende sehen Potenzial von Spermidin für die Reproduktionsmedizin, aber fordern mehr Untersuchungen
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Das natürlich vorkommende Stoffwechselprodukt Spermidin verbessert die Qualität der Eizellen und die Fruchtbarkeit älterer weiblicher Mäuse. Diese Erkenntnisse, die am 17.10.2023 im Fachjournal „Nature Aging” veröffentlicht worden sind (siehe Primärquelle), könnten helfen ein Medikament zu finden, durch das Frauen länger fruchtbar werden.

Die Forschenden von der Nanjing Agricultural University in China verglichen die Stoffwechselprodukte der Eierstöcke von jungen mit denen älterer weiblicher Mäuse. Sie entdeckten dabei Unterschiede im Spermidinspiegel. Dieser war bei älteren Tieren geringer und ging mit einer Verschlechterung der Eizellqualität sowie weiteren Anzeichen der Eierstockalterung einher. Wenn die Forschenden den älteren Mäusen zum Ausgleich Spermidin spritzten, förderte das die Follikelentwicklung, die Eizellreifung, die Embryonalentwicklung und die Fruchtbarkeit dieser Mäuse.

Spermidin ist ein natürliches Polyamin, welches in fast jeder Körperzelle vorkommt. Es aktiviert die Zellerneuerung und sorgt für die Aufrechterhaltung der Zellgesundheit. Mit zunehmendem Alter sinkt der Gehalt an Spermidin im Körper. Die externe Zufuhr von Spermidin verlängert die Lebensspanne und den Gesundheitszustand verschiedener Spezies, darunter Hefe, Fadenwürmer, Fliegen und Mäuse. Es wird vermutet, dass der mit dem Alter abnehmende Spermidinspiegel mit altersbedingten Erkrankungen im Zusammenhang steht [I].

Zu den Fragen, inwiefern der sinkende Spermidinspiegel in den Eierstöcken älterer Mäuse spezifisch für dieses Organ ist, ob eine Supplementierung von Spermidin sich auch auf andere Organe auswirken könnte und inwiefern ein Einsatz in der Reproduktionsmedizin denkbar wäre, befragten wir Expertinnen und Experten.

 

 

Übersicht

     

  • PD Dr. Verena Nordhoff, Leiterin des reproduktionsmedizinischen Labors am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
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  • Dr. Sandra Laurentino, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Gruppenleiterin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
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  • PD Dr. Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster
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  • Dr. Laura Wester, Postdoc in der Forschungsgruppe Molekulare Genetik des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln
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Statements

PD Dr. Verena Nordhoff

Leiterin des reproduktionsmedizinischen Labors am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster

„Spermidin und weitere, ähnliche Verbindungen – die sogenannten Polyamine – sind schon seit vielen Jahren im Zusammenhang mit Alterungsprozessen im Gespräch. Es ist bekannt, dass die Produktion von Polyaminen mit zunehmendem Alter abnimmt, daher wurden diese Moleküle als mögliche Anti-Aging-Produkte in verschiedenen Studien untersucht.“

„Die Autoren der vorliegenden Studie haben in ihrem tierexperimentellen Ansatz nun festgestellt, dass die Produktion von Spermidin auch im Eierstock der Maus während des Alterungsprozesses abnimmt. Daher untersuchten sie, ob eine exogene Gabe dieser Substanz die Auswirkungen des Alterns auf die Fruchtbarkeit von Mäusen abmildern könnte. Sie fanden heraus, dass sowohl eine Injektion in den Körper der Maus als auch eine Supplementierung in das Trinkwasser, die Fruchtbarkeit gealterter Mäuse verbesserte. Die Zugabe von Spermidin in die in vitro Kultur von unreifen Eizellen von gealterten Mäusen oder Schweinen half, dass mehr Eizellen (bis zum Metaphase II Stadium) reiften, und deren Qualität zudem insgesamt verbessert wurde.“

„Insgesamt handelt es sich um eine sehr gute und auch solide Studie. Allerdings muss bedacht werden, dass sich Mäuse sehr stark vom Menschen unterscheiden, insbesondere was den Alterungsprozess betrifft. Ein Mäuseweibchen lebt etwa zwei Jahre und ist die meiste Zeit ihres Lebens fruchtbar. Im Gegensatz dazu sind Menschen sehr langlebig und die Abnahme der weiblichen Fruchtbarkeit mit dem Alter ist mit anderen Komplikationen verbunden, die bei Mäusen nicht vorhanden oder möglicherweise irrelevant sind.“

Übertragbarkeit auf den Menschen

„Ob die im Maus-Modell gewonnen Erkenntnisse auf den Menschen übertragbar sind, ist eine wichtige Frage. Die Fruchtbarkeit und die Funktion der Eierstöcke sind bei Mäusen und Menschen recht unterschiedlich. Labormäuse sind Inzuchttiere und somit genetisch sehr ähnlich, leben nur etwa zwei Jahre und haben keine Menopause. Im Gegensatz dazu ist der Mensch genetisch sehr vielfältig, und die weibliche Fortpflanzungszeit dauert einige Jahrzehnte, wobei man auch sagen muss, dass die Abnahme der Fruchtbarkeit sehr individuell ist. Die Tatsache, dass die Autoren auch bei Schweineeizellen positive Wirkungen nachweisen konnten, ist zwar beruhigend, aber dieser Ansatz ist noch sehr weit von einer routinemäßigen Anwendung beim Menschen entfernt.“

„Ob man Frauen, die möglicherweise Einschränkungen in der Fruchtbarkeit haben, Spermidin als Supplement verschreiben sollte, ist schwer zu sagen. Man kennt derzeit weder die notwendige Dosis, noch die notwendige Dauer einer Behandlung, um beim Menschen eine Wirkung auf die Eierstöcke zu erzielen. Außerdem zeigte Spermidin in tierexperimentellen Studien epigenetische Auswirkungen; ob oder wie sich das möglicherweise auf Nachkommen auswirken könnte, ist unbekannt. Daher müssten zuerst weitere Studien durchgeführt werden, um die kurz- und längerfristige Sicherheit von Spermidin und ähnlichen Verbindungen zu gewährleisten, bevor mit einer Anwendung beim Menschen begonnen werden könnte.“

Dr. Sandra Laurentino

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Gruppenleiterin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster

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„Die Studie wurde sehr gründlich durchgeführt und alle Ergebnisse mit gleich mehreren Methoden nochmals validiert. Die Autoren untersuchten verschiedene Möglichkeiten der Applikation von Spermidin, zum Beispiel als Injektionen oder die mögliche Aufnahme des Moleküls über das Trinkwasser, aber auch als Zusatz zur in vitro Kultur von Mäuse- und Schweineeizellen. Die von den Autoren festgestellten Auswirkungen auf die Eizellen ähneln den Ergebnissen, die bei anderen gealterten Zellen und Geweben beobachtet wurden. Spermidin wirkt durch die Steigerung der Autophagie – ein Mechanismus, mit dem Zellen beschädigte Bestandteile beseitigen– und durch die Interaktion mit den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen. Dies ist nicht die erste Studie, in der die Auswirkungen von Spermidin auf die Funktion der Eierstöcke von Mäusen untersucht wurden, aber es ist die erste, die eine potenzielle Anti-Aging-Wirkung auf dieses Gewebe nachweist.“

Wirkung von Spermidin und potenzielle Nebeneffekte einer Supplementierung

„Spermidin wird natürlicherweise vom Körper produziert, wobei der Gehalt mit zunehmendem Alter abnimmt. Spermidin ist auch in unseren Nahrungsmitteln enthalten, zum Beispiel in Weizen und Brokkoli, allerdings in geringen Mengen. Spermidin und andere Polyamine wirken, indem sie die Autophagie (ein Mechanismus, mit dem die Zellen beschädigte Bestandteile beseitigen) und die Interaktion mit den Mitochondrien (den Kraftwerken der Zellen) verstärken, wodurch die Zellen länger gesund bleiben.“

„Spermidin-Präparate sind auch in Deutschland rezeptfrei erhältlich und werden als Anti-Aging- und Pro-Langlebigkeits-Mittel eingesetzt. Es gibt Hinweise darauf, dass Spermidin den Auswirkungen des Alterns auf Leber, Muskeln und Gehirn entgegenwirken könnte, und es werden derzeit klinische Studien am Menschen durchgeführt. Obwohl Tier- und Humanstudien darauf hindeuten, dass Spermidin gut verträglich ist, hat eine frühere Studie an Mäusen gezeigt, dass eine Behandlung mit sehr hohen Dosen Schäden in den Eierstöcken und insbesondere in den Granulosazellen, die die Eizelle umgeben, hervorruft. Dies konnten die Autoren in der vorliegenden Studie auch zeigen: die höchsten Konzentrationen von Spermidin führten tatsächlich zu schlechteren Ergebnissen. Das deutet darauf hin, dass die richtige Dosierung ein sehr wichtiger Faktor zu sein scheint und möglicherweise nicht ‚einfach so‘ in größeren Mengen eingenommen werden sollte.“

PD Dr. Michele Boiani

Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster

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„Abgesehen von der Metabolomanalyse sind die in der Studie verwendeten Methoden üblich für diese Art von Studien. Was die Ergebnisse betrifft, so haben wir meiner Meinung nach mit einem positiven Nebeneffekt des Spermidins zu tun: Wenn sich im Allgemeinen die physiologischen Parameter des gesamten Körpers verbessern, dann geht auch der reproduktiven Funktion besser. Ähnliche Wirkungen wurden bereits mit Coenzym Q10 und Resveratrol im Tiermodell beobachtet.“

Übertragbarkeit auf den Menschen

„Die Autoren verwendeten einen Mausstamm – ICR –, der extrem fruchtbar ist: 12 bis 15 Mäuse pro Wurf sind für jüngere Müttertiere keine Seltenheit; nach einem Jahr, werfen die alten ICR-Weibchen immer noch. Es gibt andere Stämme, die für die menschliche Unfruchtbarkeit repräsentativer wären, bei denen es nach einem Jahr fast keine Würfe mehr gibt. Zudem braucht ein primordialer Follikel im Ovar bei Mäusen 19 Tage und bei Frauen drei Monate bis zum Eisprung. Und die Mäuse, die in der Studie von Spermidin profitiert haben, hatten noch eine beträchtliche ‚Ovarian Reserve‘, im Gegensatz zu Frauen im fortgeschrittenen fortpflanzungsfähigen Alter. Es bleibt also zu sehen, ob Spermidin auch bei Frauen die bei Mäusen beobachteten Wirkungen hat.“

„Nach einem Jahr war der Wurf der ICR-Mäuse ohne Spermidin um 80 Prozent und mit Spermidin um 60 Prozent reduziert. Bei IVF (künstliche Befruchtung; Anm. d. Red.) und IVM (auch eine Form der künstlichen Befruchtung, bei der unreif entnommene Eizellen vor der Befruchtung im Laborglas nachreifen; Anm. d. Red.) war die Qualität der Eizellen etwa zehn Prozent höher (absolut betrachtet) mit Spermidin. Die Studie umfasste auch einen kleinen Test an Eizellen von Schweinen, der meiner Meinung nach jedoch zu vorläufig ist.“

„Zum Schluss: Wie groß oder gering oder vorläufig der Effekt auch erscheinen mag, wenn Spermidin keine negativen Nebenwirkungen hat, dann ist sein Einsatz auch beim Menschen von Interesse – ich betone ‚von Interesse‘ – nicht mehr und nicht weniger.“

Potenzial der Spermidineinnahme

„Spermidin, oral oder parenteral eingenommen, wirkt auf den gesamten Körper. Wenn Spermidin keine Kontraindikationen hat, sehe ich keinen Grund, es bei Frauen nicht zu probieren – unter medizinischer Aufsicht. Wenn eine Frau, die Spermidin nimmt, sich besser fühlt, kann auch die reproduktive Funktion davon profitieren; es könnte ein Placebo-Effekt sein. Alternativ könnte es sich um eine indirekte Wirkung durch andere Funktionen auf die Funktion des Eierstocks handeln.“

Dr. Laura Wester

Postdoc in der Forschungsgruppe Molekulare Genetik des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln

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„Die Studie zeigt einen positiven Einfluss einer systemischen Spermidin-Supplementierung über Injektion und Futter auf die Eizellreifung und Reproduktion bei Mäusen. Die Wirkung von Spermidin auf eine gesündere Alterung der Eizellen ist überzeugend: Zum einen gelangt der Wirkstoff nach systemischer Injektion tatsächlich in die Ovarien, zum anderen zeigen sich positive Effekte insbesondere auf die Follikelentwicklung, Eizellreifung und frühe Embryonalentwicklung, wenn man die Daten von alternden Mäusen mit und ohne Spermidinsupplementierung vergleicht, und zwar auf physiologischer und zellbiologischer Ebene. Besonders überzeugend ist meines Erachtens die im Mittel erhöhte Nachkommenzahl bei den mit Spermidin behandelten älteren Mäusen im Vergleich zu den unbehandelten Tieren.“

„Ob Spermidin insgesamt einen systemischen positiven Einfluss auf ein gesünderes Altern hat und so die Fertilität erhöht, oder ob der Effekt durch eine direkte Einwirkung von Spermidin auf die Eizellen innerhalb der Ovarien zustande kommt, ist für mich noch nicht abschließend geklärt, da die allermeisten Daten dieser Studie auf einer systemischen Gabe von Spermidin beruhen.“

„Interessanterweise deuten Daten aus Versuchen mit Eizellen von Schweinen darauf hin, dass eine Behandlung mit Spermidin während der Eizellkultur, also während der in vitro Kultivierung der Eizellen, die Fruchtbarkeit erhöhen kann. Allerdings fehlt hier der direkte Vergleich zwischen ‚jung‘ und ‚alt‘, stattdessen wurden die Eizellen biochemisch ‚gestresst‘ und ihre Entwicklung mit und ohne Spermidinzusatz mit ungestressten Eizellen verglichen.“

„Die bisherige Literatur deutet darauf hin, dass Spermidin zwei wichtige zelluläre Prozesse positiv beeinflusst: Die Autophagie, das Recycling-System der Zelle, und die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle. Auch in dieser Studie wird eine positive Verbindung zwischen der Spermidinsupplementierung und der Funktion von Autophagie und Mitochondrien festgestellt. Allerdings ist meines Erachtens nicht abschließend geklärt, wie genau Spermidin die positiven Effekte auf zellulärer Ebene hervorruft. Auch sind Effekte auf andere zelluläre Prozesse keineswegs ausgeschlossen, die sich ebenso positiv auf die Ovarien auswirken könnten.“

Übertragbarkeit auf den Menschen

„Mäuse sind prinzipiell sehr gute Modellorganismen, da sie wie der Mensch Säugetiere sind. Grundlegende Prozesse wie das Altern und auch die Eizellenentwicklung sind hochkonserviert, das heißt, sie werden bei Maus und Mensch auf zellulärer Ebene von den gleichen biochemischen Prozessen gesteuert.“

„Allerdings gibt es beim reproduktiven Altern von cis-Frauen eine deutliche Besonderheit, die so bei Mäusen nicht auftritt: Die Menopause. Mit dem Einsetzen der Wechseljahre steigt das Risiko für bestimmte Krankheiten besonders stark an, daher wäre es besonders interessant, die Wirkung von Spermidin auch speziell auf die Menopause zu untersuchen, wofür es bereits spezielle Forschungsmodelle gibt.“

„Darüber hinaus wäre es angesichts der positiven Ergebnisse dieser Arbeit interessant, neben der Übertragbarkeit auf den Menschen im Allgemeinen auch die Übertragbarkeit speziell auf die In-vitro-Kultur und Befruchtung von Eizellen weiter zu untersuchen. Möglicherweise könnten dadurch die Techniken der assistierten Reproduktionsmedizin und zum Beispiel auch des ‚Social Freezing‘ verbessert werden.“

Wirkung von Spermidin und potenzielle Nebeneffekte einer Supplementierung

„Für mich stellen sich zwei Fragen. Erstens: Gibt es systemische Nebenwirkungen bei Mäusen, die mit Spermidin supplementiert werden? Und zum anderen: Gibt es Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Nachkommen nach der Gabe von Spermidin bei der Mutter? Beides wurde in dieser Studie nicht speziell getestet. Allerdings ist zu beachten, dass Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel ein bekannter Wirkstoff in der Altersforschung ist. So konnte in verschiedenen Modellorganismen wie Hefe, Fliegen, Fadenwürmern, menschlichen Zellen in Kultur und Mäusen eine verlängerte Lebensspanne beziehungsweise ein gesünderes Altern nach Gabe von Spermidin beobachtet werden [1] [2]. Auch konnten in früheren Studien an Mäusen auch nach Langzeitgabe von Spermidin keine Nebenwirkungen beobachtet werden [3].“

„Zudem ist Spermidin ein natürliches Polyamin, das in allen Organismen vom Bakterium bis zum Menschen vorkommt und auch in der menschlichen Nahrung in unterschiedlichen Mengen enthalten ist, so dass eine grundsätzliche Toxizität nicht zu erwarten ist. Dennoch ist der Wirkmechanismus, der den Spermidin-Effekten zugrunde liegt, noch nicht abschließend geklärt: Um negative Nebenwirkungen konsequent auszuschließen, müssen detaillierte Untersuchungen zu möglichen Nebenwirkungen, zu geeigneten Dosierungen und auch zum Zeitfenster der Spermidin-Gabe über die Lebensspanne hinweg durchgeführt werden. So finden sich beispielsweise Polyamine, also Stoffe aus der gleichen Klasse, zu der auch Spermidin gehört, in erhöhter Konzentration in Krebszellen. Eine Supplementierung von Spermidin könnte sich daher bei fortgeschrittenem Krebs negativ auswirken. Solche Kontraindikationen müssen in klinischen Studien sorgfältig geprüft werden. Wie bei allen positiven Ergebnissen von Supplementen und Medikamenten ist zu beachten, dass die Dosis das Gift machen kann und auch das Zeitfenster, in dem ein Wirkstoff eingesetzt wird.“

Potenzial von Spermidin für die Reproduktionsmedizin

„Während die Altersforschung im Allgemeinen seit Jahren einen Aufschwung an medialer Aufmerksamkeit und Fördermitteln erfährt, ist das reproduktive Altern speziell bei Frauen immer noch eher ein Nischenthema, das erst langsam aus seinem Schattendasein heraustritt. Meines Erachtens ist es höchste Zeit, dass wir die Auswirkungen systemischer Anti-Aging-Therapien auch konsequent auf das reproduktive Altern von cis-Frauen und damit auf ihr gesundes Altern im Allgemeinen untersuchen. Die positiven Effekte von Spermidin sollten in weiteren Modellen, auch speziell in Bezug auf die Menopause, untersucht werden, um einen Einsatz auch beim reproduktiven Altern von cis-Frauen in Erwägung ziehen zu können. Ein weiteres spannendes Thema wird die Supplementierung von Spermidin im Rahmen der In-vitro-Kultivierung von Eizellen sein, die zum Beispiel bei der assistierten Reproduktionsbehandlung häufig eingesetzt wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Verena Nordhoff: „Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte.“

Dr. Sandra Laurentino: „Ich habe  keine Interessenkonflikte.“

PD Dr. Michele Boiani: „Interessenkonflikte habe ich keine.“

Dr. Laura Wester: „Ich habe keine Interessenkonflikte. Ich erhalte ein Funding über ein Postdoctoral Fellowship vom Global Consortium for Reproductive Longevity & Equality.“

Primärquelle

Zhang Y et al. (2023): Polyamine metabolite spermidine rejuvenates oocyte quality by enhancing mitophagy during female reproductive aging. Nature Aging. DOI: 10.1038/s43587-023-00498-8.

Zimmermann A et al. (2023): Spermidine promotes fertility in aged female mice. Nature Aging. DOI: 10.1038/s43587-023-00495-x.
Dieser begleitende News & Views-Artikel fasst die Forschungsarbeit zusammen und ordnet sie in den wissenschaftlichen Kontext ein.

Weiterführende Recherchequellen

Madeo F et al. (2018): Spermidine in health and disease. Science. DOI:10.1126/science.aan2788.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Eisenberg T et al. (2009): Induction of autophagy by spermidine promotes longevity. Nature Cell Biology. DOI: 10.1038/ncb1975.

[2] Schroeder S et al. (2021): Dietary spermidine improves cognitive function. Cell Reports. DOI: 10.1016/j.celrep.2021.108985.

[3] Eisenberg T et al. (2016): Cardioprotection and lifespan extension by the natural polyamine spermidine. Nature Medicine. DOI: 10.1038/nm.4222.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Madeo F et al. (2019): Spermidine: a physiological autophagy inducer acting as an anti-aging vitamin in humans? Autophagy. DOI: 10.1080/15548627.2018.1530929.