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13.11.2017

Sozialbarometer Energiewende

Am 14.11.2017 präsentiert das „Institute for Advanced Sustainability Studies“ (IASS) in Potsdam das „Soziale Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende 2017“. Das Barometer hat das IASS zusammen mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen erarbeitet; es basiert auf rund 7500 Befragungen und kommt zu dem Schluss, dass einerseits die breite Mehrheit der Menschen hinter der Energiewende steht und sowohl für Atomausstieg als auch Kohleausstieg und den Netzausbau ist. Offenbar sehen die Menschen in der Energiewende eine Aufgabe als Vorsorge für die kommende Generation. Das verleiht der Politik in den Augen der Studienautoren ein starkes Mandat, die Energiewende voranzutreiben.

Andererseits jedoch wird die Umsetzung von der Mehrheit nicht als geglückt angesehen. Konkret benennt das Sozialbarometer die Ausnahmen von der EEG-Umlage für bestimmte Industriebetriebe, hohe Strompreise für Privatverbraucher, aber auch eine mangelnde Mitsprache oder Partizipation bei dem Ausbau der Windenergie. Hier müsse die Politik unbedingt reagieren, um die starke Zustimmung zur Energiewende nicht aufs Spiel zu setzen.

Im Zusammenhang mit der Debatte um den Kohleaausstieg hat das SMC auch das Fact Sheet "Kohleausstieg und Stromnetz" zur Frage veröffentlicht, welche Folgen ein rasches Abschalten von Braunkohlekraftwerken für das Stromnetz hätte. Dieses können Sie auf unserer Website hier herunterladen.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Christian Rehtanz, Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund
  • Prof. Dr. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
  • Prof. Dr. Andreas Löschel, Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Statements

Prof. Dr. Christian Rehtanz

Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund

„Die Richtigkeit der Energiewende einschließlich des Netzausbaus ist breit gestützt, wie die Studie eindrücklich zeigt. Die deutliche Skepsis gegenüber der Windenergie, ohne die die Energiewende nicht möglich ist, bedarf jedoch einer weiteren Detailanalyse. Liegt es wirklich daran, dass Menschen Windräder schlicht hässlich finden, oder wäre nicht vielmehr durch eine direkte Beteiligung – Stichwort Bürgerwindparks – eine deutlich höhere Akzeptanz zu erzielen? Schließlich bedeutet das Ziel der CO2-Reduktion um 80 bis 90 Prozent circa sechsmal so viele Wind- und Photovoltaik-Anlagen gegenüber heute.“

„Die kritisierten Kosten und Kostenverteilungen beruhen zum Teil auf einer überzogenen Förderung vor einigen Jahren. Die Photovoltaik ist schneller effizient und günstig geworden, als die EEG-Fördersätze gesenkt wurden. Der extrem schnelle Kernenergieausstieg hat ebenfalls Milliarden vernichtet. Wir können dieses nicht zurückdrehen, aber daraus lernen, dass der am Ende unvermeidbare Kohleausstieg auf der Zeitachse derart gestaltet werden muss, dass der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik weiter sinnvoll erfolgen kann und gleichzeitig nicht weitere Milliarden durch extrem kurzfristige Veränderungen versenkt werden. Kohlekraftwerke in Polen und Tschechien oder belgische Atomkraftwerke sind keine Alternative für einen übereilten deutschen Kohleausstieg.“

„Nur wenn gezeigt werden kann, dass die Energiewende wirtschaftlich ist, werden wir unserer Vorreiterrolle, die wir einnehmen wollen, gerecht. Nur bei nachweislicher Wirtschaftlichkeit machen andere es nach. Das Gefühl der Menschen hierfür zeigt richtigerweise die Studie.“

Prof. Dr. Volker Quaschning

Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

„Wenn wir das Bekenntnis zum Pariser Klimaschutzabkommen mit einer Stabilisierung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur zwischen 1990 und 2100 um 1,5 Grad Celsius ernst meinen, muss die Energiewende bis spätestens 2040 erfolgreich abgeschlossen sein. Ab dann dürften wir in diesem Fall kein Erdöl, kein Erdgas und keine Kohle mehr verbrennen. Die bisherigen Regierungsziele, aber auch viele Forderungen der Opposition sind dafür bei weitem nicht ausreichend. Damit die Energiewende gelingt, brauchen wir ein möglichst schnelles Ende der Kohleverstromung und eine Vervierfachung des Tempos der Energiewende.“

„Die Umfrage zeigt eindrucksvoll, dass bei der Bevölkerung eine generelle Bereitschaft für die Energiewende und einen Kohleausstieg parteiübergreifend vorhanden ist. Die Umfrage zeigt allerdings nicht, bis zu welchem Maß die Bevölkerung bereit wäre, zusätzliche Kosten zu akzeptieren. Vor allem an der gerechten Verteilung der Kosten wird gezweifelt. Bei der Verteilung der weiteren Kosten der Energiewende sollten sozial Schwache geschont und die Verteilungsfrage gut kommuniziert werden.“

„Die Lösung der Klimafrage ist eine parteiübergreifende Herausforderung. Darum sollten alle Politiker umgehend damit aufhören, aus parteitaktischen Gründen notwendige Schritte für die Energiewende abzulehnen. Jetzt sind ehrliche, konsequente, aber auch schmerzhafte Maßnahmen für das Einhalten des Pariser Klimaschutzabkommens und keine weiteren Lippenbekenntnisse erforderlich. Die Bevölkerung scheint dabei weiter zu sein als die Politik und wäre auch bereit, diesen Weg mitzutragen.“

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt", Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Dass die Energiewende in Deutschland positiv bewertet wird, ist bekannt. Dass es aber eine derart überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gibt, die für die weitere Umsetzung der Energiewendeziele sind, die einen Kohleausstieg befürworten, ist ein beeindruckendes Ergebnis. Die Studie zeigt jedoch ebenso eindrucksvoll, dass es einen Vertrauensverlust an der Umsetzung durch die politischen Parteien gibt, und der Wunsch groß ist, dass dies geändert wird.“

„Zudem wird sehr deutlich, dass die Menschen stärker eingebunden werden wollen. Die große Stärke der Energiewende ist ja, dass sie – wenn sie klug ausgestaltet wird – die Partizipation erhöht und so die Akzeptanz gestärkt werden kann. Vor allem beim Ausbau der Windenergie sollten die Menschen im gesamten Verfahren stärker eingebunden werden.“

„Interessant ist, dass die Menschen durchaus bereit sind, für die Energiewende stärker in die Tasche zu greifen, aber eine unfaire Verteilung der Lasten bemängeln. Daher ist die Politik gefordert. Sie sollte die umfangreichen Ausnahmen für die Industrie bei der EEG- und Netz-Umlage drosseln und die Menschen stärker in die Prozesse einbinden. Die Politik sollte zudem den Ausbau erneuerbarer Energien in den Vordergrund stellen.“

Herr Prof. Dr. Andreas Löschel

Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Die Studie adressiert eine wichtige Lücke im Monitoring der Energiewende. Die Energiewende zielt auf eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung; die Transformation bedarf aber der gesellschaftlichen Akzeptanz. Während die Zielerreichung etwa bei den Klimazielen, der Energieeffizienz oder beim Ausbau erneuerbarer Energien relativ gut erfassbar ist, wurde bisher die gesellschaftliche Dimension kaum erfasst.“

„Es bleibt zu hoffen, dass das ‚Soziale Nachhaltigkeitsbarometer Energiewende‘ dauerhaft weiterentwickelt und dauerhaft erhoben wird. Dabei sind die Fragen zu Energiewende und Implementierung, Verteilungsfragen, Betroffenheit und Beteiligung gut gewählt. Spezielle Auswertungen bei besonders Betroffenen – etwa räumlich oder finanziell – können helfen, die Akzeptanz der Energiewende zu sichern. Nur so kann die Transformation gelingen.”

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Setton D et al. (2017): Soziales Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende 2017. DOI: 10.2312/iass.2017.019.