Zum Hauptinhalt springen
28.03.2022

Mögliches Risiko für Missbildungen durch Diabetestherapie bei Vater

Nimmt der Vater während der Spermienentwicklung das Diabetesmedikament Metformin, ist das mit einem erhöhten Risiko für Missbildungen bei Neugeborenen assoziiert. Diesen Zusammenhang ermittelten dänische und britische Forschende bei der Auswertung einer nationalen prospektiven Kohortenstudie, die alle Geburten von 1997 bis 2016 in Dänemark erfasst. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie im Fachjournal „Annals of Internal Medicine“ (siehe Primärquelle).

Die Forschenden untersuchten Daten aus landesweiten Registern aus Dänemark zu Geburten, Patienten und Verschreibungen, um festzustellen, inwiefern sich die Behandlung mit Insulin, Metformin oder Sulfonylharnstoff bei Vätern vor der Zeugung auf die Risiken für Geburtsfehler bei Kindern auswirkt. Die Babys waren der Studie zufolge einem Diabetesmedikament ausgesetzt, wenn ihrem Vater in den drei Monaten, in denen sich die Spermien entwickelten, mindestens ein Rezept für eines der drei Diabetesmedikamente ausgestellt wurde. Ausgewertet wurden die Geburtsfehler der Babys in Korrelation mit drei Parametern: den verschiedenen Diabetesmedikamenten, den verschiedenen Zeitpunkten der Medikamenteneinnahme und mit nicht-exponierten Geschwistern der Babys.

Die Einnahme von Insulin war nicht mit einem erhöhten Risiko für einen Geburtsfehler verbunden. Die Zahl der Babys, deren Väter Sulfonylharnstoffe einnahmen, war zu gering, um das Risiko für Geburtsfehler mit Sicherheit bestimmen zu können. Für die Einnahme von Metformin während der Spermienentwicklung ermittelten die Forschenden allerdings ein erhöhtes Risiko für Missbildungen, insbesondere für Genitalfehler bei Jungen. Die Einnahme von Metformin vor oder nach der Spermienentwicklung erhöhte das Risiko für Geburtsfehler nicht. Auch bei nicht-exponierten Geschwistern war das Risiko nicht erhöht.

Da es sich bei der Studie um eine reine Assoziationsstudie handelt, bleibt zu klären, welchen Einfluss Metformin mechanistisch auf die Spermienentwicklung nimmt und ob es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang gibt. Inwiefern die Ergebnisse der Studie dennoch bereits relevant sein könnten für die therapeutische Beratung von Männern mit Diabetes und Kinderwunsch und welche alternativen Therapien infrage kommen, erläutern Experten in den nachfolgenden Statements.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Wolfgang Rathmann, Leiter der Arbeitsgruppe Epidemiologie, Deutsches Diabetes-Zentrum – Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (DDZ)
  •  

  • Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin, Charité Universitätsmedizin Berlin
  •  

Statements

Prof. Dr. Wolfgang Rathmann

Leiter der Arbeitsgruppe Epidemiologie, Deutsches Diabetes-Zentrum – Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (DDZ)

„In Dänemark gibt es ein nationales Register, in dem alle Schwangerschaften erfasst werden. Zusammen mit Daten aus dem Nationalen Patientenregister und dem Register für Arzneimittelverschreibungen wurde der Zusammenhang von Verordnung von Glukosesenkern mit kindlichen Geburtsfehlern, die im ersten Lebensjahr dokumentiert wurden, untersucht. Geburtsfehler wurden bei 3,3 Prozent (36.585 Kindern) dokumentiert. Bei insgesamt 7069 Fällen lag eine Verordnung von Glukosesenkern bei Vater oder Mutter vor. Die häufigste Verordnung bei den Eltern, die im Durchschnitt 30 bis 33 Jahre alt waren, war Insulin (5298) gefolgt von Metformin (1451) und Sulfonylharnstoffen (647). Eine väterliche Metformintherapie war mit einer erhöhten Chance für schwere Geburtsdefekte assoziiert (Odds Ratio: 1,4; 95 Prozent Konfidenzintervall: 1,08 bis 1,82). Das beobachtete Chancenverhältnis (Odds Ratio) lag bei 1,4, was relevant wäre, wenn der Zusammenhang tatsächlich besteht.“

„Diese Studie wirft Fragen auf zur Kausalität, möglichen biologischen Mechanismen und Auswirkungen auf die klinische Versorgung. Der Zusammenhang zwischen Metformin und Geburtsfehlern blieb konsistent nach statistischer Adjustierung potenzieller Störfaktoren, nämlich Alter, Ethnizität, Bildung, Einkommen, und Rauchverhalten der Mutter während der Schwangerschaft. Die Autoren führten auch eine ganze Reihe von Sensitivitätsanalysen durch.“

„Ein wesentlicher Schwachpunkt der Studie ist das Fehlen von Daten zur Qualität der Blutglukoseeinstellung sowie des Body-Mass-Index der Studienpopulation. Für Sulfonylharnstoffe wurde ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Missbildungen beobachtet, das jedoch statistisch nicht signifikant erhöht war. Dieses Ergebnis legt jedoch nahe, dass die Blutglukosekonzentrationen eine Rolle spielen. Eltern mit Metforminbehandlung waren älter und wiesen einen niedrigeren sozioökonomischen Status auf. Väter mit einer Metforminverordnung erhielten deutlich häufiger Lipidsenker und kardiovaskuläre Therapeutika. Daher lag sehr wahrscheinlich ein ungünstigeres kardiometabolisches Risikofaktorprofil vor und es ist zu vermuten, dass die Väter häufiger adipös waren. Unklar bleibt auch, ob bei den Schwangeren ein unentdeckter Gestationsdiabetes vorlag, der das Risiko für Geburtsdefekte deutlich erhöht. Daher sind zunächst sorgfältig konzipierte multiethnische prospektive epidemiologische Studien zu den möglichen Folgen einer Metforminbehandlung auf Geburtsfehler erforderlich, um die Ergebnisse zu bestätigen oder zu widerlegen.“

„Anhand der Auswertung von Daten der gesetzlichen Krankenkassen (in Deutschland; Anm. d. Red.) erhalten 0,04 Prozent der Männer im Alter von 30 bis 34 Jahre eine Verordnung von Glukosesenkern, das heißt 4 von 10.000 Männern in diesem Alter sind potenziell betroffen [1] (für Männer im Alter 35 bis 39 liegt die Häufigkeit bei 0,07 Prozent, zwischen 40 bis 44 bei 0,13 Prozent; weitere Angaben sind der Abbildung 4 in [1] zu entnehmen; Anm. d. Red.).“

Auf die Frage, ob auf Grundlage dieser Studie die Therapie für Männer mit Kinderwunsch geändert werden sollte und welche Alternativen zur Verfügung stehen würden:
„Es ist eindeutig zu früh, anhand einer einzigen Studie eine Änderung der Therapieempfehlungen auszusprechen. Sollten sich die Ergebnisse in mehreren Studien bestätigen, wäre eine Insulinbehandlung eine Alternative. Insulinverordnungen waren nicht mit einem erhöhten Risiko für Missbildungen assoziiert.“

Auf die Frage, wie sich Metformin auf die Entwicklung der Spermien auswirken könnte:
„Die Autoren führen eine Reihe von möglichen Mechanismen auf, wie Metformin das Risiko von Missbildungen erhöhen könnte. Diese basieren auf tierexperimentellen Studien, bei den unter anderem Veränderungen von Stammzellen in Hoden von Ratten beobachtet wurde [2]. Eine Übertragbarkeit auf den Menschen müsste untersucht werden.“

Prof. Dr. Andreas Pfeiffer

Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin, Charité Universitätsmedizin Berlin

„Die Analyse der Daten des dänischen nationalen Registers mit über einer Million Geburten zwischen 1997 bis 2016 untersuchte, ob eine Diabetes-Medikation das Risiko von Geburtsdefekten erhöht. Da Diabetes zunehmend auch im jüngeren Lebensalter auftritt sind häufiger Männer im Reproduktionsalter betroffen. Metformin wird von allen Diabetesgesellschaften als erste Medikation bei der Manifestation eines Diabetes empfohlen. Tatsächlich zeigte sich, dass die Einnahme von Metformin bei Männern, aber nicht bei Frauen, in der Zeit vor der Konzeption mit einer erhöhten Inzidenz von genitalen Missbildungen bei den Babys assoziiert war. Diese Assoziation belegt zwar keinen Zusammenhang, macht aber weitere Studien dringend erforderlich. Eine Berücksichtigung bei der Familienplanung wäre durchaus zu überlegen, insbesondere wenn diese Daten in anderen Registern bestätigt würden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Wensink MJ et al. (2022): Preconception Antidiabetic Drugs in Men and Birth Defects in Offspring – A Nationwide Cohort Study. Annals of Internal Medicine. DOI:10.7326/M21-4389.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Schmidt C et al. (2020): Prävalenz und Inzidenz des dokumentierten Diabetes mellitus – Referenzauswertung für die Diabetes-Surveillance auf Basis von Daten aller gesetzlich Krankenversicherten. Bundesgesundheitsblatt. DOI: 10.1007/s00103-019-03068-9.

[2] Ghasemnejad-Berenji M et al. (2018): Effect of metformin on germ cell-specific apoptosis, oxidative stress and epi-didymal sperm quality after testicular torsion/detorsion in rats. Andrologia. DOI: 10.1111/and.12846.

Weitere Recherchequellen

Science Media Centre (2022): expert reaction to study of birth defects and diabetic men using metformin during sperm development. roundups for journalists. Stand: 28.03.2022