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13.05.2019

Mehr hungernde Menschen durch unbedachte Klimawandel-Maßnahmen

Bis zu 160 Millionen Menschen zusätzlich müssten weltweit hungern, wenn Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels ergriffen werden, ohne deren Konsequenzen auf die Versorgung mit Lebensmitteln zu berücksichtigen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Autorenteam um den japanischen Wissenschaftler Shinichiro Fujimori, dem auch Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich angehören.

Den Klimawandel zu beschränken ist eine enorme Herausforderung und eines der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung [a]. Einige Maßnahmen, die den Klimawandel bremsen können, würden auch zwangsläufig und spürbar andere Probleme lösen: So würden geringere Emissionen von Treibhausgasen gleichzeitig die Luftqualität verbessern. Dagegen könnte der Kampf gegen den Hunger erschwert werden, wenn bei diesen Maßnahmen gegen den Klimawandel die Folgen auf die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln nicht mit berücksichtigt werden.

Etwa 800 Millionen Menschen leiden weltweit Hunger. Prognosen sehen diese Zahl bis zur Mitte des Jahrhunderts nachhaltig sinken – auf dann 180 bis 270 Millionen Menschen. Damit würde sich der allgemeine Trend der vergangenen beiden Jahrzehnte fortsetzen – allerdings steigen die Zahlen seit 2014 wieder [b]. Die Autoren der aktuellen Studie haben nun untersucht, wie sich mögliche Maßnahmen, den Klimawandel zu beschränken auf die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln auswirken. Sie sehen vor allem zwei Faktoren, die die Lebensmittelpreise steigen lassen und damit vielen Menschen eine ausreichende Versorgung erschweren würden: zum einen ein CO2-Preis und zum anderen die Konkurrenz um Anbauflächen zur Produktion von Nahrungsmitteln oder Bioenergie und Aufforstungsprojekten, die eine wichtige Maßnahme sind, um das Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen.

Darüber hinaus quantifizieren die Autoren die zusätzlichen Kosten, diese negativen Effekte abzufedern. Ergebnis: 0,18 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts. Dieses Geld könnte in konkrete Nahrungsmittelhilfe-Projekte investiert und in Agrarsubventionen fließen, um den Preis für Nahrungsmittel zu senken.

Die Studie ist im Fachjournal Nature Sustainability erschienen (siehe Primärquelle).

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin
  • Prof. Dr. Sabine Fuss, Leiterin der Arbeitsgruppe Nachhaltiges Ressourcenmanagement und globaler Wandel, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin
  • Dr. Hannes Böttcher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin
  • Dr. Thomas Kastner, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Auswirkungen des Konsums land- und forstwirtschaftlicher Produkte, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBIK-F), Frankfurt/Main
  • Dr. Marco Springmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Oxford Martin Programme on the Future of Food, Oxford Martin School, Social Science Division, Universität Oxford, Großbritannien
  • Dr. Elke Stehfest, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department of Climate, Air and Energy, PBL Netherlands Environmental Assessment Agency, Den Haag, Niederlande

Statements

Prof. Dr. Felix Creutzig

Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin

„Der Zugang ist insgesamt ein generischer, der weltweite, aggregierte Dynamiken beschreibt. Damit wird etwa nicht erfasst, was eine Veränderung der Essgewohnheiten beitragen kann. Die Fragestellung ist sehr wichtig und eine aggregierte Beschreibung hilfreich. Allerdings bräuchte es einer differenzierteren Darstellung von Ernährungsweisen, Nachfragen und der Möglichkeiten der Veränderungen der Essgewohnheiten, um die Ergebnisse zu substanziieren.“

Auf die Frage, welche Ansätze es gibt, um Konflikte zwischen Maßnahmen gegen den Klimawandel und der Versorgungssicherheit der Menschen zu vermeiden:
„Es gibt drei einfache Möglichkeiten: Erstens kann Klimaschutz statt auf Biotreibstoffen auf erneuerbare Energie wie Solar und Wind setzen und auf neuartige technische Optionen, wie der direkten Bindung von CO2 aus der Luft. Damit werden vielerlei höchst problematische Effekte der Landnutzung durch Energiepflanzen umgangen. Zweitens ist wichtig zu verstehen, dass Hunger vor allem ein Ungleichheitsproblem ist. Durch eine gerechtere Verteilung und höhere Ressourcengerechtigkeit wird auch effektiv dem Hunger ein Ende gesetzt. Drittens kann recht einfach auf CO2-intensive Nahrungsmittel wie Rindfleisch verzichtet werden, ohne dass dabei der Genuss oder Qualität der Ernährung eine Grenze gesetzt wird.“

Auf die Frage, inwiefern sich der Einfluss der untersuchten Maßnahmen mit dem Einfluss politischer Krisen oder negativer Folgen eines ungebremsten Klimawandels vergleichen lassen:
„Der Klimawandel bedeutet schon jetzt ein erhebliches Hungerrisiko. Der Zyklon Kenneth sorgt derzeit für akuten Hunger in Mozambique und kann mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Klimawandel zugeschrieben werden [1]. Die Auswirkungen des Klimawandels sind eher akuter Natur und mit Extremereignissen verbunden; die Auswirkungen von Klimaschutzpolitik sind struktureller. Studien [2] schätzen, dass die Auswirkungen des Klimawandels sich deutlich mehr auf Hunger und Mangelernährung auswirken könnten als durch Klimaschutzpolitik. Insgesamt dürfte eine stringente Klimaschutzpolitik, die mit einer global und lokal gerechteren Verteilung des Zugangs zu Ressourcen einhergeht, der Nahrungsmittelsicherheit am besten tun.“

Auf die Frage, was notwendig ist, damit Klimawandel-abschwächende Maßnahmen in den Industrieländern nicht zum Nachteil der von Hunger bedrohten Menschen wird:
„Derzeit wird landwirtschaftliche Politik – gerade auf europäischer Ebene – als Verteilungspolitik großzügiger Subventionen an Konzerne verstanden. Das wird dem katastrophalen Schaden, den die Landwirtschaft an Klima und Biodiversität anrichtet, nicht gerecht. Es ist wichtig, dass die breitere Gesellschaft und andere Entscheidungsvertreter sich beteiligen, etwa als Genießer hochwertiger Nahrungsmittel und als empathische Vertreter des globalen Südens und zukünftiger Generationen.“

Prof. Dr. Sabine Fuss

Leiterin der Arbeitsgruppe Nachhaltiges Ressourcenmanagement und globaler Wandel, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin

„Es ist richtig, dass die Erreichung ambitionierter Temperaturziele sich je nach Implementierung auf andere Nachhaltigkeitsziele auswirken kann – in diesem Fall auf die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln. In diesem Sinne ist es hilfreich, das potenzielle Ausmaß zu projizieren und die damit einhergehenden Risiken aufzuzeigen. Die Forderung nach dem 1,5-Grad-Ziel in Paris ging aber vor allem mit der Meinung einher, dass die Klimafolgen einer Erwärmung von mehr als 1,5°C nicht zu tolerieren sind. Und dies kam vor allem von den ärmeren Ländern dieser Welt.“

„Der Weltklimarat kam im Nachgang der Einladung nach, hierzu den Sachstand zu prüfen, und machte letztes Jahr im Sonderbericht zu 1,5°C globaler Erwärmung deutlich, dass eine stringentere Klimaschutzpolitik den Rückgang in den landwirtschaftlichen Erträgen stark einschränken würde, was hier nicht aufgerechnet wird. Der Sonderbericht spricht von mehreren 100 Millionen weniger Menschen in Armut bei 1,5°C verglichen mit 2°C, während der entsprechende Unterschied für das Hungerrisiko sich in der Studie auf 30 Millionen bis 40 Millionen Menschen beläuft. Das heißt nicht, dass dieses Risiko nicht berücksichtigt werden sollte, jedoch sollten die Ergebnisse der Studie sehr viel stärker im Licht dieses Sachstands bewertet werden.“

Dr. Hannes Böttcher

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin

„Globale Modelle wie die, die vom AutorInnenteam eingesetzt wurden, erlauben es, das Thema Landnutzung, Klimaschutz und Ernährungssicherheit ganzheitlich betrachten zu können: Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen? Welche Auswirkungen haben Klimaschutzmaßnahmen auf Landpreise und landwirtschaftliche Produktion? Allerdings bergen diese Modelle große Unsicherheiten, weil sie viele Prozesse nur grob abbilden können. So besteht der Zusammenhang zwischen Landnutzung, Klimaschutz und Ernährungssicherheit oft nur durch einfache Funktionen, die viele andere Einflussfaktoren ausblenden. Deshalb sind Vergleiche von Modellen dieser Art eigentlich aufschlussreicher als Szenarien mit einzelnen Modellen, weil sich auf diese Weise feststellen lässt, in welchen Aussagen sie übereinstimmen. Diese Studie zeigt ja vor allem, wie groß die Unterschiede zwischen den Modellen sind. Gerade im Szenario der Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5° C gehen die Modellergebnisse am weitesten auseinander. Das heißt, die Modelle finden – trotz ihrer Einfachheit – sehr unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Landnutzung, Klimaschutz und Ernährungssicherheit. Die Ergebnisse haben, aus meiner Sicht, damit einen höheren Wert für die Modellentwickler als für die Allgemeinheit.“

„Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass der grundsätzliche Ansatz zur Vermeidung des Klimawandels sein muss, die fossilen Emissionen zu reduzieren (verglichen mit den in der Studie untersuchten Optionen Bioenergie und Aufforstung, die zu Flächenkonkurrenz für den Anbau von Nahrungsmitteln führen; Anm. d. Red.). Wenn die Nutzung von Land als natürliche Ressource zur Kompensation verfehlter Klimapolitik in anderen Sektoren herhalten muss, drohen andere Nachhaltigkeitsziele – wie die Bekämpfung von Hunger, Schutz von Biodiversität, Schonung des Bodens und andere – unter die Räder zu geraten. Die Szenarien des 1,5-Grad-IPCC-Berichts suggerieren, dass in der Landnutzung große Potenziale für negative Emissionen liegen. Diese Studie macht deutlich, dass dafür ein Preis zu zahlen ist. Dadurch, dass nur Ernährungssicherheit betrachtet wurde, scheinen die Kosten relativ gering. Es wäre äußerst wichtig, auch die Kosten für den Verlust anderer Ökosystemleistungen durch groß-skalige Minderungsprojekte darzustellen.“

Auf die Frage, was notwendig ist, damit Klimawandel-abschwächende Maßnahmen in den Industrieländern nicht zum Nachteil der von Hunger bedrohten Menschen wird:
„Ähnlich wie die Folgen eines Klimawandels vor allem arme Regionen des Südens zu drohen treffen, scheinen die Auswirkungen von Minderungsmaßnahmen auch vor allem diese Regionen zu treffen. Leider stellen die AutorInnen nicht dar, welche Minderungsmaßnahmen welche Effekte haben und wie sich diese über die Erde verteilen. Ziel sollte es sein, Minderungsmaßnahmen zu identifizieren, die möglichst geringe Auswirkungen oder besonders positive Nebeneffekte für die betroffenen Regionen haben, und nicht besonders vorteilhaft für die Hauptverursacher der Emissionen sind. Eine Voraussetzung dafür ist das Wissen um die Zusammenhänge zwischen Landnutzung, Klimaschutz und Ernährungssicherheit. Ich hoffe, dass diese Studie in diesem Sinne ein Baustein sein kann, um mehr Klimaschutzgerechtigkeit zu erreichen.“ 

Dr. Thomas Kastner

Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Auswirkungen des Konsums land- und forstwirtschaftlicher Produkte, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBIK-F), Frankfurt/Main

„Die Studie beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Klimaschutzmaßnahmen auf die Anzahl der von Hunger gefährdeten Bevölkerung auswirken würde. Für einen Zeithorizont bis ins Jahr 2050 zeigt das Autorenteam, dass – ohne Gegenmaßnahmen – die Zahl der von Hunger Gefährdeten steigen würde.“

„Obwohl die Studie mit komplexen, integrierten Modellen arbeitet, gelingt es ihr, die Mechanismen und Annahmen hinter diesem Ergebnis klar herauszuarbeiten. Klimaschutzmaßnahmen erhöhen den Preis von Kohlenstoff, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Dies wirkt sich auf Lebensmittelpreise aus: weil Flächen für Bioenergieträger vermehrt nachgefragt werden und weil Treibhausgase wie Methan und Lachgas, die bei der Lebensmittelproduktion entstehen, besteuert werden. Die höheren Lebensmittelpreise drücken den Lebensmittelkonsum und erhöhen damit das Hungerrisiko in ärmeren Gebieten. Wie stark, dafür sind Annahmen über sogenannte Preiselastizitäten von Lebensmittel zentral, das heißt, in welchem Maße die Preissteigerung eines Produktes die Nachfrage danach reduziert.“

„Die Studie vergleicht den Output von sechs globalen Modellen, die sich vor allem in Annahmen zum Umfang der beschriebenen Mechanismen unterscheiden. Obwohl sich die genauen Zahlen im Detail unterscheiden, ist das Ergebnis über die Modelle hinweg robust: Stärkere Klimaschutzmaßnahmen führen zu einer Erhöhung der Anzahl der von Hunger bedrohten Menschen, verglichen mit einem Szenario ohne diese Maßnahmen.“

„Allerdings gibt es einen zentralen Disclaimer, der sehr wichtig ist, um die Ergebnisse einordnen zu können. Etwas versteckt sprechen die Autoren das auch klar an: Wie sich Klimawandel auf das Auftreten von Extremereignissen auswirkt und diese sich wiederum auf die Nahrungsproduktion und -verfügbarkeit auswirken, ist in keinem der Modelle berücksichtigt. Eine Berücksichtigung solcher Effekte – was mit dem derzeitigen Wissensstand zugegeben nicht leicht ist – würde wohl zu einem gänzlich anderen Bild führen Die Autoren schreiben dies auch so. In einer Welt ohne Klimaschutzmaßnahmen könnte die Anzahl der vom Hunger Gefährdeten über solche Effekte deutlich ansteigen.“

„In der Studie werden die Ergebnisse von sechs integrierten globalen Modellen verglichen. Diese sehr komplexen Modelle werden typischerweise mit Annahmen über sozioökonomische Entwicklungen gefüttert und arbeiten dann mit Gleichgewichts- und Optimierungsansätzen, um Ergebnisse für die zu untersuchende Größe zu errechnen. Die Bandbreite der Modellergebnisse sollte allerdings nicht mit der Bandbreite an möglichen zukünftigen Entwicklungen gleichgesetzt werden.“

„So zeigen beispielsweise alle sechs Modelle eine lineare Abnahme des Hungerrisikos von 2015 bis 2020 – ob mit oder ohne Klimaschutz –, was den Trend der Periode vor 2015 fortsetzen würde. Dabei ist die Anzahl der von Hunger gefährdeten Menschen von 2015 bis 2017 laut Welternährungsorganisiation FAO um über 35 Millionen gestiegen [3]. Das zeigt, dass die Reduktion von Hunger bei weitem kein Selbstläufer ist – wie die Abbildungen 1a und 2a der Studie suggerieren könnten – sondern großer Anstrengungen bedarf. Ein zentraler Faktor für diese Trendumkehr bei der globalen Hungerbekämpfung in den letzten Jahren ist tatsächlich eine zunehmende Klimavaribilität [4].“

„Während derartige Modelle aufgrund ihrer Vielseitigkeit den wissenschaftlichen Diskurs oft dominieren, ist es wichtig, sie ‚nur‘ als eines von mehreren Werkzeugen zu sehen, um über mögliche Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten zu diskutieren. Für zukünftige Studien und Modellentwicklungen zum Thema wäre es hilfreich, Perspektiven aus dem globalen Süden stärker einzubeziehen. Die Community wird im Moment von Wissenschaftlern aus dem globalen Norden dominiert. Eine größere Vielfalt an Perspektiven könnte auch die Vielfalt in dem, was sich Modelle ‚trauen‘, erhöhen und damit den Diskurs verbreitern. Business-as-usual und das westliche Wachstumsmodell allein werden für eine effektive Bekämpfung des Klimawandels und eine gleichzeitige Verbesserung des Lebensstandards der Ärmsten nicht ausreichen.“

„Ein Beispiel: In der vorliegende Studie wird eine Importabhängigkeit von Sub-Sahara-Afrika in Bezug auf Nahrung als gesetzt angenommen. Hier wäre es wichtig auch andere Entwicklungspfade zu diskutieren und für Zukunftsbilder ‚mitzunehmen‘.“

Dr. Marco Springmann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Oxford Martin Programme on the Future of Food, Oxford Martin School, Social Science Division, Universität Oxford, Großbritannien

„Die Landwirtschaft hat einen wichtigen Einfluss auf den Klimawandel. Gleichzeitig wird sie nicht nur vom Klimawandel, sondern auch von Klimapolitiken beeinflusst wie die Autoren der aktuellen Studie berechnen. Die Studie macht den wichtigen Punkt, dass Klimapolitik nachteilige Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung haben kann, wenn sie nicht sensibel ausgestaltet ist. Die Autoren zeigen auch auf, dass eine auf Versorgungssicherheit abgeklopfte Klimapolitik möglich ist, und das zu Kosten, die relativ gering sind – im Vergleich zu den möglichen Auswirkungen des Klimawandels.“

„Dass Klimapolitik mit der Versorgungssicherheit von Lebensmitteln und sogar mit positiven Gesundheitseffekten verbunden sein kann, ist nichts Neues. In einer Studie aus dem Jahr 2017 [5] haben wir aufgezeigt, dass eine CO2-Besteuerung von Lebensmitteln einen wichtigen Lenkungseffekt zur Umstellung zu einer nachhaltigeren Ernährungsweise haben kann, und dass potenziell negative Auswirkungen durch zweckgebundene Verwendung der Steuereinnahmen sichergestellt werden kann – zum Beispiel mit Gesundheitsförderungsprogrammen zur Ernährungsumstellung und einem Rückfluss von Steuereinnahmen an ärmere Bevölkerungsschichten.“

„Es wird erwartet, dass der Klimawandel die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln beinträchtigen wird. Das liegt vor allem an der Verminderung des Ernteertrags, den die Erwärmung und veränderte Regenmengen, die mit dem Klimawandel einhergehen, hervorrufen. Die Folge sind erhöhte Preise und geringere Verfügbarkeit von Lebensmitteln. Die neue Studie zeigt nun auf, dass auch Klimapolitik, wenn sie nicht sensibel konzipiert ist, negative Auswirkungen auf den Klimawandel haben kann. Auch hier ist es der Nahrungsmittelpreis, der ausschlaggebend ist. Aber in den analysierten Szenarien wird dieser durch CO2-Steuern in die Höhe getrieben, was dann wiederum eine Verminderung der Lebensmittelverfügbarkeit zur Folge hat.“

„Dass höhere Lebensmittelpreise und eine Verminderung der Lebensmittelverfügbarkeit einen erheblichen Einfluss auf Hunger haben, scheint plausibel. Aber die derzeitigen Konflikte im Jemen und in Somalia haben gezeigt, dass es oft Konflikte in sogenannten ‚Failing States‘ sind, die die weltweite Zahl der Hungernden in die Höhe treiben. Global gesehen gibt es bei weitem genügend Nahrungsmittel, um die derzeitige Weltbevölkerung zu ernähren. Was weitaus schwieriger ist, ist eine gesunde und nachhaltige Ernährung für alle sicher zu stellen und aktiv zu begleiten.“

„Unser Ernährungssystem ist für ungefähr ein Viertel aller Treibhausgase verantwortlich. Die meisten Treibhausgase werden durch Fleisch und Milchprodukte verursacht. Wenn solche Produkte durch eine CO2-Besteuerung teurer werden, werden weniger solcher Produkte konsumiert, und es ist wichtig aufzuzeigen, wie eine gesunde Ernährungsweise mit wenigen Tierprodukten aussehen kann. Eine modellgetriebene Studie, wie die aktuelle von Fujimori und Kollegen, kann das nur begrenzt, da Veränderungen in der Ernährungsweise in den verwendeten Modellen oft nur ungenügend abgebildet werden.“

„In unserer Forschung haben wir uns daher die umgekehrte Frage gestellt und gezeigt: Eine ausgewogene, auf Pflanzen basierte Ernährungsweise kann die Treibhausgasemissionen des Landwirtschaftssystems hinreichend begrenzen [6]. Außerdem würden genügend Acker- und Grasflächen frei werden, um Biokraftstoffe anzubauen und Wälder anzupflanzen. Eine CO2-Steuer kann einen wichtigen Beitrag zur Umstellung auf eine nachhaltigere Ernährungsweise liefern. Aber Initiativen, die bei der Ernährungsumstellung helfen, bessere Regulierung der Nahrungsmittelindustrie und eine auf Nachhaltigkeit und Gesundheit ausgelegte Landwirtschaft bieten weitere Möglichkeiten, die zur Ernährungsumstellung beitragen können und einer zu hohen CO2-Besteuerung entgegenwirken können. Eine gelungene Ernährungsumstellung zu einer ausgewogenen und zu großem Teil auf Pflanzen basierenden Ernährungsweise vermindert nicht nur Treibhausgasemissionen und die Risiken von ernährungsbedingten Krankheiten, sondern bietet auch ein großes Einsparungspotential, das vor allem Geringverdienern zu Gute kommen kann.“

Dr. Elke Stehfest

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department of Climate, Air and Energy, PBL Netherlands Environmental Assessment Agency, Den Haag, Niederlande

„Den Klimawandel auf 2 Grad oder gar 1.5 Grad zu begrenzen – wie es international vereinbart ist – stellt eine enorme Herausforderung dar. Um dieses Ziel überhaupt erreichen zu können, müssen nicht nur Industrie und Energiesektor umgestellt werden, sondern muss auch das Landsystem einen erheblichen Beitrag leisten – darin sind sich alle Studien einig. Es ist allerdings umstritten, wie groß dieser Beitrag sein kann, ohne andere Nachhaltigkeitsziele zu gefährden, und wie eine praktische Umsetzung aussehen könnte.“

„Die aktuelle Studie nutzt die weltweit führenden Modelle, die zur Analyse von globalen Klimastrategien eingesetzt werden. Das Resultat, dass nämlich die Begrenzung der landwirtschaftlichen Fläche zugunsten von Wäldern – als CO2-Senke und Energielieferant – und dem Anbau von Energiepflanzen mit höheren Lebensmittelpreisen und höherem Risiko für Unterernährung einhergeht, überrascht dennoch wenig. Ähnliches wurde auch schon für verminderte Entwaldung gezeigt [7] und wurde intensiv diskutiert im Rahmen der Europäischen Verordnung zur Erneuerbaren Energie – und damit für Bioenergie. Dennoch ist diese Studie ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Diskussion, macht er doch sichtbar, was in fast allen Klimaszenarien bislang unsichtbar blieb: Wenn die Landwirtschaft ohne Beschränkungen und flankierende Maßnahmen in das globale Emissions-Minderungssystem einbezogen wird, kann das erhebliche Nebenwirkungen haben.“

„Ein weltweites, kosten-minimierendes System zur Emissionssenkung über einen CO2-Preis und ein Emissionshandelssystem ist generell ein sehr sinnvolles Instrument, um so zu einem kosteneffizienten Klimaschutz zu gelangen. In den meisten Modellen und Studien – und so auch in der vorliegenden – wird das Landsystem vollständig mit einbezogen, mit den beschriebenen Effekten auf Lebensmittelpreise.“

Auf die Frage, welche Ansätze es gibt, um Konflikte zwischen Maßnahmen gegen den Klimawandel und der Versorgungssicherheit der Menschen zu vermeiden:
„Es werden hierzu verschiedene Ansätze diskutiert. Das heutige System von nationalen Selbstverpflichtungen bietet allen Spielraum, um den möglichen Beitrag von Bioenergie und CO2-Senken und damit mögliche Konflikte mit dem Ernährungssektor zu begrenzen. Länderübergreifende Effekte könnten hierbei jedoch billigend in Kauf genommen werden, und eine sorgfältige Analyse der möglichen Auswirkungen auf Umwelt und Ernährungssicherheit ist unbedingt notwendig.“

„Die Autoren bieten selbst Vorschläge an, um die möglicherweise negativen Effekte auf die Nahrungsmittelsicherheit zu vermindern: Subventionen oder direkte Nahrungsmittelhilfe. Dies greift jedoch zu kurz. Das zugrundeliegende System in allen beteiligten Modellen folgt weiterhin einer weltweiten, kosten-optimierenden Strategie. Das heißt im Klartext: Da wo es am billigsten ist, wird Bioenergie angebaut. Und das auch in den ärmsten Regionen, unter anderem in Afrika. Während man darin auch neue Einkommensquellen sehen könnte, scheinen doch die negativen Effekte der höheren Lebensmittelpreise zu überwiegen. Und es erscheint unrealistisch, um die negativen Effekte über Subventionen und Hilfszahlungen abzumildern, zumal in Ländern mit schwachen politischen Strukturen oder schwieriger politischer Lage.“

„Die Frage, wie das Landsystem sinnvoll und nachhaltig zum Klimaschutz beitragen kann, ist völlig ungeklärt, muss aber dringend diskutiert und dann umgesetzt werden. Wenn Fläche für den Klimaschutz benötigt wird – sei es für Bioenergie oder für Wälder als CO2-Senke – dann muss dieses Land irgendwo herkommen, die Ressource Land ist schließlich begrenzt. Einen gewissen Beitrag kann weitere Ertragssteigerung leisten. Darüber hinaus aber müssen an anderer Stelle Abstriche gemacht werden. Und es stellt sich die grundsätzliche Frage, zu welchem Zweck eine Nutzung der begrenzten Ressource Land – mit möglichen Effekten auf das Nahrungssystem – zu rechtfertigen ist. Zum Erhalt der Artenvielfalt? Zum Konsum von drei Steaks pro Woche? Zur Produktion von Bioenergie? Es ist naheliegend, dass zur Kompensation des zusätzlichen Flächenbedarfs für Bioenergie der Konsum flächenintensiver Nahrungsmittel wie Fleisch und Milch, reduziert werden könnte und sollte. Entsprechende Vorschläge zu einer Ernährung, die gesünder und nachhaltiger ist, hat kürzlich die EAT-Lancet Kommission unterbreitet [8].“

Auf die Frage, inwiefern sich der Einfluss der untersuchten Maßnahmen mit dem Einfluss politischer Krisen oder negativer Folgen eines ungebremsten Klimawandels vergleichen lassen:
„Es ist eine berechtigte Frage, wie sich die Effekte der Emissionseinsparung verhalten zu den vermiedenen Effekten des Klimawandels. Vereinfacht gesagt: Wie viel mehr Menschen würden hungern durch die ehrgeizige Emissionseinsparung, und wieviel Menschen würden hungern durch stärkeren Klimawandel? Von allen Modell-Unsicherheiten einmal abgesehen, muss man aufpassen, was hier verglichen wird: Es steht eine breite Palette von Maßnahmen zur Verminderung der Treibhausgasemissionen und zur Begrenzung des Klimawandels zur Verfügung, die keinen Effekt auf das Nahrungssystem haben. Ein sinnvoller Vergleich sollte daher nur die jeweils direkten Effekte der land-gebundenen Maßnahmen mit einbeziehen, oder sogar nur den Klimawandel berücksichtigen, der nicht durch andere Maßnahmen verhindert werden kann. Dieser Vergleich steht noch aus. Wegen der großen Unsicherheit – vor allem was den Effekt von Klimawandel auf Dürren, politische Konflikte und Ernährungssituation angeht, und weil Regionen unterschiedlich betroffen sein werden – sollte man hier jedoch keine eindeutige Antwort erwarten. Ganz ohne Bioenergie sind Klimaziele nicht zu erreichen, und ihr (begrenzter) Einsatz muss sozialverträglich und nachhaltig gestaltet werden.“

Auf die Frage, was notwendig ist, damit Klimawandel-abschwächende Maßnahmen in den Industrieländern nicht zum Nachteil der von Hunger bedrohten Menschen wird:
„Die Studie zeigt die eventuell von Hunger betroffenen Regionen, zeigt aber nicht die regionale Verteilung der Landnutzungsänderung. Es ist aber davon auszugehen, dass erhebliche Flächen in den von Unterernährung betroffenen Regionen liegen. Des Weiteren ist das Landsystem durch Handel und Preise weltweit verbunden, und eine Veränderung in der einen Region wird – einem Wasserbett gleich – auch Veränderungen in anderen Regionen zur Folge habe. Bei der Gestaltung von Klimapolitik und dem möglichen Beitrag von Bioenergie muss unbedingt geklärt werden, wie der zusätzliche Flächenbedarf gedeckt werden soll.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Sabine Fuss: „Ich möchte darauf hinweisen, dass ich eine Gastaffiliation mit dem IIASA habe, das an der Studie beteiligt war, beziehe aber daraus keine Einkünfte und sehe auch keinen Interessenskonflikt.“

Dr. Elke Stehfest: „Viele der Autoren sind direkte Kollegen von mir (am PBL und am WeCR), oder Kollegen an anderen Instituten, mit denen ich oft zusammenarbeite."

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Fujimori et al. (2019): A multi-model assessment of food security implications of climate change mitigation. Nature Sustainability. DOI: 10.1038/ s41893-019-0286-2.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Leaf A (2019): Interview: How Climate Change is Bringing Deadly Cyclones to East Africa. Webseite Okayafrica.

[2] Dawson TP et al. (2016): Modelling impacts of climate change on global food security. Climate Change. Vol 134 (3), 429-440. DOI: 10.1007/s10584-014-1277-y.

[3] Webseite der Welternährungsorganisation: The State of Food Security & Nutrition around the World.

[4] Webseite der Weltgesundheitsorganisation WHO: Global hunger continues to rise, new UN report says.

[5] Springmann M et al. (2017): Mitigation potential and global health impacts from emissions pricing of food commodities. Nature Climate Change 7, 69-74. DOI: 10.1038/nclimate3155

[6] Springmann M et al. (2018): Options for keeping the food system within environmental limits. Nature 562, 519-525. DOI: 10.1038/s41586-018-0594-0

[7] Tabeau A et al. (2017): REDD policy impacts on the agri-food sector and food security. Food Policy; 66, 73-87. DOI: 10.1016/j.foodpol.2016.11.006

[8] Willet W et al. (2019): Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet; Vol 393, 447-492

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[a] Webseite Vereinte Nationen: Sustainable Development Goals 

[b] Webseite Food and Agriculture Organization (FAO): The Number of the undernourished People in the World. 

Weitere Recherchequellen

Welthungerhilfe: Welthunger-Index 2016.

Doelman JC et al. (2019): Making the Paris agreement climate targets consistent with food security objectives. Global Food Security (23), 93-103. DOI: 10.1016/j.gfs.2019.04.003.