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18.01.2018

Liquid Biopsy: Bluttest zur Früherkennung von Krebs

Eine neuartige Technik der ‚Flüssigbiopsie’ (Liquid Biopsy) soll künftig die Diagnose von acht häufigen Krebsarten in einem frühen Erkrankungsstadium ermöglichen. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer Studie, die am 18.01.2018 im Fachjournal Science veröffentlicht wurde.

Schon seit Jahren versuchen Forscher zuverlässigere Methoden der Früherkennung von Krebs in Blutproben zu entwickeln. Bei der Entwicklung dieses neuen Testverfahrens haben die Forscher nun eine Kombination aus im Blut zirkulierenden Tumorproteinen und Erbmaterial der Tumore (ctDNA) analysiert und interpretiert – zunächst bei bereits diagnostizierten Krebspatienten. Der Test soll dabei nicht nur auf die reine Detektion der Tumoren mit hoher Spezifität begrenzt sein. Auch Rückschlüsse auf die anatomische Lage der Tumore (Eierstock, Leber, Magen, Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre, Dick- und Enddarm, Lunge oder Brust) soll der Bluttest zulassen. Klar ist, dass vor einem praktischen Einsatz weitere prospektive klinische Studien der nächste Schritt sind, um die Methode in symptomfreien Probanden zu validieren.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Holger Sültmann, Professor für Angewandte Genomforschung, Leiter der Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg
  • Prof. Dr. Klaus Pantel, Direktor des Instituts für Tumorbiologie, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Hamburg
  • Dr. Udo Siebolts, Prof. Dr. Florian Haller, Prof. Dr. Silke Laßmann, AG Molekularpathologie der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP)

Statements

Prof. Dr. Holger Sültmann

Professor für Angewandte Genomforschung, Leiter der Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung,, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg:

„Der Mehrwert der beschriebenen Methode ergibt sich aus der Verwendung von minimalinvasiv zugänglichen Körpermaterialien – beispielsweise einer Blutprobe. Die Kombination verschiedener Marker – in diesem Fall bekannte krebsspezifische Mutationen und Proteine – ist eine sinnvolle Weiterentwicklung bisheriger diagnostischer Verfahren. Die Größe der Studie ist mit mehr als 1.800 Probanden beachtlich und setzt einen neuen Standard für zukünftige Studien der Früherkennung anhand von molekularen Biomarkern. Mit Ausnahme des kolorektalen Karzinoms (Krebs des Dick- und Enddarms; Anm. d. Red.), bei dem die Früherkennung bereits heute wesentlich zuverlässiger ist als mit den hier beschriebenen Biomarkern, besteht in allen getesteten Krebsarten ein hoher Bedarf für eine frühere Detektion.“

„Da in der Testkohorte bereits erkrankte Patienten untersucht wurden, kann man nicht von einer Früherkennung von Tumoren bei symptomfreien Probanden sprechen. Ferner liegt die Sensitivität (Sensitivität bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit einem Test die Kranken als krank zu identifizieren, Anm. d. Red.) der Entdeckung von Tumoren im Stadium I (kleine und mittelgroße Tumoren ohne Lymphknotenbefall und Metastasen; Anm. d. Red.) im Median bei 43 Prozent, das heißt, weniger als jeder zweite Krebsfall wird gefunden. Dies ist jedoch zwischen den Tumorarten verschieden – zum Beispiel ist die Sensitivität 100 Prozent für die Erkennung von Leberkrebs im Stadium I.“

„Die diagnostische Aussagekraft ist – global über viele Krebsarten gesehen – derzeit für die klinische Praxis zu niedrig. Sollten sich die Ergebnisse der Analyse in weiteren unabhängigen Studien verifizieren lassen, so könnte eine frühere Erkennung bestimmter Tumorarten – zum Beispiel Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs; Anm. d. Red.) und Leberkrebs – wahrscheinlicher werden.“

„In der Kombination von Biomarkern erhofft man sich eine verbesserte diagnostische Aussagekraft zur Früherkennung von Krebs. Die Studie ist klinisch noch nicht sensitiv und spezifisch (Spezifität bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit einem Test Nicht-Erkrankte korrekt zu identifizieren, Anm. d. Red.) genug, um einen neuen diagnostischen Test für die Früherkennung von Krebs zu etablieren. Sie ist jedoch konzeptuell ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer verbesserten Früherkennung. Es sind weitere Studien notwendig, um die Ergebnisse an unabhängigen Patientenproben zu validieren. Für einige Tumorarten könnte dies bei Risikogruppen – zum Beispiel Rauchern – oder Verdachtsfällen durchgeführt werden. Ferner könnte die Auswahl der Biomarker erweitert bzw. verfeinert werden, um die diagnostische Aussagekraft des Tests zu erhöhen.“

„Wichtig ist auch die Frage, welche Konsequenzen die positive Testung der sieben von 812 Probanden in der Kontrollgruppe hat. Sicherlich wäre bei diesen Probanden ein weiteres klinisches Monitoring notwendig.“

Prof. Dr. Klaus Pantel

Direktor des Instituts für Tumobiologie, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Hamburg:

„Neben den bereits existierenden (Früh)-Erkennungsverfahren werden dringend spezifischere Methoden benötigt, die anhand einer einfachen Blutprobe Tumorerkrankungen frühzeitig erkennen. Hierzu wurden in den vergangenen Jahren hochempfindliche Testsysteme entwickelt, die es ermöglichen, einzelne Tumorzellen und Zellkomponenten – insbesondere zirkulierende DNA (ctDNA) – nachzuweisen, die der Tumor ins Blut abgibt. Für diesen Ansatz wurde von meiner Kollegin Catherine Alix-Panabieres und mir der Begriff ‚Liquid Biopsy’ im Jahre 2010 eingeführt.“

„In der aktuellen Arbeit von Cohen et al. wurde eine umfassende Analyse der zirkulierenden DNA – bei der Mutationen an ca. 2.000 Orten auf der DNA erfasst wurden – mit einer Analyse von acht im Blut zirkulierenden, tumor-assoziierten Proteinen kombiniert – inklusive der in der Klinik für Therapiekontrollen verwendeten Tumormarker CA-125, CEA und CA19-9.“

„Das herausragende Ergebnis dieser Arbeit ist die sehr hohe Spezifität von über 99 Prozent, das heißt, nur bei sieben von über 800 untersuchten gesunden Kontrollpersonen waren die Tests falsch positiv (falsch positiv fällt ein Test dann aus, wenn eine Person als krank diagnostiziert wird, obwohl sie gesund ist; Anm. d. Red.). Weniger beeindruckend ist die Sensitivität (Sensitivität bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit einem Test die Kranken als krank zu identifizieren, Anm. d. Red.) – also die Empfindlichkeit – der Methode, die im Durchschnitt nur bei ca. 70 Prozent lag. Beim Brustkrebs fiel sie sogar auf 33 Prozent ab, das heißt, nur ein Drittel der Brusttumoren wurde erkannt und zwei Drittel wurden übersehen. Die besten Resultate wurden für den Darmkrebs erzielt, für den es aber mit der endoskopischen Untersuchung schon eine gute Früherkennungsmethode gibt.“

„Relevant für die Früherkennung ist die Frage, inwieweit der Bluttest Patienten in frühen Krebsstadien – also Stadium I (kleine und mittelgroße Tumoren ohne Lymphknotenbefall und Metastasen; Anm. d. Red.) oder noch besser Vorläuferläsionen – detektieren kann. Für die Erkennung der Tumore in Stadium I zeigte der Test von Cohen et al. lediglich eine mittlere Sensitivität von 43 Prozent, wobei es große Schwankungen für die einzelnen, untersuchten acht Tumorentitäten gab. Vorläuferläsionen oder sehr frühe Krebsstadien wie das Duktales Karzinom in situ DCIS (Tumor in den Milchgängen der Brust; Anm. d. Red.) bei Brustkrebspatienten wurden meines Wissens nicht untersucht.“

„Die hohe Spezifität des Tests ist sicherlich sehr gut, da anscheinend nur wenige Menschen mit einem falsch positiven Befund verunsichert würden. Verbesserungswürdig erscheint mir dagegen die Sensitivität des Bluttests, insbesondere für den Brustkrebs sowie für frühe Krebsstadien – deren Erkennung für die Früherkennung ist entscheidend, damit eine frühzeitige Therapie auch Leben retten kann.“

„Die Daten zur Lokalisation sind sehr wichtig für die zukünftige Anwendung, da einem positiven Bluttest ja eine gezielte radiologische Diagnostik – eine Art ‚Tumorsuche’ – folgen muss. Die Autoren schreiben, dass die untersuchten Mutationen nicht spezifisch für das Tumorgewebe sind, aber die Proteinmarker wichtig für die Lokalisation sind. Das ist angesichts der Wahl dieser Marker überraschend. Dies könnte auch erklären, warum die Genauigkeit dieser Informationen für die Prognose einzelner Organe mit 63 Prozent eher niedrig ist.“

„Die Ergebnisse der Studie von Cohen et al. werden die Weiterentwicklung von Bluttests (Liquid Biopsy, Anm. d. Red.) für die frühzeitige Tumorerkennung sicherlich anregen. Sie zeigen aber auch die Schwierigkeiten auf, die trotz enormer methodischer Anstrengungen noch bestehen. Insbesondere die spezifische und sensitive Detektion von sehr frühen Tumorläsionen stellt weiterhin eine große Herausforderung dar. Darüber hinaus müssen nicht nur gesunde Kontrollpersonen, sondern auch Patienten mit den üblichen Erkrankungen, die im Alter der Krebspatienten begleitend auftreten können, in zukünftige Untersuchungen eingeschlossen werden. Das merken die Autoren in ihrem Artikel auch an.“

„Sollten diese Probleme gelöst sein, wäre zunächst eine Verifizierung der Technologie und komplexen bioinformatischen Auswertung in einem unabhängigen Labor oder in Ringversuchen (Methode zur Qualitätssicherung für Messverfahren; Anm. d. Red.) ratsam, wie sie derzeit in dem von mir wissenschaftlich koordinierten EU/IMI Konsortium CANCER-ID durchgeführt werden. Abschließend wird dann eine sehr umfangreiche, prospektive Kohortenstudie zur Validierung des Bluttests an einer großen Zahl von Versuchspersonen, wahrscheinlich mehrere Zehntausende, notwendig sein. Alternativ könnte man sich auch auf Hochrisikogruppen konzentrieren, wie zum Beispiel Menschen mit einem erhöhten familiären Krebsrisiko.“

„Trotz dieser Kritikpunkte und Herausforderungen zeigt die Arbeit von Cohen et al., dass die Liquid Biopsy-Analytik das Potenzial hat, zu einer diagnostischen Kerntechnologie zu werden.“

Dr. Udo Siebolts, Prof. Dr. Florian Haller, Prof. Dr. Silke Laßmann

AG Molekularpathologie der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP):

„Das beschriebene Analyseverfahren einer synchronen Testung von zellfreier DNA und Proteinen im Blut im Sinne einer ‚Liquid Biopsy‘ wird als Option für eine Screening- oder Früherkennungs-Untersuchung zur früheren Identifizierung von operablen Krebspatienten vorgestellt. Zur Diskussion eines Tests als Screeningverfahren müssen jedoch höchste Maßstäbe an Sensitivität, Spezifität und Robustheit des Verfahrens und an die Datenlage erfüllt sein, um unnötige Untersuchungen, Kosten und Verunsicherung der Testpersonen, aber auch falsche Sicherheit auszuschließen. Der vorgestellte Test erfüllt diese Anforderungen bei Weitem nicht.“

„Die Untersuchung basiert auf einem kleinen, retrospektiven, supervidierten und weitgehend balancierten Kollektiv mit einer optimierten Kontrollgruppe. Damit unterscheidet es sich ganz grundsätzlich von einem prospektiven, unbalancierten und nicht supervidierten in die Normalbevölkerung eingebetteten Screening-Kollektiv. Aussagen in Bezug auf eine mögliche Anwendung zur Früherkennung bzw. zum Screening sind daher ohne jede Basis.“

„Problematisch sind auch die noch unverstandene Variabilität der Konzentrationen zellfreier DNA in vielen Bereichen, die potentielle Möglichkeit der Freisetzung von mutierter DNA aus entzündlich überlagerten gutartigen Läsionen – beispielsweise Darmpolypen – sowie die mögliche Variabilität von proteinbasierten Tumormarkern im Kontext chronischer Erkrankungen. Diese Faktoren erhöhen die Gefahr falsch positiver Testergebnisse und könnten zahlreiche gesunde Menschen entsprechend verunsichern, mit der Notwendigkeit teils teurer und unangenehmer Anschlussuntersuchungen.“

„Insbesondere spiegelt die vorgestellte Arbeit, in der symptomatische Krebspatienten mit einer gleichen Anzahl gesunder Kontrollpersonen verglichen wurden, nicht die Realität in der Screening-Situation wieder. Bei einem anerkannten Screeningverfahren muss eine einzelne, an Krebs erkrankte Person ohne Symptome aus bis zu mehreren hundert gesunden Personen und Personen mit anderen Erkrankungen korrekt erkannt werden.“

„Zusammenfassend ist das dargestellte Verfahren aus methodischer Sicht interessant, in Bezug auf eine Krebsfrüherkennung jedoch ohne jede Aussagekraft.“

„In Deutschland werden zurzeit Früherkennungsprogramme für Darmkrebs durch Koloskopie (Darmspieglung; Anm. d. Red.), Prostatakrebs durch die Bestimmung des PSA-Werts, Brustkrebs durch Mammographie, schwarzen Hautkrebs durch visuelle Untersuchung und Gebärmutterhalskrebs durch Zervixabstrich (Gebärmutterhalsabstrich; Anm. d. Red.) angeboten. Der in dem Paper von Cohen et al. beschriebene Ansatz ist ein neuer methodischer Ansatz, indem er zwei unterschiedliche Biomarker – nämlich Mutation und Proteinexpression – kombiniert. Der vorgestellte Test könnte daher prinzipiell eine Ergänzung der angewendeten Verfahren darstellen.“

„Die Autoren der Studie streben jedoch an, mithilfe eines einzigen Tests an einer einfachen Blutprobe zugleich auf acht verschiedene Krebslokalisationen zu testen. Das wird selbst an dem untersuchten optimierten, das heißt realitätsfernen Kollektiv nicht erreicht – aufgrund der viel zu geringen und zwischen den Tumorlokalisationen hochverschiedenen Sensitivitäten und Spezifitäten.“

„Weiterhin ist festzuhalten, dass die Untersuchung acht verschiedene Krebslokalisationen und nicht Krebsarten untersucht, da in jeder der acht Lokalisationen mehrere gänzlich verschiedene Krebsarten mit unterschiedlicher Diagnostik, Klinik und Therapie auftreten. Selbst diese Lokalisationsangaben können nicht aus dem Testergebnis abgeleitet werden, da in einer asymptomatischen Screening-Situation ein positiver Befund nicht von acht, sondern allen denkbaren Tumorlokalisationen entstammen kann. Diese Einschränkungen werden auch von den Autoren selbst teilweise angeführt.“

„Der Ansatz, verschiedensten Tumorerkrankungen mit gänzlich unterschiedlichen Charakteristika – wie Screening-Bedarf, diagnostischem Vorgehen, Häufigkeiten und Therapieoptionen – in einem Test zu kombinieren, kann auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Performance bei den jeweiligen Erkrankungen schon aus ganz grundsätzlichen Erwägungen im praktischen medizinischen Kontext nicht zielführend sein. Einen Mehrwert des Untersuchungsverfahrens in Bezug auf Screening bzw. Krebsfrüherkennung ist daher nicht zu erkennen und auch vom Ansatz her nicht zu erwarten.“

„Der Ansatz der Autoren ist, in Kenntnis der Unmöglichkeit einer echten Früherkennung über diese Methodik, keine Früherkennung im eigentlichen Sinn, sondern eine frühere Erkennung von Krebserkrankungen in einem noch operablen Zustand. Bekannt ist, dass die Menge an Tumormarkern im Blut stark mit unter anderem der Tumorgröße und Ausbreitung – also dem Tumorstadium – korreliert. Das Paper selbst schränkt in der Diskussion der Ergebnisse korrekt ein, dass bereits symptomatische Patienten untersucht wurden – also im Vergleich zum echten Screening in der breiten Anwendung prinzipiell ein eher fortgeschrittenes Kollektiv. Die Sensitivität wird somit bei einer Anwendung im Screening, bei dem kleine Tumoren detektiert werden sollen, deutlich geringer ausfallen. Dies ist bereits im Vergleich der Stadien II und III (mittelgroße bis große Tumoren, mit oder ohne Lymphknotenbefall, ohne Fern-Metastasen; Anm. d. Red.) in der kleinen vorgestellten Studie deutlich zu erkennen.“

„Es hat sich zudem gezeigt, dass genau die Krebsfrüherkennungsprogramme besonders erfolgreich sind, bei denen schon Krebsvorläuferläsionen erkannt und therapiert werden können – beispielsweise nicht-invasive Vorläuferläsionen des Gebärmutterhalses, der Brust und des Dickdarms. Mit einem solchen Ansatz lässt sich tatsächlich die Entstehung von Krebs verhindern. Das wirkt sehr viel stärker in der Auswirkung auf die Krebsinzidenz (Anzahl neuer Krebserkrankungen innerhalb einer Population für einen bestimmten Zeitraum; Anm. d. Red.) und Mortalität aus, als wenn nur frühe, operable Stadien erkannt werden. Genau diese nicht-invasiven Krebsvorstufen werden sehr wahrscheinlich sehr schlecht bis gar nicht mit dem vorgeschlagenen Testverfahren zu detektieren sein – da diese Läsionen keinen Anschluss an das Lymph- und Blutgefäßsystem haben und somit wenig bis gar keine DNA an das Blut abgeben werden. Insofern ist es höchst problematisch, wenn ein – aus Patientensicht einfacher und bequemer – Bluttest mit etablierten – und für die Patienten eventuell unangenehmeren – Programmen wie einer Mammographie oder Darmspiegelung verglichen wird und dann dazu führt, dass die Beteiligung an diesen Programmen abnimmt. In dem Fall würde eine Verbreitung und unkritische Anwendung des Tests tatsächlich zu einer Steigerung der Inzidenz invasiver Krebsarten und langfristig sogar zu einer Steigerung der Krebsmortalität führen.“

„Zudem geben die Autoren an, in ihrer Studie als Kontrolle Probanden ohne chronische Erkrankungen – beispielsweise chronische Nierenerkrankungen, Autoimmunerkrankungen – eingeschlossen zu haben. In einem echten Screening würden aber alle Patienten- oder Probandengruppen mit einem entsprechend hohen Anteil an chronischen Erkrankungen, Multimedikationen und Stoffwechselvariationen untersucht werden. Zur Leistungsfähigkeit des Tests in diesem Realkollektiv, welches auch die Testung einer vielfach größeren Zahl an Probanden erfordert, bestehen keine – insbesondere auch keine positiv wegweisenden – Daten.“

„Die Untersuchung bezieht sich nicht auf Krebsarten, sondern auf Organlokalisationen von Krebs. Hinter den angegebenen Organen stehen jeweils mehrere in ihrer Art gänzlich verschiedene Krebsarten, die unterschiedlich diagnostiziert und behandelt werden müssen. Das berücksichtigt die Untersuchung überhaupt nicht. Insofern bietet die Untersuchung schon grundsätzlich keine Aussage zur Krebsart, sondern allenfalls einen gewissen Anhaltspunkt zur Lokalisation.“

„Wie oben bereits ausgeführt, wäre die Sensitivität und Spezifität überhaupt erst in realen Screening-Studien zu ermitteln. Die vorläufig angegebene Spezifität von etwa 99 Prozent erscheint hoch, ist jedoch im realen Kontext nicht zu halten und würde bedeuten, dass bei der Menge der getesteten Patienten im Screening eine hohe Anzahl an abklärungsbedürftigen Befunden auftreten würden. Diese Patienten würden somit weiteren diagnostischen, teils invasiven Testverfahren zu Abklärungszwecken unterzogen werden müssen. Es besteht also durchaus die Gefahr einer Einordnung gesunder Menschen als Krebspatienten und vielfältiger weiterer Folgen für die Betroffenen – zum Beispiel Verunsicherung, unerwünschte Folgen der Untersuchungen –, deren Umfeld und die Allgemeinheit – etwa durch Kosten oder die Belastung des medizinischen Systems. Insbesondere die Spezifität muss somit im Vorfeld hinsichtlich der sozioökonomischen Folgen streng überprüft werden.“

„Schließlich ist auch die Kostenfrage kritisch zu beleuchten, auch wenn die angegebenen Kosten von unter 500 Dollar pro Test angesichts des Ziels einer besseren Krebsheilung zunächst machbar erscheinen. Bedenkt man jedoch, dass der Test nur eine sehr geringe Zahl an Patienten im angestrebten Fenster – nämlich asymptomatischer, noch operabler Krebsträger – darstellen wird – bei Teilen der untersuchten Krebsarten sicher im Promille-Bereich – und auch nur ein kleinerer Teil der Patienten konkret gegenüber der nicht getesteten Konstellation profitieren könnte, aber auch oben genannte zusätzliche und teilweise unnötige Folgekosten entstehen, lassen sich zusätzlich zum geringen medizinischen Gewinn auch die enormen Kosten erkennen. Insgesamt erübrigt sich daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Diskussion bezüglich einer sinnvollen klinischen Anwendung.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Cohen JD et al. (2018): Detection and localization of surgically resectable cancers with a multi-analyte blood test. Science. DOI: 10.1126/science.aar3247.