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25.04.2022

Lebensmittel aus dem Labor könnten der Umwelt helfen

     

  • tierische Produkte durch neuartige Lebensmittel zu ersetzen, könnte Umweltschäden stark verringern
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  • Milch aus Zellkultur, mikrobielles Protein und Insekten laut Modellierung vielversprechend
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  • Fachleute betonen Unsicherheit der Gesundheits- und Umweltauswirkungen dieser Lebensmittel
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Würden sich Menschen in Europa anstelle von tierischen Produkten von neuartigen Lebensmitteln wie Insekten und Milch aus Zellkulturen ernähren, könnten sie die negativen Folgen herkömmlicher Ernährungsweisen für die Umwelt um 80 Prozent verringern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am 25.04.2022 im Fachblatt „Nature Food“ erschienen ist. Die Studie modelliert die Auswirkungen verschiedener Ernährungsweisen auf den Klimawandel, die Landnutzung und den Wasserbrauch (siehe Primärquelle).

Die Autorinnen und Autoren verglichen die derzeitige Ernährungsweise in Europa mit einer rein pflanzlichen Ernährung, einer Ernährung mit neuartigen Lebensmitteln und einer omnivoren Ernährung, die alle tierischen Produkte erlaubt. Für jede dieser Ernährungsweisen bestimmten sie, wie viel von welchen Lebensmitteln ein Mensch essen sollte, um einerseits genug Kalorien und essenzielle Nährstoffe aufzunehmen und andererseits den Einfluss seiner Ernährung auf die Umwelt zu minimieren. Jede der drei alternativen Ernährungsweisen könnte demnach die aktuellen Umweltschäden etwa gleich stark verringern – um rund 80 Prozent.

Wie sieht eine optimierte Ernährungsweise laut der Studie aus? Von allen Bestandteilen der aktuell üblichen Ernährungsweise verursacht die industrielle Produktion von Fleisch den größten Anteil der Treibhausgasemissionen und des Landverbrauchs. Dementsprechend enthält die optimierte omnivore Ernährungsweise der Studie zufolge kein Fleisch und nur sehr geringe Mengen an tierischen Produkten. Mehr Hülsenfrüchte, Nüsse und Gemüse sind in allen optimierten Ernährungsweisen enthalten, außerdem weniger stärkehaltige Wurzeln wie Kartoffeln. Bei den neuartigen Lebensmitteln schneiden vor allem Insekten, Milch aus Zellkulturen und mikrobielles Protein gut ab. Kunstfleisch aus Zellkulturen kommt in der optimierten Ernährung nicht vor. Für Getreide und pflanzliche Fette ergeben sich unterschiedliche Empfehlungen, je nachdem, ob der Einfluss auf den Klimawandel, die Land- oder die Wassernutzung minimiert werden soll.

Neuartige Lebensmittel wie Milch und Fleisch aus Zellkulturen sind noch in der Entwicklung und der Einfluss solcher Lebensmittel auf die Umwelt ist noch ungewiss [I]. Vorteile gegenüber einer rein pflanzlichen Ernährung könnten sein, dass diese Ersatzprodukte Nährstoffe liefern, die vor allem in tierischen Produkten vorkommen und außerdem eine Alternative für Menschen sein könnten, die auf Tierprodukte nicht verzichten wollen.

Weltweit ist die Herstellung von Nahrungsmitteln für etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich [II]. Durch den großen Landbedarf beschränkt die Landwirtschaft Lebensräume von Pflanzen und Tieren und benötigt große Mengen an Wasser, das in vielen Regionen immer knapper wird. Obwohl tierische Produkte nur rund ein Fünftel der Kalorien und ein Drittel der Proteine für menschliche Ernährung liefern, beansprucht die Produktion tierischer Produkte über 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche weltweit [III]. Darum fordern viele Forschende, die Produktion und den Konsum tierischer Produkte deutlich zu reduzieren und diese durch Lebensmittel mit geringerem ökologischem Fußabdruck zu ersetzen [IV].

Übersicht

     

  • Dr. Florian Humpenöder, Wissenschaftler, Arbeitsgruppe Landnutzungs-Management, Department Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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  • Prof. Dr. Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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  • Dr. Franziska Gaupp, Direktorin der Food Systems Economics Commission, EAT Forum, Oslo, Norwegen, und Gastwissenschaftlerin, Arbeitsgruppe Landnutzung und Resilienz, Department Klimaresilienz, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Norwegen
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Statements

Dr. Florian Humpenöder

Wissenschaftler, Arbeitsgruppe Landnutzungs-Management, Department Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

„Die vorliegende Studie untersucht, wie aktuelle Ernährungsweisen in Europa angepasst werden können, um deren Umweltauswirkungen zu reduzieren. Zunächst bestätigt die Studie, dass ein Großteil der Umweltauswirkungen des gesamten Ernährungssystems durch den Konsum von Fleisch verursacht wird. In der Studie werden drei alternative Ernährungsweisen hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen optimiert: Omnivor, vegan, und eine Ernährung mit neuartigen Lebensmitteln – Milch aus Zellkulturen, Insekten und mikrobielles Protein. Ein wesentlicher methodischer Unterschied zu bisherigen Studien ist, dass bewusst größere Abweichungen zu aktuellen Ernährungsweisen zugelassen werden.“

„Ein Hauptergebnis der Studie ist, dass bei allen drei untersuchten alternativen Ernährungsweisen die Umweltauswirkungen um etwa 80 Prozent geringer sind als bei aktuellen Ernährungsweisen in Europa. Bei der veganen Ernährung gibt es keine tierischen Produkte – also Fleisch, Milch, Eier und Fisch. Um den Anforderungen aktueller Ernährungsempfehlungen gerecht zu werden, ist insbesondere der Konsum von Hülsenfrüchten, Gemüse und Getreide höher als in aktuell vorherrschenden Ernährungsweisen. Durch den Wegfall der tierischen Produkte sind die Umweltauswirkungen bei einer veganen Ernährungsweise deutlich reduziert. Allerdings ist es laut der vorliegenden Studie nicht möglich, mit einer rein veganen Ernährungsweise den Bedarf für alle essenziellen Nährstoffe (Vitamin D und B12) abzudecken. Die in der Studie untersuchte, omnivore Ernährungsweise ist der veganen Ernährungsweise sehr ähnlich, beinhaltet jedoch kleinere Mengen tierischer Produkte – vor allem Milchprodukte –, um den Bedarf für alle essenziellen Nährstoffe abzudecken. Im Gegensatz dazu kann bei der Ernährungsweise mit neuartigen Lebensmitteln komplett auf tierische Produkte für den direkten menschlichen Konsum verzichtet werden, bei gleichzeitiger Abdeckung aller essenziellen Nährstoffe.“

„Allerdings sind einige der eingeschlossenen neuartige Lebensmittel wie beispielsweise Milch aus Zellkulturen noch im Entwicklungsstadium, während andere, wie etwa mikrobielles Protein, bereits seit über 20 Jahren im Handel erhältlich sind. Die Abschätzung der jeweiligen Umweltauswirkungen beruht auf fixen Faktoren für Treibhausgasemissionen, Landnutzung und Wasserverbrauch – abgeleitet aus Lebenszyklusanalysen für jede berücksichtige Produktkategorie. Gerade für neuartige Lebensmittel, die sich noch in der Entwicklung befinden – wie Milch aus Zellkulturen –, gibt es größere Unsicherheiten hinsichtlich deren Umweltauswirkungen. Ein wesentlicher Faktor ist hierbei der Energieverbrauch. Denn statt Tiere zu füttern, die dann Milch und Fleisch liefern, wird in der zellulären Landwirtschaft mehr Energie im Produktionsprozess benötigt, beispielsweise um Bioreaktoren zu heizen. Die Treibhausgasemissionen neuartiger Lebensmittel hängen somit wesentlich von der Verfügbarkeit kohlenstoffarmer Energiequellen ab.“

Prof. Dr. Matin Qaim

Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Die Studie ist aufschlussreich und bestätigt, dass Umstellungen im Ernährungsverhalten eine wichtige Stellschraube sind, um die negativen Umwelt- und Klimaeffekte der Landwirtschaft zu reduzieren. Vor allem eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums spielt hier eine wichtige Rolle. Das deckt sich mit Ergebnissen, die wir selbst dieser Tage in der Fachzeitschrift ,Annual Review of Ressource Economics‘ publiziert haben [1]. Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass eine rein vegane Ernährung gar nicht unbedingt die nachhaltigste Alternative ist – auch das deckt sich mit unseren eigenen Ergebnissen.“

„Bei der Studie handelt es sich um mathematische Optimierungen von Ernährungsplänen. Die Ergebnisse zeigen, was theoretisch möglich sein könnte und nicht, was realistischerweise zeitnah zu erwarten ist. Deswegen sind die errechneten Einsparungen der Umweltwirkungen hier auch größer als in bisherigen Studien.“

„Ob alle Menschen in Europa zukünftig wirklich einen Großteil ihrer Nährstoffe aus Insektenmehl, Algen oder In-vitro-Kulturen decken werden, bleibt abzuwarten. Auch gibt es noch Unsicherheit über die tatsächlichen Umwelt- und Ernährungseffekte einiger dieser neuartigen Lebensmittel, vor allem wenn es um große Produktionsmengen geht.“

„Die Ergebnisse zeigen aber, dass auch klassische pflanzliche Nährstoffquellen wie Gemüse und Hülsenfrüchte ein großes Potenzial für nachhaltigere Ernährung haben.“

Dr. Franziska Gaupp

Direktorin der Food Systems Economics Commission, EAT Forum, Oslo, Norwegen, und Gastwissenschaftlerin, Arbeitsgruppe Landnutzung und Resilienz, Department Klimaresilienz, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Norwegen

„Die Studie untersucht und vergleicht die Umweltauswirkungen einer Reihe von Ernährungsweisen in Europa. Insbesondere schließt sie auch neuartige Lebensmittel wie Insektenmehl oder kultiviertes Fleisch ein. Die Studie zeigt, dass Umwelteinflüsse vergleichbar mit vegetarischer Ernährung erreicht werden können, wenn die jetzige Ernährung teilweise durch neuartige Lebensmittel (,Novel Foods‘) ersetzt oder der Konsum tierischer Produkte stark reduziert wird.“

„Die Studie ist ein hilfreicher Beitrag zur Debatte um das Thema neuartiger Lebensmittel, das in Europa in Bezug auf die Förderung alternativer Proteinquellen heiß diskutiert wird.“

„Die Studie bestätigt, dass Fleischkonsum der größte Faktor bezüglich negativer Umweltauswirkungen in unserer Ernährung ist. Die Studie untersucht Einflüsse auf Land- und Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen, vergisst aber, den wichtigen Faktor Energieverbrauch explizit zu untersuchen. Die Herstellung von kultiviertem Fleisch beispielsweise verbraucht mehr Energie als die herkömmliche Fleischproduktion.“

„Die Studie stützt sich auf Lebenszyklusanalysen. Sie sind eine hilfreiche Methode, um Umweltauswirkungen einzelner Produkte abzuschätzen. Allerdings sind Lebenszyklusanalysen statisch und produktspezifisch und nicht in der Lage, zukünftige systemische Entwicklungen wie Bevölkerungswachstum oder technischen Fortschritt miteinzubeziehen. Des Weiteren können sie nicht die Auswirkungen der Hochskalierung von Fleischsubstitution – wie etwa Effizienzsteigerungen – miteinberechnen. Lebenszyklusanalysen könnten beispielsweise durch ,Integrated Assessement Models‘ ergänzt werden, um auch systemischen Wandel berücksichtigen zu können.“

„Die Studie geht detailliert auf ihre Beschränkungen ein, beispielsweise darauf, dass ihre Annahmen zur totalen Fleischsubstitution rein theoretisch zu betrachten sind und der kulturelle Aspekt von Fleischkonsum eine komplette Substitution unrealistisch macht. Des Weiteren ist die fehlende Akzeptanz von kultiviertem Fleisch oder Insekten in Europa ein Hinderungsgrund für erfolgreiche Vermarktung.“

„Die Studie geht nicht im Detail auf die Entwicklungsstufen der verschiedenen Technologien ein.“

„Die Studie geht detailliert auf Zielkonflikte zwischen verschiedenen Umwelteinflüssen ein.“

„Da sich viele neuartige Lebensmittel, wie kultiviertes Fleisch, noch in der Entwicklung befinden und noch nicht industriell hergestellt werden, bleibt die Studie und ihre Annahmen in manchen Fällen sehr hypothetisch.“

Auf die Frage, wie weit die Entwicklung und Regulierung von neuartigen Lebensmitteln ist:
„Während Tofu seit Jahrhunderten in bestimmten Teilen der Welt konsumiert wird und dort als traditionelles Nahrungsmittel gilt, befindet sich kultiviertes Fleisch noch in der Entwicklungsphase und wird noch nicht industriell hergestellt. Mikrobielles Protein wird schon industriell vertrieben, beispielsweise von der Marke ‚Qorn‘ in Großbritannien.“

„Viele Einflüsse, vor allem jene auf die Gesundheit, hängen von der Zusammensetzung – wie dem Salzgehalt oder künstlicher Anreicherung mit Kalzium und Vitamin D – des finalen Produkts ab. Da sich viele Produkten noch in der Entwicklung befinden, muss man mit absoluten Vergleichen zwischen den Produkttypen vorsichtig sein.“

„Die Studie nennt ausschließlich positive Gesundheitsauswirkungen von kultiviertem Fleisch und vergisst, dass die Auswirkungen von der Zusammensetzung der finalen Produkte abhängen. Viele vegetarische Burger, die gerade auf dem Markt sind, haben beispielsweise einen zu hohen Salzgehalt und damit negative Auswirkungen auf die Gesundheit.“

„Insgesamt unterstützt die europäische Politik die Forschung und Entwicklung alternativer Proteinprodukte. Während viele neuartige Lebensmittel wie vegetarische Burger unter der ‚Novel Food Regulation‘ zugelassen sind, fehlt der Regulierungsrahmen für die Vermarktung von kultiviertem Fleisch in der EU noch.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Matin Qaim: „Keine Interessenkonflikte.“

Dr. Franziska Gaupp: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Mazac R et al. (2022): Incorporation of novel foods in European diets can reduce global warming potential, water use and land use by over 80%. Nature Food. DOI: 10.1038/s43016-022-00489-9.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Parlasca M et al. (2022): Meat Consumption and Sustainability. Annual Review of Resource Economics. DOI: 10.1146/annurev-resource-111820-032340.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Alexander P et al. (2017): Could consumption of insects, cultured meat or imitation meat reduce global agricultural land use? Global Food Security. DOI: 10.1016/j.gfs.2017.04.001.

[II] Crippa M et al. (2021): Food systems are responsible for a third of global anthropogenic GHG emissions. Nature Food. DOI: 10.1038/s43016-021-00225-9.

[III] Poore J et al. (2018): Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers. Science. DOI: 10.1126/science.aaq0216.

[IV] Pörtner LM et al. (28.03.2022): We need a food system transformation – in the face of the Ukraine war, now more than ever. Stellungnahme unterzeichnet von über 600 Forschenden.