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05.12.2016

IQWiG-Gutachten zu Biomarker-Tests bei Brustkrebs-Diagnose

Jedes Jahr erhalten rund 70 000 Frauen in Deutschland erstmals die Diagnose Brustkrebs. Bei etwa jeder zweiten von ihnen kommen Biomarker-Tests in Frage, um schließlich zu entscheiden: Soll – nachdem der Tumor mit einer Operation entfernt wurde – noch eine sogenannte adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden oder nicht, um mögliche Mikrometastasen auszuschalten und somit eine Wiederkehr der Erkrankungen (Rezidiv) zu verhindern? Diese Frage ist besonders schwierig zu beantworten, wenn die Patientin klinisch betrachtet ein erhöhtes Risiko hat, aber dem Biomarker-Test zufolge ein niedriges genetisches Risiko hat, dass nach fünf Jahren der Brustkrebs zurückkehrt oder sich Fernmetastasen gebildet haben. Den Nutzen solcher Biomarker-Tests für bestimmte Frauen hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) untersucht. Der Abschlussbericht wurde am Montag, 05.12.2016, veröffentlicht. Das wichtigste Ergebnis ist laut einer Pressemitteilung des IQWiG zum Bericht: „Insgesamt kommt das IQWiG zu dem Schluss, dass derzeit kein Anhaltspunkt für einen Nutzen oder Schaden einer biomarkerbasierten Strategie zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie beim primären Mammakarzinom vorliegt. Gegenwärtig kann man einer Frau mit klinisch hohem und genetisch niedrigem Risiko nicht guten Gewissens von einer Chemotherapie abraten. Der tatsächliche ‚Mehrwert’ der Biomarker-Tests für die Betroffenen kann erst beurteilt werden, wenn weitere Ergebnisse der laufenden Studien vorliegen.“

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Stefan Wiemann, Leiter der Abteilung Molekulare Genomanalyse, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
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  • Dr. Oleg Gluz, Wissenschaftlicher Koordinator der Westdeutschen Studiengruppe GmbH (WSG), Mönchengladbach, und Oberarzt am Brustzentrum Niederrhein, Mönchengladbach
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  • PD Dr. habil. Angela Otto, Forschungsprojektleiterin an der Munich School of Bioengineering, Technische Universität München (TUM), München
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  • Prof. Dr. Ulrike Stein, Leiterin der Arbeitsgruppe Translationale Onkologie solider Tumore, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin
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Statements

Prof. Dr. Stefan Wiemann

Leiter der Abteilung Molekulare Genomanalyse, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg

„Allein aufgrund der Zahl der neudiagnostizierten Brustkrebs-Erkrankungen in jedem Jahr stellt die Verfügbarkeit von sicheren Tests eine dringende Notwendigkeit in der Klinik dar. Das gilt für die Früherkennung, denn die Mammographie wird kontrovers diskutiert, sowie für die Diagnose, also die Erkennung des Subtyps von Brustkrebs, insbesondere ob der Tumor positiv auf die drei Rezeptoren für Östrogen, Progesteron und/oder HER2 getestet wird. Dieses und/oder ist relativ entscheidend, da Östrogen und HER2-Rezeptor-positiver Brustkrebs anders behandelt wird als Östrogen-Rezeptor oder HER2-positiver Brustkrebs. Derzeit werden insbesondere Stanzbiopsien histologisch untersucht: Dabei werden die Gewebe mit Antikörpern gegen die oben genannten Proteine inkubiert, und Pathologen beurteilen, ob der eine oder andere Rezeptor stärker als normal exprimiert ist. Eine einfachere und quantitative Methode wäre hier hilfreich, die Diagnosen und damit auch die Therapieentscheidung zu verbessern.“

„Die Analyse der Expression von Genen in Tumorproben (oder anderen Geweben) wurde vor knapp 20 Jahren erstmals beschrieben. Vor knapp 15 Jahren wurde dann eine Liste mit Genen erstellt, die für die Einordnung der Brustkrebsfälle in sogenannte molekulare Subtypen auf Basis der Expression von Marker-Genen erlauben sollte. An der Erstellung dieser Liste damals maßgeblich beteiligt war Laura van’t Veer, die bei dem Unternehmen Agendia diese Liste zu dem Labortest MammaPrint weiterentwickelt hat und auch in der MINDACT-Studie leitend tätig war und Erstautorin verschiedener Publikationen.“

„Neben dem Produkt von Agendia (MammaPrint) existieren auch andere Tests, zum Beispiel wird auch Oncotype DX bei Östrogen- und/oder Progesteronrezeptor-positive Tumorpatientinnen spezifisch für die Frage eingesetzt, ob eine Chemotherapie angezeigt ist oder nicht. Beide Tests werden von Krankenkassen erstattet, jedoch nur nach einem Einzelantrag. Der Oncotype DX-Test hat in einer Zahl von Studien die Wirksamkeit bzw. den Nutzen für die Therapieentscheidung erbracht und ist deshalb auch von mehreren relevanten Gesellschaften (ASCO [2], ESMO [3], St. Gallen Konsensuskonferenz) anerkannt. Hingegen fehlt für den MammaPrint-Test der Nachweis des Nutzens. Diesen Nachweis sollte die MINDACT-Studie erbringen.“

„In mehreren Publikationen (Fachjournale und Fachpresse), z. B. einem Artikel im New England Journal of Medicine [1], wurden die Ergebnisse der Studie veröffentlicht. Laut dieser Artikel sollte die Studie den klinischen Nutzen des MammaPrint-Tests belegt haben.“

„Wenn nun das IQWiG zum Ergebnis gelangt, dass dieser Nutzen nicht festgestellt werden konnte, dann wird die Verwendung des MammaPrint-Tests (in Deutschland) zumindest bis auf Weiteres nicht in die allgemeine Diagnosestellung aufgenommen werden. In der Tat erscheint die Sichtweise des IQWiG nachvollziehbar. Segen und Fluch insbesondere von Brustkrebserkrankungen ist, dass Rezidive und Metastasen häufig erst nach vielen (10 bis 15) Jahren auftreten, die oft beschwerdefrei gelebt werden können. Der in der MINDACT-Studie bisher überschaubare Zeitraum von fünf Jahren ist in der Tat zu gering, um finale Aussagen über die Vorhersagekraft dieses Tests treffen zu können.“ „Ebenfalls nachvollziehbar ist die Kritik, dass mit dem MammaPrint-Test nicht sämtliche Hochrisiko-Tumorpatientinnen entdeckt werden. Aufgrund des Tests würde es zu Fehlentscheidungen kommen, keine Chemotherapie durchzuführen, wodurch diese Patientinnen letztlich die schwerwiegenden Folgen tragen müssten. Genau dieses Problem des Tests wurde inzwischen auch von Wissenschaftlern aus den Niederlanden und Australien aufgebracht [4]. Für jede einzelne Patientin geht es um das persönliche Überleben, und es werden meist eher die negativen Begleiterscheinungen einer Chemotherapie akzeptiert als die Möglichkeit, aufgrund einer nicht-durchgeführten Behandlung sterben zu müssen. Dieser Aspekt berührt ein zentrales Problem eines jeden Tests, da diese so gut wie nie eine 100 Prozent korrekte Aussagekraft in Bezug auf die Spezifität (Vermeidung von falsch-positiven) und Sensitivität (Vermeidung von falsch-negativen Befunden) haben. Das IQWiG kritisiert in seinem Gutachten insbesondere die mangelnde Sensitivität des MammaPrint-Tests – und fordert im Prinzip eine immer exakte Aussage. In dem Gutachten wird konsequenterweise vorgeschlagen, eher eine höhere Rate von falsch-positiven Befunden zu akzeptieren, bei denen Frauen mit Chemotherapie behandelt werden, obwohl sie dadurch keinen Vorteil erhalten.“

„Die MINDACT-Studie wird in den kommenden Jahren fortgesetzt werden, und eine erneute Bewertung des MammaPrint-Tests wird letztlich zeigen, ob die breite Anwendung auf lange Sicht doch von Nutzen für Brustkrebs Patientinnen ist. Die bisherigen Resultate der MINDACT-Studie und das Gutachten des IQWiG geben dafür allerdings nicht viel Hoffnung.“

Dr. Oleg Gluz

Wissenschaftlicher Koordinator der Westdeutschen Studiengruppe GmbH (WSG), Mönchengladbach, und Oberarzt am Brustzentrum Niederrhein, Mönchengladbach

„In der aktuellen Situation ohne Kostenerstattung seitens der Krankenkassen sind es eher wenige Patientinnen (in Deutschland, die den MammaPrint-Biomarker-Test nach der Diagnose primäres Mammakarzinom erhalten). Jedoch werden insgesamt pro Jahr etwa 20 000 Patientinnen mit einem Hormonrezeptor-positiven/HER2-negativem (HR+/HER2-) Brustkrebs mit unklarer Indikation für eine Chemotherapie diagnostiziert. Diese wären Kandidatinnen für den Test.“

„Aktuelle Daten der prospektiven Studien (MINDACT, PlanB, TailorX) zeigen, dass zwischen 20 Prozent und 50 Prozent der Patientinnen mit HR+/HER2-Brustkrebs mit einem erhöhten Rückfall-Risiko anhand der klassischen klinisch-pathologischen Faktoren nicht von einer adjuvanten Chemotherapie profitieren würden, in dem sie einem Niedrig-Risiko anhand der genomischen Signaturen wie Mammaprint, Oncotype DX oder anderen zugeordnet sind.“

„In der MINDACT-Studie war bei diesen Frauen das ‚Fünf Jahre Fernmetastasen-freie Überleben’ 95,9 Prozent mit einer Chemotherapie und 94,9 Prozent ohne Chemotherapie. Wenn der Blick auf die Gruppe der Patientinnen mit Lymphknoten-Befall gerichtet wird, lag es sogar bei 96 Prozent in beiden Gruppen. In der TAILORx-Studie hatte eine kleinere Gruppe der Frauen mit einem aggressiven G3-Tumor Tumor (ein schlecht differenzierter Krebs mit hohem Grading, d. h. wächst sehr schnell mit verstärkter Tendenz zur Streuung; Anm. d. Red.) und einem sehr niedrigem Recurrence Score von unter 11 ein ‚Fünf Jahre Fernmetastasen-freies Überleben’ ohne Chemotherapie von 100 Prozent. Die Patientinnen in dieser Gruppe wären mit einer Chemotherapie, die sie sonst bekommen hätten, sicherlich größtenteils überbehandelt.“

„Sowohl die Ergebnisse der MINDACT-Studie als auch die Fünf-Jahres-Daten der prospektiven PlanB-Studie der Westdeutschen Studiengruppe [5] zeigen eindeutig in der multivariaten Analyse, dass die genomischen Tests eine zusätzliche prognostische Information zu klassischen prognostischen Faktoren liefern können. Dieses trifft sogar auf eine Situation zu, in der die zentralpathologisch gemessenen biologischen Faktoren (Östrogen- und Progesteron-Rezeptor Ki-67) in die Analyse aufgenommen werden, die heute in der Routine zur Therapie-Entscheidung herangezogen werden. Hier zeigte sich in der PlanB-Studie, dass die Gen-Signatur – verglichen mit diesen Parametern – einen stärkeren prognostischen Effekt hat. Diese Daten wurden im IQWIG Gutachten gar nicht berücksichtigt. Erschwerend hinzu sollte bedacht werden, dass die Zuordnung der Patientinnen zur ‚klinischen Hochrisikogruppe’ einer sehr großen Variabilität unter anderem aufgrund der signifikanten Interobserver-Variabilität von bis zu 30 bis 40 Prozent zum Beispiel bei immunhistochemischen Faktoren (wie Ki-67) oder Grading unterliegt. Auch hier scheinen die Gen-Signaturen eine viel höhere Reproduzierbarkeit aufzuweisen.“

„Auch wenn die Nachbeobachtung von zehn Jahren auf jeden Fall von großer Bedeutung für die abschließende Bewertung der prognostischen Tests beim HR+/Her2- Mammakarzinom ist, kann eine dermaßen klare Datenlage aus prospektiven Studien nicht ignoriert werden.“

„In Anbetracht der vorliegenden Datenlage wäre es fatal, wenn die Nutzen-Bewertung des IQWIG einen Einfluss auf die klinische Routine nehmen würde. In den vergangenen Jahren wurde zunehmend die Tumorbiologie und weniger die klassischen Prognosefaktoren in den Vordergrund der Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie gestellt. Die IQWIG-Bewertung versetzt uns in Deutschland leider zurück in die 1980er, 1990er Jahre, als die Kenntnisse der Tumorbiologie noch so unzureichend waren. Sie trägt leider entscheidend auch zur Verunsicherung der schwer kranken Patientinnen bei und erschwert sicherlich weitere Diskussion um die Kostenerstattung der Tests.“

„Etwa die Hälfte der Frauen in der klinischen Hochrisiko-Gruppe konnten der Niedrig-Risiko-Gruppe gemäß MammaPrint zugeordnet werden. Bei diesen Patientinnen liegt kein signifikanter Vorteil für die Durchführung einer Chemotherapie vor. Wenn sogar die konservative Auslegung der Datenlage vorgenommen wird, wie es das IQWiG getan hat, wäre in dieser Gruppe von einem Chemotherapie-Vorteil in Bezug auf das Brustkrebs-spezifische Überleben von maximal ein bis zwei Prozent auszugehen. In dieser Konstellation besteht laut jedem medizinischen Konsensus weltweit keine dringende Indikation zur Durchführung einer Chemotherapie. Sicherlich ist die Durchführung jeglicher adjuvanter Therapie-Maßnahmen mit der Patientin anhand des Sicherheitsbedürfnisses individuell zu besprechen. Die Gen-Signatur liefert jedoch in dieser Situation eine entscheidende prognostische Information zusätzlich zu klassischen Faktoren wie der Nodalstatus, Grading und Tumorgröße.

„Auch wenn die Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren noch relativ kurz ist, müsste man festhalten, dass fast ausnahmslos alle klinisch relevanten operativen und systemtherapeutischen Maßnahmen nach einer fünfjährigen (oder sogar kürzeren) Nachbeobachtungzeit in den Studien Einzug in die klinische Routine gefunden haben.“

„Die Rechnung vom IQWiG ist jenseits des klinischen Alltags aufgestellt worden und würde von kaum einer Patientin, die eine sechsmonatige Chemotherapie über sich ergehen lässt, nachvollzogen werden. Auch der Vergleich einer Poly-Chemotherapie mit dem Mammografie- oder PSA-Screening ist mit größter Vorsicht zu betrachten. Allein das Risiko für eine Akute Myeloische Leukämie, die sehr häufig tödlich verläuft, sollte für moderne Chemotherapie-Schemata mit circa 0,5 Prozent beziffert werden [6]. Hinzu kommen schwere Nebenwirkungen am Herzen bei ein bis vier Prozent der Patientinnen, die auch Jahre später auftreten können und kaum von einer Studie erfasst werden. Des Weiteren ist noch die Tatsache wichtig, dass das mittlere Erkrankungsalter der Patientinnen im klinischen Alltag mindestens zehn Jahre über dem der eher gesunden Patientinnen, die im Rahmen der Studien behandelt wurden, liegt. Elf Frauen von 1000, die infolge Chemotherapie gegebenenfalls geheilt wären, reicht als Vorteil für diese nebenwirkungsreiche Therapiemaßnahme auf keinen Fall aus. Es fand keinerlei objektive Einschätzung der Langzeit-Nebenwirkungen der Chemotherapie statt, wie die aktuelle Datenlage diese hergibt [7].“

„In Bezug auf die Zahlenspielerei mit den Konfidenz-Intervallen und möglicherweise doch sogar 32 Frauen von 1000, die von der Chemotherapie profitieren würden, lässt sich Folgendes festhalten: Dann müsste auch das ‚worst case scenario’ diskutiert werden. Hier sieht man jedoch in der MINDACT-Studie, genauer: in der Gruppe klinisch hohes Risiko/genomisch niedriges Risiko deutlich, dass es genauso sein kann, dass durch die Chemotherapie zusätzlich zehn von 1000 Frauen ihr Leben verlieren könnten.“

„In der MINDACT-Studie wurde circa 50 Prozent der Patientinnen mit der Hochrisiko-Konstellation eine Chemotherapie erspart. In der Studie wurden eher ältere Prognosetools wie ‚AdjuvantOnline! 9.0’ benutzt und die neueren Prognosefaktoren wie Ki-67 noch nicht berücksichtigt. Deswegen würde man realistisch von ungefähr einem Drittel der Hochrisiko-Patientinnen ausgehen, die unter aktuellen Bedingungen keine Chemotherapie Empfehlung bekommen hätten. Sicherlich würde die eine oder andere Patientin sich doch für eine Chemotherapie entscheiden, aber das wären eher Einzelfälle.“

„Nach der aktuellen Datenlage sollte die Erstattung mindestens für die Tests mit der prospektiven Datenlage (MammaPrint, Oncotype DX) die Erstattung für Patientinnen mit dem HR+/HER2- Mammakarzinom, null bis drei positiven Lymphknoten und einer relativen Chemotherapie-Indikationen ermöglicht werden.“

PD Dr. habil. Angela Otto

Forschungsprojektleiterin an der Munich School of Bioengineering, Technische Universität München (TUM), München

„Statistiken ergeben Zahlen, die Zusammenhänge mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Sie können allerdings letztendlich für eine singuläre (Vor-)Aussage nie eine Gewissheit oder einen Beweis ergeben.“

„Die Zuordnung von Brustkrebs-Patientinnen in eine Gruppe mit hohem Risiko bezüglich einer Wiedererkrankung mit Metastasen-Bildung begründet derzeit die Empfehlung zur Chemotherapie; diese erfolgt in der Regel mit standardisierten histologischen Verfahren. Als Alternative wurde der Test MammaPrint entwickelt, der auf einer Analyse von 70 Tumor-assoziierten Genen basiert. Diese Gene kodieren unter anderem für Wachstumsfaktoren und Zellvermehrung, regulierten Zelltod, Zellbeweglichkeit, Bindegewebskomponenten, Blutgefäßwachstum. Hier zeigte sich, dass zwischen den beiden Verfahren (histologische Verfahren und MammaPrint-Test; Anm. d. Red.) bei etwa 30 Prozent aller Tumorproben eine Diskordanz zwischen der Einordnung in Hoch- und Niedrigrisiko ergab. Damit ist derzeit nicht klar, was diese 70-Gen-Signatur konkret über den klinischen Tumorstatus aussagt. Über die möglichen tumorbiologischen Gründe dieser Differenz gibt es bisher nur Vermutungen [8]. Zu diesen gehören die Heterogenität des Tumorsgewebes und des umgebenden Gewebes, die sich gegenseitig beeinflussen, sowie das immunologische Umfeld des Tumors und der individuelle Stoffwechsel. Außerdem können sich Tumorzellen über die Zeit genetisch verändern wegen regulatorischer Veränderungen an der DNA oder Mutationen. Vor diesem Hintergrund dürfte es zunehmend schwierig sein, eine Rezidiv-Prognose über das bisher beobachtete Zeitintervall hinaus monokausal einem Test bzw. einer Behandlung zuzuschreiben.“

„Dennoch ergeben die Befunde des MammaPrint, dass die ergänzende genetische Testung einer signifikanten Gruppe von Patientinnen zu Gute kommen könnte: nämlich etwa den 46 Prozent derjenigen in der klinischen Hochrisiko-Gruppe, bei denen der genetische Test ein niedriges Rezidiv-Risiko ergab und daher auf eine Chemotherapie verzichtet werden könnte. Das betrifft etwa 23 Prozent der Brustkrebs-Erkrankungen mit positivem Hormonrezeptor-Status und negativen HER2-Status.“

„Angesicht der vorliegenden Daten erscheint es gerechtfertigt, dass die Kosten für diesen Test von der Krankenkasse übernommen werden, auch unter dem Aspekt, dass hohe Kosten einer mehrjährigen Chemotherapie erspart bleiben würden.“

„Ob die Patientinnen allerdings auf eine Chemotherapie verzichten und damit ein kleines statistisches Restrisiko in Kauf nehmen, muss letztendlich in einem informativen Gespräch – unter Einbeziehung von bereits etablierten Krebs-präventiven Maßnahmen – mit den Onkologen entschieden werden. Diese Option sollte gegeben sein“

Prof. Dr. Ulrike Stein

Leiterin der Arbeitsgruppe Translationale Onkologie solider Tumore, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin

„Molekularbiologisches Testen von Tumoren kann zu individualisierten Therapieempfehlungen beitragen: eine bestimmte adjuvante Chemotherapie (Chemotherapie, nachdem der Tumor herausoperiert wurde, um das Rückfallrisiko zu verringern; Anm. d. Red.) favorisieren oder Situationen identifizieren, in denen Chemotherapien nicht effektiv oder unnötig sind. Die kürzlich veröffentliche Biomarker-basierte Studie MINDACT [1] ist eine europäische Phase III-Studie, die von der Breast International Group und der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) initiiert wurde. Die Studie untersucht den Nutzen einer Chemotherapie bei 6 693 Patientinnen mit einem einseitigen, vollständig entfernten, primären Mammakarzinom und nicht mehr als drei positiven Lymphknoten, aber ohne Fernmetastasen, bei denen sich unterschiedliche Therapieempfehlungen aufgrund von klinisch-pathologischen Standardkriterien und dem Biomarker-Test MammaPrint ergaben. Dieser Biomarker-Test MammaPrint basiert auf einer 70-Gen-Signatur und soll helfen, diejenigen Frauen zu identifizieren, die nicht von einer Chemotherapie profitieren.“

„Vorläufige veröffentlichte Ergebnisse [1] zeigen bei Patientinnen mit hohem klinischen und mit geringem molekularbiologischen Risiko nach fünf Jahren ein Überleben ohne Fernmetastasen zu 94,7 Prozent in der Gruppe ohne Chemotherapie. Es wurde in dieser Patientengruppe ein absoluter Unterschied in der Fünf-Jahres-Metastasen-freien Überlebensrate von 1,5 Prozentpunkten bei Patientinnen mit und ohne Chemotherapie festgestellt.“

„Können diese Daten nun dazu dienen, die Überlegenheit eines molekularbiologischen Tests anhand des MammaPrint-Biomarker-Tests gegenüber klinisch-pathologischen Kriterien für individuelle Therapieentscheidungen zu belegen? Obwohl der Einsatz derartiger molekularbiologischer Tests für künftige Therapieempfehlungen unerlässlich sein wird, ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um die Daten aus nur einer Studie, wenn auch einer sehr umfangreichen Studie, handelt. Hinzu kommt, dass es sich um eine vorläufige Auswertung nach zunächst fünf Jahren handelt. Das Auftreten weiterer Fernmetastasen in den folgenden Jahren muss abgewartet werden, um zu einer abschließenden Bewertung kommen zu können. Auch kann erst dann der bisherige Unterschied von 1,5 Prozentpunkten in der Metastasen-freien Überlebenszeit beurteilt werden.“

„Dennoch: Trotz aller Limitationen weisen die Ergebnisse der MINDACT-Studie nachdrücklich auf das immense Potenzial individualisierter molekularbiologischer Tests hin. Weitere Studien sind notwendig, um derartige Biomarker-Tests für den klinischen Einsatz zu validieren.“

Mögliche Interessenkonflikte

 Dr. Oleg Gluz: „Ich war aktiv involviert in die Planung der Studien zum Einsatz von Oncotype DX des Unternehmens Genomic Health (PlanB und ADAPT), der PAM-50-Signatur des Unternehmens Nanostring und von Mammaprint des Unternehmens Agendia (Mitglied im Steering-Komitee der MINDACT-Studie, PRIME-Studie). Keine Honorare von Agendia bekommen, aber Honorare für drei bis vier Vorträge pro Jahr von den Firmen Genomic Health (Oncotype Dx) und Nanostring (Prosigna) erhalten.“

Alle anderen: Keine angegeben.

Primärquelle

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2016): Biomarkerbasierte Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom. IQWiG-Berichte – Nr. 457. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Cardoso F et al. (2016): 70-Gene signature as an aid to treatment decisions in early-stage breast cancer. NEJM; 375:717-729. DOI: 10.1056/NEJMoa1602253.

[2] American Society of Clinical Oncology (2016): Use of Biomarkers to Guide Decisions on Adjuvant Systemic Therapy for Women With Early-Stage Invasive Breast Cancer. DOI: 10.1200/JCO.2015.65.2289.

[3] European Society for Medical Oncology (2015): Primary Breast Cancer – ESMO Clinical Practice Guidelines.

[4] Blok EJ et al. (2016): To the editor. 70-Gene Signature in Early-Stage Breast Cancer. NEJM; 375:2199-2201. DOI: 10.1056/NEJMc1612048.

[5] Gluz O et al. (2016): Prognostic impact of 21 Gene Recurrence Score, IHC4, and central grade in high-risk HR+/HER2- early breast cancer (EBC): 5-year results of the prospective Phase III WSG PlanB trial. J Clin Oncol 34, 2016 (suppl; abstr 556).

[6] Wolff AC et al. (2016): Risk of Marrow Neoplasms After Adjuvant Breast Cancer Therapy: The National Comprehensive Cancer Network Experience. J Clin Oncol;33(4):340-8. DOI: 10.1200/JCO.2013.54.6119.

[7] Tao JJ et al. (2015): Long term side effects of adjuvant chemotherapy in patients with early breast cancer. Breast; 24 Suppl 2:S149-53. DOI: 10.1016/j.breast.2015.07.035.

[8] Viale G et al. (2016): Discordant assessment of tumor biomarkers by histopathological and molecular assays in the EORTC randomized controlled 10041/BIG 03-04 MINDACT trial breast cancer. Breast Cancer Res Treat; 155:463–469. DOI: 10.1007/s10549-016-3690-6.

Weitere Recherchequellen

Krebsinformationsdienst: Brustkrebs: Informationen für Patientinnen, Angehörige und Interessierte.

Zentrum für Krebsregisterdaten: Zahlen zum Brustkrebs in Deutschland.

Leitlinie „Mammakarzinom der Frau – Diagnostik, Therapie und Nachsorge“.

IQWiG: Projekt „[D14-01] Biomarkerbasierte Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mamma-Karzinom“. Berichtsdokumente, inklusive „Dokumentation und Würdigung der Anhörung zum Berichtsplan“, sowie Zeitplan.

Hintergrundinformationen

MammaPrint-Test und MINDACT-Studie

Das Gutachten geht unter anderem auf den Test „MammaPrint“ ein. Für diesen wurden vor Kurzem folgende Ergebnisse veröffentlicht [1]: Von 1000 Frauen, die sich für eine Chemotherapie entscheiden, bekamen 41 Frauen Fernmetastasen (4,1 Prozent – oder umgekehrt: 95,9 Prozent der Frauen nach fünf Jahren frei von Fernmetastasen). Unter jenen Frauen hingegen, die sich gegen eine Chemotherapie entscheiden, bekamen 56 Frauen Fernmetastasen (5,6 Prozent – oder umgekehrt: 94,4 Prozent nach fünf Jahren metastasenfrei). Die Differenz für das Rezidiv-Risiko zwischen jenen Frauen, die eine Therapie erhalten haben, und jenen, die auf die Chemo verzichten, betrug also 1,5 Prozentpunkte; dieser Unterschied war nicht statistisch signifikant und könnte wegen der Ungenauigkeit des Tests auch bis zu knapp vier Prozent betragen. Gleichzeitig führen aber Schätzungen zufolge etwa zwei, drei Prozent der Chemotherapien den zu Schäden an Herz, Nieren oder anderen inneren Organen.