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10.10.2023

Genom-editierte Hühner gegen Vogelgrippe resistent

     

  • Studie zeigt, dass mittels Genom-Editierung Hühner resistent gegen Vogelgrippe werden können
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  • genetische Veränderung ist neben Kontaktvermeidung und Impfungen ein Ansatz, um die Pandemie einzudämmen
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  • Experten sehen noch viele rechtliche und praktische Hürden
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Eine aktuelle Studie zeigt, dass Hühner durch genetische Veränderung resistent gegen das Vogelgrippevirus werden können. Die britischen Forschenden, die ihre Ergebnisse im Fachjournal „Nature Communications” veröffentlichten (siehe Primärquelle), stellen damit eine Methode vor, mit der Nutztierbestände vor der Vogelgrippe geschützt und die Verbreitung des Virus eingedämmt werden könnte.

Die Forschenden tauschten mittels Genom-Editierung zwei Aminosäuren des Wirtproteins ANP32A aus, welches essenziell für die Vermehrung des Virus in Hühnern ist. Dabei stellten sie fest, dass sich bei geringer Viruslast neun von zehn Hühner nicht infizierten, bei steigender Viruslast die Resistenz jedoch abnahm. Eine vollständige Resistenz der Hühner könnte theoretisch erreicht werden, wenn alle drei Gene der Genfamilie ANP32 verändert werden würden. Das zeigten Experimente in Zellkulturen. Das Ausschalten aller drei Gene wäre für ein Huhn jedoch vermutlich tödlich. Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine sogenannte Proof-of-Concept-Studie, also eine reine Machbarkeitsstudie.

Die Vogelgrippe ist ein globales Problem. Ihre Bekämpfung erfordert eine umfassende Herangehensweise, die sowohl die Tiergesundheit als auch die öffentliche Gesundheit berücksichtigt. Ein zentraler Ansatz ist die Kontaktvermeidung mit Wildvögeln. Die European Food Safety Authority (EFSA) stellt hierfür einen Vogelgrippe-Radar zur Verfügung, der die Verbreitung und die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs zeigt [I]. Außerdem ist es möglich, die Tiere zu impfen, was hierzulande und in der EU jedoch nur in Ausnahmefällen erlaubt ist. Heilversuche sind nicht gestattet [II]. Bei größeren Ausbrüchen werden die betroffenen Geflügelbestände meist getötet, um das Virus einzudämmen.

Das Erschaffen resistenter Geflügelsorten mittels Genom-Editierung, wie in dieser Studie, ist ein weiterer Ansatz zur Bekämpfung der Vogelgrippe. Doch auch hier gibt es Einschränkungen: In dem Leitfaden für die Umweltverträglichkeitsprüfung von gentechnisch veränderten Tieren der EFSA [III] wird auf diverse Risiken hingewiesen: Genetisch veränderte Tiere können eine längere Inkubationszeit haben und sich auch mit Krankheitserregern aktiver verhalten, wodurch mehr Krankheitserreger entstehen und diese länger übertragen werden können. Die infizierten Tiere werden erst spät erkannt und nicht-genetisch veränderte Tiere können verstärkt angesteckt werden. Noch dazu ist dieses Verfahren nicht ausreichend erforscht, um negative gesundheitliche Auswirkungen auf Tier und Mensch auszuschließen. Zudem bleibt die Frage, ob sich bei einer Genom-Editierung das Virus nicht durch weitere Mutationen ausbreiten kann.

Das Science Media Center hat unabhängige Forschende zu der Bedeutsamkeit der vorliegenden Studie sowie den Chancen und Risiken dieser Genom-Editierung gegen die Verbreitung der Vogelgrippe befragt.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Stephan Ludwig, Direktor am Institut für Molekulare Virologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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  • Prof. Dr. Timm Harder, Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems, und Professor am Institut für Infektionsmedizin der Christian-Albrechts-Universität, Kiel, OIE Reference Expert for Highly pathogenic avian influenza and low pathogenic avian influenza (poultry)
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Statements

Prof. Dr. Stephan Ludwig

Direktor am Institut für Molekulare Virologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Effizienz der Genom-Editierung

„Diese Arbeit zeigt gleichzeitig die Chancen und die Limitationen eines solchen Ansatzes auf. Es handelt sich um eine sehr elegante Arbeit, die die entscheidende Wichtigkeit der ANP32-Genfamilie für die Vermehrung von Vogelgrippeviren in einem komplexen Organismus aufzeigt. Es ist eine Proof-of-Concept-Studie, die zeigt, dass eine gut durchdachte Gene-Editing-Strategie geeignet sein kann, um eine robuste Resistenz gegen Infektion zu erreichen. Gleichzeitig wird aber auch die enorme Anpassungsfähigkeit der Viren deutlich, die bei hohen Viruslasten schon in diesen ersten Experimenten zu Durchbruchsinfektionen geführt hat. Erst bei Entfernung weiterer verwandter Gene konnte die Hemmung des viralen Vermehrungsenzyms wieder erreicht werden, allerdings geben die Autoren auch selbst zu bedenken, dass solche massiven Eingriffe in das Genom bestimmt nicht ohne negative Folgen für das Tier bleiben.“

Übertragung des Schutzes auf Embryonen/Küken

„Die Mutationen wurden in Keimbahnzellen gesetzt und werden auf die Nachkommen vererbt.“

Auswirkungen auf das Huhn

„Die Autoren haben eine Reihe von Experimenten durchgeführt, um zu zeigen, dass die Mutationen in ANP32A keine negativen Auswirkungen auf das Huhn selbst haben. Jedoch ist ANP32A ein Protein, das auch in nicht-infizierten Zellen eine Funktion hat. Es kann daher durchaus sein, dass man einen möglichen Einfluss auf den Organismus nur noch nicht erkannt hat, da er nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist.“

Anwendung und rechtliche/ethische Hürden

„Ohne die Erkenntnisse der Arbeit schmälern zu wollen, bin ich sehr skeptisch, ob ein solcher Ansatz tatsächlich mittelfristig in der Breite durchführbar ist. Wir reden ja hier von einer weltweiten Verbreitung genetisch veränderter Tiere, wobei der erforderliche Umfang an sowohl nötigen als auch tolerierten genetischen Veränderungen zur Erlangung einer robusten Resistenz noch überhaupt nicht klar ist. Neben dem in der Arbeit aufgezeigten Problem, das die Viren zu schnellen Anpassungen getrieben werden und so der Ansatz schnell unwirksam werden könnte, sehe ich sowohl rechtliche als auch ethische Hürden, und gerade in der angeblich so aufgeklärten westlichen Welt auch Probleme bei der Akzeptanz in der Bevölkerung. Insofern ist die Arbeit zunächst einmal eine elegante akademische Fingerübung und noch weit weg von einer tatsächlichen Anwendung.“

Wirkung auf globale Vogelgrippe-Belastung

„Die Verbreitung der Vogelgrippeviren über Ländergrenzen und Kontinente hinweg geschieht ja über Wildvögel, die man mit dem Ansatz nicht erreichen würde. Falls die Erreger allerdings in eine Geflügelfarm eindringen, fungiert diese als Inkubator und es werden riesige Viruslasten erzeugt, die einer weiteren Verbreitung Vorschub leisten. Der wirtschaftliche Schaden ist dann natürlich auch immens. Daher wäre eine robuste genetische Resistenz von Nutzgeflügel schon ein Weg, die Vogelgrippebelastung und die wirtschaftlichen Folgen einzudämmen. Für die so geschützten Vögel wäre das Virus aus dem Wildvogel keine Gefahr.“

Prof. Dr. Timm Harder

Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems, und Professor am Institut für Infektionsmedizin der Christian-Albrechts-Universität, Kiel, OIE Reference Expert for Highly pathogenic avian influenza and low pathogenic avian influenza (poultry)

„Infektionen mit hochpathogenen aviären Influenzaviren (HPAIV) der Linie gs/GD haben inzwischen den Charakter einer panzootischen, weltumspannenden Erkrankung bei Wildvögeln und Geflügel angenommen. Schutzmaßnahmen sind derzeit fast ausschließlich auf das Geflügel beschränkt. Aufgrund des erhöhten HPAIV-Infektionsrisikos werden Management- und Biosicherheitsmaßnahmen allein nicht mehr als ausreichend angesehen, um Geflügelpopulationen zu schützen. Die Impfung gegen HPAI wird daher als ergänzende Säule der Prävention gefördert, ist aber weiterhin mit einem hohen Überwachungsaufwand verbunden. Daher sind weitere Alternativen zur Vorbeugung dieser Seuche höchst willkommen. Ein hochinteressantes Beispiel für die Erzeugung von Hühnern, die aufgrund von Veränderungen eines zellulären Wirtsproteins nicht mehr in der Lage sind, Geflügelpestviren zu replizieren, beschreiben Idoko-Akoh et al.“

Effizienz der Genom-Editierung

„Die initialen Veränderungen (zwei Aminosäureaustausche) verhinderten Infektionen, wenn eine geringe Virusdosis genutzt wurde; bei höheren Dosen allerdings wurde die Resistenz (nicht: Immunität!) durchbrochen, da sich in der Masse der inokulierten Viren bereits Virusvarianten befanden, die Mutationen aufwiesen, um das veränderte ANP32A-Protein zu umgehen. Im weiteren Verlauf stellten sich einige dieser Mutationen als identisch mit solchen heraus, die auch eine erhöhte Anpassung an Säuger/Menschen vermitteln können. Dies ist ein kritischer Punkt, der darauf hinweisen könnte, dass Viren existieren, die weitere resistenzumgehende Mutationen entwickeln können. Die in Vakzineversuchen übliche ,Challenge‘-Dosis von zehn hoch sechs infektiösen Viruseinheiten wurde hier allerdings nicht erreicht; es wurden 1000- beziehungsweise 100-fach geringere Dosen eingesetzt. Weitere Anpassungen anderer ANP32A-verwandter Proteine des Huhnes waren erforderlich, um eine erweiterte Resistenz zu generieren. Diese Resistenz zielt darauf ab generisch zu sein, das heißt, das Huhn vor jeglichen aviären Influenzaviren zu schützen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Hühner gegenüber den wesentlich aggressiveren, hochpathogenen aviären Influenzaviren wie H5N1 verhalten; diese wurden hier nicht getestet.“

Übertragung des Schutzes auf Embryonen/Küken

„Es wurden Zuchtlinien generiert, die homozygot für die Resistenzmutationen sind und somit eine mendelsche Vererbbarkeit der Resistenz gegeben wäre.“

Auswirkungen auf das Huhn

„Dazu treffen die Autoren keine schlussendliche Aussage und erst Langzeitversuche würden solche Effekte aufzeigen können.“

Anwendung und rechtliche/ethische Hürden

„Dem EU-Recht nach sind Organismen, deren Genom mittels dem CRISPR/Cas-Verfahren verändert wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GMOs) zu betrachten. Ihre Nutzung bedürfte also einer gentechnischen Genehmigung und die Haltung wäre nach aktuellem Recht nur in einer gentechnischen Anlage möglich. Freilandhaltung wäre dann einem Freisetzungsvorhaben gleichzustellen. Ohne entsprechende rechtliche Anpassungen wäre eine Massennutzung sicherlich nicht vorstellbar.“

Wirkung auf globale Vogelgrippe-Belastung

„Das ist ein wichtiger Punkt: Die aktuell bedrohliche Lage einer Panzootie mit HPAIV H5N1 würde dadurch nur marginal betroffen sein, denn der Motor dieser Panzootie sind wasserlebende Wildvögel im Zusammenspiel mit domestizierten Wassergeflügelpopulationen. In Ländern mit geringerer Wirtschaftskraft spielen Hühner allerdings eine große Rolle in der Bereicherung der menschlichen Ernährung; hier ergeben sich auch viele direkte Kontakte zwischen Huhn und Mensch, zum Beispielauf Lebendgeflügelmärkten. Würden hier resistente Hühner eingesetzt, verringerte sich das Risiko menschlicher Expositionen gegenüber der Aviären Influenza sicherlich beträchtlich. Dies wäre vor allem dann bedeutend, wenn sich AI-Viren durchsetzten, die eine wesentlich höhere Neigung zu zoonotischen Übertragungen hätten als die derzeit zirkulierenden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Idoko-Akoh A et al. (2023): Creating resistance to avian influenza infection through genome editing of the ANP32 gene family. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-023-41476-3.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] European Food Safety Authority: EFSA's Bird Flu Radar.

[II] Bundesministerium der Justiz: Verordnung zum Schutz gegen die Geflügelpest. Stand: 15.10.2018.

[III] European Food Safety Authority (18. April 2013): Guidance on the environmental risk assessment of genetically modified animals. Webseite der EFSA.