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30.08.2018

Geneditierung bei Hunden mit Duchenne-Muskeldystrophie

Die Gentherapie mit Hilfe der Genschere CRISPR-Cas9 kann offenbar helfen, das Erbgut von Muskelzellen bei der Hunderasse Beagle zu regenerieren. Die Hunde sind an einer erblichen und tödlichen Form von Muskelschwund erkrankt. Die Daten aus diesem Tiermodell liefern wertvolle Hinweise auf dem Weg zu absehbaren ersten klinischen Studien beim Menschen.

Bei der vererbbaren Muskelerkrankung Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) liegen Veränderungen im Erbgut vor, aufgrund derer das notwendige Muskelprotein Dystrophin nicht korrekt gebildet werden kann. In der Folge verlieren die Muskeln bei betroffenen Kindern nach und nach ihre Funktion; die Krankheit führt daher oft schon im Kindesalter zum Tod.

Um eine mögliche Gentherapie der DMD zu untersuchen, haben Wissenschaftler die Genschere CRIPSR-Cas9 in die Muskelzellen von erkrankten Hunden eingeschleust, und zwar mithilfe eines Virus als Genfähre (AAV9, Adeno-assoziiertes Virus Serotyp 9). Sie haben dazu das AAV9-Virus in die Blutbahn gespritzt und gehofft, dass der Erreger die richtigen Zellen findet. Vor allem im Herzmuskel sollte das Erbgut auf zwei verschiedene Weisen so korrigiert werden, dass möglichst viele Muskelzellen wieder das Protein Dystrophin herstellen konnten. In dem Experiment hatten die Herzmuskelzellen von einem der vier therapierten Hunde bei einer Untersuchung nach acht Wochen 92 Prozent der natürlichen Menge an Dystrophin erreicht. Ihre Ergebnisse haben die Forscher soeben in einem Report im Fachjournal "Science" veröffentlicht (siehe Primärquelle).

Zur Therapie von DMD laufen derzeit mehrere klinische Studien [I] mit verschiedenen Wirkprinzipien. Neben dem aktuell vorgestellten Ansatz mittels CRISPR-Cas9 versuchen Wissenschaftler zum Beispiel ein verkürztes Dystrophin-Gen mittels AAV9-Genfähren in die Muskelzellen zu bringen und dort im Erbgut zu integrieren [II]. Das umstrittene, in den USA zugelassene Medikament namens Eteplirsen soll die Vorläufer-Boten-RNA während der Dystrophin-Synthese mithilfe sogenannter Antisense-Oligonukleotide so verändern, dass der mutierte Genabschnitt ausgeschnitten wird und das Protein dann in verkürzter, aber funktioneller Version hergestellt werden kann [III].

Übersicht

  • Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Universitätsmedizin Göttingen
  • Prof. Dr. Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie, Interdisziplinäre Klinik und Poliklinik für Stammzelltransplantation, Zentrum für Onkologie, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Hamburg

Statements

Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann

Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsmedizin Göttingen, 

„Dies sind ohne Zweifel spannende Befunde hinsichtlich der Wiederherstellung der Dystrophin-Bildung ohne offensichtliche Nebenwirkungen – zum Beispiel durch unerwünschte genetische Defekte oder Entzündungen. Die Autoren weisen zurecht darauf hin, dass die Versuchstierzahl von vier zu wenig und die Beobachtungsdauer von maximal acht Wochen zu kurz ist, um eine abschließende Risikobewertung zuzulassen. Daten zur Wiederherstellung der Muskelfunktion wurden nicht vorgelegt. Vermutlich aufgrund des kurzen Beobachtungszeitraums.“

„Die Gruppe von Eric Olson hat in den vergangenen Jahren überzeugende Daten im Mausmodell, in menschlichen Muskelzellen sowie nun in einem Großtiermodell vorgelegt. Das Hundemodell ist aus meiner Sicht wegweisend für eine klinische Anwendung. Es ist aber aus meiner Sicht wichtig, neben der Korrektur der Dystrophin-Bildung auf Proteinebene auch funktionelle Daten vorzulegen, die eine Verbesserung der Muskelfunktion in dem Hundemodell zeigen.“

„Vor dem Hintergrund der klaren Proteindaten sowie der bereits stattfindenden klinischen Anwendung eines alternativen Verfahrens mit einer deutlich geringeren Proteinkorrekturrate (Medikament Eteplirsen), scheint es nur eine Frage der längeren Beobachtung in dem DMD-Hundemodell, um die Grundlage für eine klinische Studie weiter auszubilden. In Anbetracht der infausten (ungünstigen; Anm. d. Red.) Prognose von Patienten mit DMD, der bereits vorliegenden Daten der Anwendung der Genfähren, die von Olson und Kollegen verwendet wurden, sowie der Daten aus menschlichen Zellmodellen, scheint die klinische Erprobung unter Einhaltung von qualitätsüberprüften Herstellungsverfahren – in Deutschland über das Arzneimittelgesetz geregelt – in naher Zukunft möglich.“

„Entscheidend ist die Fähigkeit der Bildung von Dystrophin, in diesem Fall als eine leicht verkürzte Proteinvariante. Dies konnte zu einem erstaunlich hohen Prozentsatz in unterschiedlichen Muskelgeweben nachgewiesen werden – bis zu über 90 Prozent im Herzmuskel. Bedingt ist dies durch die Anwendung von sogenannten Adenovirus-assoziierten Viren mit dem Serotyp 9 (AAV9) als Genfähren: Sie infizieren mit hoher Effizienz Herzmuskelzellen. Dazu kommt die Steuerung der Expression der Cas9-Genschere über ein sogenanntes Muskel-spezifisches Promotorelement aus dem Kreatinkinase-Gen (CK-Gen). Dass trotz alledem die Wiederherstellung der Dystrophin-Bildung in nur 5 bis 70 Prozent der Skelettmuskelzellen gelang, erklärt sich vermutlich über die Gewebeverteilung und Gewebegängigkeit der Genfähren (AAV9). Die zentrale Frage ist, wieviel Muskel tatsächlich repariert werden muss, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen. In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Professor Olson konnten wir kürzlich zeigen, dass in einem menschlichen Herzmuskel-Modell die Pumpfunktion bereits bei einer Reparatureffizienz von 30 Prozent teilweise und bei 50 Prozent vollständig wiederhergestellt werden kann [1]. Gleiches gilt vermutlich auch für den Skelettmuskel.“

Prof. Dr. Boris Fehse

Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie, Interdisziplinäre Klinik und Poliklinik für Stammzelltransplantation, Zentrum für Onkologie, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Hamburg

„Das ist ein sehr spannendes Konzept, weil es sich die sehr hohe Effizienz des CRISPR-Cas-vermittelten Ausschaltens von Genen – beziehungsweise hier eines einzelnen Exons durch Zerstörung des Splice-Signals – zunutze macht (Das Dystrophin-Gen besteht insgesamt aus 79 Genabschnitten (Exons), die im Zellkern zunächst abgelesen werden. Aus der entstehenden mRNA müssen beim Splicen nicht-proteincodierende Abschnitte entfernt werden (Introns); Anm. d. Red.). Gerade in postmitotischen Zellen (Zellen, die sich nicht mehr teilen; Anm. d. Red.) funktioniert ja die exakte Reparatur nur sehr schlecht, weil der zugrundeliegende Mechanismus – die homologe Rekombination – nicht aktiv ist. Angesichts der Schwere der Krankheit der Duchenne-Muskeldystrophie und des Fehlens effizienter Therapiemethoden, ist eine recht schnelle Translation in die Klinik zu erwarten.“

„Wie die Autoren ja auch selbst schreiben, sind die erhobenen Daten natürlich sehr limitiert: je ein Hund pro getestetem Ansatz. Allerdings sind solche Versuche im Hundemodell natürlich auch sehr aufwendig. Dass das Papier so hochrangig publiziert wurde, liegt sicher nicht zuletzt an den extrem hohen Korrekturraten in einigen Muskelgeweben, insbesondere natürlich im Herzen. Bekannt ist, dass den AAV9-Vektor eine Präferenz für Herzmuskelgewebe auszeichnet, der genaue Mechanismus ist jedoch noch nicht geklärt (Um die Werkzeuge zur Geneditierung in Muskelzellen einzuschleusen, haben die Autoren ein rekombinantes Virus als sogenannten Vektor verwendet, das bereits in einigen Gentherapie-Studien eingesetzt wurde, das Adeno-assoziierte Virus (AAV); Anm. d. Red.).“

„Wie die Autoren anmerken, sind die Beobachtungszeiträume von sechs bis acht Wochen sehr kurz. Da es sich um eine genetische Korrektur handelt, würde man aber per se nicht erwarten, dass die Korrekturrate sinkt. Außer natürlich, die korrigierten Zellen weisen einen irgendwie gearteten Nachteil auf, zum Beispiel infolge von sogenannten off-target-Effekten (Das unerwünschte Einfügen von Mutationen an Orten, die im Erbgut eigentlich nicht verändert werden sollten; Anm. d. Red.) oder durch eine Aktivierung des Immunsystems. Da sich die Zellen nicht teilen und der Vektor damit recht stabil sein dürfte, kann eine Immunreaktion natürlich auch später nach der Behandlung auftreten. Das wäre wiederrum recht gefährlich, wenn bis zu 90 Prozent der Herzzellen Cas9 exprimieren. In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant zu klären, in welchem Anteil der Zellen eine permanente Integration des Vektors passiert ist. AAV ist zwar nicht obligat integrierend, jedoch sind zufällige Integrationen mit einer definierten Frequenz zu erwarten. Durch die Cas9-vermittelten DNA-Doppelstrangbrüche könnte die Integration sogar vermehrt erfolgen. Hierzu liefert das Papier keine Daten.“

„Was aus medizinischer Sicht fehlt, sind Daten zum therapeutischen Effekt der Behandlung. Die Autoren beschränken sich, soweit ich sehe, auf die molekularbiologischen und histologischen Untersuchungen. Ich weiß nicht, wie schwer die Ausprägung der Krankheit bei Hunden ist, die Autoren schreiben aber, dass sie der beim Menschen ähnelt. Daher würde ich erwarten, dass eine solch dramatisch gute Korrektur auch zu einer messbaren Verbesserung der Funktion führt.“

„Hinsichtlich der Translation in eine klinische Studie wird interessant sein, ob es beim Menschen eine stärkere Immunantwort gibt. Es wurde ja beschrieben, dass viele Menschen bereits eine präexistierende Immunantwort gegen Cas9 aus Infektionen mit Streptococcus pyogenes haben [2]. Da wird man sehen müssen, inwieweit die bei den Hunden (die sicher S. pyogenes naiv waren) applizierte transiente Immunsuppression (vorrübergehende Unterdrückung der Immunabwehr, um Immunreaktionen gegen die eingesetzten Viren zu unterdrücken; Anm. d. Red.) beim Menschen ausreicht.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann: „Der Autor dieser Studie, Eric Olsen, ist ein Kooperationspartner, und ich habe im Vorfeld dieser Studie mit ihm gearbeitet.“

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Amoasii L et al. (2018): Gene editing restores dystrophin expression in a canine model of Duchenne muscular dystrophy. Science. DOI: 10.1126/aau1549. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Long C et al. (2018): Correction of diverse muscular dystrophy mutations in human engineered heart muscle by single-site genome editing. Science Advances; 4 (1). DOI: 10.1126/sciadv.aap9004.

[2] Charlesworth CT et al. (2018): Identification of Pre-Existing Adaptive Immunity to Cas9 Proteins in Humans. Preprint Server biorxiv. DOI: 10.1101/243345. (Dieses Paper ist auf dem Preprint Server bioarxiv hochgeladen worden und vdamit nicht durch ein Peer Review begutachtet worden; Anm. d. Red.)

Weitere Recherchequellen

[I] TREAT-NMD Neuromuscular Network. Clinical research: Current trials in DMD.

[II] Clinicaltrials.gov: A Study to Evaluate the Safety and Tolerability of PF-06939926 Gene Therapy in Duchenne Muscular Dystrophy. (Klinische Phase-1b-Studie des Pharmakonzerns Pfizer; Anm. d. Red.) 

[III] Lim KRQ et al. (2017): Eteplirsen in the treatment of Duchenne muscular dystrophy. Drug Des Devel Ther; 11: 533–545. DOI: 10.2147/DDDT.S97635.

Science Media Center Germany (2017): Gentherapie für Bluter wohl erstmals wirklich wirksam. Research in Context. Stand: 06.12.2017