Zum Hauptinhalt springen
10.06.2019

Enzymatische Umwandlung von Blutgruppe A in Blutgruppe 0

Noch vor dem Weltblutspendertag am 14. Juni veröffentlichte eine US-amerikanisch-kanadische Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ eine Studie (siehe Primärquelle), in der sie ein Enzympaar vorstellen, das die menschliche Blutgruppe von A zu 0 ändern kann. So könnten zukünftig für viele Empfänger mehr passende Blutkonserven verfügbar gemacht werden, weil die 'universelle' Blutgruppe 0 alle Empfängern vertragen.

Die verschiedenen Blutgruppen des Menschen unterscheiden sich unter anderem durch die Antigene auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen. Vermischen sich verschiedene Blutgruppen, verklumpt das Blut, was für Menschen bei einer Blutspende tödlich sein kann. Die Antigene der Blutgruppen A und B besitzen ein terminales Zuckermolekül am Ende der Oberflächenmoleküle – N-Acetyl-Galaktosamin für Blutgruppe A und Galaktose für Blutgruppe B. Die Antigene der Blutgruppe 0 haben kein solches Zuckermolekül. Dadurch nehmen Blutkörperchen anderer Blutgruppen sie nicht als ‚fremd‘ wahr.

Die Forscher konnten nun aus dem menschlichen Darmbakterium Flavonifractor plautii ein Enzympaar isolieren, das kombiniert eingesetzt die Fähigkeit besitzt, das terminale Zuckermolekül von Antigenen Blutgruppe A spezifisch abzuschneiden und somit rote Blutkörperchen der Blutgruppe 0 zu erzeugen. Die Wissenschaftler beschreiben darüber hinaus, dass eine sehr geringe Konzentration der Enzyme ausreicht, um eine vollständige Blutkonserve umzuwandeln, und es möglich ist, die Enzyme danach vollständig wieder zu entfernen.

 

Übersicht

     

  • Assoc. Prof. Dr. Clemens Karl Peterbauer, Institut für Lebensmitteltechnologie, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich
  •  

  • Dr. Markus M. Müller, Oberarzt am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, und Leiter der Abteilung Blutentnahme, DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg - Hessen gGmbH
  •  

  • Prof. Dr. Johannes Oldenburg, Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin (IHT), Universitätsklinikum Bon
  •  

Statements

Assoc. Prof. Dr. Clemens Karl Peterbauer

Institut für Lebensmitteltechnologie, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich

„Die Methode lässt sich definitiv für die Transfusionsmedizin anwenden, die Autoren haben speziell darauf geachtet, dass die Aktivität in Blut intakt ist und nicht nur in einem künstlichen Puffersystem. Die Restrisiken werden in den letzten Absätzen des Papers beschrieben (betrifft vor allem die Spezifität für Subtypen) und werden noch detailliert untersucht werden, bevor es zu einer allfälligen Anwendung kommen kann. Eine enzymatische Behandlung unmittelbar nach der Gewinnung des Blutes ist offenbar möglich, da danach Verarbeitungssschritte durchgeführt werden, die das Enzym wieder entfernen. Ob eine nachträgliche Behandlung von bereits verarbeiteten und verwendungsbereiten Konserven realistisch ist, kann ich nicht einschätzen. Eine Hürde wird sein, einen tatsächlichen Bedarf für diese Behandlung abzuschätzen – Blutgruppe 0 ist relativ häufig, die Gelegenheiten, zu denen tatsächlich ein Mangel an Gruppe-0-Blut eintritt, der so groß oder so dringend ist, dass enzymatische Konversion von Gruppe-A-Blut notwendig erscheint, sind möglicherweise selten. Die Kosten für vollständige Entwicklung des Verfahrens plus Zulassung sind aber sicherlich hoch – es wird zu sehen bleiben, ob jemand diese Investitionen tätigen möchte. Aber das ist eine Frage für Krankenhäuser und Blutbanken.“

„Für die Spezifizität der Enzyme werden Antikörper-basierte Tests herangezogen, die im Paper beschrieben sind. Da auch die Reaktion im Körper eines Patienten Antikörper-basiert ist, kann davon ausgegangen werden, dass ein negativer Test bedeutet, dass es auch zu keiner Reaktion im Körper kommt – mit dem Vorbehalt, den die Autoren auch ansprechen: Es ist derzeit noch nicht auszuschließen, dass es schwer zugängliche, ‚versteckte‘ A Antigene gibt, die von den Enzymen nicht abgeschnitten werden, und die von den in der Validierung verwendeten Antikörpern nicht detektiert werden, aber von polyklonalem Serum erkannt werden könnten. Diese stellen natürlich ein Risiko dar, dessen sind sich die Autoren aber bewusst.“

Auf die Frage, ob es sich nach Behandlung des Blutes durch gentechnisch optimierte Enzyme um GMO-Blut handelt:
„Nein. Voraussichtlich werden gentechnisch modifizierte Mikroorganismen oder Zellkultur-Zellen eingesetzt werden, um die Enzyme eines Tages industriell zu produzieren. Für die Blutbehandlung wird dann lediglich das gereinigte Enzym eingesetzt (und durch die RBS-Behandlung auch wieder entfernt), das keinerlei Spuren von genetischem Material, verändert oder unverändert, enthält. Im Übrigen wird eine Vielzahl von therapeutischen Proteinen (bestes Beispiel Insulin) mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen industriell produziert, ohne dass dadurch ‚GMO-Blut‘ entstünde.“

Auf die Frage, ob die andere Zuckermoleküle im Blut durch die enzymatische Aktivität betroffen sein könnten:
„Eine Aktivität dieser Enzyme auf andere Zuckermoleküle kann weitgehend ausgeschlossen werden, da gerade die Spezifität eingehend überprüft wird. Wäre eine ähnliche Struktur andernorts im Blut vorhanden, die auch umgesetzt werden könnte, dann wäre diese Struktur bereits bekannt.“

Dr. Markus M. Müller

Oberarzt am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, und Leiter der Abteilung Blutentnahme, DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg - Hessen gGmbH

„Die Idee, die Zuckermoleküle auf Erythrozyten, die die Blutgruppen-Antigene A beziehungsweise B repräsentieren, enzymatisch zu entfernen, ist nicht neu. In vitro-Experimente dazu gibt es schon seit mehreren Jahren. Natürlich wäre die Umwandlung der Erythrozytenkonzentrate (EK) der Blutgruppen A und B in solche der ‚Universal-Blutgruppe‘ 0 versorgungstechnisch höchst vorteilhaft.“

„Allerdings stellen sich dieser an sich guten Idee wie so häufig praktische Fragen in den Weg:

     

  • Die Eröffnung des Arzneimittels ‚EK-Beutel‘ und die Zugabe bakteriell gewonnener Enzyme gibt uns GMP (good manufacturing practice, Anm. d. Red.) - und arzneimittelrechtlich geschulten Transfusionsmedizinern Anlass zur Besorgnis: Wir arbeiten seit Jahren und Jahrzehnten im geschlossenen System, um bakterielle Kontaminationen zu vermeiden und sind dabei sehr erfolgreich. Eine Zugabe ‚nicht menschlicher‘ Enzyme zu einem Blutprodukt könnte zu lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen beim Transfusionsempfänger führen. Dies bedingt, dass man die Enzyme nach getaner Arbeit aus dem EK entfernen müsste. Wir wissen aber, dass das Waschen von EK zu einer erhöhten Hämolyserate und kürzerer Überlebenszeit der Erythrozyten, sprich einer kürzeren Halbwertszeit führt. Damit würden wir uns mit dem einen Vorteil gegebenfalls einige Nachteile einkaufen. 
  •  

  • Es ist wie mit allen guten Ideen: Sie müssen sich ‚in praxi‘ bewähren. Das bedeutet, dass nach Tierversuchen zur Testung der Sicherheit und Verträglichkeit man bei positivem Outcome dieser klinischen Studien mit harten Endpunkten (Mortalität, length of stay, Organschäden, et cetera) anschließen müsste. Ein solches klinisches Studienprogramm würde mit Sicherheit einen achtstelligen Eurobetrag verschlingen und mehrere Jahre dauern. 
  •  

  • Und zu guter Letzt: Solche Präparate müssten in Deutschland zugelassen werden können, um sie in den Verkehr bringen zu können. Das bedeutet eine langwierige und kostenintensive Entwicklungsarbeit.“
  •  

„Zusammenfassend: Intellektuell interessante Fragestellung, die es prinzipiell wert wäre, weiter beforscht und entwickelt zu werden. Zu bedenken bleibt die Frage, woher die Ressourcen dafür kommen.“

Prof. Dr. Johannes Oldenburg

Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin (IHT), Universitätsklinikum Bonn

„Rahfeld und Coautoren haben aus einem Darmbakterium ein Enzympaar isoliert, welches in Kombination sehr effizient Blutgruppen A -Antigene in rote Blutkörperchen der Blutgruppe 0 umwandelt. Die Blutgruppe 0 kann universal verwendet werden bei der Notfallversorgung von Verletzten, aber auch bei anderen Indikationen. Daher besteht trotz der Häufigkeit von 41 Prozent in der Bevölkerung ein ständiger Mangel an der Blutgruppe 0. Die Blutgruppe A hat eine Häufigkeit von 43 Prozent und könnte mit der enzymatischen Umwandlung in Blutgruppe 0 diesen Engpass beheben. Grundsätzlich wäre diese Methode in der Transfusionsmedizin einsetzbar.“

„Die Effizienz der Umwandlung ließe sich mit immunhämatologischen Untersuchungen vergleichsweise einfach prüfen. Geringe Mengen verbleibender A-Antigene kennen wir von Nicht-Deletion O-Blutgruppenvarianten und wissen, dass diese nicht zu hämolytischen Transfusionsreaktionen führen. Auch der Einsatz gentechnologisch hergestellter Enzyme sollte kein Problem darstellen, da diese ja im Anschluss wieder quantitativ entfernt werden können.“

„Einem breiteren Einsatz dieser Technologie stehen eher praktische Gesichtspunkte entgegen. So müsste die Technologie auf jede einzelne Blutspende/Blutkonserve angewendet werden, Enzyme und abgespaltene A-Antigene müssten aus der Blutkonserve entfernt werden. Wahrscheinlich erfordert eine solche Herstellung manuelle Arbeiten an eröffneten Blutbeutelsystemen in einem Reinraum der Klasse A. Diese sind aber nicht an jeder Einrichtung vorhanden. In Deutschland mit einem Erythrozytenkonzentratpreis zwischen 70-90 Euro wäre es sicherlich schwierig, dies alles wirtschaftlich abzubilden.“

„Eine andere Unbekannte ist, ob die Enzymbehandlung neue immunogene Antigenepitope schafft. Dies kann letztendlich nur durch klinische Studien ausgeschlossen werden.“

„Fazit: Eine neue innovative Technologie, wahrscheinlich grundsätzlich einsetzbar, aber aktuell (noch) nicht in der breiten klinischen Versorgung vorstellbar.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Assoc. Prof. Dr. Clemens Karl Peterbauer: „Der letztverantwortliche, 'Corresponding Author' der Studie, Prof. Stephen Withers, sitzt im Scientific Advisory Board eines Doktorats-Programms meiner Universität, bei dem ich Mitglied der Faculty bin, und ist mir persönlich gut bekannt. Ich schätze ihn sehr hoch als enorm kompetenten und absolut integren Wissenschafter, habe aber keine Veranlassung, Gefälligkeits-Statements abzugeben.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Rahfeld P et al. (2019): An enzymatic pathway in the human gut microbiome that converts A to universal O type blood. Nature Microbiology. DOI: 10.1038/s41564-019-0469-7.