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18.07.2023

Große Korallenbleichen in vielen Regionen weltweit erwartet

     

  • Korallenriffe im Golf von Mexiko und Karibik durch extrem hohe Temperaturen akut bedroht
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  • wegen El Niño und weltweit hohen Meerestemperaturen könnten Korallenbleichen in vielen Regionen bevorstehen
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  • lokale Stressfaktoren zu verringern, stärkt Hitzetoleranz von Korallen, Aufforstung von Riffen laut Forschenden nur punktuell möglich
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In vielen Ozeanregionen könnte es in den nächsten Monaten zu großen Korallenbleichen kommen. Besonders akut ist die Bedrohung der Korallen im Golf von Mexiko, wo die Temperaturen der Oberflächenwasser deutlich über 30 Grad liegen – im Schnitt zwei bis drei Grad höher als gewöhnlich um diese Jahreszeit [I].

Seit Monaten sind die Meerestemperaturen in vielen Regionen weltweit viel zu hoch. Zwei Gründe dafür sind die erwartete Erwärmung durch den Klimawandel und der sich aufbauende El Niño, der für höhere Temperaturen im Pazifik sorgt. Die weiteren Ursachen werden unter Forschenden noch diskutiert [II].

Für Korallen sind die hohen Temperaturen problematisch: Sie leben in einer Symbiose mit Mikroalgen, die Photosynthese betreiben und die Koralle mit Nährstoffen versorgen. Ist die Wassertemperatur für längere Zeit höher als in dem Gebiet üblich, können die Mikroalgen von der Koralle abgestoßen werden. Es kommt zur Bleiche: Die Koralle lebt weiter, verliert jedoch ihre Färbung. Kehren die Mikroalgen innerhalb einiger Wochen zurück, kann sich die Koralle erholen, andernfalls stirbt sie. Bei extrem hohen Temperaturen kann es auch vorkommen, dass Korallen plötzlich – ohne langsame Bleiche – durch den Hitzestress absterben. Dies ist teilweise während des El-Niño-Sommers 2016 am Great Barrier Reef geschehen [III]. Damals ging fast ein Drittel der Korallenbedeckung des Riffs verloren. Korallenriffe beherbergen oder ernähren rund ein Viertel des marinen Lebens, obwohl sie weniger als ein Prozent der Meeresböden bedecken [IV]. Der Verlust dieser Ökosysteme wäre darum verheerend für die Gesundheit der Ozeane und für die Menschen, die auf die Riffe angewiesen sind – etwa über Fischerei oder Tourismus.

Forschende messen die Hitzebelastung, der Korallen ausgesetzt sind, über die sogenannte Degree Heating Week (DHW). Ist die Temperatur innerhalb von drei Monaten zwei Wochen lang zwei Grad höher als die normale sommerliche Maximaltemperatur, spricht man von 4 DGW (2 Wochen mal 2 Grad). Ab einem Schwellenwert von 3 DHW kann es zu erheblicher Bleiche kommen, ein extremer Verlust der Korallenbedeckung ist ab 8 DHW zu erwarten [V].

Das SMC hat Forschende aus der Meeresökologie befragt, wie sie die aktuelle Bedrohung der Korallen im Golf von Mexiko und in anderen Ozeanregionen einschätzen, wie sich Riffe vor Hitzestress schützen lassen und wie vielversprechend die Aufforstung von Riffen ist.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen
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  • Dr. Sebastian Ferse, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung GmbH (ZMT), Bremen
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  • Dr. Simon Brandl, Assistenzprofessor am Department of Marine Science, University of Texas, Vereinigte Staaten
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  • Dr. Verena Schoepf, Assistenzprofessorin am Department of Freshwater and Marine Ecology, Institute for Biodiversity and Ecosystem Dynamics, University of Amsterdam, Niederlande
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Statements

Prof. Dr. Christian Wild

Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen

„Aktuell sind die Temperaturen in den oberen Wasserschichten des Atlantischen Ozeans sehr hoch. In der Karibik und im Golf von Mexiko wurden in den vergangenen Wochen zwei bis drei Grad Celsius höhere Wassertemperaturen verzeichnet im Vergleich zum langjährigen Mittelwert. Stellenweise kommt es zu Temperaturen deutlich über 30 Grad. Sehr wahrscheinlich hängt dies mit dem Wetterphänomen El Niño zusammen. Durch den Klimawandel und die damit einhergehende Ozeanerwärmung sind die Wassertemperaturen ohnehin schon hoch – im Vergleich zur Situation vor nur 10 oder 20 Jahren. Wenn dann noch El Niño dazu kommt, dann kann das zu extremen Wassertemperaturen von 35 oder 36 Grad führen.“

„Für die Korallenriffe in der Karibik, aber insbesondere im Golf von Mexiko, bedeuten diese sehr hohen Wassertemperaturen ein hohes Risiko für eine großflächige Korallenbleiche. Dabei verlieren die Korallen die symbiontischen Algen in ihrem Gewebe und damit einen großen Teil ihrer Färbung. Während einer Bleiche sind Korallen ohne ihre Symbionten sehr schwach. Im Prinzip können sich Korallen von einer Bleiche erholen und wieder Algen aufnehmen, wenn die Wassertemperaturen wieder fallen. Je länger eine Bleiche allerdings andauert, desto höher ist die Chance, dass die Korallen absterben und sich nicht erholen können. Die aktuelle Extremsituation wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Massenbleiche mit anschließender Mortalität führen, denn die Wassertemperaturen sind so hoch, dass es lange dauern wird, bis sie wieder gefallen sind. Ich rechne mit mehreren Monaten.“

„Ich rechne damit, dass diese Bleiche noch extremer ausfallen wird als die karibische Bleiche von 2005. Damals gab es im tropischen Atlantik die höchsten Wassertemperaturen seit den 150 Jahren zuvor. Diese extreme Situation führte dazu, dass 80 Prozent der Korallen bleichten und im weiteren Verlauf die Hälfte davon starb [1]. Seitdem haben sich einige der karibischen Riffe wieder teilweise erholt, aber nicht vollständig, wie eine unserer Studien zeigt [2]. Korallenbleichen gibt es schon sehr lange. Das aktuelle Problem aber ist, dass die Häufigkeit der Bleichen durch die steigenden Wassertemperaturen stark zunimmt, sodass die Riffe immer weniger Zeit haben, um sich von der jeweils vorherigen Bleiche zu erholen, bevor die nächste beginnt.“

Auf die Frage, in welchen anderen Regionen Korallenriffe ebenfalls bedroht sind:
„Das EL Niño Wetterphänomen ist ein globales Ereignis. Es beginnt typischerweise im östlichen Pazifik, betrifft aber letztendlich im weiteren Verlauf alle Weltozeane. Insofern sind auch viele Korallenriffe weltweit durch die hohen Wassertemperaturen bedroht. Das El-Niño-Ereignis von 2015/2016 führte zu Korallenbleichen in allen Weltozeanen.“

Auf die Frage, wie sich Korallenriffe kurzfristig während Hitzeperioden schützen lassen:
„Es ist sehr schwierig Korallen vor der Bleiche durch zu hohe Wassertemperaturen zu schützen, denn man kann die Korallen nicht von ihrem Medium, dem Wasser, isolieren und man kann das umgebende Wasser auch kaum kühlen. Allerdings gibt es einige wissenschaftliche Ansätze, die Korallen gegen die Bleiche schützen können. Diese Ansätze haben sich teilweise auch schon in ersten Experimenten bewährt. Dazu gehört der künstlich erzeugte Auftrieb von Tiefenwasser, das Beschatten von Riffen, das Züchten von hitzetoleranten Korallen, sowie der Einsatz von probiotischen Bakterien und die Zugabe von vorteilhaften Nährstoffen.“

„Es gibt außerdem Studien, die zeigen, dass sich Korallenriffe besser von einer Bleiche erholen, wenn andere Stressfaktoren – wie Überfischung oder Überdüngung – verringert werden. Solche lokalen Stressfaktoren können das Wachstum von größeren Algen begünstigen, die die Korallen überwachsen, wenn diese durch die Bleiche geschwächt sind und selbst kaum wachsen können.“

Auf die Frage, wie sich Korallenriffe langfristig vor der klimabedingten Erwärmung schützen lassen:
„Wir haben zusammen mit einer Reihe von internationalen Korallenriffexperten in den vergangenen Jahren einen Bericht vorgelegt [3]. Er formuliert drei zentrale Forderungen aus der Wissenschaft für den Schutz der Korallenriffe: Erstens, Klimawandel stoppen, zweitens, Korallenriffe durch besseres Management und besseren Schutz stärken und drittens, innovative Ansätze nutzen, um Zeit zu gewinnen. Man kann geschädigte Riffe wiederaufforsten, das wissen wir. Allerdings braucht es dafür einen hohen finanziellen, logistischen, und personellen Aufwand. Ein solch hoher Aufwand ist daher nur gerechtfertigt, wenn keine intakten Riffe dafür zerstört werden und wenn die Anpassung der Korallen an die hohen vorhergesagten Wassertemperaturen unterstützt werden, zum Beispiel über das gezielte Züchten von hitzetoleranten Arten oder hitzetoleranten Eigenschaften. Alle diese Ansätze können uns allerdings nur etwas Zeit geben – im Optimalfall ein paar Jahrzehnte, um das Absterben der Korallenriffe zu verringern. Wenn es uns aber nicht gelingt, den Klimawandel so schnell wie möglich wirksam in den Griff zu bekommen, dann werden auch diese aufwendigen Ansätze nicht nachhaltig helfen können.“

Dr. Sebastian Ferse

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung GmbH (ZMT), Bremen

„Es wird bei der aktuellen Entwicklung mit sehr hoher – 90-prozentiger – Wahrscheinlichkeit zu einer massiven Bleiche der Korallenriffe im Golf von Mexiko kommen. Eine vergleichbare Situation hat es in der Vergangenheit noch nicht gegeben. Das Wasser im Golf von Mexiko und im südwestlichen Atlantik ist zwei bis drei Grad Celsius wärmer als im Durchschnitt für diese Jahreszeit – ein Zustand, der bis vor kurzem erst für Mitte des Jahrhunderts vorausgesehen wurde. Eine Massenbleiche in dieser Region würde Riffe dramatisch dezimieren, die in der Vergangenheit bereits massiv durch Überfischung, Überdüngung und Krankheiten geschädigt wurden. Das könnte im schlimmsten Fall zu einem vollständigen Verlust der Riffe in der Region führen.“

Auf die Frage, in welchen anderen Regionen Korallenriffe ebenfalls bedroht sind:
„Große Teile der Karibik, des tropischen östlichen Pazifiks und des Roten Meers sind ebenfalls akut von hitzebedingter Korallenbleiche bedroht. Wir sehen momentan die Entwicklung eines ,perfekten Sturms‘, bei dem mehrere Faktoren zusammenkommen. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die globale durchschnittliche Lufttemperatur in Folge des Ausbruchs des Unterwasservulkans in Tonga im vergangenen Jahr vorübergehend zusätzlich erhöht und dass dadurch die kommenden zwölf Monate zum ersten Mal im Durchschnitt 1,5 Grad wärmer werden als ein Jahr in vorindustrieller Zeit [4]. Der sich aufbauende El Niño könnte – vor allem in Kombination mit den aktuellen, davon noch weitgehend unabhängigen warmen Wassertemperaturen rund um den Globus – noch extremere Auswirkungen haben als die Hitzewellen der Jahre 2015-2017. In diesen ging zum Beispiel knapp ein Drittel der Korallenbedeckung des Great Barrier Reef verloren.“

Auf die Frage, wie sich Korallenriffe kurzfristig während Hitzeperioden schützen lassen:
„Jede Verringerung zusätzlicher Stressfaktoren trägt dazu bei, dass Korallen ihre Energiereserven besser darauf verwenden können, mit der Hitze umzugehen. Das kann kurzfristig zum Beispiel das Entfernen von korallenfressenden Schädlingen oder ein reduziertes Einleiten von Abwässern – beides belegen Studien aus Australien [5] und den USA [6] – oder das Sperren von Riffen für den Tourismus bedeuten. Auch Schutzgebiete, die Fischerei einschränken, können die Widerstandsfähigkeit von Riffen stärken, brauchen in der Regel jedoch einige Jahre, um Wirkung zu zeigen.“

Auf die Frage, wie sich Korallenriffe langfristig vor der klimabedingten Erwärmung schützen lassen:
Langfristig werden Riffe nicht mit den zunehmenden Meerestemperaturen umgehen können, zumal die Hitzewellen immer häufiger auftreten und immer stärker werden, was eine Erholung erschwert. Aufforstung eignet sich für punktuell auftretende Schäden, nicht jedoch, um Riffe großflächig wieder aufzuforsten. Es gibt zwar Forschung zu hitzetoleranten Arten, allerdings steckt diese noch in den Anfängen und beschränkt sich auf wenige Arten. Korallenriffe sind allerdings der artenreichste Lebensraum unter Wasser. Das wäre ungefähr so, als würde man den Amazonasregenwald nach seinem Abbrennen mit einer Handvoll Setzlinge einiger weniger Baumarten von Hand wieder aufforsten wollen.“

Auf die Frage, ob sich Korallen in kälteren Ozeanregionen ansiedeln könnten:
„Wir sehen bereits jetzt, dass sich Korallenriffe in einigen Gegenden, zum Beispiel vor Japan, in Gebiete ausweiten, die vormals zu kalt für sie waren. Dadurch entstehen womöglich lokal neue Riffgemeinschaften, allerdings wird dieser Aspekt den Fortbestand der Riffe im Klimawandel nicht sichern. Zum einen gibt es eine natürliche Grenze durch die Sättigung des Wassers mit Kalziumkarbonat. Außerhalb der Tropen ist diese niedriger und wird in Zukunft weiter sinken. Dies verhindert, dass tropische Steinkorallen in höheren Breitengraden ihr Kalkskelett abscheiden können. Zum zweiten findet der Temperaturanstieg des Wassers in einer Geschwindigkeit statt, die die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Riffen übersteigt. Riffe werden also schneller von zu hohen Temperaturen eingeholt, als sie sich ausbreiten können.“

Dr. Simon Brandl

Assistenzprofessor am Department of Marine Science, University of Texas, Vereinigte Staaten

„Die derzeitige Situation im Golf von Mexiko und in der Karibik ist beängstigend. Die Wassertemperaturen in dieser Region erreichen ihren Höhepunkt normalerweise erst Ende August, sind aber schon seit Anfang Juni besorgniserregend hoch [7]. Das bedeutet, dass die Korallenriffe im gesamten Westatlantik mit einem Szenario konfrontiert sind, in dem sie mehr als drei Monate lang unter extremem Hitzestress stehen. Während der letzten schweren Korallenbleiche, die diese Region in den Jahren 2014, 2015 und 2016 betroffen hat, hat sich der Hitzestress erst Mitte August voll entwickelt. Das heißt, dass wir im Augenblick Zeugen eines beispiellosen und potenziell verheerenden Bleichereignisses sind. In Belize, wo ich gerade die Korallenriffe des zweitgrößten Barriereriffsystems der Welt studiere, sehen wir bereits jetzt – einen ganzen Monat vor der als ,Bleichzeit‘ bezeichneten Zeit (Mitte bis Ende August) – eine weit verbreitete Bleiche. Wenn diese den ganzen Sommer über anhält – das heißt, wenn der Aufbau der warmen Meeresoberflächentemperatur nicht beispielsweise durch eine Reihe von Wirbelstürmen gestört wird –, könnten die Korallen in der gesamten Region einen noch nie dagewesenen Zusammenbruch erleiden, der das Wesen der Ökosysteme der Korallenriffe grundlegend verändern wird.“

Auf die Frage, in welchen anderen Regionen Korallenriffe ebenfalls bedroht sind:
„Die kurzgefasste Antwort auf diese Frage lautet: überall. Dem zerstörerischsten globalen Korallenbleichereignis der jüngeren Geschichte in den Jahren 2015 bis 2016 ging eine Bleiche im Golf von Mexiko und in der Karibik im Jahr 2014 voraus. Das könnte ein beängstigender Vorbote für das sein, was den Korallenriffen weltweit in den nächsten sechs bis zwölf Monaten bevorsteht – insbesondere angesichts des sich entwickelnden El-Niño-Jahres. Seit den 1980er Jahren sind 58 Prozent aller Massenbleichereignisse während El-Niño-Ereignissen aufgetreten, aber heutzutage übersteigen sogar die Temperaturen während La-Niña-Ereignissen die von El-Niño-Ereignissen vor mehreren Jahrzehnten [8]. Korallenbleiche ist zur Normalität geworden, mit oder ohne El Niño, aber die Situation, die sich derzeit entwickelt, ist erschreckend für jeden, der sich um Korallenriffe auf der ganzen Welt kümmert. Neben dem, was wir in der Karibik und im Golf von Mexiko erleben, gibt es bereits Berichte über Massenbleichen an der mexikanischen Küste im tropischen Ostpazifik.“

Auf die Frage, wie sich Korallenriffe kurzfristig während Hitzeperioden schützen lassen:
Es gibt mehrere natürliche Dynamiken, die die Korallenbleiche während akuter mariner Hitzewellen abmildern können. Diese hängen größtenteils entweder mit der Beschattung – in Form von starker atmosphärischer Bewölkung oder Meerwassertrübung – oder dem Wasseraustausch zwischen der heißen Oberflächenschicht und tiefem, kaltem, nährstoffreichem Wasser zusammen. Die positiven Effekte sind dokumentiert [9] [10], aber solche Dynamiken während akuter mariner Hitzewellen in der freien Natur in bedeutendem Umfang hervorzurufen, ist noch lange nicht machbar. Ideen wie der Einsatz von riesigen Schattentüchern zur Beschattung oder Unterwasser-Ventilatoren zur Erzeugung von künstlichem Auftrieb mögen in der Theorie vielversprechend klingen, aber jeder, der schon einmal marine Feldexperimente durchgeführt hat oder bei rauer See an einem Korallenriff war, weiß, dass diese Lösungen in einem sinnvollen räumlichen Maßstab nicht umsetzbar sind. Der menschliche Einfallsreichtum und die Fähigkeit, Lösungen zu entwickeln, reichen vielleicht aus, um ein einzelnes Riff zu retten, aber im großen Ganzen wird das keinen Unterschied machen.“

Die einzige Hilfe wären Wetterphänomene wie Wirbelstürme, die zu einer stärkeren Durchmischung und Trübung führen. Damit würden sie sowohl das heiße Oberflächenwasser abkühlen, das die Korallenbleiche erzeugt, als auch Nährstoffe zu den Korallen bringen, um das Verhungern während der Bleiche zu verzögern. Aber natürlich sind solche Wirbelstürme auch in der Lage, Riffe und menschliche Gesellschaften zu zerstören – also ist das nicht unbedingt etwas, das wir uns wünschen sollten.“

Auf die Frage, wie sich Korallenriffe langfristig vor der klimabedingten Erwärmung schützen lassen:
„Es gibt Hinweise darauf, dass die Eindämmung lokaler Stressfaktoren, die Korallenriffe beeinträchtigen – wie Nährstoffabfluss, Verschmutzung oder Überfischung –, dazu beitragen kann, dass die Riffe widerstandsfähiger gegen die Bleiche sind und sich besser erholen [11]. Angesichts des unvermeidlichen Temperaturanstiegs in den nächsten Jahrzehnten ist die Verringerung dieser lokalen Stressfaktoren eine Hausaufgabe, die wir erledigen müssen, um Korallenriffen eine Überlebenschance zu geben.“

„Die Wiederaufforstung von Korallenriffen kann kurzfristig zur Verbesserung einzelner Riffökosysteme beitragen. Auf lange Sicht ist das aber kein ökonomisch oder ökologisch nachhaltiger Ansatz [13]. Ehrgeizige Aufforstungsprojekte in den Florida Keys, Belize und anderswo, die Millionen gekostet haben, werden derzeit aufgrund hitzebedingter Bleiche zunichte gemacht. Die Züchtung hitzeresistenter Korallenstämme wird ebenfalls häufig als eine vielversprechende Lösung zitiert, aber die Realität sieht so aus, dass die Biologie im Endeffekt ein Spiel mit Kompromissen ist. Keine Art ist in allen Lebensbereichen gut – wie Stresstoleranz, Riffbildung und Krankheitsresistenz. Selbst wenn es uns gelänge, Millionen hitzeresistenter Korallen zu züchten und zu verpflanzen – wovon wir wahrscheinlich noch Jahrzehnte entfernt sind –, lässt sich nicht sagen, wie diese Korallen mit den zahllosen anderen Anforderungen des Lebens in einem Korallenriff zurechtkommen würden.“

„Letztendlich glaube ich leider, dass unsere einzige Chance, Korallenriffe zu erhalten, darin besteht, die aktuelle Klimakrise entschlossen anzugehen und gleichzeitig andere lokale Stressfaktoren rigoros in den Griff zu bekommen, in der Hoffnung, dass so einige Korallenarten die nächsten Jahrzehnte überleben werden. Es gibt Korallenarten, die von Natur aus eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Hitzestress aufweisen. Obwohl die von diesen Korallen geschaffenen Riffe nicht so aussehen werden wie die Riffe, die in Reisewerbung abgebildet werden – aufgrund der obengenannten Kompromisse –, ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Arten in der Lage sind, mit dem Klimawandel fertig zu werden. Sie könnten ein Grundgerüst der ökologischen Funktionen aufrechterhalten [12], die Korallenriffe zu einem der wertvollsten Ökosysteme unserer Erde machen.“

Dr. Verena Schoepf

Assistenzprofessorin am Department of Freshwater and Marine Ecology, Institute for Biodiversity and Ecosystem Dynamics, University of Amsterdam, Niederlande

„Die aktuelle Bedrohung der Korallenriffe im Golf von Mexiko – und in der gesamten Karibik – ist sehr groß. Die Tatsache, dass die Meerestemperaturen bereits so früh im Sommer schon so hoch sind, ist außergewöhnlich. Selbst in anderen Jahren, die besonders heiß waren, war das nicht der Fall [14] [15]. Das ist äußerst besorgniserregend, da die Chancen damit hoch sind, dass die hohen Temperaturen anhalten werden oder weiter steigen und es somit zu Rekordhitze und massiver Korallenbleiche und Absterben kommen wird. Viele Korallenriffe in der Karibik sind schon stark dezimiert und haben nur wenige Korallen übrig. Daher besteht die Sorge, dass auch diese nun in großer Zahl sterben könnten.“

Auf die Frage, in welchen anderen Regionen Korallenriffe ebenfalls bedroht sind:
„In den nächsten Wochen und Monaten haben vor allem die Korallenriffe auf der Nordhalbkugel ein größeres Risiko, zu bleichen. Für die Karibik sieht es momentan besonders schlimm aus,da so gut wie die gesamte Region diesen Sommer mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit bleichen wird [16]. Aber auch im Südchinesischen Meer oder entlang der pazifischen Küste von Mittelamerika drohen Korallenbleichen. Besonders erschreckend ist, dass schon jetzt einige Riffe bleichen, zum Beispiel in Florida und Belize. Längerfristig hängt viel davon ab, wie sich El-Niño weiterentwickeln wird und ob die ungewöhnlich heißen Temperaturen auch auf der Südhalbkugel Korallenbleichen im dortigen Sommer verursachen werden. Wir wissen allerdings leider, dass auf Grund des starken Klimawandels inzwischen Massenbleichen durchaus auch in Jahren ohne (starken) El Niño vorkommen [8]. Korallenwissenschaftler bereiten sich schon jetzt auf ein Jahr vor, das Rekorde brechen und eine vierte globale Korallenbleiche sehen könnte.“

Auf die Frage, ob und wie sich Korallenriffe kurzfristig während Hitzeperioden schützen lassen:
„Die kurze Antwort ist leider: nein. Es gibt zwar einige Ansätze, die unter Umständen lokal begrenzt Hitzestress mindern können, oder auf andere Art und Weise den Korallen helfen, widerstandsfähiger zu sein. Das beinhaltet zum Beispiel den Ansatz, Korallenriffe mit Strukturen zu versehen, die Licht vermindern – sogenanntes shading –, da dies den gefühlten Hitzestress der Korallen reduziert. Von Laborexperimenten wissen wir auch, dass ,probiotische‘ Bakterien Korallen unter Hitzestress helfen, weniger stark zu bleichen und sich besser gegen Krankheiten verteidigen zu können [17]. Solche Ansätze sind aber schwer auf größeren Flächen einzusetzen und/oder noch im Experimentalstadium. Des Weiteren macht es Sinn, die Wasserqualität zu verbessern, da zu viele Nährstoffe im Wasser Korallen hitzeempfindlicher machen können [10]. Aber gerade in tropischen Ländern ist das meistens leichter gesagt als getan. Somit bleibt oft nicht viel anderes zu tun, als zumindest äußere Stressfaktoren zu reduzieren und zum Beispiel Riffe eine Zeit lang für Taucher oder andere Nutzer zu sperren.“

Auf die Frage, ob und wie sich Korallenriffe langfristig vor der klimabedingten Erwärmung schützen lassen:
„Die einzige nachhaltige und langfristige Lösung ist, die globale Erwärmung möglichst schnell und möglichst stark zu verlangsamen. Selbst wenn wir es schaffen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, werden trotzdem 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe weiter zurückgehen [18]. Allerdings wird in diesen Szenarien noch nicht miteingerechnet, dass Korallen sich möglicherweise zu einem bestimmten Grad anpassen können. Das ist ein aktives Forschungsfeld, in dem es noch keine definitiven Antworten gibt.“

„Die Aufforstung von geschädigten Riffen ist leider sehr teuer und aufwendig – und lange nicht immer erfolgreich. Angesichts zunehmender Hitzewellen und Korallenbleichen stellt sich auch die Frage, wie nachhaltig das sein kann. Daher wird nun intensiv geforscht, wie solche Ansätze verbessert werden können, indem man zum Beispiel hitzetolerante Korallen verwendet [19] oder der Evolution auf andere Art und Weise ,auf die Sprünge hilft‘ [20]. Die meisten dieser Ansätze sind jedoch noch im Experimentalstadium und schwer skalierbar – daher bleibt die Frage, wie viel sie beitragen können, um Korallenriffen eine Zukunft zu sichern. Korallenriffe werden nur eine Chance haben, wenn an allen Fronten gekämpft wird und die Abschwächung des Klimawandels mit Aufforstung und Innovationen eihergeht, die ihre Anpassungsfähigkeit erhöhen [21].“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Christian Wild: „Ich habe keinerlei Interessenkonflikte.“

Dr. Sebastian Ferse: „Ich bestätige, dass bei mir in diesem Zusammenhang keine Interessenkonflikte bestehen.“

Dr. Simon Brandl: „Ich habe keine Interessenkonflikte anzugeben.“

Dr. Verena Schoepf: „Es bestehen keine Interessenkonflikte.“

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] NOAA: Coral Bleaching Could Be As Severe as 2005 Event. Stand: 15.01.2010.

[2] Contreras-Silva AI et al. (2020): A meta-analysis to assess long-term spatiotemporal changes of benthic coral and macroalgae cover in the Mexican Caribbean. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-020-65801-8.

[3] Knowlton et al. (2021): Rebuilding Coral Reefs: A Decadal Grand Challenge. International Coral Reef Society and Future Earth Coasts. DOI: 10.53642/NRKY9386.

[4] Jenkins S et al. (2023): Tonga eruption increases chance of temporary surface temperature anomaly above 1.5 °C. Nature Climate Change. DOI:s41558-022-01568-2.

[5] MacNeil MA et al. (2019): Water quality mediates resilience on the Great Barrier Reef. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-019-0832-3.

[6] Shaver et al. (2018): Local management actions can increase coral resilience to thermally-induced bleaching. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-018-0589-0.

[7] NOAA Physical Sciences Laboratory: Marine Heatwaves. Stand: 17.07.2023.

[8] Hughes TP et al. (2018): Spatial and temporal patterns of mass bleaching of corals in the Anthropocene. Science. DOI: 10.1126/science.aan8048.

[9] Cacciapaglia C et al. (2016): Climate‐change refugia: Shading reef corals by turbidity. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.13166.

[10] Sawall Y et al. (2020): Discrete pulses of cooler deep water can decelerate coral bleaching during thermal stress: Implications for artificial upwelling during heat stress events. Frontiers in Marine Science. DOI: 10.3389/fmars.2020.00720.

[11] Donovan MK et al. (2021): Local conditions magnify coral loss after marine heatwaves. Science. DOI: 10.1126/science.abd9464.

[12] Hughes TP et al. (2023): Principles for coral reef restoration in the anthropocene. One Earth. DOI: 10.1016/j.oneear.2023.04.008.

[13] Brandl S et al. (2019): Coral reef ecosystem functioning: eight core processes and the role of biodiversity. Frontiers in Ecology and the Environment. DOI: 10.1002/fee.2088.

[14] NOAA Coral Reef Watch: Yucatan Peninsula (1985 – 2023). Stand: 16.07.2023.

[15] NOAA Coral Reef Watch: Florida Keys (1985 – 2023).Stand: 16.07.2023.

[16] NOAA Satellite and Information Service: Four-Month Coral Bleaching Outlook. Stand: 11.07.2023.

[17] Peixoto RS et al. (2021): Coral Probiotics: Premise, Promise, Prospects. Annual review of animal biosciences. DOI: 10.1146/annurev-animal-090120-115444.

[18] Intergovernmental Panel on Climate Change (2018): Global Warming of 1.5°C. Summary for Policymakers.
Punkt B.4.2. beschäftigt sich mit der Bedrohung von Korallen.

[19] Caruso C et al. (2021): Selecting Heat-Tolerant Corals for Proactive Reef Restoration. Frontiers in Marine Science. DOI: 10.3389/fmars.2021.632027.

[20] Voolstra CR et al. (2021): Extending the natural adaptive capacity of coral holobionts. Nature Reviews Earth & Environment. DOI: 10.1038/s43017-021-00214-3.

[21] Kleypas J et al. (2021): Designing a blueprint for coral reef survival. Biological Conservation. DOI: 10.1016/j.biocon.2021.109107.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] NOAA Coral Reef Watch: Daily Global 5km Satellite Sea Surface Temperature Anomaly. Stand: 16.07.2023.
Der Reiter „Anomaly“ zeigt die Temperaturabweichung vom langjährigen Mittel, der Reiter „SST“ (sea surface temperature) die Temperatur an der Wasseroberfläche.

[II] Science Media Center (2023): Oberflächenwasser in den Ozeanen ungewöhnlich warm. Rapid Reaction. Stand: 19.06.2023.

[III] Hughes et al. (2018): Global warming transforms coral reef assemblages. Nature. DOI: 10.1038/s41586-018-0041-2.

[IV] NOAA Fisheries: Shallow Coral Reef Habitat.

[V] NOAA Coral Reef Watch: Daily Global 5km Satellite Coral Bleaching Heat Stress Degree Heating Week. Stand: 13.07.2023.
Unten auf der Webseite finden Sie eine Erklärung des Konzepts der Maßzahl Degree Heating Week.