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28.02.2022

50 Jahre Limits to Growth

Vor 50 Jahren begann mit der Studie „The Limits to Growth“ (siehe Primärquelle) die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion um die natürlichen Grenzen der Menschheit. Für den Club of Rome hatte eine Autorengruppe um Donella und Dennis Meadows ein Computermodell entwickelt und verschiedene Entwicklungspfade simuliert. Dabei stellte sich ein Gleichgewicht zwischen Entwicklung der Menschheit und den planetaren Grenzen nur ein, wenn Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum strikt kontrolliert wurden. Alle anderen Pfade führten bis 2100 zu Kipppunkten, nach denen die untersuchten Variablen dramatisch sanken, zum Teil unter die Werte für 1970. Zu den Variablen zählten unter anderem Ressourcen, Nahrung, Umweltverschmutzung, Wirtschaftswachstum oder Bevölkerungswachstum. Die Kipppunkte der Variablen im Modell lassen sich als schwere Krisen bis hin zum Zusammenbruch der Gesellschaft deuten.

Die Studie löste große Kontroversen aus und viele Kritiker bemühten sich, die Grundannahmen zu widerlegen. Während zunächst die Existenz effektiver Grenzen bestritten wurde, hieß es bald, die Menschheit sei von diesen Grenzen noch weit entfernt. In den 90er Jahren sahen die Kritiker in neuen Technologien und Märkte Wege, um die Grenzen immer weiter zu verschieben, und nach 2000 entstand die Idee, nur mithilfe eines weiteren wirtschaftlichen Wachstums habe die Menschheit genügend Geld, um die durch das Wachstum entstehenden Probleme zu lösen.

Heute, 50 Jahre später, gibt es die Möglichkeit, zurückzuschauen, und zu fragen: Hatten die Kritikerinnen und Kritiker Recht? Oder haben die Autorinnen und Autoren von „Limits to Growth“ Recht, und falls ja – auf welchem Entwicklungspfad befindet sich die Menschheit derzeit, und wie könnte man auf einen nachhaltigen kommen?

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Uwe Leprich, Dozent für Wirtschaftspolitik, Energiewirtschaft, Umweltpolitik und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, Universität des Saarlandes
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  • Prof. Dr. Johann Rockström, Direktor, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
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  • Prof. emeritus Dennis Meadows, College of Liberal Arts, University of New Hampshire und Autor "The Limits to Growth"
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Statements

Prof. Dr. Uwe Leprich

Dozent für Wirtschaftspolitik, Energiewirtschaft, Umweltpolitik und ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, Universität des Saarlandes

„Die Kernaussage des Berichtes an den Club of Rome vor 50 Jahren – dass es auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum geben könne – erscheint zunächst trivial. In sieben computergestützten Szenarien des damaligen ‚Weltmodells‘ wurden jedoch bereits unterschiedliche Kausalitäten ins Feld geführt, die zu einem abrupten Ende der Wachstumsverläufe der Industrieproduktion und der Bevölkerung führen würden. In einigen Szenarien spielt die Verknappung insbesondere der mineralischen und fossilen Rohstoffe eine herausragende Rolle, in anderen der Rückgang der Nahrungsmittelproduktion oder aber pauschal die Umweltverschmutzung, ohne dass diese beiden Einflussparameter zueinander in Beziehung gesetzt würden.“

„Aus heutiger Sicht würde man sicherlich die wachstumsbegrenzende Rolle der Rohstoffe relativieren, da der Erfindungsreichtum der Wirtschaftsakteure offensichtlich unterschätzt wurde. Das größte Defizit dieses gleichwohl sensationell vorausschauenden Berichtes vor einem halben Jahrhundert liegt jedoch in seiner anthropozentrischen Verengung, die es nicht erlaubt, das komplexe Wechselspiel zwischen den natürlichen Ressourcen Luft, Boden, Wasser sowie Artenvielfalt und den menschlichen Handlungsspielräumen adäquat zu erfassen. Heute wissen wir, dass insbesondere die Erderhitzung, der dauerhafte Humusverlust durch die agroindustrielle Bodenausbeutung sowie die zunehmende Wasserknappheit und -verschmutzung der Menschheit unmissverständlich die Grenzen des Wachstums aufzeigen.“

„Ein heutiges Projekt, das den Anspruch hätte, aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen ein Zusammenbruch des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems verhindert werden könnte, müsste versuchen, die planetaren Ökosysteme im Wechselspiel von Mensch und Natur zu simulieren. Dabei würden auch die folgenden komplexen Fragestellungen eine Rolle spielen: Hat die Menschheit auch bei einer Erderhitzung von drei bis fünf Grad Celsius eine Überlebensperspektive? Inwieweit beeinträchtigt das Aussterben tausender Tier- und Pflanzenarten pro Jahr die Stabilität des Ökosystems? Hat die Verschmutzung der Weltmeere entscheidende Auswirkungen auf die Nahrungskette?“

„Mir ist keine Studie bekannt, die die Grenzen des Wachstums aus einer ökosystemischen Perspektive versucht hätte zu analysieren, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass wir auch heute noch – 50 Jahre nach dem Bericht an den Club of Rome – viel zu wenig über die Wechselwirkungen und Stabilitäten in Ökosystemen wissen.“

„Schon als der Bericht an den Club of Rome erschien, war das Schlagwort vom ‚qualitativen‘ Wachstum in aller Munde, das das rein quantitative ablösen sollte. Seither wurde dieser Gedanke als ‚grünes‘ oder ‚nachhaltiges‘ oder ‚zukunftsfähiges‘ Wachstum umetikettiert, ohne das zugrunde liegende Wachstumsmodell – nämlich die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts als Summe aller neu produzierten Güter und Dienstleistungen innerhalb eines Kalenderjahres – ernsthaft in Frage zu stellen.“

„Es ist sicherlich höchste Zeit, sich von der politischen Lebenslüge zu verabschieden, man könne die heutige renditegetriebene Verschwendungsökonomie beibehalten und trotzdem den Zusammenbruch des Systems, wie ihn der Bericht an den Club of Rome simuliert hat, vermeiden.“

„Die Einsicht, dass insbesondere die Industrienationen in den nächsten Dekaden eine weitreichende ökonomische Schrumpfung organisieren müssen – deutlich weniger Produktion infolge langlebiger, reparaturfreundlicher und recyclingfähiger Produkte, Aufbau einer ‚sharing economy‘, kürzere Arbeitszeiten – wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, anstatt weiterhin an der Schimäre eines vermeintlich notwendigen Wirtschaftswachstums festzuhalten. Es wäre nach einem halben Jahrhundert höchste Zeit, diesen Grundgedanken im Sinne des Berichtes an den Club of Rome im nächsten Jahreswirtschaftsbericht des ersten grünen Wirtschaftsministers in Deutschland wiederzufinden.“

Prof. Dr. Johann Rockström

Direktor, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Der Bericht ‚Die Grenzen des Wachstums‘ aus dem Jahr 1972 war der erste Versuch, die Entwicklung der Welt und ökologische Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Er zeigte auf, dass die Weltwirtschaft in den 2020er Jahren vor massiven Herausforderungen stehen würde, wenn wir einen nicht nachhaltigen ‚Business-as-usual‘-Pfad verfolgen.“

„Fünfzig Jahre nach dem Bericht zeigt die Empirie, dass die Einschätzung der Grenzen des Wachstums weitgehend richtig war. Wir beginnen wirklich, die sozialen Kosten von Klimaextremen, Umweltverschmutzung und Bodendegradation zu spüren. Das verbleibende globale Kohlenstoffbudget von etwa 300 bis 400 Milliarden Tonnen CO2 wird innerhalb dieses Jahrzehnts aufgebraucht sein, wenn wir mit dem derzeitigen Ausstoß weitermachen. Wir stehen heute vor der realen Gefahr, irreversible Kipppunkte im Erdsystem zu überschreiten, was allen künftigen Generationen einen weniger lebenswerten Planeten bescheren könnte.“

„Im Rahmen des Earth4All-Projekts [I] haben wir mit einem aktualisierten Welt-Erde-Modell fünf wichtige Schritte identifiziert, die erforderlich sind, um eine weltweite Entwicklung innerhalb der planetarischen Grenzen zu erreichen. Dazu gehören (1) eine globale Energietransformation hin zu Netto-Null-Emissionen, (2) eine globale Umstellung des Lebensmittelsystems auf eine gesunde Ernährung aus nachhaltiger Lebensmittelproduktion, (3) die Linderung der Armut durch eine ernsthafte, integrative Wohlstandsentwicklung, (4) eine drastische Verringerung der Ungleichheit und (5) Investitionen in die Jugend, die Bildung von Frauen, die Gesundheit und die Familienplanung, um einen demografischen Übergang zu unterstützen.“

Prof. emeritus Dennis Meadows

College of Liberal Arts, University of New Hampshire und Autor "The Limits to Growth"

„Unser Computermodell ‚World3‘ sollte allein Erkenntnisse über die Ursachen und Folgen des Wachstums liefern, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, an dem Bevölkerung und Wirtschaft von den Grenzen dieses endlichen Planeten beeinflusst werden. Dieser Punkt ist nun überschritten, aber einige unserer Schlussfolgerungen sind nach wie vor relevant:“

- „Die Weltbevölkerung und der Materialverbrauch (Energie, Ressourcen, Wasser und ähnliche Materialien) werden im Jahr 2100 viel niedriger sein als heute.
- Die heute diskutierten Themen wie Nahrungsmittelknappheit, Meeresverschmutzung und Klimawandel sind keine Probleme an sich, sondern eher Symptome. Das eigentliche Problem ist das Wachstum der menschlichen Bedürfnisse über die nachhaltigen Grenzen des Planeten hinaus. Bemühungen, die Symptome einzeln zu beheben, werden keinen Erfolg haben, solange die Bevölkerung und der Ressourcenverbrauch die Tragfähigkeit des Planeten übersteigen. In einem Bereich den Druck zu entlasten, wird nur dazu führen, dass der Druck in einem anderen Bereich steigt.
- Das System reagiert nur langsam, mit großer Verzögerung auf Entwicklungen. Das bedeutet: Maßnahmen müssen ergriffen werden, bevor die Probleme vollständig sichtbar sind.
- Die Optionen, die der Menschheit heute zur Verfügung stehen, sind weit weniger attraktiv als die, die man hätte haben können, wenn man früher gehandelt hätte. Aber sie sind viel besser als die, die nach einer weiteren Verzögerung verbleiben werden.“

„Naturgesetze erlauben es uns, viele Dinge vorherzusagen, die nicht passieren können. Aber in einer Welt, welche auf Handlungen der Menschheit reagiert, die stets auf die von ihr wahrgenommenen Umstände reagiert, ist es unmöglich, mit Sicherheit vorherzusagen, was genau passieren wird. Daher hatten wir damals 12 Szenarien vorgestellt, die ein breites Spektrum möglicher globaler Entwicklungsmuster bis zum Jahr 2100 abdecken sollten. Die reichten von nachhaltiger Entwicklung bis hin zu ‚overshoot‘ (Kipp-Punkt) und Zusammenbruch. Von den letztgenannten Szenarien wurde der ‚Standard Run‘ (Abbildung 35 in unserem Buch von 1972 (Primärquelle)) vor kurzem von verschiedenen unabhängigen Forschergruppen als die beste Beschreibung der Entwicklung der Welt in den vergangenen 50 Jahren bezeichnet. Es ist sicherlich viel genauer als die Projektionen der Wirtschaftswissenschaftler, die die Forschungen des Club of Rome kritisiert haben.“

„Ich würde das Modell heute nur geringfügig anders aufbauen. Zum Beispiel verdienen fossile Brennstoffe eine erkennbare Rolle. Aber die größte Veränderung würde nicht in den Variablen des Modells liegen, sondern in der Strategie, die wir für die Entwicklung und Kommunikation unserer Ergebnisse gewählt haben. Heute würde ich ein Projekt aufsetzen, bei dem erfahrene Entscheidungsträger von Anfang an in die Bemühungen einbezogen werden, anstatt davon auszugehen, dass Entscheidungsträger den Empfehlungen, die ohne ihre Beteiligung entwickelt wurden, Glauben schenken und sie umsetzen würden.“

„Die Menschheit hat die Tragfähigkeit der Erde schon vor mindestens zwei Jahrzehnten überschritten. Daher ist es nicht mehr möglich, ein Kippen der von uns berechneten Variablen zu vermeiden. Bereits 1999 veröffentlichte ich in der Süddeutschen Zeitung einen Aufsatz mit dem englischen Titel ‚It’s too late for sustainable development‘[1]"

„Wie die Menschheit den Planeten nutzt, wird wieder auf ein nachhaltiges Niveau sinken, ohne Zweifel! Aber so sicher das Ergebnis ist, die Mittel, um es zu erreichen, sind es nicht: Es wird sich entweder durch proaktives gesellschaftliches Handeln einstellen oder durch die Katastrophen eines überlasteten Planeten erzwungen. Die Herausforderung besteht darin, proaktiv ein friedliches, gerechtes und allmähliches Schrumpfen zu erreichen, das die verbleibende Fruchtbarkeit des Planeten am besten bewahrt. Drei Initiativen werden dies erleichtern:“

„Erstens: Anerkennen, dass die Periode des globalen Wachstums beendet ist.

Zweitens: Beginn der Entwicklung neuer Gesellschafts- , Wirtschafts-, Politik- und Naturwissenschaften, die der Menschheit realistische Optionen aufzeigen und sie bei der Wahl dieser Optionen im kommenden Jahrhundert des Schrumpfens leiten werden.“

„Drittens: Verlagerung des Ziels allen Handelns auf allen Ebenen – persönlich, in der Familie, zu Hause, in Organisationen, Gemeinschaften, auf der ganzen Welt – von Maximierung der Effizienz zur mehr Resilienz, mehr Anpassungsfähigkeit.“

„Ein guter Anfang dafür ist die Vorbereitung auf die Folgen des Klimawandels. Erforderlich sind neue Strategien für Einwanderung, Stadtentwicklung, landwirtschaftliche Produktion, Verkehr und Energieerzeugung, um mit den Folgen fertig zu werden, die mit hundertprozentiger Sicherheit kommen werden. So wird beispielsweise der für 2050 prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels weltweit viermal so viele Menschen aus ihren Wohnorten vertreiben, wie derzeit als Flüchtlinge anerkannt sind. Darauf gibt es bisher keine Vorbereitungen.“

„Technologien dafür gibt es bereits. Aber es sind nicht die Technologien, die man ändern muss, sondern die Ziele derjenigen, die sie entwickeln und einsetzen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Meadows D et al. (1972) The Limits to Growth.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Meadows D (1999): Der Kaiser ist längst nackt. Süddeutsche Zeitung, Serie: Die Gegenwart der Zukunft. 13.11.1999.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Earth4all: Homepage des Projekts.

Weitere Recherchequellen

Passel P et al. (02.04.1972): The Limits to Growth. New York Times.

Nordhaus WD (1992): Lethal Model 2: The Limits of Growth revisited.

Herrington G (2020): Update to limits to growth: Comparing the World3 model with empirical data. Journal of Industrial Ecology. DOI: 10.1111/jiec.13084.

European Council (2021): European Green Deal.

Reichardt L et al. (17.02.2022): Der westliche Lebensstil wird nicht mehr lange fortbestehen. SZ Magazin 7/2022.