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01.02.2018

Negative Emissionen gegen die Erderwärmung: zu optimistisch gerechnet?

Negative Emissionen – die Entfernung von Klimagasen wie CO2 aus der Atmosphäre – werden möglicherweise zu optimistisch in Klimaszenarien einberechnet. Zu diesem Ergebnis kommt, vereinfacht gesagt, ein Bericht des Wissenschaftlichen Beirats der Europäischen Akademien (European Academies Science Advisory Council, EASAC)(siehe Primärquelle), in dem federführend Michael Norton mit weiteren Wissenschaftlern die Evidenz zu sieben Technologien begutachtet.

Die Technologien für negative Emissionen – insbesondere BECCS (siehe Glossar) – fließen laut EASAC-Bericht derzeit stark in die Berechnungen zur Einhaltung der Pariser Klimaziele ein. In der Realität jedoch bleiben sie bisher weit hinter den eingerechneten Potentialen zurück. Darüber hinaus sehen die Autoren des Berichts erhebliche Unsicherheiten und Risiken, zum Beispiel bezüglich der Kosten oder Probleme für Ökosysteme, die bisher kaum Beachtung finden. Ohne negative Emissionen seien die Klimaziele aber kaum mehr erreichbar, sodass die weitere Erforschung und Entwicklung von Techniken zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre dringend in den Fokus der Politik rücken müsse. Das Hauptziel sollte es aber weiterhin sein, Emissionen weiter zu reduzieren, damit Klimagase erst gar nicht aus der Luft herausgefiltert werden müssten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Thomas Leisner, Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe, und Professor am Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg
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  • Matthias Honegger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institute of Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam
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  • Dr. Joeri Rogelj, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Energie, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich
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  • Dr. Jessica Strefler, Wissenschaftlerin im Forschungsbereich III – nachhaltige Lösungsstrategien, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
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  • Prof. Dr. Frank Schilling, Professur für Technische Petrophysik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
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  • Prof. Dr. Stephan Klasen, Professur für Entwicklungsökonomik, Georg-August-Universität Göttingen
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  • Dr. Silke Beck, Politikwissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig
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  • Dr. Axel Liebscher, Leiter der Sektion Geologische Speicherung, Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ), Potsdam
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Statements

Prof. Dr. Thomas Leisner

Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe, und Professor am Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg

„Das ist eine sehr wichtige Studie, die gerade zum richtigen Zeitpunkt kommt. Sie begegnet einem großen Missverständnis, das spätestens seit dem Klimaabkommen von Paris (COP21) die Klimadebatte belastet. In nahezu allen (in 344 von 400) IPCC-Szenearien (IPCC, siehe Glossar; Anm. d. Red.), in welchen die Pariser Klimaziele erreicht werden, wird von einem massiven Einsatz von Technologien ausgegangen, die in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts in der Lage sind, die Konzentration des Klimagases CO2 wieder abzubauen – die sogenannten negative CO2-Emissions-Technologien, kurz NETs (siehe Glossar; Anm. d. Red.). Hierbei werden die Existenz und die Wirksamkeit solcher Technologien vorausgesetzt und ihre Nebenwirkungen unterschlagen.“

„Dieser Bericht zeigt detailliert, dass diese Grundannahme falsch ist, und dass es nach dem heutigen Stand des Wissens keine gesicherte Option für bezahlbare, ökologisch und sozial verträgliche NETs gibt.“

„Ich stimme dem Bericht in seiner Beurteilung des NET-Potentials generell zu, an einigen Stellen – zum Beispiel Land-Management in Tabelle 2 auf Seite 12 – sind die Zahlen sogar noch zu hoch gegriffen. Noch wichtiger als das überschätzte Potential der NETs sind die möglichen Nebenwirkungen, wie Konkurrenz zur Nahrungsbereitstellung und Rückwirkung auf die Biodiversität bei BECCS. Zukünftig sollte bei Klima-Projektionen in weitaus geringem Umfang als derzeit von NETs ausgegangen werden und es sollten auch die eben genannten ‚nicht-Klima‘-Effekte bezüglich Nahrung und Biodiversität bewertet werden.“

„Es gibt eine NET, die sich neben der CO2 Reduktion auch eher positiv auf Nahrungsmittelproduktion und Biodiversität auswirken kann, und zwar die Anreicherung von organischem Kohlenstoff und von Kohle im Boden – in der vorliegenden Studie unter Land-Management auf Seite 7 zu finden. Die Erforschung und Anwendung dieser Handlungsoption sollte Priorität haben, selbst wenn ihr Potential begrenzt ist. Ich teile nicht ganz die hohe Priorität, die die Autoren der Weiterentwicklung des CCS (siehe Glossar; Anm. d. Red.) zukommen lassen. In einer weitgehend dekarbonisierten Zukunft ist das Potential beschränkt – zum Beispiel auf Zementfabriken.“

Matthias Honegger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institute of Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam

„Die Forschung und Entwicklung von NETs ist noch in ihren Anfängen und hat es bis heute leider nicht geschafft, ein gemeinsames Verständnis von ‚Potential‘ zu entwickeln. Die Rede ist oft von dem ‚technischen Potential‘, oder dem ‚wirtschaftlichen Potential‘ – davon ist die Realität jedoch weit entfernt. Der enorme Unterschied zwischen technischen Potentialen und realer Machbarkeit hat sich bei ähnlichen Technologie-Debatten zu den Biotreibstoffen oder der Speicherung von CO2 über CCS immer wieder gezeigt. Um ein besseres Verständnis von realistischen Potentialen zu erhalten, reichen theoretische Überlegungen nicht aus, sondern es ist notwendig, reale Pilot-Versuche zu starten, welche zusätzliche Barrieren und Chancen aufzeigen können. Ohne politische Maßnahmen und massive öffentliche Finanzierung von NETs ist nicht zu erwarten, dass sie in klimarelevanten Größenordnungen angewendet werden. Ich gehe mit dem Bericht einig, dass die Klima-Wirtschafts-Szenarien sehr wahrscheinlich zu optimistisch sind, was die Nutzung von Bioenergie mit der Abscheidung und Speicherung von CO2 (BECCS) angeht. Möglicherweise können jedoch NETs entwickelt werden, von denen wir heute noch gar nichts wissen, was jedoch nur unter Aufwendung von signifikanten Forschungsgeldern geschehen kann.“

„Die Problematik, die der Bericht gut aufgreift, liegt darin, dass die Weltgemeinschaft sich – mit guten Gründen – entschieden hat, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius oder gar 1,5 Grad Celsius zu beschränken, die entsprechenden Szenarien mit den sogenannten Negativ-Emissions-Technologien jedoch einen Kunstgriff vollziehen. Denn um dieses Ziel ohne massive CO2 Entfernung zu erreichen, müsste heute eine globale Transformation zu einer Null-Emissions-Wirtschaft stattfinden, die innerhalb von einer Dekade vollzogen wäre. Die aktuellen Klimaziele könnten aber kaum weiter davon entfernt sein und die Politik scheint leider kaum darauf vorbereitet, sich mit dieser Notwendigkeit auseinanderzusetzen – obschon eine solche Transformation auch viele Chancen mit sich bringen kann. Diese politische Auseinandersetzung ist jedoch unausweichlich, denn die Klimaziele müssen so oder so dramatisch verschärft werden. Zudem müssen Politikinstrumente geschaffen werden, welche einen kosteneffizienten Einsatz möglich machen würden. Wie dies zum Beispiel unter dem Pariser Abkommen geschehen könnte, habe ich kürzlich in einem Forschungsartikel dargelegt [1].“

„Die Lücke zwischen dem aktuellen Stand der Dinge und den Modell-Szenarien insbesondere in Bezug auf Bioenergie mit CO2 Abscheidung und Speicherung (BECCS) wiegt ein paar hundert Milliarden Tonnen. So groß ist nämlich die Menge an CO2  um welche die Atmosphäre wohl durch CO2 Entfernung erleichtert werden muss, wenn die Weltgemeinschaft nicht gewissermaßen von heute auf morgen ohne fossile Treibstoffe auskommt. Die Menge von jährlicher CO2 Entfernung in den Modellen entspricht ungefähr dem Zehnfachen der Menge an Stahl, die global jährlich produziert wird. Stahl ist ein Produkt, für das viele hundert Euro pro Tonne bezahlt wird. Heute bezahlt jedoch niemand für die Dienstleistung, CO2 aus der Luft zu entfernen, und es ist mehr als unsicher in welchem Ausmaß Regierungen künftig bereit sein werden dafür zu bezahlen – insbesondere, wenn dabei Landnutzungskonflikte und schwankende Nahrungsmittelpreise als mögliche Nebeneffekte drohen. Es ist denkbar, dass andere – allenfalls noch gar nicht entwickelte Technologien zur CO2 Entfernung – günstiger und weniger problematisch ausfallen könnten. Dafür ist jedoch mehr Forschung und Entwicklung notwendig. Außerdem sind die möglichen Nebeneffekte, insbesondere im Kontext der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, bisher noch viel zu wenig erforscht. Dabei sind auch partizipative Forschungs- und Lernprozesse notwendig, wie wir sie am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) betreiben.“

„Ich gehe mit den Empfehlungen des Berichtes an die Politik einig. Es ist essentiell, dass führende Industrieländer in Forschung und Entwicklung der CO2 Entfernung sowie in praktikable Ansätze für nachhaltige Forst- und Landwirtschaft mit einem gesamtheitlichen und realistischen Blick investieren. Insbesondere ist es zwingend, dass die Politik davon wegkommt, CO2 Speicherung als ein abstraktes Zukunftskonzept zu sehen, ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Zu den Empfehlungen würde ich ergänzend anfügen, dass die Klimaziele – auch diejenigen der EU – bei Weitem ungenügend zur Erreichung des Zwei-Grad-Zieles sind und dringend verstärkt und mit einem CO2 Preis untermauert werden müssen. Dies ist so oder so der Fall, auch wenn man – wie es die Modell-Szenarien tun – die verwegene Annahme trifft, dass künftig jedes Jahr Milliarden von Tonnen von CO2 durch NETs entfernt und auf lange Zeit gespeichert werden.“

Dr. Joeri Rogelj

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Energie, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich

„Dieser Bericht schlägt einen vernünftigen Ansatz in Bezug auf Technologien für negative CO2-Emissionen vor.“

„Negative CO2 Emissionen umfassen ein breites Spektrum von technologischen Ansätzen. Einige – wie die Aufforstung – sind gut verstanden. Andere sind spekulativer und können bestenfalls erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sinnvoll zur Emissionsminderung beitragen. Leider scheint das Zeitfenster für den gänzlichen Verzicht auf Technologien für negative Emissionen sehr klein, sofern es nicht bereits ganz geschlossen ist, wenn wir den Anstieg der globalen Mitteltemperatur deutlich unter 2 oder 1,5 Grad Celsius halten wollen – im Einklang mit dem langfristigen Ziel des Pariser UN-Abkommens. Emissionsminderungen in den kommenden Jahrzehnten werden jedoch den Bedarf reduzieren, Kohlendioxid langfristig aus der Atmosphäre zu entfernen. Gleichzeitig können heute schon bereits bestehende Technologie-Ansätze helfen, die Menge an Kohlendioxid, die in die Atmosphäre emittiert wird, zu begrenzen.“

„Die Klimaprojektionen müssen nicht notwendigerweise auf der Grundlage der Erkenntnisse dieses Berichts angepasst werden. Die Emissionsminderungsziele jedoch schon, wenn wir eine vernünftige Chance haben wollen, das Temperaturziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Der gegenwärtige Wissensstand zeigt, wir können nicht blindlings davon ausgehen, dass einige dieser Technologien nach 2050 in großem Maßstab zur Verfügung stehen, um die CO2-Menge, die wir jetzt ausstoßen, zu beseitigen.“

„Zwei parallele Politikansätze würden gegen diese Unsicherheit absichern und einen vernünftigen Weg in die Zukunft weisen. Erstens sollten die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten so weit wie möglich reduziert werden. Dabei können bereits einige heute bekannte und verfügbare Technologien für negative Emissionen zum Einsatz kommen. Zweitens sollte weiter erforscht werden, welche eher spekulativen Technologien tatsächlich realisierbar sind. Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen von Wissenschaft und Wirtschaft; außerdem sollte die Politik dafür klare Anreize schaffen.“

Dr. Jessica Strefler

Wissenschaftlerin im Forschungsbereich III – nachhaltige Lösungsstrategien, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Technologien für negative Emissionen können im Idealfall drei wichtige Beiträge zur Begrenzung der Erderwärmung leisten:

1. die schnellere Reduktion der Emissionen;

2. die Möglichkeit, trotz mancher Rest-Emissionen etwa aus Industrie und Landwirtschaft auf unter dem Strich Null Emissionen zu kommen, und damit eine Stabilisierung der Temperatur zu erreichen;

3. die Möglichkeit, netto negative Emissionen zu erreichen – und damit eine Reduktion der Temperatur, falls Emissions-Ziele überschritten werden, also sogenannten ‚overshoot‘ einzufangen.“

„Es gibt jedoch große Unsicherheiten, nicht nur in Bezug auf die technische Umsetzung und das Potential von NETs, sondern vor allem in Bezug auf die politische und gesellschaftliche Akzeptanz und die notwendigen Institutionen. Daher müssen Emissionen auf jeden Fall so schnell wie möglich reduziert werden. Klar ist: Jede Tonne CO2, die gar nicht erst ausgestoßen wird, muss später nicht aufwändig wieder zurückgeholt werden.“

„Gleichzeitig stimme ich dem Ergebnis des Berichts zu, dass die Klimaziele des Pariser Vertrags ohne NETs kaum erreicht werden können, und daher die breite Erforschung und Erprobung und ein Anreizsystem zur Implementierung von CCS-Technologien gefördert werden sollte.“

„Die Szenarien, die zum Beispiel der Weltklimarat IPCC verwendet, sind keine Prognosen – es sind Wenn-Dann-Szenarien, das ist ein großer Unterschied. Sie sollen Entscheidern Informationen liefern. Insofern behalten die bestehenden Szenarien ihre Berechtigung. Allerdings müssen auch Szenarien mit niedrigerer Nutzung von NETs genauer untersucht werden.“

„Die Modelle nutzen bei ihren Berechnungen die Potentiale, die technisch möglich und unter dem gegebenen Klimaziel ökonomisch sinnvoll sind. NETs werden in diesen Modellen im nächsten Jahrzehnt ausgebaut. Aktuell gibt es für die BECCS-Technologie bereits ein Demonstrationsprojekt in Decatur, Illinois. Die einzelnen Schritte dieser Technologie sind also bereits verfügbar und könnten ausgebaut werden, wenn das gesellschaftlich gewünscht ist.“

„NETs sind ein Mosaikstein, der gebraucht wird, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Der bei Weitem größte Anteil liegt aber bei der Vermeidung von Emissionen. Daher stimme ich den Ergebnissen, dass Emissionen so schnell wie möglich reduziert werden müssen und der Verlust von Wäldern gestoppt werden muss, voll und ganz zu. Da NETs aber zusätzlich gebraucht werden, und zwei der wichtigsten Technologien – BECCS und DACCS (siehe Glossar, Anm. d. Red.) – von CCS abhängen, fordert der Bericht die Förderung von CCS. Auch diesem Ergebnis stimme ich zu.“

Prof. Dr. Frank Schilling

Professor für Technische Petrophysik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe

„Bei den Fakten gibt es keine unterschiedlichen Blickwinkel, bei deren Bewertung schon. Deshalb begrüße ich die Arbeit der Akademien, hier einen auf Fakten beruhenden Weg zu suchen. Wenn man die Klimaziele von Paris einhalten will, ergeben sich für mich einige Konsequenzen.“

„1. Wir müssen unsere Energiewendepolitik in Deutschland auf den Prüfstand stellen. Wir geben in Deutschland jedes Jahr Zehnermilliarden Euro aus, ohne einen nennenswerten Einfluss auf die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Es gäbe wesentlich effizientere und effektivere Wege, die Emissionen kurzfristig auch in Deutschland drastisch zu reduzieren, zum Beispiel die Umstellung von Kohle auf Gas, während ein weiterer Ausbau Erneuerbarer Energiewandler im Moment nur sehr wenig bringen kann wegen fehlender Infrastruktur.“

„2. Wir werden negative Emissionen benötigen – je langsamer wir bei der Emissionsreduktion sind, umso mehr müssen unsere Kinder später im Untergrund speichern. Wenn wir sicher speichern wollen, sind dazu entsprechende Demo-Vorhaben im zehn bis einhundert Millionen Tonnen Bereich zeitnah zu realisieren. Sonst kann es nicht gelingen, eine robuste, geprüfte Technologie zur Verfügung zu haben, die bezahlbar hilft, unsere Klimaziele zu erreichen. Leider hat der Bericht recht: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir scheitern. Wenn wir jetzt jedoch konsequent handeln, können die Ziele noch erreicht werden – ein Vertagen potenziert das Problem und die Kosten.“

Prof. Dr. Stephan Klasen

Professor für Entwicklungsökonomik, Georg-August-Universität Göttingen

„NETs müssen einen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung leisten, da wir mit Mitigation (Klimaschutz, oder auch Vermeidung des Klimawandels; Anm. d. Red.) alleine die Klimaziele nicht mehr erreichen können. Ich teile die Sorge des Berichts, dass die Fortschritte hier viel geringer sind als erhofft, und man deutlich mehr auch in diesen Bereich investieren muss.“

„Die Klimamodelle müssen den langsameren Fortschritt bezüglich der NETs berücksichtigen, aber auch ausrechnen, wieviel negative Emissionen wir unbedingt benötigen, um die Klimaziele zu erreichen. Das sollte dann die Politik in dem Bereich wachrütteln.“

„Die Lücke zwischen dem aktuellen Stand der Technik und den in Klimamodellen errechneten Potentialen ist groß und muss unbedingt geschlossen werden.“

„Wir brauchen eine breitere öffentliche Diskussion zu NET, und auch zu CCS und deren Beitrag zur Stabilisierung des Klimas.“

Dr. Silke Beck

Politikwissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

„Der Bericht stellt eine wichtige Intervention in klimapolitische Diskussionen auf europäischer Ebene dar. Sein Verdienst ist darin zu sehen, dass er nicht nur den Stand der Forschung zusammenfasst, sondern auf dieser Basis auch Rückschlüsse zieht, was daraus für Forschungs- und Klimapolitik folgt und dabei oftmals unbequeme Themen anspricht.“

„Der Bericht fordert einen offenen gesellschaftlichen Diskurs, wie die internationalen Klimaziele konkret in nationale Politik übersetzt werden sollen. Man kann ihn als einen Versuch begreifen, die Frage politisch neu aufzurollen, welche Rolle NETs für Forschungs-, Umwelt- und Energiepolitik auf nationaler und europäischer Ebenen haben können und sollen, und welche Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten tatsächlich auf europäischer und nationaler Ebene bestehen.“

„Zum Hintergrund: In der Klimapolitik werden häufig aus ‚natürlichen‘ Grenzen – wie dem Zwei-Grad-Celsius-Ziel – politische ‚Handlungsnotwendigkeiten‘ abgeleitet. Es wird dann von Seiten der Wissenschaften so getan, als ob es keine Alternativen – zum Beispiel zu NETs – gäbe und als ob aufgrund der Dringlichkeit keine Zeit bestünde, diese kontroversen Themen demokratisch zu entscheiden. Auf diese Weise wird das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten oftmals enggeführt.“

„Bei negativen Emissionen handelt es sich um eine hoch riskante Wette auf die Zukunft, der zufolge sich mithilfe bestimmter Technologien das Emissionsbudget – ähnlich wie bei einem Bankkredit – zunächst kurzfristig überziehen und dann im Laufe des 21. Jahrhunderts wieder ausgleichen lässt. Die Idee, man könne das Emissionsbudget überziehen, birgt gravierende politische Folgen: Zum einen wird – um weiter zu leben wie bisher – die Verantwortung, Emissionen zu reduzieren, auf zukünftige Generation übertragen. Diese Form von Sündenfall macht alle Bemühungen um Nachhaltigkeit mit einem Schlag zunichte. Zum anderen beruht die Idee, man könne das Emissionsbudget einfach überziehen, auf der trügerischen Illusion, dass diese Technologien bereits heute verfügbar sind und man diese Technologien einfach aus dem Regal ziehen und großflächig anwenden kann. Viele der NETs existieren jedoch nur in den IPCC-Modellen.“

„Die wissenschaftliche Diskussion konzentriert sich im Moment vor allem auf die technische Machbarkeit von Szenarien sowie die ökonomische Optimalität von Pfaden (Pathways). Diese Fixierung führt oftmals zur Ausblendung von Fragen nach ihrer politischen Umsetzbarkeit und ihren (nicht-intendierten) Effekten – wie ‚rebound‘-Effekten (Effizienzgewinne durch den Einsatz von Technologien werden durch verstärkte Nachfrage wieder aufgehoben; Anm. d. Red.) – vor Ort. Der Rebound-Effekt bei negativen Emissionen könnte darin bestehen, dass man heute aufhört, Emissionen zu reduzieren beziehungsweise sich weiter verhält wie bisher, in der Erwartung, dass es in Zukunft Technologien geben wird, die die Emissionen aus der Atmosphäre entfernen. Der EASAC-Bericht betont eben diese Kontextabhängigkeit von Technologien. Mit dieser Neuausrichtung wird das Bild sicherlich komplizierter, gewinnt aber auch an Bodenhaftung.“

Dr. Axel Liebscher

Leiter der Sektion Geologische Speicherung, Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ), Potsdam

„Die Studie sowie die betrachteten Klimamodelle zeigen sehr deutlich, dass wir ohne NETs mit hoher Wahrscheinlichkeit die angestrebten Klimaziele nicht erreichen können. Wir werden NETs insbesondere aus zwei Gründen benötigen: Zum einen werden wir voraussichtlich unser noch zur Verfügung stehendes Kohlenstoffbudget überschreiten, sodass wir aktiv CO2 aus der Atmosphäre entziehen müssen, zum anderen gibt es Bereiche, die weiterhin CO2 emittieren werden, wie zum Beispiel bei den prozessbedingten Emissionen. Diese können direkt über die CCS-Technologie verhindert beziehungsweise vermieden oder aber müssen über NETs kompensiert werden.“

„Die Klimamodelle zeigen, welchen Beitrag unter den jeweils angenommenen Randbedingungen – zum Beispiel konservativ oder optimistisch – NETs liefern müssten, um die Klimaziele zu erreichen. Es sind also nicht notwendigerweise die Modelle selbst, die neu beurteilt werden müssen, sondern die Interpretation der Modellergebnisse. Was die Studie in Kombination mit den Modellvorhersagen klar zeigt ist, dass wir jetzt handeln müssen und nicht auf zukünftige Technologien wie NETs setzen dürfen, unabhängig davon, ob NETs nun konservativ oder optimistisch beurteilt werden.“

„Die Klimamodelle basieren auf dem Stand von Forschung und Technik. Die Lücke besteht also nicht primär zwischen Stand von Forschung und Technik auf der einen Seite und Klimamodellen auf der anderen Seite, sondern zwischen aktuellem Stand von Forschung und Technik und dem für belastbare Aussagen notwendigen Stand von Forschung und Technik. Hier zeigt die Studie sehr deutlich, dass viele Prozesse und insbesondere die komplexen, gegenseitigen Wechselwirkungen – vor allem zwischen naturwissenschaftlichen und sozioökonomischen Aspekten – noch nicht hinreichend verstanden und damit nicht quantifizierbar sind. Dieses Verständnis ist aber notwendig, um die Potenziale von NETs nicht nur errechnen, sondern auch in ihrer Umsetzbarkeit beurteilen zu können.“

„Die zentrale Botschaft der Studie – wie übrigens auch der meisten Modelle – ist, dass wir so schnell und so breit wie möglich die Treibhausgasemissionen reduzieren müssen. Ein Warten beziehungsweise Hoffen auf zukünftige Technologien wird die Erreichung der Klimaziele nicht nur ökonomisch deutlich teurer, sondern auch sehr viel unwahrscheinlicher machen. Während jedoch zum Beispiel Effizienzsteigerungen zur Emissionsreduktion auch im (wirtschaftlichen) Eigeninteresse der Industrie und Unternehmen liegen, stellen andere Emissionsvermeidungsstrategien zunächst nur zusätzliche Kosten dar und werden deshalb ohne ein entsprechendes Anreizsystem sicherlich nicht umgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die CCS-Technologie, die aus meiner Sicht die einzige vorhandene und einsatzfähige Technologie ist, um großmaßstäbig die CO2-Emissionen zu senken. Um diese Technologien zum Einsatz zu bringen, ist es zentral, dass CO2 Emissionen einen angemessenen, realistischen Preis bekommen. Da wir aber selbst bei maximalen Anstrengungen steigende Temperaturen mit dazugehörigem Klimawandel zumindest über die nächsten Dekaden haben werden, ist es neben den notwendigen politischen Schritten, um die Treibhausgasemissionen zu senken, ebenso notwendig, sich mit den Folgen dieses unausweichlichen Temperaturanstiegs zu beschäftigen und geeignete Anpassungsstrategien zu entwickeln. Diese dürfen allerdings nicht zu Lasten der Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen gehen.“

Mögliche Interessenkonflikte

Prof. Dr. Thomas Leisner: „Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

EASAC (2018): Negative emission technologies: what role in meeting Paris Agreement targets? 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Honegger M et al. (2017): The political economy of negative emissions technologies: consequences for international policy design. Climate Policy, 1-16. DOI: 10.1080/14693062.2017.141332.

Weitere Recherchequellen

Anderson K et al. (2016): The trouble with negative emissions. Science. Vol. 354, 6309, 182-183. DOI: 10.1126/science.aah4567.

Jackson RB et al. (2017): Focus on negative emissions. Environmental Research Letters. Vol 12, 110201. DOI: 10.1088/1748-9326/aa94ff.

Rogelj J et al. (2015): Energy system transformations for limiting end of century warming to below 1.5 °C. Nature Climate Change 5, 519-528. DOI: 10.1038/nclimate2572.

Glossar

BECCS – kurz für ‚bioenergy with carbon capture and storage‘; eine Technologie für negative Emissionen, bei der Pflanzenbiomasse angebaut und anschließend in Anlagen verbrannt wird. Dabei wird das CO2 entzogen und in Bodenspeichern verpresst.

CCS – kurz für ‚carbon dioxide capture and storage‘, zu Deutsch CO2-Abscheidung und Speicherung. Diese Technologie der negativen Emissionen bildet die Grundlage für weitere, wie zum Beispiel BECCS oder DACCS.

DACCS – kurz für ‚direct air capture and carbon storage‘; eine Technologie für negative Emissionen, bei der Luftfilteranlagen CO2 aus der Umgebung filtern und in Bodenspeicher leiten.

IPCC – kurz für ‚Intergovernmental Panel on Climate Change’, der Weltklimarat.

NET – kurz für ‚negative emission technologies‘; Sammelbegriff für Technologien, die zum Beispiel CO2 aus der Atmosphäre entfernen können.