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30.08.2018

Klimawandel: Mehr Insekten können zu größeren Ernteausfällen führen

Die sich abzeichnende Klimaveränderung wird großen Einfluss auf die Landwirtschaft haben. Nicht nur, weil es zum Beispiel in einigen Regionen wärmer und trockener wird, in anderen aber mehr Regen fällt. Sondern auch, weil die steigende mittlere Temperatur das Leben vieler Insekten verändern wird, auch solcher, die von Reis, Mais oder Weizen leben, Getreidearten, die 42 Prozent der Ernährung der Menschen ausmachen. Es werde mehr Insekten geben, die pro Tier mehr fressen, schreibt ein US-Forscherteam in „Science“. Steige die mittlere Erdtemperatur um zwei Grad Celsius, wäre der Ernteverlust ihren Berechnungen nach groß: Im ungünstigsten Fall kann der Verlust durch Insekten bei der Weizenernte um bis zu 46 Prozent steigen. Die Folgen könnten Hunger und stark steigender Pestizideinsatz sein.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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  • Prof. Dr. Robert Paxton, Leiter der Arbeitsgruppe Allgemeine Zoologie am Institut für Biologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, und Mitglied des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
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  • Herr Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
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Statements

Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein

Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Die Autoren modellieren die Veränderungen der Produktion von Mais, Weizen und Reis durch Schädlingsdruck von Insekten in Zusammenhang zu prognostizierten wärmeren Temperaturen. Das Model basiert auf Wissen aus Laborexperimenten über die physiologischen Antworten der Insekten auf steigende Temperaturen. Die Schädlingspopulationen dieser Kulturpflanzen erhöhen sich durch eine gesteigerte Stoffwechselrate unter standardisierten Bedingungen. Damit ist zu erwarten, dass die Getreideproduktion pro Flächeneinheit mit zunehmender Temperatur stark abnimmt. Die Robustheit des Models wurde getestet; auch sind ökologische Faktoren, wie die natürlichen Feinde der Schädlinge, grob im Model berücksichtigt. Im Detail wurden die Interaktionen zwischen Räubern und Schädlingen nicht betrachtet. Mit einem veränderten Klima werden sich auch andere Lebensräume verändern, und dies wird Auswirkungen auf die natürlichen Feinde der Insekten haben. Deshalb und wegen anderer schwer vorhersehbarer Veränderungen in der Umwelt und in der Landwirtschaft kann so ein Model nur eine grobe richtungsweisende Aussage geben.“

„Die Studie gibt für mich die Aussage, dass sich durch den Klimawandel die Insektenpopulationen stark verändern werden. Dies kann einer von vielen Faktoren sein, der zu starken Ernteeinbußen führt. Die Klimaerwärmung wird in Deutschland durch die Trockenheit zu Ernteeinbußen bei Getreide führen. Die Pflanzen sind dann anfälliger für Schädlinge. Landwirte können mit einer Diversifizierung ihrer Anbausysteme die Wahrscheinlichkeit reduzieren, starke Gesamtproduktionseinbußen durch klimatische Veränderungen zu bekommen. Die Diversifizierung kann durch kluge Fruchtfolgen und durch den Anbau verschiedener Kulturen und Sorten innerhalb einer Kultur auf kleinerem Raum geschehen.“

„Jedes Pestizid hat und wird auch in Zukunft negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Ökologische Landwirtschaft wird nur zu einer Lösung führen, wenn sie sich weiterentwickelt und wenn wir Konsumenten verstehen, welche Konsequenzen dies für unser Leben hat, und diese akzeptieren. Unser hoher Lebensstandard und das Streben, noch bequemer zu leben, hat viele Umweltveränderungen verursacht. Die Landwirtschaft ist nur eins der Glieder, die zwischen uns und den Umweltproblemen liegen.“

Prof. Dr. Robert Paxton

Leiter der Arbeitsgruppe Allgemeine Zoologie am Institut für Biologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, und Mitglied des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

„Der außergewöhnlich warme und trockene Sommer 2018, den wir in Deutschland erlebt haben, hat zu erheblichen Ertragseinbußen bei Ackerkulturen wie Raps, Weizen und Gerste geführt. Die neue Studie legt nun nahe, dass die Ertragseinbußen in einem sich erwärmenden Klima hoch bleiben dürften, nicht nur wegen des direkten Einflusses von Wärme auf das Pflanzenwachstum, sondern wegen zunehmender Verluste durch Insektenschädlinge. Die Autoren haben bereits in der Vergangenheit gezeigt [1], dass erhöhte Temperaturen zu einem schnelleren Populationswachstum von Insekten in gemäßigten Zonen führen können – allerdings nicht in tropischen Zonen. Anhand detaillierter Aufzeichnungen über Ernteerträge, Schädlingsbefall und zukünftige Klimaszenarien zeigen die Autoren nun in ihrer aktuellen Studie, dass die durch den Klimawandel verursachten steigenden Temperaturen auch in den gemäßigten Zonen, in denen die meisten dieser Grundnahrungsmittel produziert werden, zu großen Ertragsverlusten bei Weizen, Reis und Mais führen werden.“

„Die Modellierung ist robust, die Schlussfolgerungen stimmen, und die Vorstellung, dass in einer bereits intensiv bewirtschafteten und besprühten Landschaft noch mehr Insektizide zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt werden, ist nicht wünschenswert. Doch wie bei jeder Studie bleibt eine Vielzahl von Fragen offen: Wie wird sich die landwirtschaftliche Produktion in den gemäßigten Zonen in einem wärmeren Klima verändern? Wie werden natürliche Feinde von Pflanzenschädlingen, einschließlich anderer Insektenfresser, ebenfalls auf eine sich erwärmende Welt reagieren und wie sehr die Schädlingspopulationen reduzieren? Dennoch ist die Studie eine deutliche Warnung, dass wir die zukünftige Ernährungssicherheit für eine wachsende Weltbevölkerung im Auge behalten müssen.“

Herr Prof. Dr. Teja Tscharntke

Leiter der Abteilung Agrarökologie, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen

„Die AutorInnen treffen Voraussagen, wonach die in den kommenden Jahrzehnten zu erwartende globale Temperaturerhöhung zu dramatischen Verlusten der Erträge von Mais, Reis und Weizen führen sollte. Ihre Prognosen fußen auf den wohl bekannten, positiven Beziehungen zwischen der Temperatur und der Stoffwechselrate sowie dem Populationswachstum von Insekten. Deswegen sind die Erwartungen an Ertragsverluste auch viel höher in unseren gemäßigten Breiten als in den Tropen, wo die Temperaturen oft schon im Optimalbereich liegen. Die Modellberechnungen berücksichtigen viele wichtige Faktoren, aber viele andere nicht – beispielsweise die Bedeutung der Identität der Schädlingsart, obwohl artspezifische Antworten auf Temperaturerhöhung zu erwarten sind. Auch das Aufkommen neuer, als Schädling bisher unbedeutender oder gar unbekannter Arten ist anzunehmen.“

„Zudem werden auch andere, von den AutorInnen nicht berücksichtigte Klimafaktoren eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die zu erwartenden Wetterextreme (sehr heiße oder sehr kalte sowie sehr trockene oder sehr feuchte Jahre). Der klimatische Einfluss auf die Schädlinge wird auch davon abhängen, wie die Steuerung der Entwicklungsruhe (Diapause) oder der Einfluss auf Populationen natürlicher Gegenspieler ausschauen wird.“

„Trotz aller Unsicherheiten, die solche Modell-Prognosen naturgemäß begleiten, ist sicher von unwirtlicheren Bedingungen für die Landwirtschaft der Zukunft auszugehen. Der Klimawandel wird es notwendig machen, die gegenwärtige Praxis beim Nutzpflanzenanbau zu überdenken. Dazu gehört, die Auswahl und Züchtung von Pflanzensorten stärker als bisher darauf auszurichten, Wetterextreme zu tolerieren und Resistenzen gegenüber Schädlingen einzubauen. Neben der Sortenwahl ist eine Diversifizierung des Anbaus durch Mischkulturen sowie die Etablierung langer Fruchtfolgen ein bewährtes Mittel, auf biologische Weise möglichen Schädlingskalamitäten Herr zu werden. Zudem würde eine Erhöhung des Strukturreichtums der Agrarlandschaften die natürlichen Gegenspieler von Schädlingen fördern, sodass Ernteverlusten vorgebeugt wird, ohne die bekannten negativen Umwelteffekte von erhöhtem Pestizideinsatz in Kauf zu nehmen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Deutsch C et al. (2018): Increase in crop losses to insect pests in a wartime climate. Science; 36: 916-919. DOI: 10.1126/science.aat3466.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Deutsch C et al. (2008): Impacts of climate warming on terrestrial ectotherms across latitude. PNAS; 105: 6668-6672. DOI: 10.1073/pnas.0709472105