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06.07.2016

Klimaschutzplan 2050

In dieser Woche fand der Petersberger Dialog statt, in dessen Rahmen Kanzlerin Angela Merkel einräumte, die Diskussion über den Klimaschutzplan 2050 innerhalb der Bundesregierung sei „ausgesprochen schwierig“. Vergangene Woche war ein Entwurf des Plans an die Öffentlichkeit gelangt. Erste Reaktionen deuten darauf hin, dass der Klimaschutzplan hinter den Erwartungen von Nichtregierungsorganisationen und Oppositionspolitikern zurückbleibt. Auch Forscher sehen noch Verbesserungsmöglichkeiten.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin
  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW, Berlin
  • Prof. Dr. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg OTH, Regensburg
  • Prof. Dr. Niklas Höhne, Leiter und Geschäftsführer, NewClimate Institute, Köln
  • Prof. Dr. Joachim Knebel, Bereichsleiter Bereich 3 Maschinenbau und Elektrotechnik, Karlsruher Institut für Technologie KIT, Eggenstein-Leopoldshafen
  • Dr. Hans Schipper, Institut für Meteorologie und Klimaforschung Süddeutsches Klimabüro, Karlsruher Institut für Technologie, KIT

Prof. Dr. Volker Quaschning

Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin

"Der neue Klimaschutzplan setzt sich zum Ziel, Treibhausgasemissionen bis 2050 nahezu vollständig zu vermeiden. Damit nähern sich die deutschen Ziele den Erfordernissen der Pariser Klimaschutzbeschlüsse spürbar an. Das ist klar zu begrüßen, auch wenn dann die Wahrscheinlichkeit zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5°C bereits unter 50 Prozent liegt. Leider beinhaltet der Klimaschutzplan keinerlei schlüssiges Gesamtkonzept, wie diese Ziele auch erreicht werden sollen. Genauso gut könnte die Regierung auch das Ende der Kinderarmut oder den Weltfrieden bis 2050 postulieren."

"Würde man das Tempo der Energiewende der Jahre 2000 bis 2015 linear fortsetzen, wäre die Dekarbonisierung der Energieversorgung erst um das Jahr 2150 abgeschlossen. Für das Einhalten des Klimaschutzplans müsste das Tempo der Energiewende daher über alle Sektoren hinweg um den Faktor drei bis vier gesteigert werden. Stattdessen plant die Regierung eine deutliche Reduktion des Windenergiezubaus. Wenn die Bekenntnisse zum Klimaschutz wirklich ernst gemeint wären, müssten auch einschneidende Maßnahmen folgen wie der Kohleausstieg bis 2030, eine sofortige deutliche Erhöhung des Zubaus von Windkraft- und Solaranlagen, keine Neuzulassungen von Benzin- und Dieselautos und das Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen spätestens bis 2030."

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW, Berlin

„Die jetzige Version des Klimaschutzplans wird nicht ausreichen, um sowohl die selbst gesteckten als auch die im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Leider sind die Ziele und Maßnahmen der ursprünglichen Version (des Klimaschutzplan-Entwurfs, Anm. d. Red.) des Bundesumweltministeriums so stark verwässert worden, dass die notwenigen Schritte nicht eingeleitet werden. Ohne einen Kohleausstieg vor dem Jahr 2050, ohne konkrete Ziele zur Treibhausgassenkung im Verkehrssektor und den Umstieg auf nachhaltige Mobilität, und ohne die Senkung des fossilen Energieverbrauchs werden die Klimaziele nicht erreicht werden können. Der Klimaschutzplan verkennt die wirtschaftlichen Chancen einer konsequenten Energiewende. Je länger die bisherigen Strukturen aufrecht erhalten werden, und je länger der notwenige Strukturwandel aufgehalten wird, desto teurer wird es aus volkswirtschaftlicher Sicht.“

Prof. Dr. Michael Sterner

Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES, Ostbayerische Technische Hochschule OTH, Regensburg

„Im Entwurf des Klimaschutzplans werden viele wichtige und richtige Maßnahmen für die Dekarbonisierung von Strom, Wärme, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft aufgezeigt. Der Plan ist progressiv geschrieben und trägt klar die Handschrift des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Viele Punkte in der aktuellen Gesetzgebung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), des Bundesfinanzministeriums (BMF), des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) widersprechen den korrekten Aussagen und Ableitungen, die im Plan getroffen werden.“

„Im Entwurf wird korrekterweise die Korrelation zwischen unseren CO2-Emissionen und den Folgen der Klimaerwärmung wie Ertragsausfällen und den daraus resultierenden Konflikten in anderen Weltregionen dargestellt. Damit hat der CO2-Ausstoß in Deutschland durch die Nutzung von Kohle, Öl und Gas eine klare Verbindung zu den Fluchtursachen und den Flüchtlingsströmen nach Europa. Der Kreis schließt sich, und wir können davor nicht länger die Augen schließen. Daraus leitet sich zwangsweise ab, dass wir Deutschland bis 2050 dekarbonisieren müssen, wie zahlreiche Studien (z. B. des Umweltbundesamtes) belegen.“

„Umso erstaunlicher ist es, dass kein klarer Kohleausstieg, kein Erdgasausstieg und kein Erdölausstieg formuliert werden. Der Staatssekretär des BMWi Rainer Baake hat in einem Essay die Konsequenzen bereits gezogen: Ab 2030 dürfen weder fossil-befeuerte Verbrennungsmotoren in Fahrzeugen, noch Kohle-, Öl- oder Erdgasheizungen neu zugelassen werden. Wo aber bleibt die Konsequenz dieser Erkenntnisse im politischen Handeln? Auch wenn die Aufgaben groß sind, braucht Deutschland samt Industrie verlässliche Leitplanken und Richtungsangaben, um diese große Transformation zu vollziehen.“

„Der damit einhergehende Strukturwandel trifft einige Regionen besonders hart. Hier gilt es, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und frühzeitig Pläne zu erarbeiten. Das Positive daran ist, dass mit jedem wegfallenden Arbeitsplatz in der fossilen Wirtschaft neue Arbeitsplätze in der erneuerbaren Wirtschaft entstehen.“

„Positiv ist, dass die Bedeutung der Sektorenkopplung endlich erkannt wird. Wir publizieren dazu seit Jahren, dass erneuerbarer Strom zur Primärenergie wird, und die Dekarbonisierung weitgehend vom Stromsektor ausgehen wird. Entsprechend sind energiepolitische Weichenstellungen in allen Energiegesetzen nötig, und eine abgestimmte Planung von Energieinfrastrukturen wie z. B. Strom – Wärme – Gas. Dafür sind eine ressortübergreifende Abstimmung aller Ministerien und eine gemeinsame Sprache nötig. Das wird das Hauptmanko sein, weil die Zuständigen zwar das Fernziel erkennen, es aber großen Streit über den Weg und die Zeitpunkte gibt.“

„Der verzögerte Netzausbau wird anerkannt, aber die Alternativen wie Energiespeicher werden zu wenig beleuchtet. Energiespeicher sind eine Notwendigkeit in der Sektorkopplung und der Dekarbonisierung von Verkehr- und Chemiesektor. Es werden erste Ansätze skizziert, die ausbaufähig sind. Vor allem in Norddeutschland wird derzeit viel Windstrom produziert aber nicht genutzt, mit zwei Milliarden Folgekosten. Wenn in diesen Regionen die Verwertung der Überschüsse für die Sektorkopplung und Energiespeicherung zugelassen wird, wäre das ein gewaltiger Schritt nach vorne.“

„Positiv ist ferner, dass die Dezentralisierung der Energieversorgung als wichtige Maßnahme zur Sicherung der gesellschaftlichen Akzeptanz gesehen wird. Diese fand bisher viel zu wenig Beachtung in solchen Klimaschutzplänen.“

Prof. Dr. Niklas Höhne

Leiter und Geschäftsführer, NewClimate Institute, Köln

„Der Klimaschutzplan ist ein guter Start, reicht aber noch nicht aus, die Anforderungen des Pariser Abkommens zu erfüllen. Die im Entwurf genannten Ziele (mindestens 55 Prozent (CO2 Reduktion, Anm. d. Red.) bis 2030 und 70 Prozent bis spätestens 2040) entsprechen noch nicht dem, was ein ‚fairer’ Beitrag Deutschlands wäre, den globalen Temperaturanstieg auf ‚weit unter’ 2°C und in Richtung 1,5°C zu senken, wie es das Pariser Abkommen vorschreibt. Die deutschen Ziele könnten mit Paris kompatibel sein, wenn man in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts CO2 in großem Stil wieder aus der Atmosphäre entfernt. Dazu wäre CO2-Abscheidung und -Speicherung nötig, eine Technologie, die die Bundesregierung gerade sehr begrenzt hat.“

„Des Weiteren fehlen konkrete Emissionsreduktionsziele für einzelne Sektoren. Der Entwurf enthält keinen konkreten Plan aus der Kohlverstromung auszusteigen. Essenziell wichtig für den Klimaschutz ist ein klarer Aufstiegspfad. Der Stromsektor müsste vor allen anderen Sektoren nahe null Emissionen erreichen, also deutlich vor 2050. Im Gebäudesektor ist die Rate der energetischen Sanierung von Altbauten eine wichtige Zielgröße. Sie müsste von heute etwa 1 Prozent auf mehrere Prozent pro Jahr angehoben werden.“

Prof. Dr. Joachim Knebel

Bereichsleiter Bereich 3 Maschinenbau und Elektrotechnik, Karlsruher Institut für Technologie KIT, Eggenstein-Leopoldshafen

„Der Klimaschutzplan 2050 beschreibt im Entwurf die klimaschutzpolitischen Grundsätze und Ziele der Bundesregierung im Sinne einer langfristigen Orientierung für den nationalen und internationalen Klimaschutz. Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verabschiedete am 22. April 2016 das Paris-Abkommen. Hier vereinbarte die Weltgemeinschaft das rechtlich verbindliche Ziel, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Kelvin gegenüber vorindustriellen Werten zu halten und entschiedene Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1.5 Kelvin über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Ein Erreichen dieses Ziels bedeutet, dass die schlimmsten Folgen des Klimawandels vermieden werden und die Realisierung von Anpassungsoptionen erhalten bleibt.“

„Aus der Sicht der Forschung, speziell der nationalen Vorsorgeforschung, ist positiv hervor zu heben, dass der Klimaschutzplan eine konkrete Perspektive bis 2050 aufspannt und neben den klassischen Feldern ‚Energiewirtschaft’, ‚Bauen und Wohnen’ und ‚Mobilität’ auch die Bereiche ‚Industrie und Wirtschaft’, ‚Landwirtschaft’ sowie ‚Landnutzung und Forstwirtschaft’ beinhaltet. Weiterhin ist positiv anzumerken, dass auf die immer enger werdende Verknüpfung zwischen den Sektoren Stromerzeugung, Wärme-/Kälteerzeugung und Mobilität ausführlich eingegangen wird und auch Bereiche wie das Finanzsystem, die Stadtentwicklung, die öffentliche Beschaffung, die Forschung und die Bildung ausführlich betrachtet werden. Der Aufbau der Argumentation, bei der für jedes Themenfeld von der Darstellung der Ausgangslage, über das Leitbild 2050 und dem Transformationspfad bis zu den Meilensteinen die zu ergreifenden Maßnahmen dargestellt werden, ist in sich stimmig. Es wird gut herausgearbeitet, dass für viele relevante Bereiche Studien und Gutachten vorhanden sind oder sich in der Erarbeitung befinden. Die zu ergreifenden Maßnahmen sind in der Regel relativ unkonkret formuliert: In manchen Bereichen werden Maßnahmen gefordert, die in direktem oder indirektem Widerspruch zu aktuellen politischen Entscheidungen stehen, so zum Beispiel die Forderung nach einem Ausbau der Photovoltaik von 2.5 Gigawatt jährlich.“

„Ein wichtiges Thema für die Energiewende in Deutschland sind die Bürgerenergie-Projekte. Hierzu wird im Klimaschutzplan leider nur relativ allgemein formuliert, dass die Vielfalt der Akteure gewahrt werden muss. Dies wird der zentralen Rolle dieses Elementes der Energiewende, sowohl was die Möglichkeit der Aktivierung von Kapital als auch der Reduzierung von Leitungsverlusten, der Hebung von lokaler Wertschöpfung und nicht zuletzt von notwendiger Akzeptanz für die Energiewende nicht gerecht.“

„Bezüglich der Digitalisierung wird lediglich auf die Chancen zur Hebung von Synergiepotenzialen abgehoben, ohne auf mögliche negative Effekte wie Datenmissbrauch und Erhöhung des Energieverbrauchs einzugehen. Nicht widerspruchsfrei ist die Forderung, dass die Bundesregierung deutlich vor einer Verringerung der Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle in den kommenden Jahren schrittweise einen Regionalfonds für die Kohleregionen aufbauen will. Wie diese zeitliche Perspektive des Kohleausstiegs mit der notwendigen Verringerung der CO2-Emissionen einhergehen soll, ist nicht deutlich herausgearbeitet geworden. Weitere thematische Aspekte, die einer weiteren Konkretisierung bedürfen, sind die konkrete Bewerkstelligung einer notwendigen Verringerung der Flächeninanspruchnahme, einer Verringerung der Produktion von tierischen Nahrungsmitteln und einer Umstellung auf emissionsarme Fahrzeugantriebe.“

„Trotz dieser wenigen Unklarheiten im Detail gilt für mich: Das Gesamtpapier ‚Klimaschutzplan 2050‘ ist ein gelungener Entwurf und erster Aufschlag, der eine sehr gute und ermutigende Grundlage bildet, um einen Rahmen für die Klimapolitik der Bundesregierung der nächsten Jahrzehnte zu bilden und Rahmenbedingungen für die nationale Vorsorgeforschung aufzuzeigen.“

Dr. Hans Schipper

Institut für Meteorologie und Klimaforschung Süddeutsches Klimabüro, Karlsruher Institut für Technologie KIT, Karlsruhe

„Der Klimaschutzplan bietet gute Anreize, die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen mit der Energiewende in den verschiedenen Handlungsfeldern in Einklang zu bringen. Durch eine Reihe an konkreten Maßnahmen kann der Plan in den nächsten Jahrzehnten nicht nur umgesetzt, sondern auch geprüft werden. Neben einer ständigen Aktualisierung des Klimaschutzplans alle fünf Jahre wäre eine laufende Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse als fester Bestandteil des Plans wünschenswert. Bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen spielt ebenfalls die Akzeptanz in der Bevölkerung und die Mitwirkung der Bürger eine entscheidende Rolle. Inwiefern die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich auf regionaler und kommunaler Ebene langfristig verankert werden können, bleibt noch abzuwarten.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Weitere Recherchequellen

Rogelj J. et al. (2016): Paris Agreement climate proposal need a boost to keep warming well below 2°C. Nature 534, 29.06.2016, 631-639, doi:10.1038/nature18307: http://go.nature.com/299hFBz

Pao-Yu O. et al. (2014): Kohleverstromung gefährdet Klimaschutzziele: Der Handlungsbedarf ist hoch. DIW-Wochenbericht Nr. 26, 2014, 603-613: http://bit.ly/295kHnI