WMO-Bericht zum Zustand des Klimas 2023: Wie geht es weiter?
2023 hat laut WMO-Bericht diverse Klima-Rekorde aufgestellt
Meerestemperaturen sind seit einem Jahr ungewöhnlich hoch
Entwicklungen laut Forschenden extrem, aber im Rahmen von Klimavorhersagen; Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren macht Hoffnung
Das Jahr 2023 hat in vielerlei Hinsicht Klima-Rekorde aufgestellt. Die globale Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche lag 1,45 Grad über dem vorindustriellen Referenzwert. Das Jahr war damit das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Ein Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), der am 19.03.2024 erschienen ist, fasst die Entwicklungen zusammen (siehe Primärquelle). Dabei geht es um klimatische Variablen wie Niederschlag und Temperatur, aber auch um Extremwettereignisse, soziale und ökonomische Folgen des Klimawandels und Entwicklungen im Klimaschutz.
Klimaphysiker und Arbeitsgruppenleiter, Abteilung Klimadynamik, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023
„Der Bericht listet zahlreiche Indikatoren auf, die das ungebremste Fortschreiten des Klimawandels klar dokumentieren. Nicht nur die große Zahl kurzfristiger Extreme wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen, sondern auch die dokumentierte Entwicklung langsamerer Folgen der Erwärmung sind eindeutige Zeichen eines zunehmend starken Wandels. Hierzu zählt insbesondere die stetige Zunahme der Wärmemenge in den Meeren, der schneller werdende Schwund der Eisschilde und Gletscher und der daraus resultierende beschleunigte Meeresspiegelanstieg.“
„Das zunehmende Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine ungemein wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Dekarbonisierung. Erneuerbare Energien allein genügen jedoch bei weitem nicht, um Netto-Null-Emissionen gegen Mitte des Jahrhunderts zu erreichen. Dazu müsste gleichzeitig die Förderung fossiler Brennstoffe entsprechend heruntergefahren werden und das erhebliche Potenzial natürlicher Kohlenstoffsenken müsste durch einen anderen Umgang mit den Landoberflächen besser genutzt werden.“
Konsistenz mit Klimamodellierungen
„Die Entwicklung ist im Wesentlichen konsistent mit den Projektionen der Klimamodelle. Übrigens ist die Unsicherheit darüber, wie stark die langfristige Erwärmung bei einem bestimmten Emissionspfad sein wird, noch unangenehm groß. Mit der Jahr für Jahr wachsenden Datengrundlage können wir die erwartete Erwärmung zunehmend besser eingrenzen. Die sich abzeichnende kräftige Entwicklung spricht gegen eine Erwärmung im vergleichsweise moderaten Bereich.“
Kommunikation der WMO zum 1,5-Grad-Ziel
„Ich finde es in Ordnung und sinnvoll, die Entwicklung in Bezug zum 1,5-Grad-Ziel zu setzen, solange richtig eingeordnet wird, dass es sich erst einmal um ein einzelnes Jahr handelt, während das 1,5-Grad-Ziel längerfristig zu verstehen ist. Mein Eindruck ist, dass diese Einordnung im Bericht auch gemacht wird.“
Ausblick auf 2024 und die kommenden Jahre
„In vielen Meeresregionen ist durch ein Abklingen von El Niño in den nächsten Monaten mit einer gewissen Beruhigung zu rechnen, sodass sich die Temperaturen um das langfristig erhöhte Niveau herum erstmal wieder einpendeln dürften. Unklar ist jedoch, wie es mit den Rekordtemperaturen im Atlantik weiter geht. Nachdem der Nordatlantik seit März 2023 außergewöhnlich hohe Temperaturen aufweist, zeichnet sich seit Dezember im Südatlantik eine ähnliche Entwicklung ab. Im Atlantik sind solch hohe Temperaturen keine typische Begleiterscheinung von El Niño. Wahrscheinlich spielen natürliche Schwankungen beim Geschehen im Atlantik eine Rolle. Es werden aber auch andere Faktoren diskutiert, die beitragen könnten. Hierzu zählt eine Verminderung der Schwefelemissionen aus dem Schiffsverkehr seit 2020 sowie der Ausbruch eines Unterwasser-Vulkans in 2022. Solange das noch nicht genauer verstanden ist, fällt es schwer, die weitere Entwicklung abzuschätzen. Ich vermute, dass natürliche Schwankungen eine große Rolle spielen und sich daher auch die Anomalien im Atlantik wieder etwas beruhigen dürften.“
„Die unsichere Entwicklung im Atlantik dürfte auch darauf Einfluss haben, ob 2024 im globalen und jährlichen Mittel wärmer wird als 2023. Typischerweise sind die jeweils zweiten El Niño-Jahre noch wärmer als die ersten. Aktuell halte ich beides für ungefähr gleich wahrscheinlich. Dagegen können wir tendenziell damit rechnen, dass die global und jährlich gemittelte Temperatur ab 2025 wieder etwas niedriger ausfallen dürfte. Neue globale Wärmerekorde sind vermutlich mit dem nächsten El Niño zu erwarten.“
Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen
Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023
„Mich als Meeresbiologe beunruhigt insbesondere, dass die Geschwindigkeit der Meereserwärmung weiter zunimmt. Sicherlich war 2023 ein außergewöhnliches Rekordjahr mit extrem hohen Wassertemperaturen an vielen Standorten. Hierbei spielt das El-Niño-Klimaphänomen offensichtlich eine wichtige Rolle. Aber viele Daten in dem Bericht deuten an, dass das Jahr 2023 wahrscheinlich die neue Normalität werden wird.“
„Ein wenig Hoffnung geben die angegebenen Zahlen zum Ausbau der erneuerbaren Energiequellen. Es ist gut, dass wir hier in Bewegung kommen. Allerdings ist die Geschwindigkeit dieser Energiewende aller Voraussicht nach nicht schnell genug, um in der nahen Zukunft – das heißt in den nächsten zehn Jahren – einen Effekt auf die Meereserwärmung zu sehen. Wir müssen also unbedingt noch schneller mit der Energiewende werden, besser in der Vermeidung von Treibhausgasemissionen und zugleich müssen wir möglichst schnell technische Lösungen entwickeln, um Treibhausgase aus der Atmosphäre nachhaltig zu entfernen.“
Hohe Meerestemperaturen und marine Ökosysteme
„Auf der Südhalbkugel herrschen im aktuellen Spätsommer sehr hohe Wassertemperaturen jenseits der 30 Grad Celsius, die zu Korallenbleichen führen. Das australische Great Barrier Reef beispielsweise ist im Moment über eine Länge von über 1000 Kilometern von einer ausgedehnten Korallenbleiche betroffen. Es die fünfte Massenbleiche an diesem Riff in den letzten acht Jahren. Es tritt also genau das ein, was befürchtet wurde: Korallenbleichen treten immer häufiger und inzwischen fast jährlich auf. Damit haben die gebleichten Korallen immer weniger Zeit, sich von einer Bleiche zu erholen, bevor die nächste Bleiche auf sie zukommt. Dies führt leider oft zu einem Absterben der geschwächten Korallen.“
„Ich gehe weiterhin davon aus, dass wir auch auf der Nordhalbkugel, vor allem in der Karibik, dieses Jahr wieder frühe und weitreichende Korallenbleichen erleben werden, denn die Wassertemperaturen im Rekordjahr 2023 waren so hoch, dass sie im Winter nicht so abgekühlt sind wie in den Vorjahren. Alles in allem ist das also global gesehen eine extrem angespannte Situation, vor allem für hitzeempfindliche Meeresorganismen wie Korallen und die wertvollen Riff-Ökosysteme, die sie bauen.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig
Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023
„Die nackten klimatologischen Fakten haben allesamt 2023 für neue Rekorde gesorgt – über Landflächen, über den Ozeanen, speziell über dem Nordatlantik, aber auch in Deutschland wo 2023 das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn war. Daneben ist besonders beunruhigend, dass die Zahl der von Überschwemmung und Dürre betroffenen Menschen im globalen Süden stark zugenommen hat. Damit einhergehend hat sich nicht nur die Zahl der zur Flucht gezwungenen Menschen deutlich erhöht, auch das Problem der Unterernährung hat nach Jahren der Besserung seit circa fünf Jahren global wieder zugenommen. Die Anzahl der von akutem Nahrungsmangel betroffenen Menschen hat sich seit 2019 gar verdoppelt. Die ungleichmäßigen Auswirkungen des Klimawandels, die mit Konflikten und ökonomischen Krisen einhergehen, machen sich somit schon jetzt deutlich bemerkbar.“
„In der öffentlichen Debatte wird hingegen weiterhin so getan, als würden uns einerseits die Probleme des globalen Südens nicht tangieren und als wären andererseits die Klimawandelfolgen durch Technologie schon irgendwie zu bewältigen. Der fehlende Wille einiger Akteure, die Klimakrise ernst zu nehmen, führt auch hierzulande mittlerweile zu konkreten politischen Konflikten und Erosionserscheinungen, die schlimmstenfalls zum Machtgewinn extrem rechter und destruktiver Kräfte führen können. Zumal es sich nicht herumgesprochen zu haben scheint, dass sich Deutschland bereits um knapp über zwei Grad erwärmt hat – 100 Prozent menschengemacht. Tatsache ist, dass die durch Nichthandeln entstehenden Klimawandelfolgekosten die nötigen Kosten, um den Klimawandel rechtzeitig zu stoppen, um fast den doppelten Betrag jährlich übersteigen werden. Mit anderen Worten: Je mehr jetzt investiert wird, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden, desto mehr Geld wird insgesamt mittelfristig gespart. Oder noch einfacher: Heutige Untätigkeit wird unsere Kinder und Enkel teuer zu stehen kommen.“
„Anlass zur Hoffnung besteht hingegen hinsichtlich der globalen Energiewende. Der Zuwachs erneuerbarer Quellen hat sich 2023 um circa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Entsprechend ist das Ziel der Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energiequellen bis 2030 – ausgehend von 2023 – durchaus realistisch. Skaleneffekte bescheren insbesondere der Solarenergie extreme Wettbewerbsvorteile, sodass fossile Energieträger zur Primärenergiegewinnung eine immer geringere Rolle spielen.“
Konsistenz mit Klimamodellierungen
„Das Rekordjahr 2023 ist absolut konsistent mit den Vorhersagen der Klimamodelle und unserem Verständnis des Klimasystems. Während einige Monate durchaus überraschend hohe neue Rekorde aufgestellt haben, sind solche Sprünge auch in den Modellen zu finden. El Niño ist immer ein potenter Auslöser für neue Rekorde. 2023 kamen einige Episoden mit hoher Temperaturabweichung auf der Südhemisphäre – im Juli und September – sowie im Nordatlantik – vor allem im Juni und Juli – dazu. Beides ist im Rahmen der natürlichen Variabilität.“
„Das zeitgleiche Auftreten mit El Niño hat die Abweichungen so stark nach oben getrieben. So wurden auf dem Nordatlantik schwächere Westwinde und deutlich schwächere Passatwinde als üblich beobachtet, wodurch sich das oberflächennahe Wasser im Sommer stark aufheizen kann. Außerdem wird dadurch weniger Wüstenstaub von der Sahara auf den Atlantik getragen, wodurch mehr Sonnenstrahlung die Ozeanoberfläche erreicht, was zu weiterer Erwärmung führt. Sobald sich die Winde wieder normalisieren, werden auch die Temperaturen wieder zurückgehen.“
Kommunikation der WMO zum 1,5-Grad-Ziel
„Um die Globaltemperatur von 2023 generell einzuordnen zu können, ist die Kommunikation der Durchschnittstemperatur richtig und wichtig. Dass in dem Kontext das zehnjährige Mittel mitkommuniziert wird, ist ebenfalls akzeptabel. Allerdings sind beide Werte für Nicht-Experten oft schwer auseinanderzuhalten. Hier würde ich mir wünschen, dass man den 20-Jahres-Trend stärker in den Vordergrund rückt und den jeweiligen Jahreswert nur als Ergänzung mitliefert. Man könnte es auch als ,Rauschen‘ um den Trend bezeichnen.“
„Für die Bestimmung des 20-Jahres-Trends mit aktuellem Jahr als Mittelwert stehen mittlerweile mehrere verlässliche Methoden zur Wahl. Copernicus hat zum Beispiel ein Tool entwickelt, mit dem mittels 30-Jahres-Trend und Extrapolation das Jahr der Überschreitung von 1,5 Grad global gut abgeschätzt werden kann [1]. Eine solche Grafik, in der der Wert für 2023 optimal kontextualisiert werden kann, würde ich mir für sämtliche Kommunikationsbemühungen wünschen, was Jahres- beziehungsweise Rekordwerte angeht.“
Ausblick auf 2024 und die kommenden Jahre
„El Niño ist bereits in der Auflösungsphase. Die Ozeantemperaturen im tropischen Pazifik werden nun kontinuierlich sinken und wahrscheinlich werden in der zweiten Jahreshälfte La-Niña-Bedingungen herrschen. Der Nordatlantik ist gegenwärtig immer noch vergleichsweise warm. Hier hängt die weitere Entwicklung von den Windanomalien ab. Eine Vorhersage dazu ist – im Gegensatz zum Pazifik – zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich.“
„Es müssten aus jetziger Sicht schon einige Zufälle zusammenkommen, dass 2024 noch einmal wärmer als 2023 wird. Dazu sind die ersten zweieinhalb Monate zu unauffällig geblieben, was die Globaltemperatur angeht. Üblicherweise ist das Jahr nach El Niño – im aktuellen Fall also 2024 – durch die angesprochenen Anomalien im Nordatlantik das wärmere Jahr. Aber vor allem in der Südhemisphäre war 2023 wärmer als der Erwartungswert. 2024 müsste auf der Südhalbkugel demnach mit ähnlichen Rekorden aufwarten, um noch einmal wärmstes Jahr zu werden. Das ist denkbar, aber in meinen Augen unwahrscheinlich. Daher wird 2024 realistischerweise gleich warm oder etwas kühler als 2023 ausfallen. 2025 wird dann ziemlich sicher noch einmal unter beiden Jahren liegen.“
Hohe Meerestemperaturen und marine Ökosysteme
„Für die Ozeane und damit die marinen Ökosysteme war 2023 ein verheerendes Jahr. Fast überall hat es im Laufe des vergangenen Jahres starke marine Hitzewellen gegeben. El Niño ist allgemein ein Auslöser für Massensterben von Korallenriffen. Der fortschreitende Klimawandel macht die Situation für Korallen aber auch so immer schwieriger. Es mag zwar resistente Formen geben, die sich auch an wärmeres Wasser anpassen können, dies ist bisher jedoch reine Spekulation. Fischsterben und Ozeanversauerung sind weitere Probleme, die die Vielfalt mariner Ökosysteme bedrohen. Mit der nun anstehenden La Niña wird es zwar eine Atempause für einige Korallenriffe geben, die Zahl mariner Hitzewellen wird dennoch nur geringfügig abnehmen.“
Professor für Meteorologie, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023
„Besonders beunruhigend und zu wenig präsent in der öffentlichen Debatte sind die Hitzewellen in den oberflächennahen Regionen der Weltmeere im Jahre 2023. An jedem Tag des Jahres 2023 war fast ein Drittel der Fläche der Weltmeere von einer ozeanischen Hitzewelle betroffen. Seite 2023 liegt die globale Mitteltemperatur an der Oberfläche der Weltmeere in jedem Monat deutlich über den bisherigen Extremwerten. Trotz El Niño war dies so nicht zu erwarten gewesen. Neben dem Stress für marine Ökosysteme erhöht das den Wasserdampfgehalt der Atmosphäre und das Potenzial für Starkniederschläge beziehungsweise für extreme Entwicklungen von tropischen Zyklonen. Darüber hinaus steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die globale Mitteltemperatur auch 2024 weiterhin im Rekordbereich verharrt.“
„Der starke Ausbau erneuerbarer Energien gibt Anlass zur Hoffnung. Hier kann ein ,Kipppunkt‘ erreicht werden, indem die meisten Länder ihre Stromversorgung sehr rasch und unumkehrbar mit erneuerbaren Energien sicherstellen.“
Konsistenz mit Klimamodellierungen
„Für die Temperaturen lässt sich konstatieren, dass ein Jahr wie 2023 zwar extrem, aber im derzeitigen, durch den Menschen erwärmten Klima nach den Klimasimulationen bereits möglich ist. Nicht alle Extremwetterereignisse können dagegen mit den derzeitigen Klimamodellen simuliert werden. Dies gilt für den Mittelmeerzyklon Daniel, der die Überschwemmungen in Libyen auslöste, oder den Hurrikan Otis, der die mexikanische Küstenstadt Acapulco verwüstete.“
Kommunikation der WMO zum 1,5-Grad-Ziel
„Hier gibt es natürlich Raum für Misskommunikation. Es wird aber klar gesagt, dass der Wert vorübergehender Natur ist. Klar ist, dass Anfang 2023 nicht erwartet wurde, dass wir bereits jetzt in den Bereich der 1,5 Grad kommen werden.“
Ausblick auf 2024 und die kommenden Jahre
„Es ist zu erwarten, dass die Meerestemperaturen im Jahr 2024 weiterhin rekordverdächtig bleiben, aber in den nächsten Monaten wieder häufiger nicht den bisherigen Rekordwert überbieten werden. Da es eine mehr als 50-prozentige Wahrscheinlichkeit für ein La-Niña-Ereignis in der zweiten Jahreshälfte 2024 gibt und im Sommer ziemlich sicher neutrale Verhältnisse im pazifischen Ozean herrschen werden, wird 2024 daher aller Wahrscheinlichkeit kühler als 2023 werden. Für das Jahr 2025 und danach halte ich Prognosen derzeit aber für zu unsicher.“
Leiterin der Arbeitsgruppe Riffsysteme, Abteilung Ökologie, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), Bremen
Hohe Meerestemperaturen und marine Ökosysteme
„Obwohl das globale Ausmaß der Zerstörung von Korallenriffen nach der Rekordhitze 2023 noch nicht veröffentlicht wurde, werden die Nachrichten nicht gerade erbaulich sein. Der Temperaturanstieg im Jahr 2023 führte nicht nur dazu, dass die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in vielen Regionen ein hohes Risiko für Massenbleiche und Sterblichkeit anzeigte, sondern auch dazu, dass drei weitere Kategorien von Hitzestress zu ihrer Skala hinzugefügt werden mussten.“
„Wie im Jahr 2022 vorhergesagt wurde, traten 2023 schon früh Hotspots für Hitzestress in den Tropen auf, mit ersten Meldungen von Korallenbleichen auf den Fidschi-Inseln und in Vanuatu, wo die Temperatur an der Oberfläche 33 Grad Celsius und in den tieferen Riffen 30 Grad erreichte. Mitte des Jahres 2023 erwärmte sich der tropische Ozean im gesamten östlichen Äquatorialpazifik weiter und die Temperaturen lagen bis zu fünf Grad über dem Normalwert.“
„Bis September konzentrierten sich die Hotspots der Korallenbleiche im zentralen und östlichen Äquatorialpazifik. Seitdem gibt es Berichte über Korallenbleiche im Palmyra-Atoll (nördliche Line Islands), in der Suruga-Bucht in Japan und in den nördlichsten Teilen des Great Barrier Reefs. Im Jahr 2023 hat ein Team von Wissenschaftlern, mit dem ich im gesamten östlichen tropischen Pazifik – von Kalifornien bis Galapagos – zusammenarbeite, über 106 Untersuchungen an 70 Standorten in sechs Ländern durchgeführt. An den meisten davon wurde ein gewisses Maß an Bleiche festgestellt – 30 bis 95 Prozent der Fläche der Riffe war betroffen.“
„Da ein Viertel der weltweiten marinen Artenvielfalt in tropischen Riffen beheimatet ist, werden die Auswirkungen dieser neuen Rekordhitze weit über die riffbildenden Korallen hinausgehen und sich möglicherweise direkt – durch physiologischen Stress – und indirekt – durch den Verlust von Lebensraum – auf andere wirbellose Tiere und Fische auswirken. Es ist ungewiss, wie all dies die Riffe der Welt umgestalten wird und wie sich diese neuen Strukturen in den kommenden Jahren entwickeln werden.“
Folgen für marine Ökosysteme in den kommenden Jahren
„Wahrscheinlich werden wir Mitte 2024 von dem starken El Niño zu La Niña übergehen – mit einer Wahrscheinlichkeit von 62 Prozent laut NOAA. Dies ist riskant, zumindest dort, wo La Niña kühlere Meerestemperaturen, geringere Niederschläge und häufigere Stürme und Wirbelstürme mit sich bringt – zum Beispiel im westlichen Pazifik, in Teilen Südamerikas und Australiens.“
„Die ungewöhnlich kühlen Wassertemperaturen können ebenfalls eine Korallenbleiche auslösen. Zudem können auch niedrigere Meeresspiegel während La Niña stellenweise mit den Niedrigwasserständen im Frühjahr zusammenfallen. Dadurch können ganze Riffe so lange aus dem Wasser ragen, dass es zu einem weit verbreiteten Korallensterben kommt. Darüber hinaus können intensive Nährstoffeinträge während La Niña toxische Phytoplanktonblüten auslösen, die eine weitere Reihe von Problemen für die marinen Ökosysteme mit sich bringen.“
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass La Niña die Erholung der Korallen nach 2023 stören könnte, was zu Kaskadeneffekten bei den Rifforganismen und einer weiteren Degradierung der Riffe führen würde.“
„Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“
„Ich habe keinerlei Interessenkonflikte.“
„Interessenkonflikte bestehen nicht.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
World Meteorological Organization (2024): State of the Global Climate 2023.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2023): Zustand des Klimas 2023. Research in Context. Stand: 21.04.2023.
Science Media Center (2023): Oberflächenwasser in den Ozeanen ungewöhnlich warm. Rapid Reaction. Stand: 19.06.2023.
Science Media Center (2023): Große Korallenbleichen in vielen Regionen weltweit erwartet. Rapid Reaction. Stand: 18.07.2023.
Science Media Center (2023): Übertrifft die weltweite Hitze die Klimaprognosen? Rapid Reaction. Stand: 01.08.2023.
Science Media Center (2023): Hitze im Mittelmeer schädigt marine Ökosysteme. Rapid Reaction. Stand: 08.08.2023.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Copernicus: Global temperature trend monitor: How close are we to reaching a global warming of 1.5˚C? Stand: 18.03.2024.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] University of Maine: Climate Reanalyzer. Daily Sea Surface Temperature. Stand: 18.03.2024.
Dr. Helge Gößling
Klimaphysiker und Arbeitsgruppenleiter, Abteilung Klimadynamik, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Prof. Dr. Christian Wild
Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen
Dr. Karsten Haustein
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig
Prof. Dr. Andreas Fink
Professor für Meteorologie, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
Dr. Sonia Bejarano
Leiterin der Arbeitsgruppe Riffsysteme, Abteilung Ökologie, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), Bremen