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20.09.2019

Eckpunkte für einen nationalen Emissionshandel im Klimaschutzprogramm

Die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung sind heute veröffentlicht worden (siehe Primärquelle). Unter den vielen Einzelprojekten sticht aus unserer Sicht eines hervor: Die Eckdaten für den Emissionshandel auf Seite 4. Dieser soll mit einem steigenden Festpreis ab 2021 starten. Ab 2026 sollen dann die Zertifikate in einem Preiskorridor zwischen 35 und 60 Euro pro Tonne CO2 gehandelt werden durch die „Inverkehrbringer“ der Brenn- und Kraftstoffe.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
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  • Prof. Dr. Manfred Fischedick, Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal
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  • Prof. Dr. Uwe Leprich, Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)
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  • Prof. Dr. Felix Müsgens, Inhaber des Lehrstuhls für Energiewirtschaft, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
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  • Prof. Dr. Andreas Löschel, Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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Statements

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Dass die Schüler auf die Straße gehen und wie viele sich ihnen angeschlossen haben, zeigt, dass es große gesellschaftliche Unterstützung für Klimaschutz gibt. Jetzt müssen Maßnahmen ergriffen werden, mit denen die Ziele sicher erreicht werden können.“

„Darüber hinaus müssen die Ziele verschärft werden, denn sie sind nicht im Einklang mit dem Pariser Abkommen. Die Bundesregierung nimmt sich endlich dem Klimaziel 2030 an, Maßnahmenprogramme waren längst überfällig. Beschlossen wird allerdings nicht, was klimapolitisch notwendig ist, sondern was politisch kompromissfähig erscheint. Das Paket bleibt daher hinter dem Notwendigen zurück. Es ist jedoch ein guter Anfang für einen ambitionierten Klimaschutz.“

„Die Instrumente zeigen, insbesondere im Verkehr, ein Übergewicht von Förderung und Anreizen (beispielsweise Kaufprämien Elektromobilität, Förderung von Erzeugungsanlagen für synthetische Kraftstoffe), vernachlässigen aber Ordnungsrecht (mittelfristiges Verbot des Verkaufs von Autos mit Verbrennungsmotor oder Tempolimit) und den Abbau von umweltschädlichen Subventionen (Dieselprivileg, Pendlerpauschale). Damit werden die Maßnahmen zur Zielerreichung für den Staat und die Steuerzahler unnötig teuer.“

„Man hat sich mit dem Emissionsrechtehandel für das wenig wirkungsvolle Instrument entschieden. Es ist intransparent, kostet wertvolle Zeit und ist teuer und juristisch heikel. Es ist somit unsicher, ob dieses Instrument überhaupt umgesetzt werden kann. Nach den Erfahrungen der Maut-Pleite hätte man besser auf die juristisch weniger angreifbare Steuer setzen sollen. Ein Emissionshandel ist ein Mengeninstrument, bei dem der Preis sich frei am Markt entwickeln sollte. Preisfestlegungen (oder auch Preiskorridore) widersprechen den Zielen einer eigenständigen marktgetrieben Preisfindung. Somit ist auch die Zielerreichung der Emissionsminderung nicht zu erfüllen.“

„Zudem herrscht auf dem Ölmarkt ein Oligopol vor, welches die Zertifikate ersteigern muss, Marktmacht ausüben kann und damit Zusatzgewinne zu Lasten der Autofahrer und Heizkunden einfahren kann. Eine Steuer hätte den Vorteil gehabt, dass sie leichter und schneller umsetzbar wäre, weniger Verwaltungsaufwand und damit geringere Kosten verursacht hätte und Einnahmen generiert hätte, die für die Förderung der energetischen Gebäudesanierung und nachhaltiger Mobilität eingesetzt werden könnte. Es wäre das zielsicherere Instrument gewesen.“

„Zur Entlastung der benachteiligten Haushalte wäre eine Klimaprämie wirkungsvoller als eine Erhöhung der Pendlerpauschale gewesen. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale muss streng gekoppelt werden an nachhaltige Formen der Mobilität. Der beschlossene Preis ist viel zu niedrig, um die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Drei bis sechs Cent pro Liter entspricht einem CO2-Preis von 15 bis 23 Euro pro Tonne CO2, dies entfaltet so gut wie keine Lenkungswirkung, maximal drei bis fünf Millionen Tonnen CO2 wären insgesamt so zu senken. Die Erhöhung der Pendlerpauschale konterkariert diesen Effekt, das heißt: Die Emissionsminderungen werden durch die CO2-Preiserhöhung kaum möglich sein. Eine weitere Erhöhung ist grundsätzlich gut und richtig, 15 Cent pro Liter (knapp 60 Euro pro Tonne CO2) Spritpreiserhöhung könnten bis zu zehn Millionen Tonnen CO2 mindern.“

„Im Verkehrssektor gibt es niedrige Preiselastizitäten und hohe Vermeidungskosten, sodass die Lenkungswirkungen durch vergleichsweise geringe Preiserhöhungen nicht hoch sein werden. Geld für eine nachhaltige Zukunft bereitzustellen, ist prinzipiell richtig. Die ‚schwarze Null‘ ist in Zeiten von drohender Rezession, billigem Geld und Klimawandel kein erstrebenswertes Ziel. Im Gegenteil: Ein Konjunkturprogramm für mehr Klimaschutz schafft nachhaltige Wirtschaftschancen. Wir brauchen keine Haushaltsnull, sondern Innovationen, Wettbewerbsvorteile und grüne Jobs. Sonst verschulden wir uns immer stärker, beim Planeten und damit auch in der Wirtschaft. Insgesamt handelt es sich um eine Sammlung von Einzelmaßnahmen.“

„Viele Maßnahmen sind sinnvoll, insgesamt bleibt aber festzuhalten: Damit ist auch fraglich, ob die minus 55 Prozent bis 2030 erreicht werden können. Daher ist es wichtig, die klimapolitischen Maßnahmen und Ziele wissenschaftlich bewerten zu lassen. Nur so lässt sich unabhängig feststellen, ob die Maßnahmen zur Zielerreichung des Klimaziels 2030 bereits genügen und welche Umsetzungslücke möglicherweise verbleibt.“

„Gar nicht thematisiert wurde, dass die bestehenden Klimaziele Deutschlands nicht vereinbar mit dem Klimaabkommen von Paris sind (Ambitionslücke) und auch bei einer Anhebung der europäischen Ziele, wie von der neuen Europäischen Kommission angestrebt, nochmal angehoben werden müssen – dann gehen die Verhandlungen über die Maßnahmen für das Klimaziel 2030 von Neuem los.“

„Kohleausstieg: Die Bundesregierung hat sich zu dem Kommissionsergebnissen bekannt. Notwendig ist nun eine zügige Umsetzung in Gesetzesform. Kompensationszahlungen sollten so niedrig wie möglich ausfallen.“

„Erneuerbare Energien-Ausbau: Das EE-Strom-Ausbauziel auf 65 Prozent bis 2030 (von 50 Prozent) anzuheben, ist sehr gut und notwendig. Die Beibehaltung der Abstandsregel widerspricht diesem Ziel, die Abstandsregelungen hätten abgeschafft werden müssen. Der Zubau der Erneuerbaren Energien muss so schnell wie möglich erhöht, das derzeitige Ausbautempo muss mindestens verdoppelt werden. Es ist wichtig, dass die bisherigen Barrieren insbesondere bei der Windenergie so schnell wie möglich abgebaut werden, die Förderung angepasst, Abstandsregeln abgeschafft und Verfahren erleichtert werden.“

„Sehr gut ist, dass der Ausbaudeckel bei Solarstrom aufgehoben wurde. Die Absenkung der Strompreise ist sinnvoll und sollte rasch umgesetzt werden. Die Absenkung der EEG-Umlage durch eine Finanzierung aus dem Staatshauhalt birgt jedoch die Gefahr der möglichen beihilferechtlichen Einordnung.“

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal

„Grundsätzlich ist die Entscheidung für die Einführung eines Bepreisungssystem von CO2 richtig und hat richtig umgesetzt eine wichtige Signalwirkung. Auch der gewählte Stufenprozess, das heißt die Entscheidung mit einem Festpreis für den Erwerb von CO2-Zertifikaten zu beginnen (der quasi einer CO2-Steuer gleichkommt) und dann in 2026 eine Umstellung auf einen Auktionsmechanismus zu machen, ist durchaus nachvollziehbar und vielversprechend. Dies schafft im Prinzip die Möglichkeit, die Vorteile beider Systeme miteinander zu verbinden, das heißt schnell zu beginnen und über die Festlegung des ‚Cap‘ (der maximalen Emissionsmenge) im späteren Zeitverlauf die Einhaltung der Minderungsziele zu gewährleisten.“

„Die tatsächliche Ausführung bleibt aber weit hinter den Erwartungen zurück. Aufgrund der begrenzten Preiselastizität – gerade im Verkehr – braucht es ganz andere Signale, um Akzente setzen zu können. Die Einführung erfolgt erst 2021, warum nicht schon 2020? Der Startpreis liegt bei zehn Euro pro Tonne CO2. Wie soll hierdurch eine Lenkungswirkung erzielt werden? Ein derartiger Festpreis führt umgerechnet zu einem Preisaufschlag an der Zapfsäule von gerade einmal drei Cent pro Liter. Hierdurch wird keinerlei Lenkungswirkung erzeugt, nicht zuletzt weil die natürlichen Preisschwankungen an den Tankstellen heute schon innerhalb eines Tages zum Teil größer sind als die CO2-Preiswirkung. Dies gilt selbst für den für das Jahr 2025 geplanten CO2-Festpreis von 35 Euro pro Tonne CO2. Warum wird hier nicht mutiger vorgegangen und ein Einstiegspreis gewählt, der mindestens dem Preisniveau aus dem bestehenden ETS-System von 30 Euro pro Tonne CO2 entspricht, ein kontinuierlicher Anstieg implementiert und für die Verbraucher transparent dokumentiert. Nur hierdurch können die angestrebten Verhaltensänderungen (im Verbund mit Förderprogrammen für effiziente Fahrzeuge und eine Verbesserung der Attraktivität von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr) wirklich erreicht werden.“

Prof. Dr. Uwe Leprich

Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, ehemaliger Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)

„Klar ist, dass eine CO2-Bepreisung eingebettet sein muss in ein umfassendes Instrumentenbündel – wer meint, allein mit einem höheren CO2-Preis die Wärme- oder gar die Verkehrswende stemmen zu können, lebt im ökonomischen Wolkenkuckucksheim. Die meisten Studien gehen davon aus, dass ein CO2-Preis unter 50 Euro/Tonne so gut wie keine Lenkungswirkung in den Bereichen Gebäude und Verkehr entfalten wird, also auch weitere notwendige Instrumente überhaupt nicht verstärkt. Insofern ist der Beschluss der Bundesregierung, ihn mit 10 Euro/Tonne in 2021 starten zu lassen, deutlich weniger als ‚Pillepalle‘ und mit viel Wohlwollen allenfalls als Symbol für einen marktwirtschaftlichen Lenkungswillen zu begreifen. Selbst ein Anstieg auf 35 Euro/Tonne bis 2025 kommt über das Symbolstadium nicht hinaus.“

„Diese lächerlich niedrige Bepreisung nun nicht in Form einer CO2-Steuer als Zuschlag auf die bestehende Energiesteuer, sondern als Zertifikatsverkauf an die Brenn- und Kraftstofflieferanten zu gestalten, ist ein fiskalpolitisches Husarenstück. Abgesehen von dem erheblichen Zeitaufwand, ein solches System aufzusetzen, und von der dadurch bedingten vollständigen Abschirmung des Endverbrauchers von dem eigentlichen Preissignal wird dadurch ein zweiter CO2-Preis eingeführt, der fundamental vom CO2-Preis des Emissionshandels abweicht und somit eklatant den Grundsatz verletzt, wonach CO2-Emissionen immer die gleiche schädliche Wirkung auf das Weltklima haben, egal wo sie anfallen.“

„Kurzum: Die Bundesregierung macht sich mit diesem exotischen Vorschlag nicht nur klimapolitisch, sondern auch konzeptionell lächerlich.“

Prof. Dr. Felix Müsgens

Inhaber des Lehrstuhls für Energiewirtschaft, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg

„Positiv hervorzuheben sind drei Aspekte:“

„Erstens der Einstieg in die Bepreisung der non-EU-ETS Sektoren. Dieses zentrale Element wird auch direkt am Anfang des Eckpunktepapiers der Bundesregierung platziert (Ziffer 1 der Eckdaten).“

„Zweitens folgt im direkten Anschluss (Ziffer 2 der Eckdaten) die Entlastung der Bürger durch den Abbau von Verzerrungen im Stromsektor, insbesondere bei der EEG-Umlage. In Kombination wird durch diese beiden Maßnahmen wird eine doppelte Dividende erzielt: bessere Adressierung der Klimaexternalität, effizientere Sektorenkopplung im ‚level playing field‘. (Diese Vorgehensweise entspricht der Argumentation des Impulses 'Über eine CO2-Bepreisung zur Sektorenkopplung: Ein neues Marktdesign für die Energiewende', der im Rahmen des Akademienprojektes esys erarbeitet wurde [1]“)

„Drittens ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu begrüßen, „sich für einen europaweiten übergreifenden Zertifikatehandel für alle Sektoren“ einzusetzen.“

„Das folgende Sammelsurium einzelner Maßnahmen (insgesamt 63 weitere Punkte) dagegen verursacht hohe Kosten bei unklarem Beitrag zum Klimaschutz.“

„Angesichts von mehreren hunderttausend Menschen, die heute in Deutschland und anderen Ländern für wirksamen Klimaschutz demonstriert haben, hätte man sich insgesamt mehr Mut und klarere Kommunikation gewünscht: Klimaschutz ist auch mit Kosten verbunden. Insbesondere im Hinblick auf die Höhe der CO2-Preise erscheint es zumindest fraglich, ob mit den geplanten Preisen (zum Beispiel 10 Euro/Tonne CO2 im Jahr 2021, 35 Euro/Tonne im Jahr 2025) die Einsparziele der Bundesregierung erreicht werden. Hier wäre mehr Vertrauen in dieses für den Klimaschutz zentrale Instrument angebracht. Bei höheren Preisen bestünde (als zweiter Teil der doppelten Dividende) gleichzeitig auch mehr Raum zum Abbau von Verzerrungen bei der EEG-Umlage. 0,25 Eurocent/kWh (im Jahr 2021) erscheinen bei einer EEG-Umlage von aktuell 6,4 Eurocent/kWh eher symbolisch. In diesen Bereichen wird also Potenzial verschenkt. Dennoch: Der Anfang ist gemacht.“

Prof. Dr. Andreas Löschel

Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Der gewählte marktwirtschaftliche Ansatz bei der CO2-Bepreisung ist grundsätzlich richtig: Der Fixpreis-Zertifikatehandel für Wärme und Verkehr, wie wir ihn auch vorgeschlagen hatten, verbindet die Vorzüge von Emissionshandel und Steuer. Der Mindestpreis in den Sektoren des EU-Emissionshandel sichert die Wirksamkeit des Systems.“

„Allerdings sind die anvisierten CO2-Preise schlichtweg zu niedrig. Außerhalb des EU-Emissionshandels wäre nicht erst 2025, sondern schon im nächsten Jahr Preise von 35 beziehungsweise rasch 50 Euro/Tonne CO2 sinnvoll.“

„Der Mindestpreis im EU-Emissionshandels sollte nicht moderat sein, sondern ebenfalls in dieser Höhe angesetzt werden. Nur so wird die CO2-Bepreisung wirklich das Leitinstrument des Klimaschutzprogramms 2030.“

„Im Gegenzug könnte das Klein-Klein im Klimaschutz beendet werden. Viele der über 60 Einzelmaßnahmen, die noch dazu oft gegeneinander wirken, sind dann nämlich schlicht unnötig und auch der Kohleausstieg in Deutschland könnte ohne teure Verhandlungen rasch erreicht werden. Es ist sehr zu hoffen, dass das Klimaschutzprogramm entsprechend nachjustiert wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquellen

Bundesregierung (2019): Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030.

Von den Experten angegebener Literaturhinweis

Leopoldina, Acatech, Akademienunion (2019): Über eine CO2-Bepreisung zur Sektorenkopplung: Ein neues Marktdesign für die Energiewende.