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17.02.2022

Gesundheitliche Auswirkungen von Chemikaliengemischen mit endokriner Wirkung

Mögliche gesundheitliche Auswirkungen von Chemikalien aus der Gruppe der sogenannten hormonaktiven endokrinen Disruptoren sollten nicht ausschließlich durch Untersuchungen mit einzelnen Verbindungen getestet werden, sondern auch Chemikaliengemische in die Risikobewertung miteinbeziehen. Mit diesem Konzept stellt ein internationales Forscherteam im Fachjournal „Science“ eine „Proof of Principle”-Methode vor, mit der solche komplexen Untersuchungen durchgeführt werden könnten (siehe Primärquelle). Mit Fokus auf Auswirkungen von chemischen Verbindungen auf die sensible Gehirnreifung von Ungeborenen während der Schwangerschaft dokumentieren sie mit ihrer umfassenden Analyse aus epidemiologischen Daten und molekularbiologischen Experimenten, dass 54 Prozent der Kinder einer epidemiologischen Kohorte vorgeburtlich bedenkliche Mengen von Chemikaliengemischen ausgesetzt waren. Das korrelierte laut den Forschenden mit einem 3,3-fach höheren Risiko einer Verzögerung des Sprachvermögens im Alter von 2,5 Jahren.

Für ihren Ansatz verwendeten die Forschenden Daten aus der schwedischen Kohortenstudie SELMA (Swedish Environmental Longitudinal, Mother and child, Asthma and allergy, einer prospektiven bevölkerungsbasierten Mutter-Kind-Schwangerschaftskohorte [I]. Zuerst identifizierten sie einen potenziell gesundheitsgefährdenden Chemikalienmix, der mit einer sprachlichen Entwicklungsverzögerung bei 2,5 Jahre alten Kindern in Zusammenhang stehen könnte. Von insgesamt 1 874 Müttern identifizierten sie jene, deren Kinder mit 2,5 Jahren eine sprachliche Entwicklungsstörung zeigten. Anschließend untersuchten sie deren Blut- und Urinproben, die in der zehnten Schwangerschaftswoche genommen worden waren, auf den Gehalt von 15 sogenannten endokrinen Disruptoren (EDC), aus denen sie dann einen spezifischen EDC-Mix ableiteten. Endokrine Disruptoren sind hormonaktive, chemische Substanzen, die schon in geringen Konzentrationen auch die menschliche Gesundheit schädigen können und in Alltagsgegenständen, Kosmetika oder Pestiziden beispielsweise enthalten sind (weitere Informationen zu EDCs siehe unten bei Hintergrundinformationen).

In einem zweiten Schritt untersuchten die Forschenden an Gehirnorganoiden aus menschlichen Stammzellen und in Tierversuchen, bei welchen Grenzwerten der vorher identifizierte EDC-Mix toxische Eigenschaften zeigt. Sie ermittelten Grenzwerte, bei denen sich der Mix der endogenen Disruptoren molekular auf die Aktivität von Genen des Hormonhaushaltes sowie auf Gene, die mit Autismus assoziiert sind, auswirkte. Darüber hinaus fanden sie im Tiermodell bei Kaulquappen und Zebrafischen Auswirkungen auf die Schilddrüsenfunktion und damit einhergehend auf die neurologische Entwicklung dieser Versuchstiere.

In einem letzten Schritt analysierten sie nochmals die Daten der Urin- und Blutproben und glichen sie mit den ermittelten Grenzwerten ab. Dabei konnten sie feststellen, wie viele Kinder der Kohorte einer potenziell toxischen Gemischmenge während der Schwangerschaft und damit einem höheren Risiko einer Entwicklungsstörung ausgesetzt waren. Einen kausalen Zusammenhang können solche Untersuchungen nicht ermitteln, es handelt sich jedoch um auffällige Korrelationen, die eine vorsorgliche Risikobewertung von Gemischen von endogenen Disruptoren ermöglichen könnten.

Basierend auf ihren Ergebnissen unterstreichen die Autorinnen und Autoren die Notwendigkeit, bei der Prüfung von Chemikalien und der Risikobewertung auch Mischungen zu berücksichtigen und bieten ihren Methodenaufbau als einen integrativen Rahmen für Strategien der Risikobewertung an. Inwiefern der vorgestellte methodische Aufbau und die damit verbundene Forderung zur Risikobewertung von Chemikaliengemischen nachvollziehbar und sinnvoll ist, fragte das SMC Experten relevanter Fachgebiete.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Thomas Hartung, Professor and Chair, Director des Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT), Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Baltimore, Maryland, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigte Staaten
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  • Prof. Dr. Marcel Leist, Leiter des Professor für In-vitro-Toxikologie und Biomedizin, Fachbereich Biologie, Universität Konstanz
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  • Prof. Dr. Jan Hengstler, Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie / Systemtoxikologie, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund
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Statements

Prof. Dr. Thomas Hartung

Professor and Chair, Director des Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT), Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Baltimore, Maryland, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigte Staaten

„Eins plus eins ist manchmal mehr als zwei, zumindest wenn es um Gifte geht. Tatsächlich ist das der Heilige Gral der Toxikologie, die sogenannten ‚Cocktail-Effekte‘. Denn während wir jede Chemikalie einzeln testen, werden Patienten und Verbraucher immer gleichzeitig mit vielen anderen Substanzen ausgesetzt sein. Mit dem traditionellen Zugang – das heißt, die Einzelstoffe in teuren und langwierigen Tierversuchen zu klassifizieren –, Grenzwerte festzulegen und danach die Bücher zuzumachen, werden wir da auch kaum weiterkommen. Die Autoren der aktuellen Studie gehen einen bemerkenswert anderen Weg: Man nennt ihn Exposomics. Dabei schaut man in großen Bevölkerungsgruppen, welche Chemikalien oder ihre Mischungen im Blut oder Urin mit klinischen Problemen korrelieren. Daraus leitet man dann eine Hypothese ab, was möglicherweise die Ursache des Problems ist. Mit gezielten Studien an Zellkulturen oder Tieren wird diese Hypothese dann überprüft.“

„Die Autoren haben mit der Gehirnentwicklung von Kindern eines der großen offenen Themen der Chemikaliensicherheit ausgewählt. Immer mehr Kinder zeigen solche Entwicklungsstörungen. Das US-amerikanische Zentrum für Krankheitskontrolle (CDC) hat erst im Dezember die neuen Zahlen für Autismus publiziert: Eins von 44 Kindern im Alter von acht Jahren wurde 2020 mit Autismus diagnostiziert. Zwei Jahre davor waren es noch eins von 54, vor 20 Jahren eins von 150 und vor vierzig Jahren 1 von 10 000. Da sich Gene nicht so schnell ändern, sind Lebensumstände vor allem im Visier. Chemikalien sind verdächtig, aber nur ein gutes Dutzend wurde als Gefahr für den Menschen eingestuft. Der Fortschritt bei der Identifizierung weiterer Giftstoffe ist langsam, insbesondere weil der entsprechende Tierversuch rund 1,4 Millionen Dollar kostet und mehr als 1 000 Ratten verbraucht.“

„Die Autoren der aktuellen Studie haben mit der verzögerten Sprachentwicklung ein gut messbares Kernsymptom des Autismus gewählt. Sie fokussieren zudem auf einen sehr plausiblen, aber bisher kaum erfassten Mechanismus: Die Störung von Schilddrüsen-Hormonen durch Chemikalien. Tatsächlich ist die früher als Kretinismus bezeichnete gestörte Gehirnentwicklung bei Schilddrüsenhormonmangel durch Jodmangel in der Schwangerschaft gut bekannt.“

„Nachdem sie aus einer großen epidemiologischen Studie eine mögliche, relevante Mischung von Chemikalien identifiziert haben, führen die Forschenden eine Reihe von mechanistischen Studien durch, um ihre Hypothesen zu erhärten. Hierbei verwenden sie sowohl Organoide als auch sogenannte niedere Spezies – Kaulquappen und Zebrafische. Organoide sind Teil revolutionärer Entwicklungen, die es erlauben, insbesondere mit menschlichen Stammzellen Organstrukturen und -funktionen im Labor nachzubilden. Man spricht von mikrophysiologischen Systemen, da sie im Kleinen die Physiologie des Organs widerspiegeln. Damit gelingt es den Autoren, den extrem teuren Tierversuch an Ratten zu vermeiden. Aus diesen Arbeiten leiten sie die wirksamen Konzentrationen der Chemikalien ab, die zur Störung der Hirnentwicklung führen. So können sie zeigen, dass die im Menschen beobachteten Mengen bedenklich hoch sind.“

„Alles in allem, nutzen die Autoren eine Reihe hochmoderner Ansätze und bringen Licht in mögliche Ursachen für die enorme Zunahme von Autismus-assoziierten Störungen. Chapeau!“

Prof. Dr. Marcel Leist

Leiter des Professor für In-vitro-Toxikologie und Biomedizin, Fachbereich Biologie, Universität Konstanz

„Die Studie bietet einen interessanten Ansatz, um epidemiologische Daten mit der Toxikologie zusammenzubringen. Die Idee, zwischen Mensch- und Testsystem hin und her zu wechseln ist sinnvoll. Epidemiologische Daten allein liefern immer nur korrelative Zusammenhänge. Die Einbeziehung von in vitro Systemen – wie hier am Beispiel von Gehirnorganoiden, Kaulquappen und Fischen gezeigt ­– könnte hier bessere Hinweise auf kausale Zusammenhänge geben.“

„Der Ansatz ist prinzipiell gut überlegt, aber meines Erachtens weist die Methodik eine Reihe von Unzulänglichkeiten auf. Kein Regulator würde das hier vorgestellte System für eine Risikoüberprüfung anerkennen, weil das System nicht validiert ist. Zum einen ist die Grenzwertbestimmung für den Chemikalienmix nicht quantitativ genug. Anschließend testen die Forschenden in vitro den Mix, aber führen als Kontrolle keine Einzeltestungen durch. Es ist also nicht klar, ob der beobachtete Effekt wirklich auf das Gemisch oder doch auf einzelne Komponenten zurückzuführen ist. Auch bei den molekularbiologischen Experimenten wie den Genexpressionsanalysen fehlen grundlegende Kontrollen und Validierungstests.“

„Schlussendlich kann ich die Feststellung, dass 54 Prozent der Kinder aus der untersuchten Kohorte potenziell gefährdenden Mengen an EDCs ausgesetzt waren, nicht nachvollziehen. Es ist nicht klar, ob wirklich alle Kinder mit Sprachstörung mit den hohen Werten korreliert werden konnten, und die angewandte Methodik erlaubt diese Schlüsse nicht. Meines Erachtens kann die Studie keine quantitativen Aussagen über menschliche Gefährdung machen. Es stößt die Diskussion aber natürlich weiter an.“

„Der Ansatz, den Einfluss von Chemikaliengemischen zu untersuchen, ist nicht neu. Die Nahrungsmittelbehörden beschäftigen sich seit Jahrzehnten damit und es gibt bereits mathematische Verfahren, mit denen die Gemische analysiert werden können. Dabei geht es um die Frage: Welche Auswirkungen haben die Einzelkomponenten und wie sieht das mit der Mischung aus? Die Effekte können entweder additiv oder synergistisch ausfallen. Synergistische Effekte – also, dass die Komponenten zusammen mehr machen als die Summe der Einzelsubstanzen –, sind super selten zu beobachten. Die Gruppe der EDCs benötigt dabei besonders komplexe Modelle und Modelle auf viel breiterer Datenbasis als hier gezeigt. Der Grund ist, dass einige Komponenten möglicherweise keine linearen Konzentrations-Wirkungs-Verhältnisse zeigen. Das heißt, es gibt zum Beispiel bei geringen Konzentrationen einen Effekt, bei höheren dann nicht, aber dann erneut bei sehr starken Konzentrationen. Deshalb kann man nicht von wenigen Datenpunkten auf das Gesamtverhalten schließen.“

„Der Grund, warum diese Studie in ‚Science‘ erscheint, ist, weil das ein Stich ins Wespennest ist. Hinter der Fragestellung steckt sehr viel Politik. Es kann durchaus sein, dass EDCs die Gehirnentwicklung beeinflussen. Die EU fördert ein großes Projekt zu diesem Thema, zu dem meine Arbeitsgruppe auch beiträgt (das EU-Projekt ENDpoiNTs erarbeitet neuartige Testmethoden für endokrine Störungen in Verbindung mit Entwicklungsneurotoxizität; Anm. d. Red.). Die Datenlage ist aber bisher unklar, und die aktuelle Studie trägt nicht zur weiteren Klärung bei. Vielmehr lenkt die Arbeit den Blick der Öffentlichkeit auf dieses Thema. Eine wichtige Frage ist, wie weit sich spezifische Einzelbefunde erweitern lassen: Es gibt ein paar Pestizide, bei denen gezeigt wurde, dass sie die Funktion der Schilddrüse schädigen. Die Hirnentwicklung braucht eine funktionierende Schilddrüse. Dies ist seit mindestens 20 Jahren bekannt. Es gibt also hormonale Effekte, aber die Evidenz bei anderen Substanzen dazu ist begrenzt und wird mit dieser Arbeit nicht weiter ergänzt.“

„Für die meisten Industriechemikalien – auch die, von denen über 1 000 Tonnen pro Jahr produziert werden – wird der Einfluss auf die Gehirnentwicklung nicht getestet, weil der Test sehr teuer ist und auf Basis eines Tierexperiments abläuft, das wenig Vorhersagekraft hat. Die aktuelle Studie weist auf diesen Missstand hin. Es wird durch internationale Organisationen (EFSA, OECD) allerdings an Zellkultur-Tests gearbeitet, um eben diese neuronalen Auswirkungen von Chemikalien untersuchen zu können.“

Prof. Dr. Jan Hengstler

Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie / Systemtoxikologie, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Dortmund

„Die Autoren der aktuellen Studie untersuchen ein Gemisch von Substanzen – endokrine Disruptoren – in Relation zur Konzentration dieser Verbindungen im Blut von Menschen. Prinzipiell ist dies eine Vorgehensweise, die seit Jahrzehnten eingesetzt wird, um eine grobe Abschätzung vorzunehmen. Diese Abschätzung ist aus vielen Gründen mit großen Unsicherheiten behaftet. Präzise quantitative Aussagen wie zum Beispiel ‚we found that up to 54 percent of the children had prenatal exposures above experimentally derived levels of concern‘ auf der Basis einer solchen Vorgehensweise sind problematisch.“

„Ein Problem besteht darin, dass anhand der vorgelegten Daten die Reproduzierbarkeit von Schlüsselexperimenten nicht beurteilt werden kann. Ein zentrales Beispiel ist Abbildung S1, in der die Autoren neuronale Stammzellen gegenüber dem Substanzgemisch mit endokrinen Disruptoren exponieren, welches die 0,1-fache bis hoch zur 1 000-fachen Blutkonzentration enthält. Die Autoren berichten, dass zwei Gene (CLSTN2, EPHB2) herunterreguliert wurden, welche eine Rolle bei Autismus spielen (S1F). Die Expression dieser Gene wird jedoch nur durch Linien dargestellt, die Varianz zwischen unabhängigen Experimenten wird nicht gezeigt. Der Kurvenverlauf zeigt bereits bei der niedrigsten untersuchten Konzentration – dem 0,1-fachen der Blutkonzentration – eine Verringerung der Genexpression gegenüber der Kontrolle. Bei der 1-, 10- und 100-fachen Konzentration ‚erholt‘ sich die Expression und nähert sich der Kontrolle an, um dann bei der 1000-fachen wieder abzunehmen. Hinzu kommt, dass die Unterschiede im Vergleich zur Kontrolle sehr klein sind. Bei der 1-fachen Serumkonzentration beträgt der log2-Wert etwa -0,1 also linear nur etwa 0,93 bei einem Wert der Kontrolle von 1,0. Es sollte zunächst geprüft werden, ob solche kleinen Effekte bei der eingesetzten Technik der RNA-Sequenzierung (RNAseq) im Rahmen der experimentellen Variabilität liegen. Dies ist nur ein Beispiel, um zu verdeutlichen, dass die Datenqualität dieser Studie anhand der Rohdaten überprüft werden sollte. Die RNAseq-Daten werden erst ab März öffentlich zur Verfügung gestellt werden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Thomas Hartung: „Mögliche Interessenkonflikte sehe ich nicht.“

Prof. Dr. Jan Hengstler:

„Meine Forschung wird durch öffentliche Mittel der DFG, des BMBF oder der EU finanziert. Diese sind vollständig und etwa halbjährlich aktualisiert offengelegt unter: www.ifado.de/toxikologie/forschung/systemtoxikologie/drittmittel/ Ich erhalte keine Mittel von wirtschaftlichen Unternehmen, weder privat noch für Forschungszwecke.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Caporale N et al. (2022): From cohorts to molecules: Adverse impacts of endocrine disrupting mixtures. Science. DOI: 10.1126/science.abe8244.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bornehag CG et al. (2012): The SELMA Study: A Birth Cohort Study in Sweden Following More Than 2000 Mother–Child Pairs. Pediatric and Perinatal Epidemiology. DOI: 10.1111/j.1365-3016.2012.01314.x.

[II] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe. Deutsche Übersetzung der Vereinbarung. Webseite des Bundesministeriums.

[III] Europäische Chemikalienagentur ECHA (2022): Endocrine disruptor assessment list. Webseite der ECHA.

[IV] Bornehag CG et al. (2021): Prenatal exposure to bisphenols and cognitive function in children at 7 years of age in the Swedish SELMA study. Environment International. DOI: 10.1016/j.envint.2021.106433.

Hintergrundinformationen

Es gibt mehrere hundert Substanzen mit bekannter oder vermuteter endokriner Wirkung. Von diesen wurde bisher allerdings nur ein kleiner Teil auf spezifische Effekte untersucht. Werden Substanzen vor ihrer Zulassung auf eine mögliche endokrine Wirkung untersucht, dann steht dabei meist ausschließlich die Wirkung dieser isolierten Verbindung im Fokus, mögliche Kombinationseffekte mit anderen Chemikalien werden nicht oder kaum berücksichtigt. Aktuell evaluiert die Europäischen Chemikalienagentur ECHA 103 Substanzen auf ihre möglichen Eigenschaften als endokrine Disruptoren [III]. Viele der endokrin wirksamen Verbindungen kommen in synthetischen Produkten vor. Etwa als Zusatzstoff bei der Herstellung von Alltagsplastik – also zum Beispiel in Kinderspielzeug, Plastikflaschen und -dosen, als Innenauskleidung in Tetrapaks –, in Kosmetika und Pestiziden. Prominente Vertreter waren etwa die seit 2001 verbotenen polychlorierten Biphenyle PCBs [II] und das Insektizid DDT, dass seit 1977 in Deutschland und seit 1992 in Österreich nicht mehr verwendet werden darf. Dagegen wird das viel diskutierte Bisphenol A (BPA) weiter in großem Umfang genutzt, auch wenn in Studien gezeigt wurde, dass es gesundheitsschädlich ist und es von ECHA seit 2017 als „besonders besorgniserregender Stoff“ klassifiziert wurde. Es kommt unter anderem als Weichmacher bei der Produktion von Plastik zum Einsatz, darf aber in der EU seit 2011 nicht mehr bei der Herstellung von Babyflaschen und seit 2020 nicht mehr in Thermopapieren zum Beispiel für Kassenrollen und Faxpapier genutzt werden, um mögliche Expositionsrisiken zu minimieren. Es wird inzwischen oftmals durch andere Bisphenole wie zum Beispiel BPS oder BPF ersetzt, deren endokrine Wirkungen zum Beispiel auf die Gehirnentwicklung, allerdings ebenfalls nicht vollends geklärt sind [IV].