Jugendliche mit psychischen Problemen verbringen mehr Zeit auf sozialen Medien
Jugendliche mit psychischen Problemen nutzen soziale Medien mehr und anders als psychisch gesunde Jugendliche
aktuelle Studie bietet differenziertes Bild, inwiefern psychisch belastete Jugendliche besondere Unterstützung im Zusammenhang mit dem Konsum sozialer Medien brauchen
Forschende begrüßen den Ansatz der Studie, mahnen vor Kausalschlüssen und betonen, dass soziale Medien in der Therapie thematisiert werden müssen
Jugendliche mit psychischen Störungen verbringen im Vergleich zu psychisch gesunden Jugendlichen mehr Zeit auf sozialen Medien und unterscheiden sich je nach Erkrankungsart in ihrer Nutzung. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam, nachdem es einen Datensatz des britischen Gesundheitsdienstes ausgewertet hat. Die aktuelle Studie wurde in dem Fachjournal „Nature Human Behaviour“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP), Universitätsklinikum Würzburg
Ergebnisse der Studie
„Die Studie belegt, dass Jugendlichen mit psychischen Störungen in klinischer Ausprägung mehr Zeit mit sozialen Medien verbringen. Zudem untersuchte die Studie Unterschiede zwischen der Art psychischer Störungen. Im Ergebnis geben Jugendliche mit internalisierenden Störungen, wie zum Beispiel Angst und Depression, häufiger negative Erfahrungen und Nutzungsmuster an als Jugendliche mit externalisierenden Störungen. Sie vergleichen sich selbst mehr mit Personen, die sie in den sozialen Medien sehen, sie erleben häufiger eine negative Stimmung durch die medialen Inhalte, und sie geben an, weniger zufrieden mit online-Freundschaften zu sein.“
Stärken und Schwächen der Studie
„Die vorliegende Studie nähert sich der Frage, ob digitaler Medienkonsum das Risiko für das Auftreten psychischer Erkrankungen erhöht, ohne dazu abschließend eine Aussage treffen zu können. Um Kausalität zu belegen wären längsschnittliche und interventionelle Studien erforderlich. Diese querschnittliche Studie ist dennoch wertvoll, weil sie eine repräsentative Stichprobe von Jugendlichen aus Großbritannien untersucht und zudem klinische Diagnosedaten zur Verfügung hat – gegenüber reinen Fragebogendaten, wie es in anderen Studien der Fall ist. Der Blickwinkel in der Studie geht also von den Jugendlichen und ihren psychischen Belastungen aus und überprüft, welche Medienkonsummuster in den verschiedenen Gruppen zu finden sind. Es wurden nur Jugendliche eingeschlossen, die im Erhebungsjahr 2017 soziale Medien genutzt haben. Es ist zu erwarten, dass die Zahl derer heute noch deutlich größer wäre. Dass sich die Zusammenhänge innerhalb der Gruppe wesentlich verändern würden, ist aus meiner Sicht aber nicht zu erwarten.“
Auf die Frage, ob das Thema „soziale Medien“ stärker in Therapiepläne integriert werden sollte:
„Dies ist grundsätzlich bereits jetzt der Fall und die Frage des Medienkonsums ist Thema in vielen therapeutischen und Beratungssettings. Insbesondere Eltern sind oft ratlos in der Beurteilung, wieviel Medien für ihr Kind noch gesund sind, aber sie sind oftmals geradezu hilflos in der Frage, wie sie exzessiven Konsum bei Ihrem Kind begrenzen können. Insofern ist das Thema in der Therapie angekommen.“
Auf die Frage, inwiefern sich durch den Konsum sozialer Medien der Gesundheitszustand von Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen weiter verschlimmert:
„Diese Frage bleibt heute noch offen und wird recht unterschiedlich bewertet. Zur Klärung sind Studien nötig, welche kausale Zusammenhänge abbilden können. Allerdings wurde mit der Einführung der Diagnose der ‚Gaming disorder‘ in der ICD-11 Klassifikation der WHO erstmals ein Störungsbild definiert, das die pathologische Nutzung von digitalen Medien definiert. Für die sozialen Medien war die Datenlage jedoch (noch) nicht ausreichend, um dies in analoger Weise vorzunehmen.“
Lecturer and Researcher at the Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Lugano, Schweiz
Ergebnisse der Studie
„Auch wenn es mittlerweile eine große Anzahl von wissenschaftlichen Studien zum Zusammenhang zwischen der sozialen Mediennutzung und der mentalen Gesundheit von Jugendlichen gibt, haben viele davon methodische Schwächen. Eine dieser Schwächen ist die Verwendung von eigenständig auszufüllenden Fragebögen, was unter anderem zu verzerrten oder fehlenden Angaben führen kann. Die aktuelle Studie hat diese Schwäche zumindest teilweise behoben, indem sich die Forschenden auf Daten zur mentalen Gesundheit bezogen haben, die mit Hilfe von anerkannten klinischen Diagnoseinstrumenten von ausgebildeten Gutachtern erhoben wurden. Im Spezifischen wurden zwischen internalisierenden – zum Beispiel Angststörung und Depression – und externalisierenden psychischen Problemen – zum Beispiel ADHS und Verhaltensstörungen – unterschieden. Besonders interessant ist, dass – im Vergleich zu gesunden Jugendlichen – solche mit internalisierenden psychischen Problemen nicht nur eine erhöhte soziale Mediennutzung aufweisen, sondern auch verstärkt von negativen Prozessen beeinträchtig werden, die mit der sozialen Mediennutzung einhergehen. Dazu gehören zum Beispiel soziale Vergleiche mit anderen oder die Beeinträchtigung persönlicher Gefühle durch das Feedback anderer in den sozialen Medien.“
Stärken und Schwächen der Studie
„Neben der Verwendung von klinischen Diagnoseinstrumenten durch externe Gutachter beziehen sich die Autorinnen und Autoren auch auf Angaben zu Prozessen, die der sozialen Mediennutzung zugrunde liegen. Es ist eben nicht nur die Zeit, die Jugendliche auf Plattformen wie Instagram und TikTok verbringen, sondern auch, wie sie sich bei der Nutzung fühlen und welche Prozesse die Nutzung auslöst. Der Querschnittscharakter der Daten erlaubt es jedoch nicht, Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge zu schließen: Sind negative Kommentare auf sozialen Medien wirklich ein Grund für die psychischen Probleme der Jugendlichen oder sind Jugendliche mit psychischen Problemen durch ihre erhöhte Vulnerabilität und mögliche Stigma verstärkt Ziel von negativen Kommentaren beziehungsweise nehmen solche Kommentare schlimmer wahr als gesunde Jugendliche? Diese Frage kann auch in dieser Studie nicht beantwortet werden.“
„Zudem wurden die Daten bereits 2017 im Vereinten Königreich erhoben. Das ist bereits fast acht Jahre her, und in der Zwischenzeit haben wir eine weltweite Pandemie und wirtschaftliche und politische Krisen miterlebt. All das hat unsere mentale Gesundheit – und vor allem die der Jugendlichen – auf eine harte Probe gestellt, aber auch ein vermehrtes Interesse am Thema geweckt. Öffentliche Organisationen, Influencer und Nutzer im Allgemeinen reden in den sozialen Medien viel offener und öfter über mentale Probleme und bieten Mental-Health-Coaching an. Da stellt sich die Frage, inwiefern die Inhalte über mentale Probleme vermehrt von Jugendlichen mit eben solchen Problemen genutzt werden und welche Auswirkungen sie auf die Jugendlichen haben.“
Praktische Implikationen
„Bei der Behandlung von Jugendlichen mit psychischen Problemen ist es ohne Zweifel wichtig, das Thema ,soziale Medien‘ stärker in Therapiepläne zu integrieren. Die Jugendlichen müssen über potenzielle negative Folgen der sozialen Mediennutzung aufgeklärt werden, ohne dabei jedoch soziale Medien zu dämonisieren und Angst zu schüren. Ebenso ist ein komplettes Verbot von sozialen Medien nicht die Lösung. Vielmehr sollte soziale Medien- und Algorithmenkompetenz vermittelt werden, um einen bewussteren und sichereren Umgang mit sozialen Medien zu unterstützen, da Jugendliche mit psychischen Problemen eben auch von Angeboten und Inhalten auf sozialen Medien profitieren können. Sie müssen aber lernen wie.“
stellvertretende Leiterin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Forschungssektion Child Public Health, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Ergebnisse der Studie
„Die Studie liefert einen wesentlichen Erkenntnisgewinn, indem sie klinisch validierte Diagnosen psychischer Erkrankungen mit detaillierten Mustern der Nutzung sozialer Medien in Beziehung setzt – ein methodologischer Fortschritt gegenüber bisherigen Untersuchungen, die primär auf Selbsteinschätzungen basierten. Besonders hervorzuheben ist der Befund, dass qualitative Nutzungsmuster – etwa intensiver sozialer Vergleich und emotionale Reaktion auf Online-Feedback – eine größere Bedeutung für die psychische Gesundheit haben als die reine Nutzungsdauer. Jugendliche mit internalisierenden Störungen wie Depressionen oder Angststörungen zeigen häufiger belastende Nutzungsmuster. Diese differenzierte Betrachtung klinischer Subgruppen erweitert den bisherigen Forschungsstand.“
Stärken und Schwächen der Studie
„Eine zentrale Stärke der Studie liegt in ihrer großen, bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe sowie in der Anwendung standardisierter klinischer Diagnostikverfahren, was die Validität der Befunde erhöht. Ergänzend ist jedoch zu beachten, dass psychische Symptome auch unterhalb klinischer Schwellen das Wohlbefinden beeinträchtigen und prognostisch relevant sein können. Die Datenerhebung erfolgte im Jahr 2017 – also vor der COVID-19-Pandemie und dem Aufstieg neuer Plattformen wie Tiktok –, was die Übertragbarkeit auf die heutige Situation einschränkt. Zudem erlaubt das querschnittliche Studiendesign keine Rückschlüsse auf Kausalität.“
Implikationen der Studie
„Die Befunde unterstreichen die Notwendigkeit, die Nutzung sozialer Medien systematisch in die Diagnostik und Behandlung von Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen einzubeziehen. Insbesondere bei internalisierenden Störungsbildern wie Depressionen oder Angststörungen sollten problematische Nutzungsmuster erfasst und reflektiert werden. Interventionen zur Förderung von Medienkompetenz könnten eine relevante Ergänzung bestehender Präventions- und Therapieansätze darstellen.“
Auf die Frage, inwiefern sich durch den Konsum sozialer Medien der Gesundheitszustand von Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen weiter verschlimmert:
„Die Studie zeigt, dass Jugendliche mit psychischen Erkrankungen empfänglicher für negative Wirkungen sozialer Medien sind – zum Beispiel durch verstärkten sozialen Vergleich oder emotionale Reaktionen auf Online-Feedback. Diese Mechanismen können bestehende Symptome wie Selbstwertprobleme oder Rückzugstendenzen verstärken. Ein unreflektierter oder exzessiver Konsum kann dadurch zur Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens beitragen.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Fassi L et al. (2025): Social media use in adolescents with and without mental health conditions. Nature Human Behaviour. DOI: 10.1038/s41562-025-02134-4.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2025): Entwicklung des Risikoverhaltens von Jugendlichen in den USA. Statements. Stand: 18.03.2025.
Science Media Center (2024): Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Press Briefing. Stand: 04.12.2024.
Science Media Center (2023): Auswirkungen sozialer Medien auf mentale Gesundheit. Press Briefing. Stand: 12.12.2023.
Prof. Dr. Marcel Romanos
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP), Universitätsklinikum Würzburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte.“
Anne-Linda Camerini Ph.D.
Lecturer and Researcher at the Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Lugano, Schweiz
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Dr. Anne Kaman
stellvertretende Leiterin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Forschungssektion Child Public Health, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“