Erklärt das Wetter den Insektenrückgang?
Studie: Faktor Wetter hat wesentlichen Einfluss auf Rückgang der Insektenbiomasse
Klimawandel und Wetter gelten bislang als ein Faktor unter vielen
Forschende: wichtiger Beitrag, dennoch Kritik angebracht, vor allem dürfen andere Stressoren nicht als unwesentlich missverstanden werden
der Faktor Wetter spielt eine wichtige Rolle bei den Schwankungen in den langjährigen Trends der Insektenbiomasse. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie eines Teams aus Deutschland und der Schweiz, die am kommenden Mittwoch im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wird. Auf Grundlage der Daten der viel zitierten Krefeld-Studie, auch oft Hallmann-Studie genannt, analysieren sie Anstiege und Rückgänge der Insektenbiomasse über 34 Jahre und das Wetter und Wetteranomalien an den Orten der Probennahme. Bis zu 75 Prozent der Trends ließen sich so mit diesen Faktoren erklären, wenn sie zusätzlich zum Wetter auch räumliche und zeitliche Auflösungen der Habitate berücksichtigten, so die Forschenden. Diese Studie wirft ein neues Licht auf die intensive Debatte um die möglichen Ursachen des so genannten Insektensterbens.
Kurator für Ökologie, Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg , und außerplanmäßiger Professor für Biodiversität und Naturschutz, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier, UND Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN
„Unser Wissen über die Ursachen von Schwankungen der Insektenbiomasse ist noch sehr begrenzt, anders als für das Artensterben. In der Krefeld-Studie [1] konnte keine klare Ursache für den starken Rückgang der Insektenbiomasse identifiziert werden, da systematische Daten zu solchen Faktoren fehlten. Die Autoren haben nun sehr detailliert die Auswirkungen der Witterung auf die Insektenbiomasse analysiert. Dass Insektenpopulationen sehr stark von der Witterung beeinflusst werden, ist bereits sehr lange bekannt, aber die Bedeutung im Kontext der Biomassedaten war unklar.“
Suche nach der Ursachen des Insektenrückgangs
„Wie die Autoren der aktuellen Studie richtig feststellen, ist es wichtig, die Insektenbiomasse von der Artenvielfalt zu trennen. Die Auswirkungen von Habitatverlust und -veränderungen – aufgrund der Intensivierung der Landwirtschaft – auf die Artenvielfalt der Insekten ist bereits gut belegt. Auch in der vorliegenden Studie erklärt der Faktor Habitat etwa 20 Prozent der Variation der Daten zur Biomasse. Den Autoren war es aber wichtig festzustellen, dass die Schwankungen der Witterung – und damit natürlich langfristig auch der Klimawandel – eine ebenso wichtige Bedeutung für die Biomasse haben, was sich auch auf gefährdete Arten auswirken kann.“
Einfluss von Wetter und Klima
Auf die Frage, inwiefern die Schlussfolgerung des Studienteams nachvollziehbar ist, dass der ermittelte Einfluss des Wetters die Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs stark verändern wird:
„Ich halte diese Schlussfolgerung für sehr gut nachvollziehbar. Das Insektensterben ist ein recht komplexes Phänomen. Unsere eigenen Studien bestätigen, dass es Gewinner und Verlierer sowohl des Klimawandels als auch des Landnutzungswandels gibt und dass diese beiden Faktoren interagieren. So haben sich einige vor 30 Jahren noch stark gefährdete Arten – wie die Europäische Gottesanbeterin, die Blauflügelige Ödlandschrecke oder die Feldgrille – inzwischen aufgrund des wärmeren Klimas weit ausgebreitet und gelten heute nicht mehr als gefährdet. Andere, früher häufige Arten – wie der Bunte Grashüpfer – werden dagegen in großen Teilen Europas in Folge von Dürren seltener. Dies passt gut zu den Vermutungen der Autoren der aktuellen Studie, dass der Klimawandel zu synchronen Abnahmen der Biomasse in großen Gebieten führen kann.“
Maßnahmen zum Klimaschutz ausreichend für Insektenschutz?
Auf die Frage, inwiefern aus dieser Studie abgeleitet werden könnte, dass der Insektenrückgang ‚nebenbei‘ mit Maßnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel gestoppt werden könnte und etwa die Faktoren intensive Landwirtschaft und Umweltbelastung weniger Aufmerksamkeit brauchen:
„Man darf nicht vergessen, dass die Analysen der Autoren auf Wetterdaten fokussieren. Daten zu Umweltbelastung, Landwirtschaft oder Lichtverschmutzung wurden nicht betrachtet. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Witterung einen substanziellen Anteil der Biomasseschwankungen erklärt – etwa 20 Prozent –, aber keineswegs der einzige Faktor im Modell der Autoren ist. Der Faktor Habitat erklärt einen ebenso hohen Anteil der Streuung. Dies war aber keine Neuigkeit und wurde daher nicht in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt.“
Leiter der Arbeitsgruppe Ökotoxikologie und Umwelt, Institut für Umweltwissenschaften, Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau
„Unbestritten ist das Wetter für die Entwicklung von Insekten von großer Bedeutung, vor allem die Bodenfeuchtigkeit und die Temperatur. Eine Korrelation von lokalen Wetterdaten mit Daten zur Biomasse, die über 27 Jahre erhoben wurden, wurde bereits in der Studie von Hallmann [1] durchgeführt und zeigte keinen korrelativen Zusammenhang. In der neuen Analyse wird mit zusätzlichen Datenpunkten aus vier Jahren unter Nutzung anderer Fallensysteme nun ein korrelativer Zusammenhang hergestellt.“
Einfluss von Wetter und Klima
„Mehr noch: Schon die Überschrift der Studie impliziert einen erklärenden, kausalen Faktor. Das Wetter hat allerdings auch einen Einfluss auf die landwirtschaftliche Praxis, zum Beispiel die Termine des Pflügens, der Aussaat und des Mähens, die alle relevant für Insekten sind. Auch Pestizide werden je nach Wetter mehr oder weniger eingesetzt. So führen zum Beispiel bestimmte feuchten Wetterlagen im Frühjahr zu einer starken Entwicklung von Blattläusen und damit zu einem verstärkten Einsatz von Insektiziden. Somit ist das Wetter ein zwar wichtiges Korrelat von Insektenbiomasse, aber es müssen kausal nicht höhere Frühjahrstemperaturen sein, die die Insektenbiomasse verändern, sondern zum Beispiel der wetterbedingte Pestizideinsatz. Dieser wird in der aktuellen Studie weder berücksichtigt noch diskutiert. Die Belastung mit bioaktiven Pestiziden auf 35 Prozent der Landesfläche Deutschlands ist daher nach wie vor ein zentraler Faktor für den beobachteten Insekten- und Biodiversitätsrückgang in der Kulturlandschaft, was von der Politik auf nationaler, EU- und globaler Ebene erkannt wurde und mit Zielen zur Pestizidreduktion auch adressiert wird. Die aktuelle Studie zeigt aber auf, dass Insekten im Offenland auch einem zunehmenden Temperaturstress ausgesetzt sind. Daher ist schnelles Handeln notwendig.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am sDiv-Synthesezentrum, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Methodik
„Ich bin beeindruckt von der Gründlichkeit der Analyse. Die Autoren der aktuellen Studie scheinen einen Weg gefunden zu haben, einen großen Teil der Schwankungen in der Biomasse der Malaise-Fallen mit der Einbeziehung von nur wenigen Wettervariablen erklären zu können. Dies ist seit Jahrzehnten ein heikles Thema, weil niemand weiß, welche Wettervariablen für Insekten am wichtigsten sind. Schließlich könnte jedes Wetterphänomen in jeder Woche des Jahres einen Einfluss auf die Insekten haben. Die Autoren haben dies mit Insektenexperten eingehend diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass das auch Winterwetter und das Frühlingswetter im Probejahr und im vorherigen Jahr für die hier untersuchten Fluginsekten wichtig sind.“
„Wir sollten aber nicht vergessen, dass man mit dieser Methode des Insektenfangs (Malaise-Fallen) nur fliegende Insekten und deren Aktivität messen kann. Wenn die Insekten stillsitzen, wie sie es bei schlechtem Wetter tun, werden sie nicht gefangen, und über auf dem Boden lebende Insekten sagt das überhaupt nichts aus. In diesem Sinne ist es also kein Wunder, dass das Wetter einen wichtigen Einfluss auf die Fänge hat. Die eigentliche Frage ist also, warum Hallmann [1] in ihrer bekannten Studie, die hier als Datengrundlagen genutzt wird, dies nicht ausreichend festgestellt haben. Sie analysierten zwar die Wettervariablen, berücksichtigten aber offensichtlich nicht die richtigen Verzögerungseffekte des vorangegangenen Frühjahrs.“
„Der wichtigste Fortschritt in der aktuellen Arbeit ist, dass die Autoren in der Lage sind, den Fang von Insektenbiomasse pro Jahr besser als bisher zu erklären und die Insektenbiomasse in neuen Proben vorherzusagen. Sie konnten die unerklärlichen Schwankungen in den Krefelder Daten erklären, die die Daten für Hallmann [1] lieferten, und haben den rätselhaften zeitlichen Rückgang ausreichend mit dem Klimawandel aufgeklärt.“
Einfluss von Wetter und Klima
Auf die Frage, inwiefern mit dieser Studie dem Faktor Wetter ein stärkeres Gewicht bei der Ursachensuchen der beobachteten Trends im Vergleich zu den anderen Stressoren beigemessen werden muss:
„Zunächst einmal sollten wir nicht vergessen, dass in der Originalarbeit von Hallmann [1] über den Rückgang der Insektenbiomasse auch kein Hinweis darauf gefunden wurde, dass die Landwirtschaft oder die Lichtverschmutzung oder irgendein anderer menschlicher Einfluss den Rückgang der Insektenbiomasse erklären könnte – im Gegensatz zu dem, was die Medien berichteten.“
„Natürlich wissen wir, dass landwirtschaftliche Intensivierung, Urbanisierung, Umweltverschmutzung und so weiter schlecht für Insekten sind, aber die Hallmann-Studie hat das überhaupt nicht gezeigt. Außerdem waren die Landschaftsveränderungen in Europa in den vergangenen 30 Jahrenim Vergleich zu den Veränderungen zwischen 1950 und 1980 recht bescheiden. Insekten reagieren zwar schnell auf Veränderungen in ihrem Lebensraum, aber wenn es keine Veränderungen gibt, kann das Wetter die Schwankungen viel besser erklären.“
Auf die Frage, inwiefern die Schlussfolgerung des Studienteams nachvollziehbar ist, dass der ermittelte Einfluss des Wetters die Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs stark verändern wird:
„Um ehrlich zu sein, verstehe ich nicht, was die Autoren damit meinen. In der Arbeit, auf die sie sich beziehen [2], geht es speziell um die Auswirkungen des Klimawandels auf Insekten, was die aktuellen Ergebnisse unterstützen würde. Das Einzige, was sie jetzt vielleicht klarer gemacht haben, ist, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf Insekten in Europa jetzt schon deutlich sind, und nicht nur in den Tropen. Dies deckt sich auch mit meinen eigenen Beobachtungen, die ich auf einer Brachfläche in Leipzig gemacht habe, wo wir in feuchten und warmen Jahren deutlich mehr Insekten sehen als in trockenen Jahren (diese Studie ist noch nicht veröffentlicht).“
Maßnahmen zum Klimaschutz ausreichend für Insektenschutz?
Auf die Frage, inwiefern aus dieser Studie abgeleitet werden könnte, dass der Insektenrückgang ‚nebenbei‘ mit Maßnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel gestoppt werden könnte und etwa die Faktoren intensive Landwirtschaft und Umweltbelastung weniger Aufmerksamkeit brauchen:
„Dem würde ich überhaupt nicht zustimmen. Die Klimakatastrophe ist etwas, das nicht verschwinden wird. Selbst wenn wir jetzt sofort aufhören, Treibhausgase auszustoßen, wird sich die natürliche Welt nicht auf das frühere Niveau erholen, sondern im besten Fall auf dem jetzigen Stand bleiben. Stattdessen brauchen wir eine Renaturierung und ein Ende der Zerstörung von Lebensräumen und der Verschmutzung, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Wenn wir zurück auf das alte Niveau kommen wollen, müssen wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend auf eine nachhaltige Lebensweise umstellen. Damit hätten die nächsten Generationen auch noch die Chance auf eine gerechte Zukunft.“
„Andererseits macht diese Studie auch deutlich, dass unsere Bemühungen, die Zerstörung von Lebensräumen und die Umweltverschmutzung zu stoppen, sinnlos sein könnten, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten.“
Leiter des Fachgebiets Biostatistik, Universität Hohenheim
Methodik
„Die angewendeten statistischen Methoden entsprechen den Regeln der Kunst. Dass die Witterungsbedingungen einen Einfluss auf Insekten haben, ist sicherlich kein völlig überraschender Befund. Wie die Autoren unter ‚Future Research‘ betonen, untermauert die Studie aber, dass es sehr wichtig ist, den Faktor Witterung zu berücksichtigen, wenn die Wirkung anderer Faktoren – wie Pestizideinsatz und Habitatveränderungen sowie deren Wechselwirkung mit Witterung und Klimawandel in langjährigen Datensätzen – untersucht wird. Die Autoren weisen darauf hin, dass die hier re-analysierten Daten der Hallmann-Studie [1], die als Datengrundlagen genutzt werden, nur einen begrenzten Gradienten für die Landnutzung aufweisen, so dass solche Wechselwirkungen mit diesen Daten nicht näher untersucht werden können.“
„Die Studie von Hallmann beruht auf Daten bis 2016. Die Autoren der vorliegenden Arbeit nutzen dieselben Daten zur Modellentwicklung. Die Modelle werden dann mithilfe weiterer, neuerer Daten aus Süddeutschland validiert, was die Studie besonders interessant macht, obschon es spannend gewesen wäre, auch neuere Daten aus NRW zu nutzen, die aber nicht vorlagen. Etwas überrascht hat mich zunächst die Aussage im Abstract, dass die Modelle auch den Anstieg der Biomasse nach 2016 erklären würden, der in Abbildung 1 sichtbar ist. Diese legt tatsächlich nahe, nach 2016 sei es zu einem Anstieg gekommen, nach 30 Jahren Abwärtstrend. Zum einen ist hier zu berücksichtigen, dass die neuen Daten aus einer ganz anderen Region Deutschlands kommen, es sind also zwei zeitlich und räumlich getrennte Zeitreihen, wobei der Zeitraum ab 2016 sehr kurz ist. Insofern wäre es vielleicht besser gewesen, die beiden Zeitreihen nicht in eine gemeinsame Grafik zu stellen, sondern in zwei getrennte. Zwar stimmen die Biomassen für das einzig überlappende Jahr 2016 recht gut überein. Daraus allein kann meines Erachtens aber nicht generell auf eine Übereinstimmung sowohl der Trends als auch der absoluten Menge an Biomasse in den beiden Bundesgebieten geschlossen werden. Zum anderen habe ich im vorliegenden Haupttext des Artikels (Der Verlag hat keine Supplementary Information bereitgestellt. Anm. d. Red.) keine Vorhersagen der absoluten Biomasse für Süddeutschland gesehen. Die Autoren präsentieren lediglich eine Korrelation zwischen einem Index (score) für die Witterungsdaten, der aus dem statistischen Modell der Hallmann-Daten für die süddeutschen Validierungsdaten geschätzt wird, und den beobachteten Biomassen in den süddeutschen Daten. Die recht hohe positive Korrelation untermauert, dass die Witterungsdaten einen substanziellen Vorhersagewert haben und in der Tat den Anstieg über vier untersuchte Jahre innerhalb der süddeutschen Daten vorhersagen können. Da der Trend für die süddeutschen Daten (vier Jahre) dem Trend in den langjährigen NRW-Daten entgegenläuft, zeigen diese interessanten Ergebnisse auch, dass die Wetteranomalien mehr als nur den langfristigen, negativen zeitlichen Trend abbilden. Aber die Korrelation sagt nichts darüber aus, wie gut sich die im Vergleich zu den NRW-Daten kurz vor 2016 hohen absoluten Biomassewerte vorhersagen lassen. Eine langfristige Trendumkehr ist aus dieser Validierung keinesfalls abzuleiten und das tun die Autoren auch nicht.“
Einfluss von Wetter und Klima
Auf die Frage, inwiefern die Schlussfolgerung des Studienteams nachvollziehbar ist, dass der ermittelte Einfluss des Wetters die Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs stark verändern wird:
„Der negative zeitliche Trend wird in der vorliegenden Arbeit zunächst durch eine Regression auf die Jahreszahl erfasst. Dies war in der Hallmann-Studie der Fall und das wird auch in der hier durchgeführte Neu-Analyse getan (Modelle 3 und 4). Im nächsten Schritt (Modell 5) wird dann die Jahreszahl ersetzt durch Zahlen, welche sogenannte Wetteranomalien erfassen. Dieses Modell passt ähnlich gut zu den Daten wie die Regression auf die Jahreszahl. Wie die Autoren in Abbildung 2 zeigen und im Text betonen, weisen einige dieser Wetteranomalien selbst einen starken zeitlichen Trend auf, was wiederum angesichts des Klimawandels nicht überrascht. Das ist vermutlich ein Hauptgrund, warum die Regression auf die Jahreszahl zu ähnlichen guten Ergebnissen führt wir die Regression auf die Wetteranomalien. Es ist ganz sicher auch ein Hinweis, dass solche Wetteranomalien eine Rolle spielen können. Es ist allerdings nicht möglich, aus diesem Befund allein einen kausalen Zusammenhang nachzuweisen.“
„Da es in der Studie darum geht, einen langjährigen Trend zu erklären, muss jeder der in Frage kommenden Faktoren selbst einen klaren langjährigen Trend aufweisen, um in einer Regression gut anzuschneiden. Überspitzt formuliert würde eine Regression auf andere Variablen ebenfalls zu einer guten Modellanpassung führen, solange diese nur ebenso einen starken monotonen zeitlichen Trend aufweisen und somit ein guter Ersatz für die Jahreszahl in der Regression sind. Das würde sogar mit Variablen funktionieren, die ganz offensichtlich keinen kausalen Zusammenhang mit der Insektenbiomasse haben können. Dies ist eine grundsätzliche Schwierigkeit und Herausforderung bei Beobachtungsstudien wie der vorliegenden. Insofern ist auch kaum zu erwarten, dass die in der Hallmann-Studie gefundenen negativen Trends allein auf Trends in den Wetteranomalien zurückzuführen sind. Wie die Autoren des vorliegenden Artikels daher selbst unterstreichen, sind hier weitere Langzeituntersuchungen notwendig, idealerweise mit einem umfangreichen Netz von Standorten, die eine hohe Variabilität der vielfältigen möglichen Einflussfaktoren und deren Kombinationen aufweisen und es erlauben, auch die Wechselwirkungen von Klimawandel, Witterung, Pestizideinsatz und Habitatveränderungen zu quantifizieren.“
Maßnahmen zum Klimaschutz ausreichend für Insektenschutz?
„Keinesfalls sollte aus der Studie geschlossen werden, dass Wetterphänomene alleine den dramatischen Verlust an Insektenbiomasse in der Hallmann-Studie erklären können – auch wenn vielleicht manche etwas überspitzte Formulierung so interpretiert werden könnte. Die sehr detaillierte und fundierte Diskussion der Arbeit macht klar, dass die Autoren keinesfalls eine solch eindimensionale Interpretation vornehmen oder beabsichtigen. Die Tatsache, dass diese Studie einen großen Einfluss der Witterung nachweist, bedeutet nicht, dass andere Faktoren wie der Pesitzideinsatz und die Änderung der Landnutzung nicht ebenfalls einen großen Einfluss haben können.“
Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bonn
grundsätzliche Kritik
„Die Studie bringt keinerlei neue Erkenntnisse – im Gegenteil, sie wirft uns zurück in die 1950er Jahre. Die australischen Entomologen Herbert G. Andrewartha und L. Charles Birch hatten sich intensiv mit den Wirkungen des Wetters auf Populationen auseinandergesetzt und vertraten den Standpunkt, dass das Populationswachstum von Insekten maßgeblich vom Wetter beeinflusst wird.“
„Zugleich muss man sagen, dass die Studie quasi das ‚Kind mit dem Bade‘ ausschüttet. Wenn das Wetter fast alles erklärt: Wozu braucht es dann noch Insektenkundler? Wenn Wetter die einzige Einflussgröße wäre, dann müssten Landwirte gar keine Insektizide mehr sprühen – es wäre sinnlos, denn die Insektenmenge würde ja ohnehin nur durch das Wetter beeinflusst.“
„Der Fehler, den die Autoren der aktuellen Studie machen, ist, dass sie zu einfache Modelle präsentieren und dabei die nachweislich wichtigen Einflussgrößen – insbesondere Landnutzung – einfach außen vor lassen.“
„Die Autoren erweisen so der gesamten Debatte um das ‚Insektensterben‘ einen Bärendienst. Alles nun auf Wetter und Klima zu schieben, wirft die Debatte um Jahrzehnte zurück und liefert keinen Erkenntnisgewinn. Zumal die Autoren auch noch zahlreiche wesentliche Datenpunkte herausgelöscht haben – beispielsweise Daten mit mehr als 40 Prozent Baumbeschattung oder Daten aus urbanen Lebensräumen. Gerade in der Krefeld-Studie war aber augenscheinlich die Verbuschung – das heißt, der Aufwuchs von Gehölzen – ein wesentlicher Faktor, der niedrigere Insektenzahlen erklären kann.“
„Es wurde bereits von den Autoren der Krefeld-Studie angemerkt, dass die Ursachen für den Insektenrückgang mit den vorliegenden Daten einfach nicht genau aufgespürt werden können. Nun einfach eine zweite, kürzere Studie aus südlicher gelegenen Gegenden (Bayern) hinzuzunehmen, ist wissenschaftlich recht fragwürdig.“
„In gewisser Weise erscheint dies, als würde man zwei schlechte Studien kombinieren und damit plötzlich meinen, die Welt erklären zu können. Die Krefeld-Studie hatte bekanntermaßen ihre Probleme beim Studiendesign, und auch bei der zweiten nun hinzugenommene Studie aus Bayern [3] gab es – vorsichtig gesagt – Licht und Schatten. So wurden beispielsweise Malaise-Fallen verwendet, die teilweise gar nicht in den entsprechenden Habitaten standen. Es gab zum Beispiel keine Fallen in der Mitte landwirtschaftlich genutzter Felder – die Fallen standen stattdessen am Rande der Felder. Das heißt im Umkehrschluss, dass Aussagen zur Insektenbiomasse in verschiedenen Habitaten mit der nun verwendeten Studie [3] gar nicht so trennscharf getroffen werden können. Auch fehlten bei der Studie damals jegliche Artenlisten.“
Einfluss von Wetter und Klima
„Klimatische Veränderungen haben Insektenpopulationen schon immer beeinflusst – Insekten, als wechselwarme Tiere, sind selbstverständlich in ihrer gesamten Aktivität stark durch Temperatur und Feuchtigkeit geprägt. Daraus sollte man aber keinesfalls folgern, dass andere Einflussgrößen unbedeutend sind. Im Gegenteil: Die Kunst besteht darin, exakte Studien so anzulegen, dass sich Wetter und andere Effekte klar trennen lassen. Es gibt beispielsweise eine Unmenge an experimentellen Studien zu den Auswirkungen von Düngung, Pflanzenschutz, Bodenbearbeitung, Dürre, Temperaturerhöhung, sowie gestiegenem CO2-Gehalt der Atmosphäre auf Insekten, in welchen sich Kausalzusammenhänge wunderbar miteinander vergleichen lassen.“
„Man kann die Dynamik eines Systems nicht durch pures Betrachten verstehen. Ein schlechter Datensatz wird durch Kombination mit einem zweiten Datensatz nicht unbedingt besser.“
Auf die Frage, inwiefern die Schlussfolgerung des Studienteams nachvollziehbar ist, dass der ermittelte Einfluss des Wetters die Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs stark verändern wird:
„Diese Schlussfolgerung ist in dieser Form nicht haltbar – die Daten der Hallmann-Studie geben prinzipiell sowieso nicht genug her, um Kausalzusammenhänge aufzuklären. Hier hilft auch die Hinzunahme einer zweiten Studie nicht weiter – aus anderen Ländern, wie beispielsweise der Schweiz, liegen hervorragende Ergebnisse aus dem strukturierten Biodiversitätsmonitoring vor. Es ist verwunderlich, dass derartige Ergebnisse in der vorliegenden Studie nicht mit einer Silbe erwähnt werden.“
Maßnahmen zum Klimaschutz ausreichend für Insektenschutz?
Auf die Frage, inwiefern aus dieser Studie abgeleitet werden könnte, dass der Insektenrückgang ‚nebenbei‘ mit Maßnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel gestoppt werden könnte und etwa die Faktoren intensive Landwirtschaft und Umweltbelastung weniger Aufmerksamkeit brauchen:
„Die aktuelle Studie ist in ihrer Kernaussage absolut fatal und hätte von ‚Nature‘ in dieser Form nicht publiziert werden sollen. Ja, Wetter und Klima sind wichtig für Insektenpopulationen. Aber alles ausschließlich auf Wetter und Klima zu reduzieren: Das ist zu einfach gedacht. Immerhin sind beispielsweise Insektizide dazu gedacht, Insektenbestände zu reduzieren – sonst würden nicht Millionen Euro in deren Erforschung investiert werden.“
Leiter des Fachgebiets Chemische Ökologie, Stellvertretender Leiter des Instituts für Biologie, Fakultät für Naturwissenschaften, Direktor des Zoologischen und Tiermedizinischen Museums, Universität Hohenheim
„Die aktuelle Studie befasst sich mit der Frage, wie der in der Krefeld-Studie [1] beobachtete Rückgang in der Biomasse an Insekten in Malaise-Fallen in Naturschutzgebieten zu erklären ist. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das Wetter und damit letztlich der Klimawandel die Abnahme verursacht hat. Dabei unterschlagen sie, dass die Landwirtschaft in ihren eigenen Analysen einen ebenso großen Einfluss auf die Daten hat. Die Studie stützt also die Hypothese, dass Klimawandel und Landwirtschaft gleichermaßen den Rückgang der Insekten verursacht haben. Dies gilt allerdings nur, wenn man davon ausgeht, dass die Studie korrekt durchgeführt wurde, woran man auch Zweifel haben kann.“
Methodik
„Die Arbeit befasst sich mit der Frage, wie der in der Krefeld-Studie beobachtete Rückgang von 75 Prozent in der Biomasse an Insekten in Malaise-Fallen in Naturschutzgebieten im Zeitraum von 27 Jahren zu erklären ist. Die Autoren untersuchen die Hypothese, dass das Wetter und damit letztlich der Klimawandel die Abnahme verursacht hat. Dies ist eine von mehreren Hypothesen, die auch von den Autoren der Krefeld-Studie untersucht wurde [4].“
„Bei ihrer Analyse nahmen die Autoren an, dass die Populationsdichte von Insekten in einem bestimmten Jahr durch die Population der Insekten im Vorjahr, die Entwicklung der Insekten über den Winter und das Ende der Überwinterungsphase im Frühjahr des Fangjahres beeinflusst wird. Daher suchten sie nach Korrelationen zwischen den Fangdaten der Krefeld-Studie und neueren Daten aus Malaise-Fallen-Studien in Bayern von 2016 bis 2022 mit Anomalien in den Wetterdaten im Frühjahr des Vorjahres sowie im Winter und im Frühjahr des Fangjahres. Tatsächlich fanden sie, dass ein Teil der Variation der Fangdaten unerklärt bleiben – etwa 22 Prozent können mit den Wetterdaten erklärt werden. 52 Prozent der Variation wird durch andere Faktoren erklärt, ungefähr 25 Prozent.“
„Dies ist aber nur die halbe Wahrheit. In ihren eigenen Analysen wird ein etwa ebenso großer Anteil an der Variation in den Daten (20,4 Prozent) durch den prozentualen Anteil an landwirtschaftlicher Fläche im Umfeld um die Probenstandorte erklärt. In der Analyse der neuen Daten von 2016 bis 2022 ist die Abnahme, die durch die landwirtschaftlichen Flächen verursacht wird, sogar deutlich höher als die Abnahme durch Wetteranomalien. Dies deckt sich mit zahlreichen anderen Studien, die einen deutlichen Zusammenhang gefunden haben zwischen dem Insektenrückgang und der Intensivierung der Landwirtschaft mit ihren Monokulturen auf riesigen Schlägen, dem großflächigen Einsatz von Pestiziden und Dünger, der häufigen Mahd auf Grünland und den Folgen dieser Wirtschaftsweise wie Lebensraumverlust und Fragmentierung der Lebensräume. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der Hauptautor der Krefeld-Studie, Dr. Martin Sorg, die Hypothese favorisiert, dass der Pestizideinsatz auf den landwirtschaftlichen Flächen in der Nähe der Probeflächen der Krefeld-Studie die Rückgänge verursacht haben. Diese Hypothese wird durch den Nachweis von zahlreichen Pestiziden in Naturschutzgebieten gestützt [4].“
„Auch ist unklar, ob das Wetter in den für die Studie gewählten Zeiträumen tatsächlich einen so starken Einfluss auf die Insektenpopulationen haben kann. Immerhin setzen sich Proben von Malaise-Fallen stets aus den Individuen zahlreicher verschiedener Arten zusammen, die sich in ihrer Biologie oft fundamental unterscheiden. Es ist schwer zu glauben, dass alle Arten von den gleichen Wetterphänomenen beeinflusst werden. Haben die Autoren nur die Wetterdaten der dargestellten Zeiträume in die Analyse einbezogen oder haben sie auch die Daten aus anderen Zeiträumen getestet und dann nur die Ergebnisse dargestellt, bei denen ein Effekt zu beobachten war?“
„Die Ergebnisse der Studie stützen also die Hypothese, dass sowohl Klimawandel als auch die Landwirtschaft den Rückgang der Insekten verursacht haben, allerdings nur basierend auf Korrelationen. Die Autoren haben kein kontrolliertes Experiment durchgeführt, sondern Daten der Krefeld-Studie und eigene Daten zusammengeführt und mit Wetterdaten verglichen und Korrelationen gefunden, mehr nicht. Ein ‚Beweis‘ für den Einfluss des Klimas auf den Rückgang sind diese Korrelationen nicht.“
„Ich kann nicht beurteilen, ob die statistische Analyse ‚besser‘ ist als die Analyse der Krefeld-Studie. Allerdings ist es immer problematisch, wenn Daten aus verschiedenen Studien zu gemeinsamen Analysen zusammengeführt werden, weil oft unklar ist, ob sie vergleichbar sind.“
Einfluss von Wetter und Klima
„Grundsätzlich ist klar, dass Insektenpopulationen stark vom Wetter abhängig sind. Das Wetter wird im Allgemeinen auch als einer der Hauptfaktoren für die starke Fluktuation von Insektenpopulationen angesehen. Allerdings konnte die Krefeld-Studie in ihren Analysen nur einen kleinen Einfluss des Wetters auf die Fangdaten finden. Auch sonst wurde bisher die Rolle des Wetters für den Rückgang der Insekten in Mitteleuropa als eher gering eingeschätzt, anders als in den Tropen. Der Befund, dass das Klima in Mitteleuropa bereits jetzt eine größere Rolle spielt, wäre neu, aber vielleicht nicht allzu überraschend.“
„Grundsätzlich wurde die mögliche Rolle des Klimawandels und des Wetters beim Insektensterben stets mit beachtet. Es gibt auch gute Hinweise, dass Arten, die Kälte bevorzugen – vor allem sogenannte Eiszeitreliktarten – besonders zurückgegangen sind. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass sich wärmeliebende Arten ausbreiten oder nun in größeren Populationen auftreten, wie zum Beispiel die Massenkalamitäten von Schwammspinnern.“
„Nach wie vor muss aber nach meiner Meinung die Intensivierung der Landwirtschaft als Hauptverursacher des Insektensterbens angesehen werden. Daran ändert auch diese aktuelle Studie nichts. Wie oben dargestellt, zeigen auch die Analysen in dieser Arbeit den Einfluss der Landwirtschaft.“
„Die Lichtverschmutzung spielt sicher auch eine Rolle, betrifft aber nur einen Teil der Arten, wie Nachtfalter, Eintagsfliegen, Köcherfliegen und Zweiflügler (Diptera).“
Auf die Frage, inwiefern die Schlussfolgerung des Studienteams nachvollziehbar ist, dass der ermittelte Einfluss des Wetters die Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs stark verändern wird:
„Diese Aussage der Autoren ist nur die halbe Wahrheit! Zwar lassen sich in dem statistischen Modell etwa 22 Prozent der Variabilität der Daten mit dem Wetter zum Sammelzeitpunkt und Wetteranomalien im Sammeljahr erklären. Allerdings ist der Erklärungswert der landwirtschaftlichen Nutzfläche am Sammelort praktisch ebenso hoch, nämlich 20,4 Prozent. Je höher der Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche ist, desto niedriger die Masse an gefundenen Insekten. Im letzten statistischen Modell der Arbeit, in der nur die neuen Daten von 2016 bis 2022 ausgewertet wurden, ist der Einfluss der landwirtschaftlichen Nutzfläche sogar deutlich höher als der negative Einfluss von Wetteranomalien. Es ist sehr ärgerlich, dass dieser Umstand von den Autoren nicht erwähnt wird und sie sich ausschließlich auf den Klimawandel fokussieren.“
„Geradezu befremdlich wird diese Fokussierung in der Diskussion der Arbeit, in der die Autoren die die Vermutung aufstellen, dass auch der Rückgang der Vogelarten in der Agrarfläche durch den vom Klimawandel verursachten Rückgang der Insekten hervorgerufen wurde. Dies widerspricht allen gut etablierten Erkenntnissen, nach denen dieser Rückgang durch die geringe Größe, die Fragmentierung, die schlechte Qualität von geeigneten Offenlandhabitaten und den Pestizideinsatz verursacht wird und durch Schaffung entsprechender Habitate rückgängig gemacht werden kann.“
Maßnahmen zum Klimaschutz ausreichend für Insektenschutz?
Auf die Frage, inwiefern aus dieser Studie abgeleitet werden könnte, dass der Insektenrückgang ‚nebenbei‘ mit Maßnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel gestoppt werden könnte und etwa die Faktoren intensive Landwirtschaft und Umweltbelastung weniger Aufmerksamkeit brauchen:
„Es besteht in der Tat die große Gefahr, dass diese Arbeit in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, der Klimawandel und nicht die Landwirtschaft sei die Hauptursache für das Insektensterben und daraus gefolgert wird, dass kein Wandel in der Landwirtschaft erforderlich ist. Wie oben dargestellt, ist dieser Eindruck falsch. Die Studie deutet vielmehr darauf hin, dass Klimawandel und Landwirtschaft gleichermaßen zum Rückgang beitragen.“
Leiter des Lehrstuhls für Tierökologie und Tropenbiologie, Fakultät für Biologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
„Um es vorweg zu sagen: Diese Studie gibt keine Entwarnung! Wir beobachten einen gravierenden Rückgang der Artenvielfalt durch vielfältige menschliche Einflüsse. Neu ist, dass die jährliche Variation der Insektenbiomasse teilweise durch eine Reihe von Witterungsanomalien erklärt werden kann und dass in den letzten Jahren einer Erholung der Insektenbiomasse in Malaise-Fallen zu beobachten war. Die Biomasse erlaubt keine direkte Aussage zur Veränderung der Artenvielfalt.“
„Die Studie füllt eine wichtige Lücke in unserem Verständnis. Bisher gab es trotz diverser Ansätze keine belegbare Erklärung für den starken Rückgang der Insektenbiomasse in geschützten Offenlandlebensräumen. Es ist plausibel, dass sich Wetterextreme auf Insektenpopulationen auswirken, aber neu, dass diese zu einem langjährigen Negativtrend führen können. Auch wenn dieser Trend in den letzten Jahren unterbrochen erscheint, ist künftig mit einer Zunahme von Wetterextremen und damit stark schwankenden Populationsgrößen zu rechnen. Entgegen dem oft angenommenen positiven Effekt höherer Durchschnittstemperaturen in Mitteleuropa auf Insekten zeigt die Studie, dass der Klimawandel durch häufigere Wetteranomalien negative Effekte auf Insekten haben kann. Gerade seltene Arten mit kleinen und isolierten Populationen sind dadurch zusätzlich gefährdet.“
„Die Auswertung ist clever gemacht und methodisch korrekt. Limitierend ist wie so oft die fehlende Verfügbarkeit basaler Daten zu langfristigen Veränderungen der Populationsgrößen, Biomasse und Artenvielfalt in einem einheitlichen Versuchsdesign.“
Einfluss von Wetter und Klima
„Die möglichen Auswirkungen des Klimawandels in Kombination mit anderen Faktoren wurden sicherlich nicht vergessen und werden zum Beispiel im Rahmen des Bayerischen Klimaforschungsnetzwerkes bayklif und unserem Verbund Landklif in einem großskaligen Design untersucht.“
Auf die Frage, inwiefern die Schlussfolgerung des Studienteams nachvollziehbar ist, dass der ermittelte Einfluss des Wetters die Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs stark verändern wird:
„Den Autoren ist sicherlich klar, dass ihre Studie eine große öffentliche Wahrnehmung erfahren wird und es wichtig ist, Fehlinterpretationen zu vermeiden. Die Studie ändert nichts an der gravierenden Gefährdung unserer Artenvielfalt und Ökosysteme durch die Kombination von Lebensraumverlust, intensiver Landwirtschaft, Versiegelung und Lichtverschmutzung, um einige Faktoren zu nennen. Wichtig ist, dass der Klimawandel in seiner Komplexität stärker berücksichtigt werden muss. Es ist schon alarmierend, dass Wetteranomalien nicht nur zu jährlichen Schwankungen, sondern auch einem langjährigen Rückgang der Insektenbiomasse führen können. Auch wenn es jetzt eine temporäre Erholung zu geben scheint, sind mittelfristige weitere derartige Negativtrends zu erwarten.“
Maßnahmen zum Klimaschutz ausreichend für Insektenschutz?
Auf die Frage, inwiefern aus dieser Studie abgeleitet werden könnte, dass der Insektenrückgang ‚nebenbei‘ mit Maßnahmen gegen den fortschreitenden Klimawandel gestoppt werden könnte und etwa die Faktoren intensive Landwirtschaft und Umweltbelastung weniger Aufmerksamkeit brauchen:
„Im Gegenteil, häufigere Extremereignisse sind bereits jetzt Realität und werden mit fortschreitender Erwärmung künftig noch häufiger auftreten, mit negativen Konsequenzen für die Insektenbiomasse. Umso wichtiger wird es, andere Gefährdungsfaktoren zu minimieren, um so möglichst große und überlebensfähige Populationen zu erhalten.“
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Co-Vorsitzender des Globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrates (IPBES); , UND Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung
„Die vorgelegte Studie erweitert unsere Kenntnisse bei der Erklärung des Phänomens der Biomasseveränderung bei Insekten. Die Arbeit ist für mich methodisch plausibel, wichtig erscheint mir in vorliegender Arbeit vor allem die Korrektur bezüglich der benutzten Fallentypen. Da ich die Arbeitsweise der Autoren zum Teil recht gut kenne, habe ich hier keine Bedenken – ebenso wie auch bei meiner SMC-Stellungnahme zur Krefeld-Studie in 2017 [5]. Dort schrieb ich im Oktober 2017 aber auch: ‚Die Autoren konnten nicht alle klimatisch relevanten Faktoren einschließen. Nach ihrer eigenen Aussage sind noch weitere Analysen nötig. Daher kann das Klima als wichtiger Faktor nicht ausgeschlossen werden. Die vereinfachte Darstellung, dass Wetterveränderungen oder Änderungen der Landnutzung den Gesamtrückgang nicht erklären können, ist zumindest irreführend.‘ Die Ergebnisse der jetzigen Analysen kommen für mich also nicht unerwartet.“
„Die Landnutzung spielt sicherlich auch bei der Biomasse eine Rolle – in verschiedenster Richtung, wie zum Beispiel beim Befall durch Borkenkäfer in eher monotonen Forsten, in denen wir über eine zu geringe Insektenbiomasse kaum klagen können. Viel wichtiger ist Landnutzung und deren Veränderung aber beim Phänomen des Artenrückgangs, der mit der Biomasse nicht in einen Topf zu werfen ist. Auch wenn Biomasse und Artenzahlen mitunter enger korrelieren können, zum Beispiel bei Schwebfliegen [6], beobachten wir oft klare Unterschiede – zum Beispiel bei den Daten des von uns koordinierten Tagfalter-Monitorings Deutschland, bei dem wir in den vergangenen Jahren nur einen leichten Rückgang der Gesamtindividuenzahlen – also der Biomasse – beobachten konnten, aber die Artenzahlen deutlich abgenommen haben [7].“
„Die vorliegende Arbeit stellt also einen wesentlichen Erkenntnisgewinn dar, wobei weitere erklärende Aspekte noch nicht berücksichtigt sein konnten – beispielsweise der Einsatz von Pestiziden, für das die Daten für eine entsprechende weiterführende Analyse nicht vorliegen, aber sehr wichtig wären – und bei dem man auch von Interaktionen mit Witterung/Klimawandel und anderen Veränderungen der Landnutzung ausgehen muss; dies sowohl für Biomasseentwicklungen (in zunehmender wie abnehmender Richtung) als auch den Verlust der Arten. Dieser Aspekt der Interaktion zwischen Biodiversität, Landnutzung und Klima und weiteren Triebkräften wurde auch in verschiedenen internationalen Berichten als relevant herausgestellt [8] [9].“
„Resümierend: Wir kommen nicht umhin, den Klimawandel, die Landnutzung und den Verlust von Biodiversität gemeinsam zu denken und anzugehen.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe sowohl Kooperationsprojekte mit dem entomologischen Verein Krefeld als auch mit dem Erstautor Jörg Müller, denke aber, ich bin im Kopf frei und kritisch genug.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Erstautor Jörg Müller ist Professor am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie (den ich leite) und wir arbeiten in mehreren Projekten eng zusammen. Ich sehe aber keinen Interessenkonflikt.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Müller et al. (2023): Weather explains the decline and rise of insect biomass over 34 years. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-06402-z.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2023): Metastudie sucht nach Ursachen für Insektenrückgang. Research in Context. Stand: 23.08.2023.
Science Media Center (2020): Metastudie zum globalen Insektenrückgang. Research in Context. Stand: 23.04.2020.
Science Media Center (2017): Insektenarten sind durch Naturschutzgebiete nicht gut geschützt. Research in Context. Stand: 01.02.2023.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Hallmann CA et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. Plos One. DOI: 10.1371/journal.pone.0185809.
[2] Harvey JA et al. (2022): Scientists’ warning on climate change and insects. Ecological Monographs. DOI: 10.1002/ecm.1553.
[3] Uhler J et al. (2021): Relationship of insect biomass and richness with land use along a climate gradient. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-021-26181-3.
[4] Brühl C et al. (2021): Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-021-03366-w.
[5] Science Media Center (2017): Rückgang der Insektenbiomasse um über 75 Prozent. Research in Context. Stand: 18.10.2017.
[6] Hallmann CA et al. (2021): Insect biomass decline scaled to species diversity: General patterns derived from a hoverfly community. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2002554117.
[7] Rada S et al. (2018): Protected areas do not mitigate biodiversity declines: A case study on butterflies. Diversity and Distribution. DOI: 10.1111/ddi.12854.
[8] Diaz S et al. (2019): Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services. IPBES Global Assessment Report.
[9] IPBES/IPCC (2021): Biodiversity and Climate Change - Workshop Report. IPBES-IPCC Co-Sponsored Workshop.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2017): Rückgang der Insektenbiomasse um über 75 Prozent. Research in Context. Stand: 18.10.2017.
Prof. Dr. Axel Hochkirch
Kurator für Ökologie, Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg , und außerplanmäßiger Professor für Biodiversität und Naturschutz, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier, UND Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN
Dr. Carsten Brühl
Leiter der Arbeitsgruppe Ökotoxikologie und Umwelt, Institut für Umweltwissenschaften, Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau
Dr. Roel van Klink
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am sDiv-Synthesezentrum, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Prof. Dr. Hans-Peter Piepho
Leiter des Fachgebiets Biostatistik, Universität Hohenheim
Prof. Dr. Christoph Scherber
Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bonn
Prof. Dr. Johannes Steidle
Leiter des Fachgebiets Chemische Ökologie, Stellvertretender Leiter des Instituts für Biologie, Fakultät für Naturwissenschaften, Direktor des Zoologischen und Tiermedizinischen Museums, Universität Hohenheim
Prof. Dr. Ingolf Steffan-Dewenter
Leiter des Lehrstuhls für Tierökologie und Tropenbiologie, Fakultät für Biologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Prof. Dr. Josef Settele
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Co-Vorsitzender des Globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrates (IPBES); , UND Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung