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23.04.2020

Metastudie zum globalen Insektenrückgang

Die Anzahl und die Biomasse der terrestrischen Insekten gehen in den letzten Jahrzehnten deutlich zurück, während sie bei den Süßwasserinsekten einen positiven Trend zeigen. In den Entwicklungen zeigen sich aber große regionale Unterschiede. Zu diesem Ergebnis kommt das Autoren und Autorinnen-Team um Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv).

Für ihre Arbeit werteten sie 166 Langzeitstudien aus, die insgesamt fast 1.700 Standorte in 41 Ländern untersucht haben. Die Metaanalyse zeigt einen durchschnittlichen Rückgang der terrestrischen Insekten um knapp neun Prozent pro Jahrzehnt. Dies ist damit zwar niedriger als andere veröffentlichte Raten, bestätigt aber den allgemeinen Trend, der deutlich nach unten zeigt. Zugleich belegt die Analyse eine Zunahme der Süßwasserinsekten um fast elf Prozent pro Jahrzehnt. Dabei finden sich große regionale Unterschiede, selbst zwischen räumlich nahe gelegenen Standorten. Während die Anzahl der in Bäumen lebende Insekten nahezu stabil geblieben ist, gibt es heute weniger Insekten auf dem Boden, in Bodennähe sowie in der Luft.

Auf der Suche nach möglichen Ursachen für den Rückgang der terrestrischen Insekten finden die Autoren eine Verbindung zur intensivierten Landnutzung und keinen Einfluss durch den Klimawandel. Als mögliche Erklärung für den global positiven Trend der Süßwasserinsekten sehen sie zum einen die häufig verbesserte Wasserqualität durch konsequentere Wasserschutzgesetze. Zum anderen spielten die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen und ein Nährstoffüberangebot durch Einträge aus der Landwirtschaft eine mögliche Rolle.

Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Science“ publiziert (siehe Primärquelle). Zeitgleich erschien ein ‚Insight‘ ebenfalls in ‚Sciene‘, dass Bezug auf die hier besprochene Arbeit nimmt (siehe Primärquellen).

Übersicht

     

  • apl. Prof. Dr. Axel Hochkirch, Professor für Naturschutzbiologie, Fach Biogeographie, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier UND Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands (IUCN)
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  • Prof. Dr. Christoph Scherber, Leiter der Arbeitsgruppe Tierökologie und multitrophische Interaktionen, Institut für Landschaftsökologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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  • Prof. Dr. Ingolf Steffan-Dewenter, Leiter des Lehrstuhls für Tierökologie und Tropenbiologie, Fakultät für Biologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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  • Dr. Nadja Simons, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitgruppe Ökologische Netzwerke, Lehrstuhl Ökologische Netzwerke, Fachbereich Biologie, Technische Universität Darmstadt
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  • Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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  • Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main
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  • Prof. Dr. Johannes Steidle, Professor für Chemische Ökologie, Leiter Fachgebiet Chemische Ökologie, Institut für Biologie, Fakultät Naturwissenschaften, Universität Hohenheim, Stuttgart
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Statements

apl. Prof. Dr. Axel Hochkirch

Professor für Naturschutzbiologie, Fach Biogeographie, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier UND Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands (IUCN)

„Es handelt sich um eine Meta-Analyse, also um eine umfassende Analyse der bislang publizierten Forschungsarbeiten zu dem Thema. Die Methode stammt ursprünglich aus der Medizin und wurde entwickelt, um einen Überblick über viele – eventuell teils widersprüchliche – Forschungsarbeiten zu schaffen. Generell ist eine solche Analyse anspruchsvoll und die Autoren haben hier hohe Standards befolgt.“

„Allerdings gibt es bei ökologischen Studien häufig das Problem, dass eine Vergleichbarkeit schwierig ist, da unterschiedliche Parameter und Fragestellungen hinter den einzelnen Studien stehen. Dies sieht man daran, dass von den 5.100 gefundenen Studien zu dem Thema nur 166 in den Analysen berücksichtigt werden konnten. Auch gibt es bei ökologischen Metaanalysen meist Schieflagen bezüglich der Repräsentativität für verschiedene Lebensräume, Artengruppen oder geographische Regionen. Tatsächlich weisen die Autoren darauf hin, dass der Großteil der berücksichtigten Forschungsarbeiten aus Europa und Nordamerika stammt. Etwas schade ist, dass die Analyseparameter sehr grob gewählt wurden. So wurde generell nach Trends der Abundanzen (Anzahl der Individuen einer Art; Anm. d. Red.) und Biomasse gesucht, nicht aber unterschieden, ob es sich um häufige oder gefährdete Arten handelt oder ob sich darunter auch invasive, gebietsfremde Arten befinden.“

„Die Analysen bestätigen, dass es einen starken Rückgang von Insektenarten in Europa und Nordamerika gibt. Neu ist die Erkenntnis, dass die Entwicklung in Süßwasser-Lebensräumen deutlich positiver ist als bei terrestrischen Insekten. Generell wissen wir zwar bereits, dass sich die Situation vieler Fließgewässerorganismen – wie zum Beispiel Libellen – hier in Deutschland in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Dass dieser Trend aber auch andere Kontinente betrifft, war nicht bekannt.“

„Überraschend ist auf den ersten Blick, dass die Autoren keinen Zusammenhang der Trends mit dem Anbau von Nutzpflanzen herstellen konnten. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass sie hierfür ein sehr grobes Maß verwendet haben: Auf Landschaftsebene wurde mit einer Auflösung von mehreren hundert Quadratkilometern gearbeitet, auf lokaler Ebene immer noch mit fast einem Quadratkilometer. Die Nutzungsintensität (Geräte, Plotgrößen, Pestizide, Düngung) wurden hierbei nicht berücksichtigt.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Süßwasserinsekten separat zu betrachten und inwiefern diese Abgrenzung auch für andere Lebensräume hätte definiert werden können:
„Tatsächlich macht eine solche Abgrenzung Sinn, da Süßwasserorganismen von ganz anderen Gefährdungsfaktoren beeinflusst werden als terrestrische Arten. So spielen in Süßgewässern Faktoren wie Staudämme, Kanalisierung, Gewässerverschmutzung, Fischerei, Schifffahrt, Wasserentnahme und so weiter eine wichtige Rolle. Eine Abgrenzung anderer Lebensräume wäre sicher ebenfalls interessant gewesen, allerdings muss man hierbei auch die Eignung des Datensatzes berücksichtigen. Häufig fehlt es an einer ausreichend großen Zahl von Studien für einzelne Lebensräume, um hier eine ähnliche Metaanalyse durchführen zu können.“

Auf die Frage, inwiefern die Entwicklung der Süßwasserinsekten eine positive Entwicklung darstellt, wenn zwei der drei diskutierten Ursachen (bessere Wasserqualität, höhere Temperaturen, Nährstoff-Überangebot) ‚negative‘ anthropogene Einflüsse sind:
„Positive Effekte von Wasserschutzmaßnahmen können wir tatsächlich auch hier vor unserer Haustür sehr gut beobachten. Vor mehr als 50 Jahren hat man in Deutschland zahlreiche Fließgewässer begradigt und kanalisiert. Zudem waren viele Gewässer sehr stark mit Giften belastet. In der Folge haben wir viele Süßwasserarten verloren. In den letzten Jahrzehnten ist es aber zu einem Umdenken gekommen. Kläranlagen wurden gebaut und Fließgewässer werden in zunehmendem Maße renaturiert. In der Folge haben sich zahlreiche früher gefährdete Arten wieder erholt. Die Asiatische Keiljungfer (Gomphus flavipes) galt zum Beispiel noch in den 1980er Jahren in Westdeutschland als ausgestorben. Inzwischen kommt diese Libelle wieder in den großen Flüssen vor.“

„Allerdings wurden in der Metaanalyse stehende und fließende Gewässer nicht getrennt. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Studien an Fließgewässern gemacht wurden. Bei stehenden Gewässern hat sich die Lage vermutlich weniger gut entwickelt. Diese Trennung wird jedoch in der Metaanalyse nicht gemacht.“

„Bei den Effekten des höheren Nährstoffangebots und des Klimawandels muss man differenzieren. Hiervon profitieren häufig anpassungsfähige Arten, die meist nicht gefährdet sind, oder Arten, die aus anderen Regionen bei uns eingeschleppt wurden. Solche ‚Qualitäten‘ von Arten wurden in der Analyse nicht berücksichtigt. Hier wurden lediglich generelle Analysen der Biomasse und der Zahl der Individuen (Abundanz) gemacht. Dabei wurde die Artenvielfalt, das Vorkommen eingeschleppter Arten oder die Gefährdung von Arten außer Acht gelassen.“

Auf die Frage, inwiefern die Beobachtung, dass der Insektenrückgang geringer ausfällt, dort wo Nutzpflanzen angebaut werden, der häufigen Erklärung widerspricht, dass intensive Landwirtschaft und Monokultur-Anbau ein wichtiger Grund für das Insektensterben wären:
„Der Schwerpunkt der Metaanalyse liegt auf einer Übersicht über die generellen Trends in den Anzahlen und der Biomasse von Insekten. Da es sich um sehr viele unterschiedliche Einzelstudien handelt, sind detaillierte Analysen der treibenden Gefährdungsfaktoren bei solchen Datensätzen generell schwierig.“

„Für ihre Untersuchungen zu den Effekten der Nutzpflanzen wurde eine sehr grobe Rasteranalyse durchgeführt, bei der lediglich Landschaftsparameter in der weiteren Umgebung der Untersuchungsflächen berücksichtigt werden. Die Auflösung betrug auf Landschaftsebene mehrere hundert Quadratkilometer. Dagegen konnte die Nutzungsintensität (Geräteeinsatz, Nutzpflanzentyp, Anbaumethoden, Pestizide, Düngung) nicht berücksichtigt werden. Alle bislang vorhandenen Studien zu den Effekten der Landwirtschaft zeigen, dass es sehr klare negative Auswirkungen der Intensivierung gibt – nicht nur auf das Artensterben, sondern auch auf das ‚Bauernsterben‘. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche geht zum Beispiel in Europa seit einigen Jahrzehnten zurück, die Nutzung wird dagegen auf der verbliebenen Fläche intensiver.“

„Aufgrund des enormen Flächenunterschieds zwischen terrestrischen und Süßwasser-Lebensräumen können Insektenzunahmen in Gewässern die Abnahmen an Land nicht kompensieren. Auch zeigen die Analysen, dass es eine erhebliche Variabilität in den Trends gibt, das heißt nicht alle Süßwasserlebensräume haben sich positiv entwickelt und nicht alle Landlebensräume negativ. Hierfür sind wesentlich detailliertere, zielgerichtete Untersuchungen einiger Flächen notwendig.“

Prof. Dr. Christoph Scherber

Leiter der Arbeitsgruppe Tierökologie und multitrophische Interaktionen, Institut für Landschaftsökologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Metaanalysen wie die Studie von van Klink et al. sind enorm wichtig, da sie Ergebnisse vieler bisheriger Studien systematisch zusammenfassen. Allerdings steigt und sinkt die Qualität einer Metastudie mit den zugrunde liegenden Daten. Wenn also die Ausgangs-Datenlage schlecht ist, kann auch die Metastudie keine besonders präzisen Trends liefern. In der Studie wurden alle möglichen Organismen, wie Spinnen, Springschwänze, Ameisennester, Wasserinsekten und Nachtfalter, bunt zusammengewürfelt. Dass dann am Ende kein scharf abgrenzbarer Trend herauskommt, verwundert nicht. Zu unterschiedlich sind die Lebensweisen der betrachteten Organismengruppen, und zu unterschiedlich sind die räumlichen Skalen, auf denen diese sich in der Landschaft bewegen. Die Studie schließt damit leider eigentlich keine Wissenslücken, sondern wirft viele neue Fragen auf. Nach dem Lesen bleibt der Eindruck, dass man eigentlich gerne mehr Details zu den Organismengruppen wissen würde: Haben Schadinsekten zugenommen? Sind Spezialisten und gefährdete Arten zurückgegangen? Solche Fragen werden viel besser beantwortet in einer 2019 in ‚Nature‘ erschienenen Studie [1].“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Süßwasserinsekten separat zu betrachten und inwiefern diese Abgrenzung auch für andere Lebensräume hätte definiert werden können:
„Die Abtrennung der Süßwasserinsekten hat mich überrascht. Die meisten davon sind Larven landbewohnender Insekten – zum Beispiel Köcherfliegen, Steinfliegen, Libellen. Insgesamt erscheint diese Trennung künstlich. Viel besser wäre es gewesen, Insekten nach ihren Lebensräumen aufzutrennen. Auch eine Auswertung nach dem Gefährdungsgrad oder der Bedeutung als Schädlinge in Land- und Forstwirtschaft wäre wünschenswert gewesen. Insgesamt fehlen in der Metastudie Auswertungen zur Land- und Forstwirtschaft, den beiden dominanten Nutzungsformen unserer Landschaft.“

Auf die Frage, inwiefern die Entwicklung der Süßwasserinsekten eine positive Entwicklung darstellt, wenn zwei der drei diskutierten Ursachen (bessere Wasserqualität, höhere Temperaturen, Nährstoff-Überangebot) ‚negative‘ anthropogene Einflüsse sind:
Aus der Zunahme der Süßwasserinsekten kann man nichts ablesen. Waren es ‚Allerwelts-Arten‘? Vielleicht waren es ja nur ein paar Mücken? Aus diesen Daten auf eine Verbesserung der Wasserqualität zu schließen, ist abenteuerlich. Die Wasserqualität unserer Fließgewässer und Seen ist nach wie vor schlecht, und landwirtschaftliche Stoffeinträge nehmen eher zu als ab.“

Auf die Frage, inwiefern die Beobachtung, dass der Insektenrückgang geringer ausfällt, dort wo Nutzpflanzen angebaut werden, der häufigen Erklärung widerspricht, dass intensive Landwirtschaft und Monokultur-Anbau ein wichtiger Grund für das Insektensterben wäre:
„Das ist ein ganz normales Phänomen: In landwirtschaftlich geprägten Gegenden verhalten sich Insekten oft gegenläufig. So gibt es zum Beispiel umso mehr Schwebfliegen und Rapsglanzkäfer, je mehr Getreide und Raps angebaut wird. Eine Zunahme der Masse an Insekten kann hier also heißen, dass bestimmte Insekten der Agrarlandschaft – oder sogar Schädlinge – zugenommen haben. Eigene Studien meiner Arbeitsgruppe zeigen dagegen deutlich, dass die Vielfalt an Insekten zurückgeht, wenn die Umgebung von Ackerbau dominiert ist [2]. Dass van Klink et al. keine Effekte auf Landschaftsebene gefunden haben, liegt daran, dass die Landschaftsebene bei der Auswahl an Studien keine Rolle gespielt hat.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es für Ökosysteme nach sich zieht, wenn in den Habitaten der Süßwasserinsekten die Anzahl der Insekten steigt und in den angrenzenden terrestrischen abnimmt:
„Es ist generell mit einer Vereinheitlichung von Insektenbeständen und einer Zunahme an Schadinsekten oder eingeschleppten Arten (Neozoen) zu rechnen. Mehr Insektenbiomasse heißt nicht, dass es den Insekten ‚gut‘ geht – viel spannender wäre die Frage, was mit den Artenzahlen und deren Zusammensetzung geschieht.“

Prof. Dr. Ingolf Steffan-Dewenter

Leiter des Lehrstuhls für Tierökologie und Tropenbiologie, Fakultät für Biologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

„Die Publikation in ‚Science‘ ist ein wertvoller und sehr interessanter Beitrag, der erstmals auf globaler Skala die verfügbaren Informationen zum Rückgang von Insekten in einer Metaanalyse auswertet. Auch wenn der gefundene Rückgang von circa neun Prozent pro Jahrzehnt in terrestrischen Lebensräumen geringer ausfällt als in einzelnen Studien, ist der Rückgang besorgniserregend – gerade in Europa, wo sich der negative Trend im letzten Jahrzehnt verstärkt hat.“

„Die höhere Abundanz (Anzahl der Individuen einer Art; Anm. d. Red.) von Insekten in Gewässern und Landschaften mit einem hohen Anteil an Agrarflächen könnte durch höhere Nährstoffeinträge, Biomasseverfügbarkeit sowie Massenvermehrungen von Schadinsekten zustande gekommen sein und ist keinesfalls Anlass für Entwarnung.“

„Auch diese Studie erlaubt keine konkreten Aussagen zu den kausalen Ursachen für den Rückgang der Insektenabundanz sowie zu dem tatsächlichen Rückgang der Insektendiversität.“

Dr. Nadja Simons

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitgruppe Ökologische Netzwerke, Lehrstuhl Ökologische Netzwerke, Fachbereich Biologie, Technische Universität Darmstadt

„Die Studie trägt alle bisher veröffentlichten Daten aus Langzeitstudien zu Insekten und Spinnen zusammen und wertet die zeitliche Veränderung in den Individuenzahlen und Biomasse aus. Aus den zeitlichen Änderungen pro Untersuchungsfläche leiten die Autoren eine mittlere zeitliche Änderung für Süßwasserinsekten und terrestrische Insekten ab. Die Auswahl der Datensätze ist objektiven Kriterien gefolgt und dadurch nicht voreingenommen für Studien, die einen negativen zeitlichen Verlauf zeigen. Dies war ein großer Kritikpunkt an anderen globalen Metastudien. Die Autoren nutzen komplexe statistische Verfahren und Modelle, um die über 150 Studien vergleichbar zu machen und die Schwierigkeiten bei der Auswertung von Zeitreihen zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der Studie sind aus statistischer Sicht verlässlich und von hoher Qualität.“

„Die Studie verdeutlicht die große Bandbreite an zeitlichen Veränderungen der Insektenzahlen auch innerhalb von Lebensräumen und Kontinenten. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass der global beobachtete Rückgang der Insekten nicht auf einen einzelnen global wirkenden Einflussfaktor zurückzuführen ist. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass in unterschiedlichen Regionen und Lebensräumen spezifische Faktoren von Bedeutung sind.“

„Um den Rückgang der Insekten aufzuhalten oder sogar umzukehren, müssen die lokalen Gegebenheiten betrachtet werden. Die allgemeinen Ergebnisse der Studie sind außerdem stark von den Ergebnissen aus Nordamerika beeinflusst, für Deutschland wurde keine Studie zu Süßwasserinsekten berücksichtigt und die Ergebnisse aus Westeuropa zeigen eher eine Abnahme der Süßwasserinsekten. Die sechs Studien zu terrestrischen Insekten aus Deutschland zeigen hingegen eindeutig einen allgemeinen Rückgang der Insekten.“

„Wir sollten aus den positiven Beispielen lernen: Der schwächere Rückgang von Insekten in Schutzgebieten und die Zunahme von Süßwasserinsekten in Regionen der Erde mit Wasserschutzprogrammen zeigen, dass Umweltschutz wirkt. Um wirksame Maßnahmen zum Schutz der Insekten entwickeln zu können, brauchen wir dringend ein flächendeckendes und standardisiertes Monitoring um lokale Einflussfaktoren zu identifizieren und die Wirksamkeit unterschiedlicher Schutzmaßnahmen bewerten zu können. Denn es gibt weiterhin keinen Hinweis auf einen einzigen global wirkenden Grund für den Rückgang der Insekten.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Süßwasserinsekten separat zu betrachten und inwiefern diese Abgrenzung auch für andere Lebensräume hätte definiert werden können:
„Die Aufteilung zwischen Süßwasserinsekten und anderen Insekten ist sinnvoll, da diese beiden Gruppen gegenläufige Veränderungen über die Zeit zeigen. Eine Betrachtung beider Gruppen zusammen hätte sowohl die allgemeine Zunahme bei den Süßwasserinsekten, als auch die allgemeine Abnahme bei den anderen Insekten verschleiert. Eine Abgrenzung der beiden Gruppen ist auch insofern sinnvoll, da in aquatischen und terrestrischen Lebensräumen unterschiedliche Dynamiken und Einflussfaktoren auf die Insekten einwirken. Auch der Austausch von Individuen zwischen den beiden Lebensräumen ist deutlich kleiner als innerhalb terrestrischer Lebensräume, zum Beispiel zwischen Offenland und Wald. Die Autoren betrachten zudem auch innerhalb der terrestrischen Lebensräume unterschiedliche Lebensräume – Gebirge, mediterrane und Wüstengebiet und so weiter – und finden dort deutliche Unterschiede in der zeitlichen Änderung.“

Auf die Frage, inwiefern die Entwicklung der Süßwasserinsekten eine positive Entwicklung darstellt, wenn zwei der drei diskutierten Ursachen (bessere Wasserqualität, höhere Temperaturen, Nährstoff-Überangebot) ‚negative‘ anthropogene Einflüsse sind:
„Eine Zunahme der Anzahl oder Biomasse von Süßwasserinsekten ist nicht automatisch ein Indikator für eine bessere Wasserqualität oder ökologische Verbesserung der Lebensräume. Je schlechter der Ausgangszustand eines Lebensraumes zu Beginn der einzelnen Langzeitstudie war – zum Beispiel durch Belastung mit Schwermetallen oder starke Verunreinigungen –, desto wahrscheinlicher steht eine Zunahme der Insekten tatsächlich für eine Verbesserung des Lebensraumes. Die Veränderung der Artenvielfalt der Insekten innerhalb eines Lebensraumes und die Ansprüche einzelner Arten sind jedoch viel relevanter für die Qualität eines Lebensraumes als die reine Anzahl an Individuen. Möglicherweise führt das höhere Nährstoffangebot dazu, dass sich einzelne Arten besonders stark fortpflanzen können. Dies könnte dazu führen, dass andere Arten mit spezielleren Lebensraumansprüchen verdrängt werden und so zwar die Anzahl der Individuen insgesamt steigt, aber die Vielfalt der Arten zurückgeht. Diesen Effekt sehen wir auch in terrestrischen Lebensräumen, die eine hohe Nährstoffversorgung haben.“

Auf die Frage, inwiefern die Beobachtung, dass der Insektenrückgang geringer ausfällt, dort wo Nutzpflanzen angebaut werden, der häufigen Erklärung widerspricht, dass intensive Landwirtschaft und Monokultur-Anbau ein wichtiger Grund für das Insektensterben wäre:
„Die Studie betrachtet lediglich den Anteil von Landwirtschaft in der Landschaft um die Untersuchungsflächen herum, jedoch nicht die Art oder Intensität der Bewirtschaftung. Ein negativer Einfluss intensiver Landwirtschaft oder mangelnder Vielfalt in der Landschaft wird also weder bestätigt noch widerlegt. Eine wichtige Erkenntnis, die sich aus der Studie ableiten lässt, ist vielmehr die Beobachtung, dass die Rückgänge stärker sind, wenn die Urbanisierung hoch ist, sprich weniger natürliche oder naturnahe Lebensräume vorhanden sind.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es für Ökosysteme nach sich zieht, wenn in den Habitaten der Süßwasserinsekten die Anzahl der Insekten steigt und in den angrenzenden terrestrischen abnimmt:
„Eine Abnahme der Insektenzahlen wirkt sich auf das gesamte Nahrungsnetzwerk aus, verschiedene Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass die Anzahl insektenfressender Vögel in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist, während andere Vögel keinen Rückgang zeigen. Eine Zunahme der Insektenzahlen in Süßgewässern könnte den Wegfall der terrestrischen Insekten als Nahrungsgrundlage abfedern. Diese Effekte haben aber vermutlich nur eine begrenzte Reichweite innerhalb einer Landschaft. Hinzu kommt, dass nur die Süßwasserinsekten als Ressource für angrenzende Habitate zur Verfügung stehen, welche einen Teil ihres Lebenszyklus außerhalb des Wassers verbringen.“

Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein

Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Van Klink et al. präsentieren die erste weltweite Auswertung über zeitliche Veränderungen der Anzahl und Masse von Insekten und Spinnentieren mittels sehr gut gewählter Methoden. Dies ist für mich die erste wissenschaftlich überzeugende Metaanalyse (Übersichtsstudie) zum Thema ‚Insektenrückgang‘. Die Studie ist überzeugend, weil sie methodisch sehr gut und kritisch durchdacht ist. Dies fängt mit einer gut überlegten Suche und Auswahl der betrachteten Studien an, einer quantitativen Statistik, die es zulässt, Studien mit unterschiedlichen Methode zusammen zu analysieren. Im letzten Jahr wurde die erste Übersichtsstudie zum weltweiten Insektenrückgang publiziert [3]. Die Studie hat weltweit eine hohe Aufmerksamkeit in den Medien bekommen, obwohl die Studie Mängel aufgewiesen hat und von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kritisiert wurde. Diese neue Studie von van Klink et al. räumt die methodischen Schwierigkeiten der vorherigen Studie aus und kommt somit zu verlässlichen Ergebnissen, die plausibel und realistisch sind. Wir haben mit dieser Studie die ersten verlässlichen Daten zu der Frage, wie viel Insekten durchschnittlich in einem Jahr auf dem Land und im Süßwasser verschwinden oder dazukommen.“

Auf dem Land zeigt die Studie eine jährliche Abnahme, die etwas unter einem Prozent liegt und im Süßwasser eine jährlichen Zunahme von etwas über einem Prozent. Die Zahlen beinhalten geschützte und nicht geschützte Gebiete. In Schutzgebiet ist die Abnahme geringer als in nicht geschützten Gebieten.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Süßwasserinsekten separat zu betrachten und inwiefern diese Abgrenzung auch für andere Lebensräume hätte definiert werden können:
„Im Süßwasser leben einige Larven von Insekten, die erwachsen am Land leben, zum Beispiel Mücken oder auch Libellen. Allerdings liegt der Anteil der einzelnen Insekten, die in beiden Lebensräumen vorkamen bei 0,1 Prozent. Somit untersucht diese Studie getrennte Lebensgemeinschaften und damit unterschiedliche Arten in beiden Lebensräumen. Dies halte ich für sehr sinnvoll. Wenn Lebensräume wie Wald und Wiese verglichen würden wäre die Überschneidung größer. Ich nehme an, dass eine weitere Auftrennung von Lebensgemeinschaften in zum Beispiel Wiese und Wald oder Hoch- und Tiefgebirge zu Datensätzen geführt hat, die nicht relevant statistisch auswertbar waren.“

Auf die Frage, inwiefern die Entwicklung der Süßwasserinsekten eine positive Entwicklung darstellt, wenn zwei der drei diskutierten Ursachen (bessere Wasserqualität, höhere Temperaturen, Nährstoff-Überangebot) ‚negative‘ anthropogene Einflüsse sind:
„Die Zunahme der Insekten im Süßwasser würde ich positiv, aber nicht übermäßig positiv bewerten. Erstens wissen wir nicht, welche Arten zugenommen haben und zweitens ist der Anteil am Süßwasser viel geringer als der Landanteil. Um die Ursachen bestimmen zu können, müssten detailliertere Daten gesammelt werden. Deshalb finde ich es sehr wichtig, dass die Forschung heute und in der Zukunft nicht nur die Insekten monitoren, sondern die potenziellen Beeinträchtigungsfaktoren parallel untersuchen.“

Auf die Frage, inwiefern die Beobachtung, dass der Insektenrückgang geringer ausfällt, dort wo Nutzpflanzen angebaut werden, der häufigen Erklärung widerspricht, dass intensive Landwirtschaft und Monokultur-Anbau ein wichtiger Grund für das Insektensterben wäre:
„Die Studie zeigt in Gebieten, in denen schon lange­ Nutzpflanzen angebauten wurden, weniger starke Insektenabnahmen als in Gebieten in denen zum Beispiel Land versiegelt wurde. Dies ist plausibel. Der Ausgangsdatenpunkt sind somit niedriger als wenn der Lebensraum ein Naturhabitat vorher war.“

„Die Autoren zeigen eine Korrelation zwischen der Zunahme der Urbanisierung in der Landschaft und dem Insektenrückgang. Die zeigt, wie auch durch andere Studien bekannt, dass Lebensraumverlust der Hauptverursacher für den Rückgang ist. Eine Aussage, wie weit die Landwirtschaft am Insektenrückgang beteiligt ist, kann diese Studie nicht geben.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es für Ökosysteme nach sich zieht, wenn in den Habitaten der Süßwasserinsekten die Anzahl der Insekten steigt und in den angrenzenden terrestrischen abnimmt:
„Es ist allgemein für Insekten am Land sehr wichtig, einen Zugang zum Süßwasser zu haben. Die gezeigte Zunahme der Insektenmasse/Individuenanzahl im Süßwasser spricht weiter dafür, dass wir Bäche und Flüsse in unseren Landschaften schützen und renaturieren müssen, um Nahrung für Vögel und andere Insekten-fressende Tiere zu haben. Dies ist im Hinblick auf die zunehmende Trockenheit eine Herausforderung, aber extrem wichtig, damit die Vielfalt der Insekten bei uns erhalten bleibt.“

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese

Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main

„Die Stärke dieser Studie ist, dass alle öffentlich verfügbaren Daten, die es weltweit zu Veränderungen in Biomasse und Häufigkeit von Insekten inklusive Spinnen gibt, analysiert wurden. Das ist vergleichbar zu Metaanalysen in der Medizin, die einzelne Studien, die in unterschiedlichen Ländern durchgeführt wurden, zusammenfassen. Die Studie erlaubt deshalb einen globalen Blick auf Veränderungen in Häufigkeit und Biomasse von Insekten. Sie erlaubt es, einzelne Studien, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, zum Beispiel die berühmte Krefelder Studie in einen globalen Zusammenhang zu stellen.“

„Ich finde zwei Ergebnisse der Studie besonders interessant: Die Rückgänge der landlebenden Insekten sind in Europa und vor allem in Nordamerika am stärksten; dies zeigt, auf welchen Kontinenten der größte Handlungsbedarf besteht. Ein zweites besorgniserregendes Ergebnis ist, dass die landlebenden Insekten in Europa über die Jahre immer stärker zurückgehen; der Rückgang ist in den letzten Jahren am stärksten. Dies zeigt, dass wir in Europa derzeit ein akutes Problem mit dem Rückgang von Insekten haben.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Süßwasserinsekten separat zu betrachten und inwiefern diese Abgrenzung auch für andere Lebensräume hätte definiert werden können:
„Die Unterscheidung in landlebende Insekten und Süßwasserinsekten ist ausgesprochen sinnvoll. Die Unterscheidung zeigt, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gibt – landlebende Insekten nehmen ab, Süßwasserinsekten nehmen zu. Dies zeigt, dass die treibenden Faktoren für die Bestandsveränderungen von landlebenden Insekten und Süßwasserinsekten unterschiedlich sind. Dies zeigt auch, in welchen Lebensräumen derzeit der größte Handlungsbedarf besteht, um Rückgänge aufzuhalten, nämlich im terrestrischen Bereich.“

Auf die Frage, inwiefern die Entwicklung der Süßwasserinsekten eine positive Entwicklung darstellt, wenn zwei der drei diskutierten Ursachen (bessere Wasserqualität, höhere Temperaturen, Nährstoff-Überangebot) ‚negative‘ anthropogene Einflüsse sind:
„Mit dieser Art Studien ist es sehr schwierig, die genauen Ursachen von Bestandsveränderungen zu identifizieren. Die Studien geben nur vorläufige Hinweise. Die stärksten Effekte zeigen Naturschutzmaßnahmen: In Schutzgebieten sind die Bestandsentwicklungen positiver, sowohl für landlebende als auch für Süßwasserinsekten. Dies zeigt, das Naturschutzgebiete eine positive Wirkung haben. Allerdings sind für landlebende Insekten die Trends selbst in Naturschutzgebieten im Mittel negativ, nur weniger negativ als in nicht-geschützten Gebieten.“

Auf die Frage, inwiefern die Beobachtung, dass der Insektenrückgang geringer ausfällt, dort wo Nutzpflanzen angebaut werden, der häufigen Erklärung widerspricht, dass intensive Landwirtschaft und Monokultur-Anbau ein wichtiger Grund für das Insektensterben wäre:
„Das ist mit den vorliegenden Analysen sehr schwierig zu beantworten. Wie gesagt: Diese Art von Analysen nicht gut geeignet, um Ursachen von Bestandsentwicklungen zu identifizieren.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es für Ökosysteme nach sich zieht, wenn in den Habitaten der Süßwasserinsekten die Anzahl der Insekten steigt und in den angrenzenden terrestrischen abnimmt:
„Auch hier muss man bei der Bewertung vorsichtig sein. Die Stärke der Studie ist im Wesentlichen, einen Überblick zu geben, wie die Bestandsveränderungen von Insekten weltweit aussehen; die Ursachen für die Veränderungen sind mit dieser Art von Studien schwierig zu bewerten.“

Prof. Dr. Johannes Steidle

Professor für Chemische Ökologie, Leiter Fachgebiet Chemische Ökologie, Institut für Biologie, Fakultät Naturwissenschaften, Universität Hohenheim, Stuttgart

„Zahlreiche Studien der letzten Jahre berichten von dramatischen Rückgängen bei Artenzahlen, Häufigkeit und Biomasse bei Insekten, auch weltweit [3]. Dagegen warnen manche Wissenschaftler vor einer Überinterpretation der natürlichen Schwankungen von Insektenbeständen [4] und kritisieren die mediale Verwendung von Begriffen wie ‚Insect Armageddon‘ oder ‚Insect Apocalypse‘. Die Arbeit von van Klink et al. bemüht sich nun nach eigenen Angaben um ein differenzierteres Bild. Durch die Analyse der Daten von 166 weltweiten Studien kommen sie tatsächlich zu deutlich geringeren Abnahmen bei der Häufigkeit von landlebenden Insekten weltweit – neun Prozent Abnahme pro Jahrzehnt – als frühere Studien für Deutschland, so in [5] circa 27 Prozent Abnahme Biomasse pro Jahrzehnt, in [1] 78 Prozent Abnahme pro Jahrzehnt. Bei Süßwasserinsekten finden sie sogar eine Zunahme um elf Prozent pro Jahrzehnt.“

„Grund zur Entwarnung? Ich denke nein. Erstens sind auch neun Prozent Abnahme pro Jahrzehnt bei landlebenden Insekten langfristig eine Katastrophe. Das stellen auch Klink et al. fest. Und zweitens ergeben sich die niedrigeren Gesamtzahlen vor allem dadurch, dass die Daten für Weltregionen außerhalb von Nordamerika und Europa deutlich geringere oder gar keine Abnahmen zeigen, wobei es aus diesen Regionen aber auch viel weniger Studien gibt. Die gute Nachricht ist also vielleicht – aber wirklich nur vielleicht! –, dass Insekten nicht überall stark abnehmen. In Nordamerika und Europa, wo wir leben, gibt es dagegen sehr hohe Abnahmen, das wussten wir schon vorher. Und wir müssen uns hier darum kümmern, dass dieses Insektensterben beendet wird. Ich denke, die Verwendung der Begriffe ‚Insect Armageddon‘ oder ‚Insect Apocalypse‘ ist nach wie vor berechtigt.“

„Es wurden die Daten aus 166 weltweiten Studien sehr aufwendig statistisch gemeinsam analysiert. Trotzdem bleibt das Problem, dass es sich um unterschiedliche Studien handelt, die möglicherweise nicht vergleichbar sind. Generell bin ich eher dafür, miteinander vergleichbare Daten im Detail zu analysieren, um auch Mechanismen erkennen zu können. Allerdings bin ich kein Statistiker.“

Auf die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Süßwasserinsekten separat zu betrachten und inwiefern diese Abgrenzung auch für andere Lebensräume hätte definiert werden können:
„Grundsätzlich macht es Sinn, Süßwasserinsekten gesondert zu behandeln. Sie gehören größtenteils zu ganz bestimmten Insektenordnungen – Eintagsfliegen, Köcherfliegen, Steinfliegen, Libellen –, die den Großteil ihres Lebens als Larven im Wasser verbringen und nur dort vorkommen, wo es Gewässer gibt. Andere Insektenordnungen wie Schmetterlinge oder Käfer können dagegen überall vorkommen. Darüber hinaus sind Süßwasserinsekten als Bestandteile von Süßwasserökosystemen auch an der Bereitstellung sauberen Wassers beteiligt, einer ‚Ökosystemleistung‘ die oft vergessen wird.“

Auf die Frage, inwiefern die Entwicklung der Süßwasserinsekten eine positive Entwicklung darstellt, wenn zwei der drei diskutierten Ursachen (bessere Wasserqualität, höhere Temperaturen, Nährstoff-Überangebot) ‚negative‘ anthropogene Einflüsse sind:
„Die Tatsache, dass bei Süßwasserinsekten eine Zunahme von elf Prozent über alle Datensätze hinweg gefunden wurde, ist für mich tatsächlich überraschend. Ich denke, man müsste sich die einzelnen Studien noch einmal im Detail ansehen. Ich bin aber auch kein Experte auf diesem Gebiet, da müsste man einen Limnologen fragen. Meine Privatmeinung ist allerdings, dass die Begründung mit steigenden Temperaturen nicht überzeugt. Die dazu zitierte Publikation bezieht sich auf die Zunahme von Insekten in Ablaufsystemen von durch die Klimaveränderung verstärkt abschmelzenden Gletschern, also sehr extremen Lebensräumen [6]. Überzeugender ist die Idee, dass eine Erhöhung der Nährstoffe bei sehr nährstoffarmen Gewässern beziehungsweise eine Verringerung des Nährstoffangebotes durch Abwasserreinigung bei stark verschmutzten Gewässern die Artenvielfalt erhöht. Im ersten Fall muss man sich aber darüber klar sein, das spezialisierte, an sehr nährstoffarme Gewässer angepasste Insektenarten verloren gehen.“

Auf die Frage, inwiefern die Beobachtung, dass der Insektenrückgang geringer ausfällt, dort wo Nutzpflanzen angebaut werden, der häufigen Erklärung widerspricht, dass intensive Landwirtschaft und Monokultur-Anbau ein wichtiger Grund für das Insektensterben wäre:
„Daran, dass intensive Landwirtschaft und Monokulturen erheblich zum Insektenrückgang beitragen, gibt es keinen Zweifel. Wie sich die präsentierten Ergebnisse mit dieser Tatsache vereinbaren lassen, ist mir unklar. Unverständlich ist auch der Hinweis, dies sei ‚consistent with a high profile study‘, nämlich der Arbeit von Hallmann [5]. Die zeigt eine Zunahme der Biomasse bei Insekten aufgrund von abnehmender Ackerfläche, also genau das Gegenteil.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es für Ökosysteme nach sich zieht, wenn in den Habitaten der Süßwasserinsekten die Anzahl der Insekten steigt und in den angrenzenden terrestrischen abnimmt:
„Grundsätzlich ist die Artenvielfalt an den Habitatgrenzen – sogenannte Ökotonen – immer höher als innerhalb von Habitaten, da dort Organismen aus beiden Habitaten vorkommen können. Denkbar ist, dass bei zunehmenden Zahlen bei Süßwasserinsekten die räuberischen Arten der angrenzenden terrestrischen Lebensräume – zum Beispiel Laufkäfer und Spinnen – profitieren. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass dieser Effekt eine Auswirkung auf die Gesamtabnahme bei landbewohnenden Insekten haben würde.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Nadja Simons: „Ich sehe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Johannes Steidle: „Da fällt mir nichts ein.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

van Klink R et al. (2020): Meta-analysis reveals declines in terrestrial but increases in freshwater insect abundances. Science; Vol 368: 417-420. DOI: 10.1126/science.aax9931.

Dornelas M et al. (2020): Nuanced changes in insect abundance. Science; Vol 368: 368-369. DOI: 10.1126/science.abb6861

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Seibold S et al. (2019): Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. Nature 574, 671–674 (2019). DOI: 10.1038/s41586-019-1684-3

[2] Kormann U et al. (2015): Local and landscape management drive trait-mediated biodiversity of nine taxa on small grassland fragments. Diversity and Distributions, 21, 1204–1217 . DOI: 10.1111/ddi.12324

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