Nur wenige CCU-Techniken dienen dem 1,5-Grad-Ziel
Nur acht CCU-Technologien sind mit den Pariser Klimazielen für 2030 vereinbar: drei Karbonisierungsprozesse von Stahlschlacke, die Harnstoffproduktion, drei Prozesse zur Tertiären Ölgewinnung und die CO2-Anreicherung, um die Erträge von Pflanzen zu erhöhen. Das schreibt ein Forscherteam in einer Studie, die am 18.02.2022 in „One Earth“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Für 2050 reduziere sich die Anzahl der sinnvollen Techniken auf vier: drei synthetische Gase und eine Verarbeitung von Stahlschlacke.
Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
„CCU erlaubt CO2-neutrale Prozesse und wird daher eine wichtige Technologiegruppe in einer Circular Carbon Economy sein. Im Zuge dieser Circular Carbon Economy werden synthetische Treibstoffe in der Luftfahrt und Schifffahrt eine entscheidende Rolle spielen, um in diesen Sektoren Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen. Um aber andere CO2-Emissionen sowie nicht-CO2-Treibhausgasemissionen zu kompensieren und somit auch netto-negative CO2-Emissionen zu erreichen, bedarf es neben CCU eben auch CCU plus Speicherung, das heißt Utilization wird durch Storage ersetzt wie in DACCS und BECCS (Direct Air Carbon Capture and Storage und Bioenergy with Carbon Capture and Storage; Anm. d. Red.). Je länger das CO2 gespeichert wird, desto wertvoller ist die Speicherung. Aber auch kurzfristige Speicherung hat einen ökonomischen Wert.“
„Der Artikel bietet einen guten Überblick über derzeit diskutierte CCU-Techniken und verwendet konsistente Definitionen.“
„Die Übersicht über die Technological Readiness Level bietet einen hilfreichen Einstieg in Diskussion über politische Anreizinstrumente, um diese Technologien in die Klimapolitik zu integrieren, und wie man im Hinblick auf die Technologiereife bei der Auswahl der Instrumente differenzieren sollte. So identifiziert der Artikel Technologien mit niedriger Reife, die zum Beispiel von Förderung bei der Grundlagenforschung profitieren würden. Nichtsdestotrotz sollte man die getroffene Einschätzung nicht überbewerten, da solche Übersichten nicht die dezentrale Dynamik von Marktkräften abschätzen können.“
„Es ist wichtig, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Technologien in die Klimapolitik zu integrieren. Hier sollte der Fokus auf dem Europäischen Emissionshandelssystem liegen, wo zu klären ist, wie zirkuläre Emissionen durch Zertifikate abzudecken sind oder nicht – und wie Anbieter von CDR, das heißt CO2-Entnahme mit Speicherung, Zertifikate erhalten, die sie dann im Markt anbieten können.“
Institutsleiter, Institut für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
„Die Autoren haben in der Fachliteratur publizierte CCU-Ansätze unter die LCA-Lupe (Life Cycle Assessment, Lebenszyklusanalyse; Anm. d. Red) genommen und zeigen einmal mehr, dass CCU nicht per se zu einer Reduktion der CO2-Emissionen führt, sondern dass es vom CO2-Fußabdruck der Energie abhängt, die für das CCU-Verfahren eingesetzt wird, von alternativen Nutzungsoptionen der möglicherweise sogar CO2-freien Energie und zum Teil davon, wann das CO2 aus dem Produkt gegebenenfalls wieder freigesetzt wird.“
„Ist die Energie vollständig CO2-frei und wird sie zusätzlich verfügbar gemacht – steht also nicht in Konkurrenz zu anderen Optionen, welche die CO2-Emissionen im Gesamtsystem verringern könnten – und ist das Produkt langlebig, so fällt die Bilanz günstig aus. Im umgekehrten Fall, je kurzlebiger ein Produkt, je höher der CO2-Fußabdruck der Energie oder je mehr im Sinne der CO2-Emissionsreduktion attraktive Nutzungsmöglichkeiten für knappe CO2-freie Energie bestehen, desto ungünstiger fällt die Bilanz aus.“
„Nehmen wir synthetische Kraftstoffe als kurzlebige Produkte, die bei ihrer Nutzung CO2 in die Atmosphäre freisetzen: Stellt man diese aus dem CO2 der Luft und zusätzlich erzeugter CO2-freier elektrischer Energie und CO2-freier Wärme wie zum Beispiel Abwärme oder solare Wärme her, für die vor Ort keine andere Verwendung besteht, so ist das vereinbar mit den Klimazielen. Gibt es vor Ort aber andere Verwertungsoptionen für die CO2-freie Energie, die pro Kilowattstunde einen größeren CO2-Emissionsreduktionseffekt hätten, oder könnte auch nur das Kapital, welches für die Umsetzung des CCU-Verfahrens gebunden wird, realistisch auch anderswo eingesetzt werden, wo ein größerer CO2-Emissionsreduktionseffekt erzielt werden könnte, so müsste man aus Systemsicht eher solche Optionen priorisieren.“
„Drei wichtige Aspekte betrachten die Autoren aus meiner Sicht jedoch nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit. Erstens die Standortfrage: Eine bestimmte CCU-Technologie kann an einem Standort aufgrund klimatischer Bedingungen, vorhandener Infrastruktur oder sonstiger Aspekte kompatibel mit den Klimazielen sein, an einem anderen aber nicht.“
„Zweitens die Frage der unterschiedlichen Akteure und verschiedenen ökonomischen Randbedingungen für unterschiedliche CCU-Technologien und Märkte: Es ist ja kein stringenter Mechanismus etabliert, der bewirken würde, dass die größten CO2-Einsparungen zuerst adressiert werden, sondern es muss im Einzelfall Wirtschaftlichkeit erreicht werden oder zumindest in Aussicht stehen – gegebenenfalls auch durch regulatorische Eingriffe wie Emissionszertifikate, Zumischquoten und Garantiepreise. Die Akteure wählen unter den ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen aus, und dies geschieht in der Regel (noch) nicht branchen- oder gar sektorenübergreifend und auch nicht länderübergreifend, auch wenn dies wünschenswert wäre.“
„Drittens die Möglichkeit der Anpassung von CCU-Verfahren im Laufe der Lebensdauer der betreffenden Anlagen, um eben unerwünschte lock-in-Situationen zu verhindern: Es ist ja möglich durch Nutzung vorhandener CO2-Punktquellen zu Beginn die Wirtschaftlichkeit eines CCU-Verfahrens zu erhöhen – mit Abstrichen bei der CO2-Emissionsreduktion – und eine Anlage nach einer gewissen Laufzeit dann auf eine nachhaltigere CO2-Quelle umzustellen. Gleiches gilt für Teiltechnologien in einer CCU-Umwandlungskette, beispielsweise ein Elektrolyseverfahren. Hier sind generell flexiblere modulare Anlagenkonzepte gefragt, die eine Rekonfiguration von CCU-Verfahren und die Wiederverwendung von Anlagenteilen ermöglichen. Das im Artikel gezeichnete Bild beruht überwiegend auf Erfahrungen mit konventioneller Großanlagentechnik mit langen Entwicklungszeiten und wird der Realität zumindest nicht mehr ganz gerecht.“
„Letztendlich ist CCU eine Recycling-Fragestellung, in diesem Fall von Kohlenstoff, und die Menschheit befindet sich auch aufgrund der Endlichkeit der allermeisten Ressourcen auf dem Weg von einer linearen zu einer zirkularen Nutzung – so wie dies mit bestimmten Metallen bereits praktiziert wird und in Zukunft umfassender mit vielen Rohstoffen praktiziert werden muss. Schon aus diesem Blickwinkel ist die Weiternutzung von fossilem Kohlenstoff in Verbindung mit CCS kein sinnvoller Weg. Gefragt sind aber Technologien zur Gewinnung und Umwandlung von CO2, die dieses Kohlenstoff-Recycling effizient und mit vertretbarem Aufwand ermöglichen, und einen Teil des Kohlenstoffs wird man ausschleusen müssen, um möglichst bald Netto-Null-Emissionen und danach eine signifikante Netto-Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre zu erreichen.“
Leitende Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Energiesysteme, Abteilung Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
„Der direkte Vergleich der Emissionen von CCU-Produkten mit den Emissionen der substituierten Produkte gibt einen sehr guten Überblick darüber, wie nützlich die vielen verschiedenen CCU-Technologien für den Klimaschutz tatsächlich sind. Die Studie zeigt deutlich, dass nur CCU-Technologien, die fossiles CO2 langfristig speichern oder atmosphärisches oder biogenes CO2 nutzen, auch einen Nutzen für den Klimaschutz haben können.“
„Die Schlussfolgerung der Autoren, dass Technologien, die in 2030 einen großen Nutzen bringen, aber in 2050 nicht emissionsneutral sind, eine Exit-Strategie brauchen, greift allerdings zu kurz. Hier fehlt ein Kriterium, das die möglichen Alternativen der Produkte bewertet. Wenn eine CCU-Technologie die einzige oder klimafreundlichste Option ist, ein bestehendes emissionsintensives Produkt zu ersetzen, dann ist jede Emissionsreduktion hilfreich, nicht nur eine vollständige Vermeidung.“
„Ich habe keine Interessenskonflikte in Bezug auf dieses Paper.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
de Kleijne K et al. (2022): Limits to Paris compatibility of CO2 capture and utilization. One Earth. DOI: 10.1016/j.oneear.2022.01.006.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2018): Das Kohlendioxid muss raus. Fact Sheet. Stand: 21.12.2018.
Science Media Center (2021): Negative Emissionen – Wohin mit dem unvermeidbaren Kohlendioxid? Science Response. Stand: 01.06.2021.
Science Media Center (2022): Klimaschutz mit Carbon Farming - eine gute Idee? Science Response. Stand: 03.02.2022.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2022): Technology Readiness Level. Fact Sheet. Stand: 17.02.2022.
Dr. Wilfried Rickels
Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Prof. Dr. Roland Dittmeyer
Institutsleiter, Institut für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
Dr. Jessica Strefler
Leitende Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Energiesysteme, Abteilung Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam