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03.02.2022

Klimaschutz mit Carbon Farming - eine gute Idee?

Landwirtinnen und Landwirte in der EU sollen künftig dafür entlohnt werden, wenn sie mehr Kohlenstoff in Böden speichern. Als Teil des Europäischen Green Deal hat sich die EU vorgenommen, bis 2035 den Landnutzungs-, Forst- und Landwirtschafts-Sektor klimaneutral umzubauen [I]. Damit das gelingen kann, müssen die Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft dramatisch sinken und zusätzliche natürliche Kohlenstoffsenken entstehen. Das „Carbon Farming“ [II] soll dabei helfen – die praktische Umsetzung und Finanzierung sind jedoch umstritten. In der ersten Februarwoche diskutieren der Agrar- und Umwelt-Ausschuss des EU-Parlaments erstmalig über Carbon Farming. Bis Ende 2022 will die EU eine Regulierung dazu auf den Weg bringen.

Böden sind neben Ozeanen der wichtigste Kohlenstoffspeicher der Erde. Im Boden enthaltener Humus – also abgestorbenes organisches Material – besteht zu 60 Prozent aus Kohlenstoff. Konventionell bewirtschaftete Agrarböden speichern weniger Kohlenstoff als nicht-bewirtschaftete Böden. Wird die Bewirtschaftung jedoch umgestellt, sodass mehr Humus im Boden erhalten und aufgebaut wird, kann Kohlendioxid aus der Luft gezogen und der Kohlenstoff im Boden gespeichert werden. Das soll durch Carbon Farming erreicht werden. Der Begriff umfasst landwirtschaftliche Praktiken – beispielsweise Agroforstwirtschaft oder den Gebrauch von Zwischenfrüchten und Blühstreifen – die den Kohlenstoffgehalt im Boden erhöhen. Auch das Anheben des Grundwasserspiegels auf bewirtschafteten Moorböden fällt darunter: Je höher das Wasserniveau, umso geringer die Menge an CO2, die aus trockengelegten Torfböden entweicht.

Die EU-Kommission sieht im Carbon Farming auch eine Reihe ökologischer Nutzen: Die Praktiken würden zu verbesserter Luft- und Wasserqualität, Bodenfruchtbarkeit und Klima-Resilienz beitragen, heißt es in einer Mitteilung der Kommission aus dem Dezember 2021 [II]. Ein Großteil der Böden in der EU sind von Erosion, Verschmutzung, Versalzung oder dem Rückgang von organischem Material und Biodiversität gezeichnet. Carbon Farming könnte ein zentrales Werkzeug im Rahmen der EU-Bodenstrategie werden, die zum Ziel hat, bis 2050 alle Böden in der EU zu regenerieren [III].

Trotz des Nutzens für Klima und Ökosysteme ist Carbon Farming unter Naturschützern und Landwirtschaftsverbänden umstritten [IV]. Kritiker bringen an, dass so keine langfristige finanzielle Perspektive für Landwirtinnen und Landwirte geschaffen würde und dass sich der Kohlenstoffgehalt im Boden nicht einfach überwachen ließe. Im Folgenden liefern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Einschätzung zum Carbon Farming: Was kann es bringen und was nicht? Wo liegen Schwierigkeiten? Und wie sollte es finanziert werden?

Die Redaktion des SMC hat der Expertin und den Experten folgende Fragen gestellt:

1. Inwiefern ist der Kohlenstoffkreislauf in konventionell bewirtschafteten Agrarböden gestört und wie viel weniger Kohlenstoff speichern diese verglichen mit „intakten“ Böden? Gibt es kritische Grenzwerte für den Kohlenstoffgehalt, ab denen sich relevante Eigenschaften des Bodens verändern und wenn ja, wo liegen diese?

2. Die EU möchte Möglichkeiten schaffen, Landwirtinnen und Landwirte dafür zu entlohnen, wenn sie mehr Kohlenstoff im Boden speichern. Welches Potenzial hat eine solche Finanzierung? Wie viel CO2 könnte man so jährlich aus der Luft ziehen und wie stark ließe sich der Kohlenstoffgehalt in Agrarböden anheben? Worin bestehen mögliche Probleme?

3. Die Finanzierung des Carbon Farming könnte über den Verkauf von Zertifikaten auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt, über staatliche Förderung oder über die EU-Agrarsubventionen laufen. Was sind jeweils Vor- und Nachteile dieser Modelle?

4. Welche landwirtschaftlichen Praktiken, die Kohlenstoff im Boden binden, halten Sie für besonders praxistauglich? Welche Nebeneffekte haben diese für Ökosysteme und die landwirtschaftliche Bewirtschaftung? Sind Böden, die mehr Kohlenstoff speichern, zwangläufig „gesünder“ und fruchtbarer?

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
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  • Prof. Dr. Sandra Spielvogel, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Pflanzenernährung und Bodenkunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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  • Dr. Carsten Paul, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Folgenabschätzung von Landnutzungsänderungen, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), Müncheberg
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  • Bernhard Osterburg, Leiter der Stabsstellen Klima und Boden, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
    und Dr. Axel Don, Stellvertretender Leiter des Instituts für Agrarklimaschutz, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig

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Statements der Expertin und der Experten zu den Fragen

1. Inwiefern ist der Kohlenstoffkreislauf in konventionell bewirtschafteten Agrarböden gestört und wie viel weniger Kohlenstoff speichern diese verglichen mit „intakten“ Böden? Gibt es kritische Grenzwerte für den Kohlenstoffgehalt, ab denen sich relevante Eigenschaften des Bodens verändern und wenn ja, wo liegen diese?


Prof. Dr. Sandra Spielvogel

„Wenn an den Umweltbedingungen eines Bodens langfristig nichts verändert wird, so stellt sich über die Zeit ein Fließgleichgewicht aus dem Aufbau organischer Substanz – dem Eintrag von Biomasse über Wurzeln und Ernterückständen – und dem Abbau organischer Substanz, zum Beispiel durch Mineralisation, ein. Die Höhe dieses Fließgleichgewichts hängt aber nicht nur von der Bewirtschaftung ab, sondern auch von Faktoren, die der Landwirt kaum oder nur geringfügig beeinflussen kann. Zu diesen Faktoren zählen das Standortklima und die Bodenart – also wie fein- oder grobkörnig der Boden ist. So ist der Kohlenstoffumsatz beispielsweise in sandigeren Böden an wärmeren Standorten höher als in sehr tonigen, nassen Böden an kälteren Standorten. Somit lässt sich auch die Frage nach dem Kohlenstoffgehalt eines ,gesunden‘ oder ,intakten‘ Bodens nicht einfach mit einer konkreten Zahl oder einem Grenzwert beantworten, denn dieser ist standortsspezifisch.“

„Klar ist, dass Böden unter Dauergrünland oder Wald in der Regel deutlich höhere Kohlenstoffgehalte haben als Ackerböden an vergleichbaren Standorten. Somit könnte man am ehesten ableiten, wieviel Kohlenstoff der Boden eines bestimmten Standortes maximal speichern könnte, indem man Ackerböden mit Grünlandböden vergleicht, die sich im Fließgleichgewicht befinden und vergleichbare Standortsvoraussetzungen haben. Hierbei wird der Ackerboden jedoch selbst bei optimaler, kohlenstoffschonender Bewirtschaftung kaum je den Kohlenstoffgehalt des Dauergrünlandes erreichen.“

Bernhard Osterburg und Dr. Axel Don

„Der Gehalt und die Zusammensetzung von Bodenhumus haben einen großen Einfluss auf die Bodenfruchtbarkeit. Der Humusgehalt der Böden in Deutschland reicht von unter einem Masse-Prozent in sehr schwach humosen Böden bis zu 100 Prozent in Moorböden. Die Gehalte hängen von den Bodeneigenschaften – beispielsweise Tongehalt und Wassersättigung –, den klimatischen Verhältnissen, der Art und Menge der zugeführten organischen Substanzen und damit von der Bewirtschaftung ab. Angesichts der hohen natürlichen Variabilität von Humusgehalten ist die Definition von Grenzwerten problematisch. In den mineralischen, landwirtschaftlich genutzten Böden liegt die Humuserhaltung im Interesse der Landwirte. Im Falle entwässerter Moore kann die fortlaufende, mit hohen CO2-Emissionen verbundene Zersetzung des Torfbodens dagegen nur durch Wiedervernässung gestoppt werden.“

2. Die EU möchte Möglichkeiten schaffen, Landwirtinnen und Landwirte dafür zu entlohnen, wenn sie mehr Kohlenstoff im Boden speichern. Welches Potenzial hat eine solche Finanzierung? Wie viel CO2 könnte man so jährlich aus der Luft ziehen und wie stark ließe sich der Kohlenstoffgehalt in Agrarböden anheben? Worin bestehen mögliche Probleme?


Prof. Dr. Sebastian Lakner

„Carbon-Farming verspricht als Begriff mehr als es hält. Es gibt sehr viele politische Möglichkeiten, die Klimabilanz der Landwirtschaft und des Sektors Landnutzung (LULUCF: Land Use, Land-Use Change and Forestry; Anm. d. Red.) zu verbessern. Mir leuchtet nicht ein, warum man jetzt ausgerechnet auf diese Lösung zurückgreift, die besonders unsicher, kompliziert und förderpolitisch fragwürdig ist.“

„Eine Verringerung der Emissionen von Klimagasen in der Landwirtschaft und dem Sektor Landnutzung (LULUCF) ist notwendig, um die Klimaziele Deutschlands bis 2030 zu erreichen. Es ist allerdings sehr fraglich, ob die Kohlenstoff-Speicherung im Boden – zum Beispiel über die Erhöhung des Humusgehaltes – hierzu überhaupt einen messbaren und signifikanten Beitrag leisten kann. Angesichts der sehr unterschiedlichen Bodentypen in Deutschland müsste dies individuell ermittelt werden, was recht aufwändig ist. Variierende Kohlenstoff-Einsparungen je Hektar und komplexe Messmethoden könnten die Glaubwürdigkeit von freiwilligen CO2-Zertifikaten untergraben. Selbst wenn es möglich wäre, über mehrere Jahre den Aufbau von Humus zu fördern und damit die Bindung von Kohlenstoff im Boden zu erhöhen, so reichen einige wenige Anbaufehler in einem einzelnen Jahr aus, dass der Humus wieder abgebaut und der so gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt wird. Andererseits sind landwirtschaftliche Betriebe durch das Bodenschutzgesetz zum Humuserhalt verpflichtet und sie sollten ein eigenes ökonomisches Interesse haben, den Humus-Anteil ihrer Böden zu erhöhen. Insofern wäre eine breit angelegte Förderung auch aus diesem Blickwinkel wenig zielführend und nicht effizient.“

Prof. Dr. Sandra Spielvogel

„Sicherlich würde es in der Praxis helfen, wenn Anreize für Landwirte geschaffen würden, die den Humusaufbau in der Landwirtschaft attraktiv machen. Ob dies über den Handel von CO2-Zertifikaten geschehen sollte, oder ob es sinnvoller wäre, ein Förderprogramm für Maßnahmen zu schaffen, die dem Humusaufbau und vor allem anschließend dem Humuserhalt nützen – darüber lässt sich streiten. Wichtig wäre aus meiner Sicht, dass die finanziellen Anreize auch tatsächlich direkt bei den Landwirten ankommen. Wie hoch das Potenzial einer solchen Finanzierung tatsächlich wäre und wieviel CO2 damit mittel- bis langfristig in den Böden festgelegt werden kann, kann ich nur sehr schwer abschätzen, da es sehr stark vom Ausgangskohlenstoffgehalt der betrachteten Fläche und der konkreten Maßnahme abhängt.“

„Klar ist indes, dass auch Böden keine unendlichen Kohlenstoffspeicher sind. Um klimawirksam Kohlenstoff im Boden zu speichern, muss zusätzlicher Kohlenstoff in den Boden gelangen – zum Beispiel über den Verbleib von mehr Biomasse auf den Flächen – und dort langfristig gebunden werden. Das muss flächengebunden passieren. Wenn dagegen nur organischer Dünger von anderen Flächen transferiert wird, so handelt es sich um eine reine Umverteilung, aber nicht um eine zusätzliche Kohlenstoff-Sequestrierung. Die Kohlenstoffzufuhr müsste außerdem dauerhaft erhöht werden, denn nur dann stellt sich mit der Zeit ein neues Fließgleichgewicht bei insgesamt höherem Kohlenstoffgehalt pro Hektar ein. Das bedeutet auch, dass die Effekte zu Beginn der Maßnahme am größten sind und die Kohlenstoff-Akkumulation mit der Zeit nachlässt, weil sich der Boden dem neuen Fließgleichgewicht annähert und dieses schließlich erreicht. Will man den Erfolg der Maßnahme also verstetigen, so ist dauerhaft ein höherer Kohlenstoffeintrag erforderlich als vor Beginn der Maßnahme, um das neue Fließgleichgewicht zu halten.“

„Probleme sehe ich also einerseits ganz praktisch in der Verstetigung der Maßnahmen beziehungsweise im Humuserhalt nach Ablauf der entsprechenden Förderung. Die Landwirte müssten sich sehr langfristig verpflichten, die Bewirtschaftung der geförderten Flächen umzustellen. Denn die Erhöhung des Humusgehaltes eines Bodens ist reversibel. Es stellt sich also die Frage, wie der positive Klimaeffekt dauerhaft sichergestellt werden soll. Außerdem erkenne ich durchaus ein Gerechtigkeitsproblem. Wir sprechen davon, dass der Kohlenstoffspeicher von Agrarflächen ,wiederaufgefüllt‘ werden soll. Wie ich oben beschrieben habe, ist das ein einmaliger Vorgang, weil dieser Speicher limitiert ist. Das bedeutet aber auch, dass der Effekt, der erzielt werden kann, umso größer ist, je stärker der Boden zu Beginn der Maßnahme an Kohlenstoff verarmt ist. Landwirte, die ihre Flächen schon seit Jahren nachhaltig und humusschonend bewirtschaften, würden von einer solchen Förderung somit am wenigsten profitieren.“

Dr. Carsten Paul

„Würde man weltweit in Böden den Kohlenstoffgehalt der oberen 30 bis 40 Zentimeter um jährlich vier Promille erhöhen, könnte das theoretisch die menschgemachte Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre ausgleichen. Zumindest so lange, bis der Bodenspeicher gefüllt ist. Darauf basiert die Namensgebung der 4-Promille-Initiative, die auf der Weltklimakonferenz in Paris vorgestellt wurde und der sich zahlreiche Staaten, darunter auch Deutschland, angeschlossen haben. Der Wert von vier Promille ist eine symbolische Größe, die tatsächlichen Potenziale sind kleiner, aber immer noch gewaltig. Für Bayern wurde 2017 berechnet, dass dort mit Maßnahmen wie Zwischenfruchtanbau, verbesserten Fruchtfolgen, Ökolandbau, Agroforstwirtschaft und Umwandlung von Acker- zu Grünland rund 30 Prozent dieses Wertes erreichbar wären [1]. Um die Potenziale voll auszunutzen, müssten wir allerdings unsere landwirtschaftliche Produktion und unseren Konsum von landwirtschaftlichen Erzeugnissen drastisch verändern. Das größte Problem bleibt die vollständige Reversibilität. Wird die humusaufbauende Bewirtschaftung nicht fortgesetzt, geht der mühsam aufgebaute Humusvorrat wieder verloren und der Klimanutzen jahrzehntelanger Bemühungen könnte auf null zurückfallen.“

Bernhard Osterburg und Dr. Axel Don

„Der Humus in Böden ist der größte terrestrische Speicher für organischen Kohlenstoff: Weltweit ist in Böden rund viermal so viel Kohlenstoff gespeichert wie in der oberirdischen Vegetation und mehr als doppelt so viel wie in der Atmosphäre. Veränderungen des Bodenhumus haben daher einen großen Einfluss auf die Freisetzung oder Speicherung von CO2. Aus entwässerten, landwirtschaftlich genutzten Moorböden emittieren in Deutschland etwa 37 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – angesichts der hohen Emissionen ist der Moorbodenschutz besonders wichtig. Die praktisch umsetzbaren Potentiale für die zusätzliche Kohlenstoffspeicherung im Humus mineralischer Ackerböden wird mit drei bis fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr für Deutschland geschätzt. Die Steigerung des Humusgehalts ist zeitlich begrenzt, und bei späterer Änderung der landwirtschaftlichen Praktiken kann der gespeicherte Kohlenstoff auch wieder freigesetzt werden.“

3. Die Finanzierung des Carbon Farming könnte über den Verkauf von Zertifikaten auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt, über staatliche Förderung oder über die EU-Agrarsubventionen laufen. Was sind jeweils Vor- und Nachteile dieser Modelle?


Prof. Dr. Sebastian Lakner

„Eine Förderung der Humusmehrung über freiwillige Zertifikate ergibt ökonomisch wenig Sinn und könnte die Glaubwürdigkeit von Klimazertifikaten untergraben. Eine Förderung über die EU-Agrarpolitik erscheint aufgrund der geringen Flächeneffizienz und der Knappheit von Steuergeldern fragwürdig. Hier würde ein Ziel gefördert, das eigentlich im Rahmen des gesetzlichen Bodenschutzes und der guten fachlichen Praxis umzusetzen ist.“

„Freiwillige Zertifikate können dabei helfen, effektive Klimaschutzprojekte zu finanzieren. Dies wird bereits jetzt zum Beispiel bei den sogenannten Moorfutures (Kohlenstoff-Zertifikate für Moorflächen in Norddeutschland; Anm. d. Red.) in der Moorvernässung gemacht. Dies würde jedoch nur funktionieren, wenn pro Fläche eine signifikante und einfach nachweisbare Menge Kohlenstoff langfristig gespeichert würde. Dies ist im Fall der Humusmehrung nicht gegeben. Des Weiteren könnten finanzielle Anreize dazu führen, dass organisches Material von anderen Flächen auf eine Fläche aufgebracht würde, für die ein Zertifikat ausgegeben wird. Dadurch wäre für den Klimaschutz nichts erreicht, da das organische Material dann auf anderen Flächen – auf denen kein Zertifikat ausgegeben wird – fehlt. Die Förderung der Humusmehrung über Zertifikate erscheint aufgrund des geringen Einsparpotenzials je Hektar und einer unsicheren Erfassungsmethode wenig überzeugend.“

„Eine Förderung über die EU-Agrarpolitik erscheint zusätzlich aus anderen Gründen abwegig: Hier würde ein Ziel gefördert, das eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist und das Betriebe, wenn sie vernünftig wirtschaften, ohnehin selbst erreichen wollen. Des Weiteren gibt es andere, weitaus wichtigere Ziele – zum Beispiel Schutz der Biodiversität, Moorvernässung oder Umbau der Tierhaltung – die mit Hilfe der EU-Fördermittel erreicht werden sollen. Insofern erscheint auch diese Förderung praktisch recht schwierig und förderpolitisch höchst fragwürdig.“

Prof. Dr. Sandra Spielvogel

„Das ist eher eine wirtschafts- beziehungsweise agrarpolitische Frage, und daher nicht mein Fachgebiet. Ich bin nicht sicher, ob die verschiedenen Finanzierungsmodelle am Ende zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen würden. Viel wichtiger scheint mir, dass bei der Finanzierung des Carbon Farming – ganz unabhängig vom Förderformat – die oben beschriebenen Probleme berücksichtigt werden. Neben den oben beschriebenen Schwierigkeiten sehe ich noch weitere Probleme darin, dass Emissions-Kompensationen ja grundsätzlich zusätzliche Maßnahmen sein müssen, um Doppelförderungen zu verhindern. Es können also nur solche Maßnahmen gefördert werden, die der Landwirt nicht ohnehin aus anderen Gründen durchführen würde – die also ohne finanzielle Subvention oder Förderung unwirtschaftlich wären. Es stellt sich deshalb erst recht die Frage, ob und wie so eine Maßnahme verstetigt werden soll, wenn die konkrete Förderung nicht mehr gegeben ist.“

„Außerdem muss man bedenken, dass Maßnahmen, die den Humusaufbau an einem Standort fördern, aber die Produktivität senken, zu Verschiebungseffekten auf regionaler Ebene bis hin zu globalen Verschiebungen führen können. Am besten erklärt man das vielleicht mit einem Beispiel: Stellt ein Betrieb die Bewirtschaftung auf einem Teil seiner Flächen um, kann es passieren, dass die restlichen Flächen dafür umso stärker humuszehrend bewirtschaftet werden. In der Summe wäre dann kein positiver Klimaeffekt zu verzeichnen, weil sich die positiven und negativen Maßnahmen im Betrieb die Waage halten würden.“

Dr. Carsten Paul

„Die Förderung von Carbon Farming über den Verkauf von Humuszertifikaten ist problematisch, da die Klimawirkung nicht oder nur unzureichend garantiert werden kann:Ein auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt gehandeltes Zertifikat suggeriert, dass damit Emissionen in gleicher Höhe ausgeglichen werden können. Damit dies tatsächlich der Fall ist, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Hierzu zählt vor allem die Permanenz: Da die auszugleichenden Emissionen jährlich entstehen, müssen auch die Ausgleichsmaßnahmen dauerhaft sein. Bei Humuszertifikaten ist dies jedoch kaum gewährleistet, da eine Änderung des landwirtschaftlichen Managements oder der Umweltbedingungen den gebundenen Kohlenstoff jederzeit wieder freisetzen können. Das lässt sich über Jahrzehnte hinweg nicht garantieren, ja vermutlich nicht einmal erfassen, da das dafür erforderliches Monitoring sehr teuer wäre.“

„Für einen Emissionsausgleich müssen die Maßnahmen darüber hinaus ,zusätzlich‘ sein – das heißt, dass sie ohne den Zertifikatskauf nicht erfolgt wären. Auch das lässt sich kaum gewährleisten, da Landwirtinnen und Landwirte humusaufbauende Maßnahmen auch aus eigener Motivation durchführen, zum Beispiel aus Gründen des Umweltschutzes oder als Klimaanpassungsmaßnahme. Hinzu kommt, dass Böden eine begrenzte Speicherfähigkeit für Humus besitzen. Ob dieser Speicher heute oder in zehn Jahren gefüllt wird, ist für den Klimaschutz irrelevant. Welche Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt aber tatsächlich noch zusätzlich sind oder dann schon dem allgemeinen Standard oder gesetzlichen Vorgaben entsprechen, lässt sich nicht absehen.“

„Verschiebungs-Effekte (Leakage-Effekte) stellen ein weiteres Problem dar. Bisherige Humuszertifikate können nicht ausschließen, dass humusaufbauende Maßnahmen auf zertifizierte Felder konzentriert werden, diese Maßnahmen dafür aber auf nicht zertifizierten Feldern zurückgefahren werden. Ein Beispiel wäre die Umstellung von Mineraldünger auf organische Düngung: Wenn die Gesamtmenge an organischem Dünger gleichbleibt, erhalten in der Folge andere Flächen – im eigenen oder in fremden Betrieben – weniger davon und der Anteil an Mineraldünger erhöht sich dort.“

„Eine staatliche Förderung im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) wäre auf jeden Fall die bessere Lösung, um Carbon Farming zu fördern. Eine entsprechende Ausgestaltung von Fördermaßnahmen und Auflagenbindung (Cross-Compliance) kann dafür sorgen, dass humusaufbauende Maßnahmen implementiert und langfristig beibehalten werden.“

Bernhard Osterburg und Dr. Axel Don

„Die EU-Agrarpolitik fördert bereits viele Maßnahmen zur Erhaltung und Erhöhung des Bodenhumus wie Zwischenfruchtanbau, vielfältige Fruchtfolgen und ökologischen Landbau. Auch zusätzliche, nationale Förderprogramme beispielsweise in Wasserschutzgebieten unterstützen solche Maßnahmen. Kohlenstoffzertifikate auf dem freiwilligen Markt, die auf Humusaufbau beruhen, können weitere Finanzmittel bereitstellen. Allerdings stellen sich verschiedene Fragen: Kommt es zu einer doppelten Finanzierung von Maßnahmen und ihren Wirkungen? Werden die Emissionsminderungen gleichzeitig als Kompensation in den Emissionsbilanzen der Unternehmen und auf die staatlichen Klimaschutzziele angerechnet? Und sind Verlagerungseffekte aus der regionalen Umverteilung organischen Düngers ausgeschlossen? Diese Fragen müssen geklärt werden, um die Zusätzlichkeit der Zertifikate nachzuweisen.“

„Private Projekte zur Kohlenstoffbindung wie neue Hecken, Aufforstungen oder wiedervernässte Moorflächen lassen sich in Bezug auf die Förderung leichter abgrenzen, die Frage der doppelten Anrechnung ist aber auch hier zu klären. Neben der Zusätzlichkeit darf es durch die Zertifikate nicht zu Verlagerungseffekten von Emissionen kommen und bei der Kohlenstoffspeicherung in Böden muss die dauerhafte Speicherung sichergestellt werden.“

4. Welche landwirtschaftlichen Praktiken, die Kohlenstoff im Boden binden, halten Sie für besonders praxistauglich? Welche Nebeneffekte haben diese für Ökosysteme und die landwirtschaftliche Bewirtschaftung? Sind Böden, die mehr Kohlenstoff speichern, zwangläufig „gesünder“ und fruchtbarer?


Prof. Dr. Sandra Spielvogel

„Als zentrale Maßnahme sind verbesserte Fruchtfolgen und Dauerkulturen zu nennen. Der Boden sollte möglichst ganzjährig bedeckt sein. Kulturen mit tiefem Wurzelsystem, die über mehrere Jahre auf der Fläche verbleiben, können den Kohlenstoffgehalt jährlich um bis zu 0,35 Tonnen pro Hektar erhöhen. Dieser Wert unterliegt aus den oben skizzierten Gründen sehr starken Schwankungen. Vorteilhaft ist außerdem, dass der Kohlenstoff durch das tiefgreifende Wurzelsystem auch in tiefere Bodenhorizonte eingetragen wird, wo die Umsatzraten insgesamt langsamer sind. Neben den Dauerkulturen ist der Zwischenfruchtanbau eine sehr sinnvolle Maßnahme. Wenn der Boden dauerhaft bedeckt ist, schützt das zudem vor Erosion.“

„Grundsätzlich sind alle Maßnahmen geeignet, die den Eintrag von organischer Substanz in die Böden erhöhen. Dazu würde auch die Rückführung von Ernterückständen auf die Fläche zählen – sei es direkt oder nach der Verwertung in Form von Gülle, Mist, Kompost oder Gärresten.“

„Ein Missverständnis ist dagegen, dass reduzierte Bodenbearbeitung für sich genommen zum Humusaufbau führen würde. Mulch- und Direktsaat schützen zwar vor Erosion und bewahren die Bodenstruktur und sind somit auch gut für die Bodenfauna – beispielsweise für Regenwürmer. Aber zum Humusaufbau führt die reduzierte Bodenbearbeitung nicht. Der Kohlenstoffgehalt in den oberen 10 bis 15 Zentimetern des Bodens steigt zwar an, weil die fehlende Bodenbearbeitung dazu führt, dass sich in diesem Bereich nun der gesamte Kohlenstoffeintrag konzentriert. Dafür nehmen die Kohlenstoffvorräte aber in den darunter liegenden Bodentiefen ab, da der Eintrag an organischer Substanz hier aufgrund der fehlenden Durchmischung nun reduziert ist und auf Einträge aus der Wurzelbrut (Pflanzentriebe aus oberflächlich wachsenden Wurzeln; Anm. d. Red.) beschränkt ist.“

„Die Frage, ob Böden mit höheren Kohlenstoffgehalten grundsätzlich ,gesünder‘ sind, würde ich umformulieren und sagen, dass sie zumindest in der Regel resilienter sind. Denn die organische Bodensubstanz – beziehungsweise die Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der organischen Bodensubstanz führen – tragen neben der Speicherung von Kohlenstoff zu einer Vielzahl weiterer positiver Effekte bei. Dazu gehört eine Steigerung der Ertragsstabilität und der biologischen Aktivität im Boden sowie eine Steigerung der pflanzlichen Biodiversität durch erweiterte Fruchtfolgen und den Anbau von diversen Zwischenfrucht-Mischungen. Werden Leguminosen in den Zwischenfruchtmischungen angebaut, verringert sich außerdem der Bedarf an mineralischem Stickstoffdünger. Weil der Boden möglichst ganzjährig bedeckt ist und die organische Substanz zur Aggregat-Stabilität beiträgt, verringert sich die Erosion. Außerdem zeichnen sich humusreiche Böden durch eine verbesserte Wasserinfiltration und eine höhere Wasserspeicher-Kapazität aus, was angesichts des Klimawandels und damit zunehmender Extremwetter-Ereignisse wie Starkregen oder Dürre sicher sehr zu begrüßen ist.“

Dr. Carsten Paul

„Zu den besonders praxistauglichen Maßnahmen zählen der Anbau von Zwischenfrüchten, das Belassen zusätzlicher Ernterückstände auf dem Feld, der Anbau von mehrjährigen und von tiefwurzelnden Kulturen, der Anbau von Leguminosen sowie Agroforstsysteme. Der Vorteil von pfluglosen Anbausystemen für den Humusaufbau wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Im Oberboden – bis 30 Zentimeter Tiefe – steigen bei pflugloser Bearbeitung die Kohlenstoffgehalte, im Unterboden können sie dafür aber fallen. Ob über das ganze Bodenprofil betrachtet eine Kohlenstoff-Anreicherung erfolgt oder nicht, ist unklar.“

„Die genannten Maßnahmen haben über den Humusaufbau hinaus verschiedene Synergieeffekte: längere und diversere Fruchtfolgen sowie Agroforstsysteme fördern die Biodiversität in der Agrarlandschaft. Dies wiederum ist gut ist für Bestäubung und für eine natürliche Schädlingskontrolle. Der Anbau von Zwischenfrüchten trägt zusätzlich zum Erosionsschutz bei und kann den Eintrag von Stickstoff ins Grundwasser reduzieren.“

„(Mineral-)Böden mit einem hohen Humusanteil sind in der Regel fruchtbarer, haben eine bessere Aggregat-Struktur, ein aktiveres Bodenleben, eine höhere Infiltrationsleistung (sie erlauben ein stärkeres Eindringen von Niederschlag; Anm. d. Red.), eine bessere Wasser- und Nährstoff-Speicherfähigkeit und einen höheren Nährstoff-Umsatz. Höhere Kohlenstoffgehalte erhöhen somit auch die Resilienz gegen Folgen des Klimawandels, beispielsweise gegen Dürre oder Starkregenereignisse.“

„Allerdings gibt es auch Grenzen. Hochmoorböden sind zum Beispiel Meister im Speichern von Kohlenstoff – sie haben aber eine sehr geringe Fruchtbarkeit.“

Bernhard Osterburg und Dr. Axel Don

„Auf Ackerflächen tragen beispielsweise Zwischenfruchtanbau, vielfältige Fruchtfolgen und ökologischer Landbau zum Erhalt und Aufbau von Humus bei. Wichtig ist dabei vor allem die Humusbildung aus Wurzelrückständen. Eine ganzjährige Begrünung der Ackerflächen hat auch positive Effekte für den Schutz der Böden vor Erosion und für den Wasserschutz. Der Bodenhumus erhöht die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens und hilft daher, im Klimawandel die landwirtschaftlichen Erträge zu stabilisieren. Für einen fruchtbaren und gesunden Boden ist die Zufuhr organischer Substanz und deren Um- und Abbau durch das Bodenleben wichtig. Eine Erhöhung des Humusgehalts durch leicht umsetzbare organische Substanz wird vom Wasserschutz kritisch gesehen, da es durch Humusabbau zu erhöhten Nitrateinträgen ins Grundwasser beitragen kann und deshalb in der Düngeplanung ausreichend berücksichtigt werden muss. Agroforstwirtschaft, also die Anpflanzung von Hecken und Baumreihen, ist eine weitere Maßnahme zur Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung mit vielen Synergien mit dem Natur- und Bodenschutz.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Sandra Spielvogel: „Interessenkonflikte bestehen keine."

Bernhard Osterburg: „Herr Don und ich haben keine Interessenkonflikte. Als wissenschaftliche Mitarbeiter des Thünen-Instituts als öffentlicher Forschungseinrichtung forschen wir für Politik und Gesellschaft. Das Thünen-Institut ist wissenschaftlich unabhängig, veröffentlicht seine Forschungsergebnisse und legt seine Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen transparent dar."

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wiesmeier (2017): Klimaschutz durch Humusaufbau - Umsetzungsmöglichkeiten der 4-Promille-Initiative in Bayern. Kaptitel 2 von Landwirtschaft im Klimawandel Lösungen, die Geld sparen. Schriftenreihe der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. ISSN 1611-4159

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] EU-Kommission (2021): Land Use, Forestry and Agriculture. Webseite der Kommission mit Informationen zu den Plänen für Landnutzung, Forst und Landwirtschaft im Rahmen des European Green Deal.

[II] EU-Kommission (2021): Sustainable Carbon Cycles. Stand: 25.12.2021

[III] EU-Kommission (2021): Factsheet on Soil Strategy.Stand: 17.11.2021

[IV] WWF Deutschland (2021): Position zur Festlegung von Kohlenstoff in Böden und ihrer möglichen Honorierung mittels CO2-Zertifikaten. Kritische Stellungnahme eines breiten Bündnisses von Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden zum Carbon Farming.