Polarisierte Debatten, Gesundheitsfolgen und undurchsichtige Algorithmen – Wie müssen soziale Medien reguliert werden?
Soziale Medien wie Facebook und Twitter haben zu viel Einfluss. Dieser Konsens scheint sich sowohl in der Politik als auch bei Nutzerinnen und Nutzern zu etablieren – und das nicht erst seit den jüngsten Skandalen um Facebook. Sei es wegen der Rolle von Facebook bei der US-Wahl 2016, dem Löschen von Donald Trumps Accounts oder dem Thema Desinformation in der Politik oder bei COVID-19: Immer wieder kommt die Diskussion auf, ob und wie soziale Medien reguliert werden müssen.
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Das SMC hat die Expertin und die Experten am Ende des Press Briefings gefragt, welche Punkte am wichtigsten für die aktuelle Debatte sind und welche Regulierungen nun durchgesetzt werden müssen. Die Antworten auf diese Fragen stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.
Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen
„Regulierung halte ich insbesondere mit Blick auf Aspekte wie Hate Speech und Falschinformationen für wichtig. Da haben wir uns auch schon in Einklang mit den juristischen Fachleuten vor Jahren festgelegt, dass es Regulierung gesetzlich oder entlang der Gesetze braucht, um es auch aus psychologischer Sicht hinzukriegen, Dinge, die ohnehin gesetzlich in Deutschland verboten sind, möglichst schnell auch aus dem Netz zu entfernen.“
„In Bezug auf die psychologischen Wirkungen, zum Beispiel was Instagram-Bilder und die potenzielle Gefährdung junger Frauen angeht, fällt es mir schwer, mir vorzustellen, wie eine Regulierung aussehen soll. Und die vorgeschlagenen Regularien, Kinder auszuschließen von der Plattform, eine eigene Plattform zu bieten, oder Warnhinweise zu senden, sind in diesem Zusammenhang psychologisch voraussichtlich weniger wirksam, als sie das wiederum in den Bereichen Hate Speech oder Falschinformationen sind. Daher kann man da nur gesamtgesellschaftlich wirken – in den Schulen, den Elternhäusern und auch in der öffentlichen Berichterstattung – um da zu sensibilisieren und jungen Mädchen an anderer Stelle noch Rückhalt zu geben.“
Forschungsprogrammleiter „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg, und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich
„Ich halte für am wichtigsten, dass sich die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit in allen Bereichen der Gesellschaft durchsetzen. Das heißt, die Plattformen müssen sich an Recht halten, sie müssen klar machen, nach welchen Richtlinien sie löschen. Sie müssen den Leuten bekanntgeben, warum sie löschen und wie sie sich dagegen wehren können. Das entschärft dann das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber diesen Plattformentscheidungen, genauso wie eine Erklärung eines Staates über etwa Corona-Maßnahmen das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber staatlichen Maßnahmen entschärft. Wenn man Gründe hat, warum etwas geschieht, dann kann man diese Gründe zwar kritisieren, aber sie sind zumindest da und man kann sie besser verstehen.“
„Das heißt, mein Ruf ist für mehr Rechtsstaatlichkeit, zumindest einmal als wichtigen Zwischenschritt hin zu einer besseren Online-Kommunikation. Inhalte werden und wollen wir in näherer Zukunft nicht stärker regulieren. Das soll nicht den Freiheitsraum der Online-Kommunikation gefährden. Also mehr Rahmenpflichten.“
Professor für Medien- und Kommunikationsforschung, Digital Media Research Centre, Queensland University of Technology, Brisbane, Australien
„Ich denke, was vor allem wichtig ist, ist die Überprüfung der Maßnahmen, die die Plattformen selbst unternehmen, um bestimmte Probleme zu regulieren oder einzudämmen. Und was ganz besonders fehlt, sind die Daten. Da müssen wir für die gemeinnützige und unabhängige Forschung die Daten einfordern, die es uns erlauben, zu überprüfen, ob die Maßnahmen auch wirklich greifen und wie weit sie dann auch längerfristig weiterverfolgt und durchgesetzt werden. Dabei geht es zum Beispiel um Maßnahmen von Facebook, Twitter und anderen Plattformen gegen Falschinformationen, den Missbrauch von Daten oder die problematischen Werbeaktionen auf diesen Plattformen.“
„Dazu muss man von außen überprüfen können, was die Plattformen machen. Und das ist im Augenblick nicht gegeben. Und da denke ich, muss noch sehr viel mehr gemacht werden, dass die unabhängige Forschung auch wirklich sehen kann, was nun wirklich die Probleme sind auf diesem Gebiet.“
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] The Wall Street Journal (2021): The Facebook Files. A Wall Street Journal investigation.
[II] U.S. Senate Committee on Commerce, Science & Transportation (05.10.2021): Protecting Kids Online: Testimony from a Facebook Whistleblower. Anhörung von Frances Haugen.
[III] U.S. Senate Committee on Commerce, Science & Transportation (30.09.2021): Protecting Kids Online: Facebook, Instagram, and Mental Health Harms. Anhörung von Antigone Davis, Sicherheitschefin bei Facebook.
[IV] Clegg N (18.09.2021): What the Wall Street Journal Got Wrong. Facebook Newsroom.
[V] Raychoudhury P (26.09.2021): What Our Research Really Says About Teen Well-Being and Instagram. Facebook Newsroom.
[VI] Hagey K et al. (15.09.2021): Facebook Tried to Make Its Platform a Healthier Place. It Got Angrier Instead. The Wall Street Journal.
[VII] Breton T (06.10.2021): Post auf Twitter.
[VIII] Europäische Kommission (15.12.2020): Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on a Single Market For Digital Services (Digital Services Act) and amending Directive 2000/31/EC. Der Gesetzesvorschlag zum Digital Service Act.
[IX] Europäische Kommission (15.12.2020): Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on contestable and fair markets in the digital sector (Digital Markets Act). Der Gesetzesvorschlag zum Digital Markets Act.
[X] Science Media Center (2020): EU-Kommission schlägt neuen Rechtsrahmen für Plattformbetreiber vor. Rapid Reaction. Stand: 15.12.2020.
Prof. Dr. Nicole Krämer
Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Matthias Kettemann
Forschungsprogrammleiter „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg, und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich
Prof. Dr. Axel Bruns
Professor für Medien- und Kommunikationsforschung, Digital Media Research Centre, Queensland University of Technology, Brisbane, Australien