Stuhltransplantation nach Kaiserschnitt für bessere Darmflora?
Eine Stuhltransplantation von der Mutter könnte Neugeborenen nach Kaiserschnittentbindungen helfen, eine gesündere Darmflora aufzubauen. Das wollen niederländische und finnische Wissenschaftler in einer Beobachtungsstudie zeigen. Sie begleiteten sieben Neugeborene, die kurz nach der Entbindung einen Mix aus Darmmikroben der Mutter und Muttermilch erhielten. Die Wissenschaftler entnahmen den sorgfältig ausgewählten Müttern drei Wochen vor Geburt eine Stuhlprobe, untersuchten diese auf Krankheitserreger und verdünnten sie für die Anwendung. Die behandelten Kinder entwickelten im Laufe der nachfolgenden Monate eine Darmflora, die im Vergleich mit bestehenden Daten stärker der einer normalen, vaginalen Geburt entsprach. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Cell“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).
Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie an der Medizinischen Klinik II, Universitätsklinikum Frankfurt
„In der vorliegenden Studie erhielten sieben Neugeborene im Anschluss an ihre Entbindung per Kaiserschnitt ein fäkales Mikrobiotatransferprodukt verdünnt in Muttermilch. Das Präparat wurde aus Stuhl der jeweiligen werdenden Mütter gewonnen. Bei allen Frauen erfolgte vor der Stuhlspende ein ausführliches Screening auf potenziell übertragbare Pathogene. Normalerweise unterscheidet sich die Darmmikrobiota von vaginal und per Kaiserschnitt geborenen Kindern in ihrer Zusammensetzung. Diese Unterschiede wurden durch die Behandlung aufgehoben.“
„Eine ähnliche Studie wurde bereits in der Vergangenheit durchgeführt. Dabei waren die Neugeborenen mit Vaginalsekret der Mütter eingerieben worden. Diese Methode ist im Vergleich aber nicht ganz so effektiv, wie der in der aktuellen Studie verwendete Ansatz.“
„Auch wenn diese Ergebnisse einen wichtigen Schritt für die Mikrobiomforschung darstellen, können sie nicht ohne Weiteres in die klinische Praxis transferiert werden. Zum einen ist die Zahl der behandelten Kinder zu klein, um wirklich belastbare Ergebnisse bezüglich der Generalisierbarkeit des Effektes und insbesondere der Sicherheit liefern zu können. Dazu müssten im Anschluss weitaus größere Studien erfolgen. Zum anderen bleibt zu klären, ob die so modifizierte Ausgangsmikrobiota der Neugeborenen auch wirklich das Entstehen von Erkrankungen im weiteren Verlauf des Lebens dieser Kinder verhindern kann. Man weiß heute zwar, dass per Kaiserschnitt geborene Kinder ein anderes Ausgangsmikrobiom haben als vaginal geborene Kinder, aber die konkreten Auswirkungen dieser Unterschiede auf die Entwicklung von chronischen Krankheiten wie zum Beispiel Allergien, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechselstörungen und psychischen Erkrankungen sind noch nicht vollständig geklärt. Eine solche Intervention lässt sich letztendlich nur rechtfertigen, wenn die Kinder auch langfristig messbar davon profitieren würden. Zusammenfassend ist von einer klinischen Umsetzung zu diesem Zeitpunkt noch abzuraten.“
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
„Die Studie von Korpela und Kolleginnen und Kollegen bewegt sich auf einem aktuell sehr interessanten Forschungsgebiet. Die Relevanz des Geburtsmodus auf die Mikrobiota-Besiedlung des Neugeborenendarms wurde im wissenschaftlichen Diskurs mehrfach bestätigt. Bei einer vaginalen Geburt werden vor allem Mikroorganismen aus dem Stuhl der Mutter, und weniger aus der Vagina, auf das Neugeborene übertragen. Das kann im späteren Leben vor der Entstehung von Krankheiten wie Asthma und Allergien schützen. Der Forschungsansatz, Neugeborenen direkt nach der Geburt eine Stuhltransplantation der Mutter zuzuführen, mag gewagt erscheinen. Vor dem genannten wissenschaftlichen Hintergrund hat es aber eine Berechtigung und könnte sich vorteilhafter auswirken, als das bereits praktizierte Einreiben des Neugeborenen mit Vaginalsekret.“
„Die vorliegende Studie eignet sich aufgrund ihres Studiendesigns jedoch weder für die Einschätzung der Sicherheit noch der Wirksamkeit von Stuhltransplantationen bei Neugeborenen. Die Studienpopulation ist mit sieben Teilnehmerinnen zu gering, um verallgemeinernde Aussagen treffen zu können. Zudem fehlen eine passende Kontrollgruppe und das nötige kontrollierte Design einer klinischen Studie. Eine weitere Schwäche der Studie liegt in methodischen Unklarheiten. Wichtige Resultate beziehen sich auf den Zeitpunkt drei Monate nach Geburt. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, warum diesen Auswertungen nur noch Daten von drei Kindern zugrunde liegen (In Abbildung 1 und 2 und Tabelle 2 erkennt man, dass bei der Beobachtungszeit von zwölf Wochen nur noch Daten zu drei Kindern aufgelistet sind; darauf wird im Text der Studie nicht hingewiesen; Anm. d. Red.).“
„Insgesamt liefert die Studie in der bestehenden Form zwar interessante Anregungen, jedoch keine aussagekräftigen Erkenntnisse. Sie kann durch ihr Design zudem keine Aussagen über die generelle Sicherheit von Stuhltransplantation bei Neugeborenen treffen. Für eine valide wissenschaftliche Einschätzung ist die Fortsetzung der Studie mit einem kontrollierten Design notwendig.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte vorzuweisen.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Korpela K et al. (2020): Maternal Fecal Microbiota Transplantation in Cesarean-Born Infants Rapidly Restores Normal Gut Microbial Development: A Proof-of-Concept Study. Cell; 183: 1-11. DOI: 10.1016/j.cell.2020.08.047.
Weiterführende Recherchequellen
Francino MP (2018): Birth Mode-Related Differences in Gut Microbiota Colonization and Immune System Development. Ann Nur Metal; 73: 12-16. DOI: 10.1159/000490842.
Stallmach A et al. (2020): Fäkaler Mikrobiota-Transfer. Deutsches Ärzteblatt; 117: 31–8. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0031.
Science Media Center (2019): Gestörte Erstbesiedelung des Darmmikrobioms nach Kaiserschnitt. Research in Context. Stand: 18.09.2019.
Science Media Center (2019): FDA meldet Todesfall nach Stuhltransplantation mit multiresistenten Bakterien. Rapid Reaction. Stand: 17.06.2019.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Shao YV et al. (2019): Stunted microbiota and opportunistic pathogen colonization in caesarean-section birth. Nature. DOI: 10.1038/s41586-019-1560-1.
[II] Keag OE et al. (2018): Long-term risks and benefits associated with cesarean delivery for mother, baby, and subsequent pregnancies: Systematic review and meta-analysis. PLoS Med; 15(1): e1002494. DOI: 10.1371/journal.pmed.1002494.
Prof. Dr. Maria Vehreschild
Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie an der Medizinischen Klinik II, Universitätsklinikum Frankfurt
Dr. Cornelia Gottschick
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)