Sind Elektroautos klimafreundlicher als bislang berechnet?
2017 machte ein Studie des Umweltinstituts IVL Swedish Environmental Research Institute Schlagzeilen. Die Studie schien zu zeigen, dass Elektroautos wegen der sehr aufwendigen Produktion der Batterien so gut wie keinen ökologischen Vorteil gegenüber konventionellen Fahrzeugen hätten. Jetzt hat das IVL eine Neuberechnung vorgelegt. In diesem fällt der CO2-Abdruck durch die Batterieproduktion deutlich geringer aus: Kamen die Forscher 2017 noch auf einen Wert von 150 bis 200 kg CO2-Äquivalente pro kWh, ergaben ihre Berechnungen jetzt nur noch einen Wert von 61 bis 106 kg CO2-Äquivalente pro kWh. Die Forscher führen dieses Ergebnis auf verbesserte Produktionen zurück, aber auch auf genauere Daten und dem Umstand, dass die Wissenschaftler jetzt auch eine Produktion mit Strom aus 100 Prozent erneuerbarem Strom berücksichtigt haben.
Forschungsgruppenleiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse und Helmholtz-Institut Ulm für elektrochemische Energiespeicher, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
„Mir erschließt sich nicht, warum wieder nur ein Bericht und nicht, wie üblich, eine wissenschaftliche Publikation in einem Journal verfasst wurde, wo Batterie- und/oder Life-Cycle-Assessments (LCA)-Experten einen kritischen Review durchführen. Solche wissenschaftliche Prozesse führen zu einer Qualitätsprüfung und Qualitätsverbesserung der Publikation.“
„Ferner ist kritisch anzumerken, dass die Autoren scheinbar keinen direkten Kontakt zu Batterie-Experten haben. Es ist auch nicht erkennbar, ob die Autoren selbst Experten für Life-Cycle-Assessments oder Batterien sind. Dies ist aber wesentlich für die Erstellung robuster Analysen.“
Auf die Frage, warum die Autoren jetzt zu einem so viel günstigeren Ergebnis kommen als 2017:
„Das hat zwei wesentliche Gründe:“
„Erstens: Der in der alten Studie angenommene Energiemix war zu sehr von fossilen Energieträgern dominiert. Das steht in krassem Gegensatz zu dem, was aktuell in Europa, aber auch bei Tesla in den USA passiert. Dort werden die Fabriken hauptsächlich mit erneuerbaren Energien aus der unmittelbaren Nähe betrieben. Der angenommene Energiemix hat das Ergebnis deshalb maßgeblich verschlechtert. Nun werden in der aktuellen Studie sowohl für die elektrische Energie als auch den Wärmebedarf Szenarien mit regenerativen und hauptsächlich fossilen Energiequellen gerechnet. Die Szenarien zeigen nun realistischer die mögliche Bandbreite.“
„Zweitens: Der angenommene Bedarf an elektrischer Energie für die Zellproduktion ist deutlich niedriger und beruht auf aktuellerer Literatur (insbesondere [1], [2]).“
„Ferner wurde scheinbar der Aufwand und die Emissionen für das Recycling diese Mal nicht berücksichtigt. Der Faktor Recycling wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert, da sich auch die verschiedenen am Markt befindlichen Recyclingverfahren stark unterscheiden. Manche Kollegen veranschlagen hier Emissionen, andere wiederum CO2-Gutschriften, da sich das aufwendige Wiederverwerten der Rohstoffe in der Ökobilanz durchaus lohnen kann (aber nicht muss). Künftig muss das Recycling von Batterien aber bereits in der Batterieentwicklung mitgedacht werden, damit ein effizientes Recycling möglich ist.“
Auf die Frage, inwieweit diese Aussage womöglich die Aussagen anderer Life-Cycle-Assessments, wie zum Beispiel die der ADAC-Studie [i], verändert:
„Die neuere ADAC-Studie aus Graz beruht auf den zu hohen Energieverbräuchen und Emissionen der alten Studie aus Schweden, obwohl schon neuere Daten bekannt waren (zum Beispiel [2]). Daher müsste die Studie alle Modelle mit Batterieelektrischen- und Hybrid-Fahrzeugen neu berechnen. Dies ist insbesondere wichtig für die vergleichenden Grafiken mit Diesel- und Benzinfahrzeugen, da diese immer für Diskussionen herangezogen werden.“
„Es ist wichtig zu vermitteln, dass PKW-basierter Individualverkehr immer mit deutlichen Umweltwirkungen verbunden sein wird. Elektroautos sind nicht per se umweltfreundlich oder nachhaltig. Vielmehr sind solche Fahrzeuge in den meisten realistischen Anwendungsszenarien über den gesamten Lebenszyklus nennenswert umweltfreundlicher, beziehungsweise nachhaltigerer. Das belegen zumindest die meisten unabhängigen LCA-Studien.“
„LCA-Studien können aber nur den Status Quo analysieren oder in Szenarien zukünftige Entwicklungen beleuchten. Sobald neue Informationen über Energieverbräuche oder Materialbedarfe zur Batterieproduktion aus verlässlichen Quellen vorliegen, müssen bestehende LCA-Untersuchungen ein Update erfahren. Grundsätzlich ist ein großes Problem, bei LCA-Studien zu Batterien/E-Fahrzeugen an primäre Daten aus der Industrie zu kommen.“
„Genauso ist aber auch zu hinterfragen, ob bei den Benzin- und Dieselfahrzeugen robuste Modelle für die Fahrzeuge selbst (Datenquelle?) aber vor allem realistische Verbräuche (Kurz- und Langstrecken, Kaltstartphase) berücksichtigt werden. Maintenance wird oft bei Fahrzeugvergleichen vernachlässigt, aber genau da haben E-Fahrzeuge deutliche Vorteile.“
Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
„Die neue Studie gibt wertvolle und transparente Informationen über den ökologischen Fußabdruck der Elektrofahrzeuge, die auf Lithium-Ionen Batterien basieren. Zum einen wird sichtbar, dass ein Großteil der möglichen negativen Wirkungen aus der Herstellung der Zellen entstehen können, insbesondere wenn Strom aus fossiler Energie verwendet wird. Da zukünftig viel höhere Anteile von Ökostrom für die Herstellung der Batterien und zum Betrieb der Fahrzeuge zu erwarten sind, und die meisten Batterie- und Elektrofahrzeughersteller zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen, ist der CO2-Fußabdruck deutlich geringer als bisher angenommen. Zudem führen technologischer Fortschritt und verstärkte Nachhaltigkeits- und Recycling-Standards dazu, dass weniger seltene Erden oder andere begrenzte Rohstoffe zum Einsatz kommen werden.“
„All dies verbessert die Umweltbilanz deutlich, wie die aktuelle Studie eindrucksvoll belegt. Da die vorherige Studie oftmals von Gegnern der Energie- und Verkehrswende benutzt wurde, um auf die negativen Umweltwirkungen der Elektrofahrzeuge hinzuweisen, bietet die erneute Studie transparente Belege, dass negative Folgewirkungen der Elektromobilität vermindert werden können.“
„Jegliche Studien über die Lebenszyklusfolgen der Elektromobilität müssen aktuelle Entwicklungen einbeziehen. Wir befinden uns am Anfang eines disruptiven Wandels im Verkehrssektor, der von veränderten Rahmenbedingungen und technologischem Fortschritt begleitet ist wie kaum ein anderer Markt zuvor.“
Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
„Prinzipiell ist der Nutzen solcher Life-Cycle-Studien gering. Um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten und möglichst sicher die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen wir global in 20 Jahren die Treibhausgasemissionen auf null reduzieren. Im Bereich des motorisierten Individualverkehrs ist die Möglichkeit dazu der Elektroantrieb, für den die Energie aus erneuerbaren Energien bereit gestellt wird. Selbstredend muss natürlich auch die Herstellung der Fahrzeuge und der Batterien dann völlig klimaneutral erfolgen. Spätestens dann erübrigen sich solche Life-Cycle-Studien.“
„Momentan können die Studien durchaus einen Beitrag leisten, um bei Herstellern den nötigen Druck zu erzeugen, um ihre Produktion schneller klimaneutral zu gestalten. Leider werden solche Studien derzeit permanent missbraucht, um Elektrofahrzeuge in Misskredit zu bringen, ganz nach dem Motto: Seht her: Elektroautos sind auch nicht besser als Verbrenner! Darum darf ich jetzt weiter Verbrennerauto fahren. Mit dem Festhalten des Verbrennungsmotors lassen sich aber keinerlei Klimaziele erreichen. Wer die Ökobilanz von Elektrofahrzeugen in Frage stellt, muss konsequenterweise ganz auf das Auto verzichten.“
„Alle neueren Studien zeigen, dass Elektroautos, die mit dem normalen Strommix betrieben werden, bereits heute geringe Klimaschutzvorteile haben. Werden Elektroautos überwiegend mit grünem Strom betrieben, ergeben sich bereits heute deutliche Klimaschutzvorteile. Es gibt also keinen Grund mehr, sich hinter Life-Cycle-Studien zu verstecken, um die Verkehrswende einzuleiten.“
„Interessenkonflikte: keine.“
„Es gibt keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Weiterführende Recherchequellen
[i] Jungmaier G et al. (2019): Geschätzte Treibhausgasemissionen und Primärenergieverbrauch in der Lebenszyklusanalyse von Pkw-basierten Verkehrssystemen. Bericht im Auftrag von: Österreichischer Automobil-, Motorrad-und Touring, Club (ÖAMTC), Fédération Internationale de l’Automobile, Allgemeiner Deutscher Automobil-Club (ADAC).
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Dai Q et al. (2019): Life Cycle Analysis of Lithium-Ion Batteries for Automotive Applications.Batteries 2019, 5(48). Doi: 10.3390/batteries5020048
[2] Dai Q et al. (2017): Update of Life Cycle Analysis of Lithium-Ion Batteries in the GREET Model. Memo, Lemont: Argonne National Laboratory.
Dr. Marcel Weil
Forschungsgruppenleiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse und Helmholtz-Institut Ulm für elektrochemische Energiespeicher, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Prof. Dr. Claudia Kemfert
Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Prof. Dr. Volker Quaschning
Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin