SRU-Stellungnahme zu Wasserstoff als Energieträger für den Klimaschutz
Ohne Wasserstoff als Energieträger ist eine klimafreundliche Wirtschaft undenkbar. Aber Wasserstoff wird nicht in unbegrenzter Menge zu erzeugen sein, daher kommt es darauf an, genau auszuloten, welche Bereiche wirklich auf das klimaneutral erzeugbare Gas angewiesen sind, und welche Bereiche besser auf Strom umgestellt werden sollten. Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seiner am 23.06.2021 veröffentlichten Stellungnahme „Wasserstoff im Klimaschutz. Klasse statt Masse“ (siehe Primärquelle).
Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften(Schumpeter School of Business and Economics) an der Bergischen Universität Wuppertal
„Im Gutachten werden keine gänzlich neuen Aspekte adressiert, der Wert liegt vielmehr in der systematischen Zusammenstellung der Vielzahl in der Diskussion befindlichen Aspekte und deren spezifische Bewertung aus Sicht des SRU.“
„Ich stimme dem SRU vollständig zu, dass der Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft nur einen Teilbeitrag auf dem Weg zu einem nachhaltigen, klimaverträglichen Energiesystem leisten kann. Ganz explizit stimme ich der Aussage zu, dass eine Dekarbonisierung der Wirtschaft nur gelingen kann, wenn insgesamt weniger Energie verbraucht wird. Es kommt aus meiner Sicht ganz entscheidend darauf an, die noch bei weitem nicht ausschöpften Energieeffizienz- aber auch Materialeffizienzpotentiale (zum Beispiel durch das Schließen von Wirtschaftskreisläufen) zu nutzen.“
„Dies ist nicht nur aus Kostengesichtspunkten sinnvoll. Je mehr Energie eingespart werden kann, desto geringer ist der Druck, neue Energieversorgungsstrukturen zu schaffen und desto geringer sind die Auswirkungen (zum Beispiel Flächenverbrauch), die damit verbunden sind. In der aktuellen Debatte um das Erreichen der Klimaschutzziele wird gern vergessen, dass jegliche Form der Energieversorgung mit negativen Auswirkungen verbunden ist. Dies gilt unter Berücksichtigung der gesamten Prozesskette auch für den Wasserstoff. Zudem kann die Anwendung von Wasserstoff gerade in der Einstiegsphase auf diejenigen Bereiche konzentriert werden, für die keine oder nur sehr schwer umsetzbare Dekarbonisierungsoptionen zur Verfügung stehen – zum Beispiel die Stahlindustrie.“
„Der SRU weist auch zurecht darauf hin, dass die notwendigen Wasserstoffmengen nicht allein in Deutschland werden hergestellt werden können. Für den Import von Wasserstoff bedarf es eines breit anerkannten Zertifizierungssystems, das auf nachvollziehbaren Nachhaltigkeitskriterien aufsetzt und Green Washing vermeidet.“
„Der SRU positioniert sich auch sehr klar hinsichtlich von blauem Wasserstoff, dem er eine mögliche Rolle als Übergangstechnologie unter anderem aufgrund der Notwendigkeit des Aufbaus paralleler Infrastrukturen (zu grünem Wasserstoff) abspricht. Diesbezüglich liegen in der wissenschaftlichen Community aktuell sehr unterschiedliche Einschätzungen vor. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass infolge der begrenzten Abscheiderate des CO2 mit blauem Wasserstoff keine Klimaneutralität erreicht werden kann und Methanemissionen aufgrund der Erdgasnutzung berücksichtigt werden müssen, muss der Fokus grundsätzlich auf grünem Wasserstoff liegen.“
„Denkbar sind aber durchaus Situationen, in denen blauem Wasserstoff auch in Deutschland eine Bedeutung in der Aufbauphase einer Wasserstoffwirtschaft zukommen kann oder er als Ersatzoption zur Verfügung stehen sollte, wenn der Aufbau von Importstrukturen für grünen Wasserstoff nicht so schnell wie notwendig gelingen sollte. Dies sollte man zumindest nicht vollständig ausschließen. Um einen zeitlichen Vorteil gegenüber grünen Wasserstoffinfrastrukturen zu haben, beschränkt sich dies vermutlich auf bereits bestehende CO2-Speicherstrukturen, die leicht erweitertet werden können. Aus deutscher Sicht trifft dies vor allem auf Norwegen zu. Von Anfang an sollte aber klar sein, dass es sich um begrenzte Mengen handelt und Pfadabhängigkeiten vermieden werden müssen, dass also zumindest Teile der aufgebauten Strukturen auch für eine grüne Wasserstoffinfrastruktur nutzbar sind.“
Bereichsleiter Wasserstofftechnologien, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
„Der Bericht des SRU gibt einen exzellenten Überblick über die Wasserstofftechnologien und deren Beitrag zum Klimaschutz, etwa als Bindeglied zwischen verschiedenen Sektoren und als Faktor im intelligenten Energiemanagement. Auch wenn der SRU-Bericht (ebenso wie die Metastudie Wasserstoff) die aktuelle Studienlage sehr umfassend wiedergibt, muss festgehalten werden, dass die technologischen und ökonomischen Folgen, die sich aufgrund der verschärften Klimaziele (Klimaneutralität in 2050 beziehungsweise 2045, verabschiedet mittlerweile durch 77 Staaten) ergeben, noch in keiner Studie vollumfassend beschrieben sind.“
„Es kann jedoch abgeleitet werden, dass diese neue politische Situation als eine direkte Auswirkung eine erheblich höhere Ausbaugeschwindigkeit von erneuerbaren Energien, insbesondere Photovoltaik und Windkraft, sowie einen noch schnelleren globalen Ausbau der Wasserstofftechnologien, insbesondere der Erzeugungsleistung grünen Wasserstoffs inklusive der Syntheseprodukte und der internationalen Transport- und Verteilstruktur nach sich ziehen wird. Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass sich das internationale Investitionsgeschehen in hohem Maß auf Defossilisierungsstrategien konzentriert und den Einstieg in Wasserstofftechnologien sucht. So sei beispielsweise auf die Aktivitäten von Andrew Forrest verwiesen, der kürzlich Pläne zur Produktion von jährlich 15 Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs bis 2030 veröffentlicht hat, von denen sich Deutschland durch entsprechende Abnahmeverträge erhebliche Mengen sichern könnte.“
„Auch die Investitionsanstrengungen der MENA-Region, insbesondere Saudi-Arabien (bis zu 700 Milliarden Dollar in Wasserstofftechnologien in den nächsten Jahrzehnten) als Teil ihrer Defossilisierungsstrategien werden die Wirtschaftlichkeitslücke von grünem Wasserstoff gegenüber dem fossilen Pendant bis zum Ende des Jahrzehnts geschlossen haben.“
„Der SRU-Bericht verweist auch zurecht darauf, dass blauer Wasserstoff nicht nur das Problem der begrenzten Untertage-Speicherstätten mit sich führt, sondern dass auch die Gesamtkette mit erheblichen CO2-Emissionen belastet ist und der Kostenvorteil gegenüber grünem Wasserstoff bis Ende des Jahrzehnts nicht mehr existent sein wird. Ob es daher zu nennenswerten Investitionen in blauen Wasserstoff kommen wird, ist zu Recht zu hinterfragen.“
„Die größte Abweichung in der Gesamtbewertung besteht in der Einschätzung der wasserstoffbasierten Mobilitätslösungen im straßengebundenen Personen- und Güterverkehr. Auch wenn die Rolle und Notwendigkeit von batteriebetriebenen Antriebslösungen und damit eine tiefe Elektrifizierung unbestritten ist, so besteht aus Sicht des Autors kein Zweifel daran, dass zur Erreichung der CO2-Ziele in der Mobilität alle technologischen (Near-) Zero-Lösungen benötigt werden, also auch brennstoffzellenbetriebene Fahrzeuge, sowie e-Fuels für verbrennungsmotorische Antriebslösungen. Letzteres nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass derzeit global etwa 1,5 Milliarden verbrennungsmotorische Fahrzeuge in Betrieb sind, die durch synthetische Kraftstoffe ebenfalls defossilisiert werden könnten. Wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenantriebe spielen insbesondere in Fahrzeugen für lange Reichweiten und intensiver Nutzung ihre Stärken aus und ermöglichen dem Endkunden eine Mobilitätsform mit kurzen Betankungen und langen Reichweiten nach bisherigem Nutzerverhalten. Auch sollten die zahlreichen Möglichkeiten der symbiotischen Hybridisierung von Brennstoffzellen- und Batterieantrieben stärker in den Fokus genommen werden, da hierüber sehr passgenaue Mobilitätslösungen für speziellere Kundensegmente realisierbar sind.“
„Ebenfalls ist die These zu hinterfragen, dass Wasserstoff ein knappes Gut ist, beziehungsweise bleiben wird, denn die globalen Entwicklungen deuten darauf hin, dass mittels der Wasserstofftechnologien alle wesentlichen fossilen Energieträger und Chemieprodukte mittel- und langfristig durch Syntheseprodukte, basierend auf grünem Wasserstoff, ersetzt werden. Hierüber wird ein globaler erneuerbare Energienhandel ermöglicht, zu dem auch neue Marktteilnehmer wie viele Entwicklungsländer Zugang bekommen werden.“
„Für einen erfolgreichen Eintritt in das Wasserstoffzeitalter am Standort Deutschland braucht es zudem einen angepassten regulatorischen Rahmen, der Anreize für einen schnellen Markthochlauf der Elektrolyse auch in Deutschland setzt und durch den Umbau von Netzentgelten, Steuern, Abgaben und Umlagen einen barrierefreien Zugang der Wasserstofftechnologien ermöglicht.“
„Der SRU-Bericht liefert einen wertvollen Beitrag in der Diskussion von Wasserstofftechnologien in einem hochdynamischen Marktumfeld, und auch wenn nicht alle Aussagen zu einer ‚all-electric‘ Fokussierung geteilt werden, handelt es sich hier um einen schlüssigen Bericht basierend auf einer exzellenten Datenaufbereitung.“
Professor für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Aachen
„Der SRU setzt der Euphorie weiter Teile von Politik, Gesellschaft und Industrie, mit dem Thema Wasserstoff den alleinigen Schlüssel und die Lösung für das zukünftige Energiesystem gefunden zu haben, eine detaillierte und differenzierte Analyse der Möglichkeiten und der Begrenzungen einer Wasserstoffwirtschaft entgegen.“
„Der SRU macht deutlich, dass Wasserstoff und Power-to-Gas- (P2G) Folgeprojekte unverzichtbar sind und von diesen auch enorme Mengen benötigt werden, wenn eine Klimaneutralität des Energiesystems erreicht werden soll.“
„Der SRU macht aber auch deutlich, welcher Aufwand an Energie und damit verbundenen Umweltwirkungen zum Beispiel durch Material-, Energie- und Wasserbedarf für die Bereitstellung notwendig ist, aber auch, dass der großflächige Ausbau von Anlagen für die Herstellung grünen Wasserstoffs für den Export in den Exportländern zu sozialen Implikationen führen kann.“
„Daraus folgert der SRU, dass bei den Einsatzgebieten des Wasserstoffs und der P2G-Folgeprodukte sehr genau priorisiert werden muss, wo dies sinnvoll ist. Insbesondere geht der SRU zumindest für die kommenden 20 Jahre nicht von einer quasi unbegrenzten und sehr kostengünstig verfügbaren Ressource aus. Daraus wird gefolgert, dass Verbesserungen der Effizienz sowohl in der Herstellungskette von Wasserstoff und den P2G-Folgeprodukten zum Erreichen der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit als auch zusammen mit Suffizienzgewinnen auf der Verbrauchsseite unbedingt notwendig sind, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.“
„Der SRU empfiehlt überhaupt kein ‚all-electric‘-System, aber setzt ein deutliches Zeichen für ‚electric-first‘.“
„Für die Bewertung von Einsatzbereichen von Wasserstoff oder den Vehicle-to-Grid- (V2G)Folgeprojekten ist für den SRU einerseits die CO2-Reduktionswirkung und andererseits die Priorisierung der Nutzung einer begrenzten Ressource leitend. Dabei werden auch die oft vernachlässigten Emissionen aus der Herstellung der Anlagen für Strom- und Wasserstofferzeugung, beim Transport oder beim Schlupf von CO2 oder Methan für blauen Wasserstoff berücksichtigt. Daraus ergeben sich folgende fünf Einschätzungen.“
„P2G-Folgeprodukte sind in der Schifffahrt und für den Flugverkehr unverzichtbar.“
„Sowohl für die energetische Nutzung (zum Beispiel in Hochtemperaturprozessen) als auch die materielle Nutzung sind Wasserstoff und P2G-Folgeprodukte in der Industrie unverzichtbar und es ergibt sich ein sehr hoher Bedarf.“
„Diskussions- und Erprobungsbedarf wird noch im Bereich des Schwerlastverkehrs gesehen.“
„Wasserstoff oder P2G-Folgeprodukte im PKW-Bereich werden ausgeschlossen. Es wird dringend empfohlen, die Projekte zum Ausbau von Wasserstofftankstellen infrage zu stellen, da der Einsatz von Wasserstoff im PKW-Bereich nicht empfohlen wird und für den Schwerlastverkehr eine andere Technologie (flüssiger Wasserstoff) benötigt würde. Für synthetischen Kraftstoff wird eine CO2-Ersparung erst bei über 80 Prozent Anteil erneuerbaren Stroms bei der Wasserstoffherstellung attestiert.“
„Ebenso ausgeschlossen wird Beimischung von Wasserstoff zum bestehenden Erdgas, da hier ein wertvoller Energieträger minderwertig verbrannt wird. Für Gebäudewärme solle Wasserstoff nur dort eingesetzt werden, wo es aus technischen oder logistischen Gründen nicht anders geht.“
„Der SRU beschäftigt sich auch mit der Rolle von Erdgas in den kommenden drei Jahrzehnten und sieht hier einen deutlichen Rückgang und auch nur begrenzt den Ersatz durch Wasserstoff.“
„Angemahnt wird zum Beispiel ein relativ schnelles Ende der Neuzulassung von PKW mit Verbrennungsmotoren und auch Gas- und Ölheizungen – damit insbesondere die einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung nicht in die Falle von entweder sehr hohen Kosten für Treibstoff und Gas laufen, oder Fahrzeuge und Anlagen deutlich vor ihrem technischen und wirtschaftlichen Lebensdauerende ausgetauscht werden müssen.“
„Der Einsatz von Brennstoffen durch Wasserstoff oder P2G-Folgeprodukte wird weder ökonomisch noch ökologisch als zielführend gesehen.“
„Der SRU legt besonderen Wert auf die Zertifizierung von grünem Wasserstoff, um vollumfänglich die Vorketten und Erzeugungsbedingungen abzubilden. Der SRU weist auch darauf hin, dass grüner Wasserstoff nur solcher sein kann, der aus additiv zu den schon vorhandenen und den für den Umbau des Stromsystems jetzt schon vorgesehenen Grünstromanlagen stammt. Aus Gründen der Gesamtsystemeffizienz sind aber abgeschlossene Inselnetze zum Beispiel aus Windkraft- und PV-Anlagen zusammen mit Anlagen zur Wasserstoffzeugung nicht sinnvoll.“
Auf die Frage, inwiefern der SRU neue, für die Debatte wichtige Aspekte adressiert hat:
„Der SRU legt entsprechend seines Auftrags eine sehr systemische Analyse des Themas Wasserstoffwirtschaft vor. Wesentliche Aspekte sind die ganzheitliche Betrachtung der Emissionsketten, die nicht nur CO2 umfassen, und der Kosten für verschiedene Anwendungen. Bei der Priorisierung der Bewertung der Anwendungen in Bezug auf die Nutzung von Wasserstoff oder P2G-Folgeprodukten spielt auch die begrenzte Verfügbarkeit eine wesentliche Rolle. Klar priorisiert werden die Bereiche, die entweder keine Alternativen oder ein hohes CO2-Reduktionspotential haben.“
„Den teilweise sehr umfassenden Forderungen nach dem sofortigen Ausbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur in Deutschland wird eine Absage erteilt. Hier sollte zunächst mit Augenmaß der tatsächliche Bedarf erschlossen werden. Der SRU unterstützt eine Entlastung des Stroms von Umlagen, Steuern und Abgaben, spricht sich aber gegen eine einseitige Entlastung nur des Stroms für die Wasserstofferzeugung aus. Dadurch würden eventuell effizientere und umweltschonendere Technologien im Ausbau behindert. Hier wird insbesondere die strombetriebene Wärmepumpe im Vergleich mit der Verbrennung von Wasserstoff in Gasthermen genannt.“
Auf die Frage, inwiefern der SRU die wichtigsten Probleme und Lösungsansätze für den Einsatz von Wasserstoff zum Klimaschutz aufgegriffen hat:
„Die vom SRU vorgelegte Analyse ist sehr umfassend und kommt zu ähnlichen Ergebnissen, wie andere Analysen, die nicht von spezifischen Interessen geleitet sind. Es gibt aber Aspekte, die der SRU insbesondere im Bereich Mobilität nicht ausreichend adressiert. Das ist einerseits die Attraktivität der Mobilitätsmärkte wegen der relativ hohen Preiselastizität für die in der Anfangsphase teuren synthetischen Kraftstoffe. Andererseits wird nicht deutlich gemacht, wie die politisch vorgegebenen sektoralen Emissionsziele ohne zu große Verwerfungen oder Lebensstiländerungen insbesondere bis 2030 erreicht werden können. Die sektoralen Ziele werden seitens des SRU nicht infrage gestellt. Dies kann aber den Einsatz zum Beispiel von synthetischen Kraftstoffen im Flugverkehr viel früher, als dies für eine maximale Reduktion der Emissionen sinnvoll ist, zur Folge haben. Damit könnten Emissionen in einen anderen Bereich verlagert werden.“
„Schwierig ist auch die Frage des blauen Wasserstoffs. Dessen Einsatz wird wegen der damit verbundenen Emissionen und der befürchteten lock-in-Effekte abgelehnt. Insbesondere im Bereich der Industrie mit teilweise sehr langlebigen Investitionen in Produktionssysteme müsste bei sowieso anstehenden Neuinvestitionen die Umstellung auf Wasserstoff gegebenenfalls erfolgen, bevor ausreichende Mengen grünen Wasserstoffs zur Verfügung stehen. Da reicht es nicht, die heutige Produktion von grauem auf grünen Wasserstoff umzustellen. Es werden erhebliche zusätzliche Mengen benötigt.“
Auf die Frage, welche Schritte kommende Regierungen gehen müssen, um bis 2045 tatsächlich alle relevanten Bereiche auf Wasserstoff umzustellen und inwiefern das realistisch ist:
„Der SRU macht sehr deutlich, dass die wichtigsten Pfeiler einer Klimaneutralität bis 2045 der massive Ausbau der Stromerzeugung in Deutschland, in Europa und den Ländern, die für den Wasserstoffexport in Frage kommen einerseits und die Hebung aller Effizienzpotenziale in Mobilität, Industrie und insbesondere auch dem Gebäudesektor andererseits sind. Maßnahmen zur vollständigen energetischen Gebäudesanierung bis 2045 werden gefordert, wohl wissend wie schwierig dies werden wird. Für die Deckung der dann bleibenden Bedarfe an Wasserstoff und P2G-Folgeprojekten sieht der SRU keine grundlegenden Hindernisse.“
„Die wichtige Botschaft ist aber: Die Erwartungen sollten differenzierter werden, denn Wasserstoff und seine Folgeprodukte nehmen uns in keiner Weise den Umbau von Industrie, Mobilität und Energieversorgung ab und befreien uns nicht von der Hebung aller Effizienz- und Suffizienzpotenziale. Für die dann verbleibenden energetischen und vor allem auch die materiellen Bedarfe stehen Wasserstoff und P2G-Folgeprodukte bereit, um die Klimaneutralität zu erreichen.“
Geschäftsführer, Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE), München
„Die Studie des Sachverständigenrats für Umweltfragen gibt einen umfassenden und gut strukturierten Überblick über die wesentlichen Aspekte der zukünftigen Rolle von Wasserstoff auf dem Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem. Es werden die wichtigsten Erkenntnisse aus den einschlägigen Studien zusammengefasst. Die Einzelaspekte sind daher nicht wirklich neu. Die gesamtsystemische Betrachtung widmet sich jedoch stark den Umweltauswirkungen verschiedener Herstellungsverfahren von Wasserstoff, was in vergleichbaren Studien nicht entsprechend gewürdigt wird. Die daraus abgeleitete Bedeutung von Zertifizierungssystemen mit anspruchsvollen Nachhaltigkeitskriterien ist nachvollziehbar und liefert einen guten Beitrag zu einer Debatte, die kurzfristig massiv an Bedeutung gewinnen wird.“
„Obwohl die aus einer Meta-Studien-Analyse abgeleiteten hohen Spannweiten in Bezug auf Menge, Anwendungen und Importanteilen von Wasserstoff in den Szenarien zunächst ein Gefühl der Unsicherheit erzeugen, gelingt es den Autor:innen, eine nachvollziehbare Priorisierung beim Einsatz von Wasserstoff nach dem Motto ‚einen knappen Energieträger effizient nutzen‘ herzuleiten. Dem priorisierten Einsatz in den ansonsten schwer oder nicht dekarbonisierbaren Industrieprozessen kann zugestimmt werden – das ist aber auch nicht neu und bei den Expert:innen nahezu Konsens.“
„Richtigerweise verweist die Studie auf einerseits die besondere Bedeutung der Industrie aufgrund der ‚langen Investitionszyklen und den anstehenden richtungsweisenden Entscheidungen‘ und andererseits die Herausforderung, kurz- bis mittelfristig ausreichende Mengen grünen Wasserstoffs bereitzustellen. Unter diesen Gesichtspunkten stellt sich die Frage, ob die Forderung nach ausschließlich grünem Wasserstoff auch bei der Transformation eventuell zu kurz greift. Hier wären tiefergehende Betrachtungen zum konkreten Bedarfsanstieg, realistischem Hochfahren der Produktion von grünem Wasserstoff und den Rückwirkungen auf die Infrastruktur wünschenswert.“
„In der Öffentlichkeit wird aktuell das Für und Wider von Wasserstoff und Elektrifizierung in einigen Anwendungsbereichen stark diskutiert. Hier wäre es sicherlich für politische Entscheidungsträger hilfreich, neben dem Kriterium der Effizienz eine stärkere Thematisierung der häufig genannten Argumente gegen eine stark ausgeprägte Elektrifizierung – wie den damit einhergehenden Ausbaubedarf der Stromnetze – aufzugreifen und entsprechend dem Einsatz von Wasserstoff bewertend gegenüberzustellen.“
Auf die Frage, welche Schritte kommende Regierungen gehen müssen, um bis 2045 tatsächlich alle relevanten Bereiche auf Wasserstoff umzustellen und inwiefern das realistisch ist:
„Die Autor:innen machen deutlich, dass neben der Steigerung der Effizienz am Anfang aller Überlegungen und Maßnahmen immer der forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung steht. Entweder, um zunächst den effizienteren Weg der Elektrifizierung zu gehen oder damit ausreichend Strom für die Erzeugung von grünem Wasserstoff zur Verfügung steht. Neben diesem Aspekt sollte die Politik noch mehr die Trägheit beziehungsweise die Investitionszyklen bei der Wahl der Politikinstrumente berücksichtigen. Dies wird insbesondere aktuell deutlich, wenn sich das Zieljahr der Klimaneutralität von 2050 weiter nach vorne wie zum Beispiel 2045 oder 2035 verschiebt. Hierdurch können aktuell anstehende Reinvestitionen dann nicht mehr zukunftsfähig sein.“
„Ich habe keine privaten Investitionen in Unternehmen des konventionellen Energiesystems oder Unternehmen der Mobilitätsbranche. Ich habe auch keine privaten Investitionen in Unternehmen, die im erweiterten Sinn der Kraftstoff-, Gas- oder Wasserstoffwirtschaft zuzuordnen sind.“„Am Institut arbeiten wir in gemeinsamen Forschungsprojekten oder im direkten Auftrag mit Unternehmen unter anderem aus der Automobilwirtschaft, Schienenfahrzeugen, Energieversorgern, Batterieherstellern.“„Als Inhaber eines Lehrstuhls, der sich mit Batterietechnik beschäftigt, wird mir von außen immer wieder gerne vorgeworfen, in Wasserstoff eine Bedrohung meines Forschungsthemas zu sehen und mich daher in Teilbereichen skeptisch zu äußern. Dies weise ich ausdrücklich zurück. Ansonsten wäre ich nicht seitens der nationalen Wissenschaftsakademien mit der Leitung des gemeinsamen Projekts zur wissenschaftsbasierten Politikberatung zum ‚Energiesystem der Zukunft (ESYS)‘ berufen worden. Ich habe schon seit den 1990er Jahren an Projekten gearbeitet, die jeweils ein Nebeneinander von Batterie und Wasserstoff, jeder Technologie mit ihren systemischen Stärken, zum Inhalt hatten.“
„Es besteht kein Interessenskonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
SRU (2021): Wasserstoff im Klimaschutz: Klasse statt Masse.
Prof. Dr. Manfred Fischedick
Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften(Schumpeter School of Business and Economics) an der Bergischen Universität Wuppertal
Prof. Dr. Christopher Hebling
Bereichsleiter Wasserstofftechnologien, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
Prof. Dr. Dirk Uwe Sauer
Professor für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Aachen
Dr. Serafin von Roon
Geschäftsführer, Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. (FfE), München