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01.06.2024

Welche Maßnahmen gegen Desinformation helfen

     

  • Maßnahmen gegen Desinformation können hilfreich sein, aber auch die Meinungsfreiheit gefährden 
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  • Forschende: Faktenchecks, „Prebunking“, Medienkompetenz und Regulierung können wirkungsvoll sein 
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  • nicht nur Rolle von Politik und Online-Plattformen ist wichtig, sondern auch die des Journalismus und normaler User
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Insbesondere im Kontext von Wahlen ist Desinformation ein medial wie gesellschaftlich häufig besprochenes Thema. Ihr wird eine potenziell Wahlen beeinflussende Wirkung zugesprochen, die sich durch künstliche Intelligenz und Automatisierung verstärken könnte. Im aktuellen „Superwahljahr“, in dem die EU-Wahl, Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, die US-Präsidentschaftswahl und weitere internationale Wahlen anstehen, ist dieses Thema besonders relevant. Um den aktuellen Stand der Forschung darzustellen, haben wir bereits zwei Statement-Sammlungen zu dem Thema verschickt: zur Verbreitung [I] und zur Wirkung von Desinformation [II]. Auch wenn sich der Tenor abzeichnet, dass Desinformation Wahlen nur begrenzt manipulieren kann, erzielt sie doch bestimmte Wirkungen.

Daher stellt sich die Frage, welche Maßnahmen gegen die Verbreitung von und den Glauben an Desinformation helfen können. Möglichkeiten gibt es viele. So wird vermutet, dass eine bessere Medienkompetenz dazu führt, dass Menschen weniger auf falsche Informationen hereinfallen und weniger unbedacht möglicherweise falsche Inhalte weitergeben und teilen. Faktenchecks können im Nachhinein falsche Informationen korrigieren. Ein sogenanntes Prebunking kann schon im Voraus über klassische Desinformations-Narrative und manipulative Techniken informieren und somit deren Wirkung mindern. Und die Anbieter von großen Online-Plattformen könnten freiwillig oder aufgrund gesetzlich auferlegter Pflichten stärker moderieren und Falschinformationen löschen.

Dabei droht jedoch auch die Gefahr, durch überzogene Maßnahmen die Meinungsfreiheit einzuschränken. Daher muss sorgfältig abgewogen werden, welche Schritte wie hilfreich sind – und wie potenziell problematisch.

Um einordnen zu können, welche Maßnahmen wirken, welche Akteure in der Pflicht stehen und was der Stand der Forschung zu diesem Thema ist, haben wir Expertinnen und Experten um Statements gebeten.

Übersicht

     

  • Dr. Sabrina Heike Kessler, Senior Research and Teaching Associate, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Abteilung Wissenschaftskommunikation, Universität Zürich, Schweiz
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  • Dr. Philipp Müller, Vertretungsprofessor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Mannheim
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  • Prof. Dr. Edda Humprecht, Professorin für Digitalisierung und Öffentlichkeit, Institut für Kommunikationswissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena
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  • Prof. Dr. Nicole Krämer, Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen
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Statements

Die folgenden Statements sind bewusst mit Blick auf langfristige Verwendbarkeit eingeholt und können auch in Zukunft zu diesem Thema Hintergrundinformationen bieten und zitiert werden.

Dr. Sabrina Heike Kessler

„Professionelle Faktenchecks sind wichtige Werkzeuge gegen Desinformation, besonders bei Themen, die Bürger:innen nicht leicht selbst überprüfen können. Sie klären die Öffentlichkeit auf und fördern kritisches Denken sowie Medien- und Informationskompetenz. Faktenchecks erfordern viel Zeit für Recherchearbeit, oft auch spezielle Kompetenzen, Kontakte und Zugang zu Informationen, häufig auch spezialisiertes Wissen, zum Beispiel zur Erkennung von manipulierten Bildern und Deepfakes oder medizinische Kenntnisse bei Gesundheitsthemen.“

„Da wir nicht jede (Des)Information selbst überprüfen können, übernehmen professionelle Faktenchecker diese wichtige Recherchearbeit für uns und bereiten die Ergebnisse verständlich und nachvollziehbar auf. Dies kann nicht nur dabei helfen, die Verbreitung von Desinformation und den Glauben an diese zu reduzieren, sondern auch die Qualität öffentlicher Debatten durch evidenzbasierte Argumente zu verbessern.“

„Allerdings können Faktenchecks auch missbraucht werden, um irreführende oder selektive In-formationen zu verbreiten und bestimmte Agenden zu unterstützen. Durch Transparenz, professionelle Standards und die Förderung der Medienkompetenz kann die Integrität von Faktenchecks geschützt werden. Dabei ist es wichtig, auf die Quellen der Faktenchecks und deren Qualität zu achten.“

Dr. Philipp Müller

„Grundsätzlich sind Faktenchecks beziehungsweise das investigative Aufdecken von Falschmeldungen begrüßenswert und als Beitrag zur Aufrechterhaltung einer Diskurshoheit der realen Tatsachen für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Allerdings zeigt die Forschung, dass von Faktenchecks nicht nur positive Wirkungen ausgehen, in einigen Fällen können sie die Wirkung von Desinformation sogar verstärken. Denjenigen Nutzer:innen, die eine Meldung oder ein Video, über das sie im Netz gestolpert sind, ohnehin infrage stellen, können Faktenchecks eine sinnvolle und hilfreiche Orientierung bieten.“

„Ein Problem besteht aber darin, dass Nutzer:innen Faktenchecks als Bevormundung erleben und mit Wut und Trotz reagieren können – vor allem wenn sie nicht aktiv nach diesen gesucht haben, sondern sie ihnen beispielsweise in ihrem Social-Media-Feed eingeblendet werden. Ein solcher Reaktanz-Effekt ist vor allem dann zu erwarten, wenn eine Falschmeldung, über die der Faktencheck aufklärt, bei der Person einen Nerv trifft beziehungsweise ihre Voreinstellungen bestätigt. Insbesondere bei Menschen, die der inhaltlichen Stoßrichtung einer Falschmeldung zustimmen, wirken Faktenchecks oft schwächer oder gar nicht in die angedachte Richtung [1] [2]. Die in den letzten Jahren oft geäußerte Befürchtung, dass Faktenchecks auch zur weiteren Verbreitung von Falschmeldungen unter denjenigen beitragen, die bislang noch nichts von ihnen gehört hatten (der sogenannte Backfire-Effekt), hat sich hingegen in den letzten Jahren als weniger stichhaltig erwiesen [3]. Allerdings wirken die aufklärenden Effekte von Faktenchecks oft nicht besonders lange nach, sondern geraten wieder in Vergessenheit [4].“

Prof. Dr. Edda Humprecht

„Faktenchecks durch Journalismus und Social-Media-Plattformen spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Desinformation, indem sie irreführende oder falsche Informationen aufdecken und korrigieren. Diese Maßnahmen helfen dabei, die Verbreitung von Desinformation zu verlangsamen und das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Wahrheit zu schärfen. Studien haben gezeigt, dass Faktenchecks das Vertrauen der Menschen in vertrauenswürdige Informationsquellen stärken können.“

„Faktenchecks können mehrere positive Wirkungen haben, darunter die Korrektur falscher Informationen und die Erhöhung des Wissensniveaus der Bevölkerung. Sie können auch dazu beitragen, das Vertrauen in journalistische Institutionen und Plattformen zu stärken. Ein wichtiger Effekt ist die potenzielle Verringerung der Verbreitung von Desinformation, indem falsche Narrative entkräftet werden. Dennoch zeigen einige Studien, dass die Wirkung von Faktenchecks begrenzt sein kann, insbesondere bei Personen mit starken ideologischen Überzeugungen. Insgesamt sind Faktenchecks ein wertvolles Werkzeug im Kampf gegen Desinformation, obwohl ihre Effektivität von verschiedenen Faktoren abhängt.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

„Faktenchecks sind ein wesentlicher Bestandteil des Journalismus, um korrekte Berichterstattung zu gewährleisten. Insofern sind Faktenchecks ein unverzichtbares Mittel, um potenzielle Falschinformation überhaupt erst zu identifizieren und über die korrekten Sachverhalte aufzuklären. Dies wird jedoch bei dem Teil der Bevölkerung, der auf Basis des psychologischen Mechanismus des ‚confirmation bias‘ die Falschinformation glauben will, weil sie in das eigene Weltbild passt, nur eingeschränkt helfen. Generell kann aber davon ausgegangen werden, dass die Bevölkerung versucht, Falschinformationen zu vermeiden und sich richtig zu informieren. Auch dann ist jedoch zu beachten, dass einmal verarbeitete Desinformationen schwer aus dem Gedächtnis zu entfernen sind, weil die Falschinformationen bei der ersten Verarbeitung plausibel mit dem bisherigen Weltwissen verbunden wird. Diese Herausforderung wird auch als ‚continued influence effect‘ beschrieben.“

Dr. Sabrina Heike Kessler

„Das Ziel von Prebunking ist es, Menschen über Desinformationen und manipulative Kommunikationsstrategien aufzuklären, noch bevor sie diesen begegnen oder an sie glauben. Dieses Wissen ermöglicht es, die Menschen widerstandsfähiger gegen wiederkehrende desinformierende Narrative zu machen. Die Annahme dahinter ist folgende: Indem die Menschen die Risiken von verbreiteten Desinformationen und präventive Widerlegungen gezeigt werden, können sie Desinformation besser erkennen, sich dagegen wehren und diese auch in ihrem sozialen Umfeld widerlegen. So sind sie sogar themen- und kontextunabhängig besser vorbereitet und weniger anfällig, wenn sie Desinformationen begegnen. Prebunking sensibilisiert die Öffentlichkeit, fördert kritisches Denken und stärkt analytische Fähigkeiten, wodurch Menschen besser zwischen richtigen und falschen Informationen unterscheiden können.“

„Ein Nachteil des Prebunkings ist jedoch, dass es oft schwierig ist, vorherzusagen, welche spezifischen Desinformationen sich verbreiten werden und welche spezifischen Strategien dazu genutzt werden.“

„Studien zeigen, dass diese psychologische ‚Impfung‘ gegen Desinformationen effektiver sein kann als die Bekämpfung von Fehlwahrnehmungen im Nachhinein. Die Impfung besteht aus zwei Komponenten: Vorwarnung vor möglichen Desinformationen, um das ‚psychologische Immunsystem‘ zu aktivieren, und Prebunking, bei dem Menschen einer abgeschwächten Form der Desinformation zusammen mit starken Gegenargumenten ausgesetzt werden, um kognitive ‚Antikörper‘ zu erzeugen. Dies soll die Immunität gegen Desinformationen erhöhen. Im Idealfall teilen diese informierten Personen ihr Wissen und ihre Argumente mit ihrem sozialen Umfeld und ‚impfen‘ so andere. Dies kann die Verbreitung von Desinformation verringern.“

Dr. Philipp Müller

„Von Prebunking lassen sich ähnliche, jedoch etwas schwächere Wirkungen erwarten als von Debunking [5] [6]. Entsprechend gelten auch die gleichen Einschränkungen: Die gegen Desinformation immunisierenden Wirkungen dürften eher kurzfristiger Natur sein und nicht bei allen Personen in gleicher Weise zum Tragen kommen, insbesondere nicht bei bereits radikalisierten Menschen. Etwas anders würde ich die Vermittlung von Medienkompetenz mit einem Schwerpunkt auf manipulative Techniken und Quellenkunde einschätzen. Solche Programme lassen sich sicherlich mit einigem Aufwand so gestalten, dass sie langfristigere Wirkungen entfalten. Hierfür müssten sie beispielsweise fest in schulischen Curricula verankert und dabei nicht nur punktuell gelehrt, sondern über mehrere Schuljahre hinweg in Variationen immer wieder thematisiert werden. Im Zeitalter der Digitalisierung halte ich dies sogar für dringend angezeigt.“

Prof. Dr. Edda Humprecht

„Prebunking, also das frühzeitige Widerlegen von erwartbarer Desinformation und das Erklären manipulativer Techniken, kann die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegen Desinformation erhöhen. Indem Menschen über gängige Desinformationsstrategien aufgeklärt werden, können sie solche Techniken besser erkennen und kritischer hinterfragen. Studien haben gezeigt, dass Prebunking die Wirksamkeit von Desinformation verringern kann, da es das kritische Denken der Menschen stärkt. Diese präventive Maßnahme kann besonders effektiv sein, wenn sie regelmäßig und systematisch durchgeführt wird. Insgesamt kann Prebunking dazu beitragen, eine informiertere und widerstandsfähigere Öffentlichkeit zu schaffen.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

„Es gibt verschiedene Formen von Prebunking, die momentan intensiv diskutiert und beforscht werden. In der einfachsten (und allgemeinsten) Form werden Menschen die gängigsten Manipulationstechniken präsentiert, um die Erkennung von Falschinformation zu erleichtern. Spezifischer bezogen auf eine tatsächlich in Umlauf gebrachte Falschinformation ist die Sonderform der Inokulation: Hier wird den Rezipient:innen eine abgeschwächte Version einer Falschinformation präsentiert, basierend auf der Inokulationstheorie von McGuire aus dem Jahr 1961 [8]. Diese Theorie besagt, dass Menschen ähnlich wie bei Impfungen gegen Krankheiten gegenüber Falschinformationen immunisiert werden können. Prebunking zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit gegenüber zum Beispiel Desinformationskampagnen zu stärken. Forschungsergebnisse zeigen, dass Prebunking die Glaubwürdigkeit von Falschinformationen reduzieren und positive Effekte auf das Teilen wahrer Informationen haben kann [9]. Allerdings wurde festgestellt, dass es oft keinen Einfluss darauf hat, ob Personen weiterhin Falschinformationen teilen, auch wenn sie deren Falschheit erkennen. Weitere Forschung ist nötig, um die Effektivität von Prebunking zu verbessern und die Verbreitung von Desinformation zu verringern.“

Dr. Sabrina Heike Kessler

„Ein effektiver Ansatz gegen Desinformation erfordert ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen. Die Resilienz der Menschen kann schon vor der Rezeption von Desinformation durch die Förderung ihrer Medien- und Informationskompetenz sowie durch Prebunking gestärkt werden. Während der Rezeption können Desinformationen auf Online-Plattformen mit Warnhinweisen versehen werden. Solche sogenannten Nudges lenken die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen darauf, die Richtigkeit der Informationen zu überprüfen oder zumindest kritisch zu sein. Nach der Rezeption können Desinformationen durch Faktenchecks beziehungsweise gezieltes Debunking entkräftet werden. Diese Entkräftung im Nachhinein kann auch durch Nutzer:innen selbst passieren, indem diese selbst eine gelesene oder gesehene (Des)Information durch Informationsrecherche checken. Auch dazu ist aber wieder eine gewisse Medien- und Informationskompetenz nötig.“

„Gegen Desinformation helfen am Ende vor allem weit verbreitete, korrekte Informationen. Dazu bedarf es auch einer Unterstützung von Qualitätsjournalismus und unabhängigen Faktencheck-Organisationen.“

„Zudem sind transparente und verantwortungsvolle Plattformen entscheidend, um die Verbreitung von Desinformation in den sozialen Medien zu reduzieren. Anpassungen von Algorithmen, Moderation, Faktenprüfung und Transparenzberichte sind dabei hilfreich. Aber auch die Stärkung rechtlicher Rahmenbedingungen erhöht die Verantwortlichkeit von Plattformen und Einzelpersonen durch Regulierung, Gesetze gegen Desinformation und Schutz der Meinungsfreiheit. Ebenso wichtig ist die Förderung des Community-Engagements, da Nutzer:innen korrekte Informationen teilen und Desinformation entlarven und melden können.“

Dr. Philipp Müller

„Als sinnvoll hat es sich erwiesen, Nutzer:innen auf Online-Plattformen vor der Weiterverbreitung von Desinformation Warnhinweise einzublenden. Wenn Menschen eine als Falschmeldung identifizierte Nachricht posten oder teilen wollen, erscheint in diesen Fällen eine Pop-Up-Meldung, die vor dem Weiterverbreiten warnt und auf die Falschheit der Information hinweist. Dies funktioniert gut [7]. Sinnvoll sind grundsätzlich auch alle Maßnahmen, die die Sichtbarkeit eindeutiger Falschmeldungen reduzieren. Darunter fällt das Deplatforming, also das Entfernen von Accounts, die regelmäßig Falschmeldungen verbreiten, von Social-Media-Plattformen, aber auch das Herabwerten von Falschmeldungen durch die Empfehlungsalgorithmen der Plattformen. Gerade beim Deplatforming muss jedoch mit Bedacht vorgegangen werden, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu beschneiden.“

Prof. Dr. Edda Humprecht

„Neben Faktenchecks und Prebunking sind Bildung und Medienkompetenz entscheidende Maßnahmen gegen Desinformation. Durch die Förderung von Medienkompetenz können Menschen lernen, Informationen kritisch zu bewerten und vertrauenswürdige Quellen zu identifizieren. Transparenz und Rechenschaftspflicht von Social-Media-Plattformen sind ebenfalls wichtig, um die Verbreitung von Desinformation zu minimieren. Darüber hinaus können gesetzliche Rahmenbedingungen und internationale Kooperationen die Bemühungen zur Bekämpfung von Desinformation unterstützen. Insgesamt ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, um die komplexen Herausforderungen der Desinformation effektiv anzugehen.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

„In unserer heutigen schnelllebigen, digitalen Welt werden wir täglich mit einer Unmenge an Informationen konfrontiert. Der Ausbau der digitalen Medienkompetenz stellt daher einen wichtigen Faktor für den Umgang mit wahren und falschen Informationen dar. Es ist unmöglich die Verbreitung von Desinformationen zu verhindern, vor allem in Zeiten von Kriegen, Konflikten und politischen Wahlen. Daher ist es wichtig, die Bevölkerung im Umgang mit der Informationsflut zu unterstützen. Ein verantwortungsvoller und sachgemäßer Umgang mit Informationen ist zum Beispiel mehr als eine Nachrichtenquelle zu nutzen, die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenquellen zu überprüfen, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und entdeckte Falschinformationen nicht weiterzuleiten.“

„Es gibt jedoch auch erste Hinweise darauf, dass das (momentan allerdings unumgängliche) ständige Warnen vor Falschinformation dazu führt, dass das Vertrauen in jegliche Information schwindet, da selbst gebildete Rezipient*innen sich nicht mehr zutrauen, zwischen wahren und falschen Informationen zu unterscheiden. Dazu trägt sicherlich bei, dass wir auf Basis von Deepfakes auch erfahren, dass wir unseren Augen und Ohren nicht mehr trauen dürfen und dass bestimmte Bevölkerungsschichten bereits seit Jahren auch seriöse Medien als ‚Lügenpresse‘ verunglimpfen. Es müssen daher Wege gefunden werden, vertrauenswürdige Kommunikatoren auch wieder verlässlich als solche zu kennzeichnen beziehungsweise das Vertrauen in diese zu stärken.“

Dr. Sabrina Heike Kessler

„Ja, manchmal erfahren wir sogar erst durch die Berichterstattung von einer Desinformation. Je häufiger wir diese dann hören, desto vertrauter wird sie uns und desto eher glauben wir sie potenziell. Hat sich eine Desinformation erst einmal in unserem Gedächtnis verankert, ist es sehr schwer, sie wieder zu beseitigen. Daher sollten Journalist:innen in ihrer Berichterstattung abwägen: Ist eine Desinformation gefährlich für Einzelpersonen oder die Gesellschaft? Ist sie potenziell weit verbreitet? Wenn beide Fragen mit Ja beantwortet werden, ist es sinnvoll, die Desinformation umfassend und öffentlich zu widerlegen, da das Risiko, dass sie Schaden anrichten kann, hoch ist.“

„Eine Desinformation, die nicht weit verbreitet ist und beispielsweise nur sehr lustig, vermeintlich absurd oder emotional ist, mag zwar Leser:innen anziehen, aber deren prominente, öffentliche Widerlegung kann dazu führen, dass die Leser:innen sich vertrauter mit der Desinformation fühlen und ihr mehr Glauben schenken als zuvor – dies wird als Backfire- oder Boomerang-Effekt bezeichnet. Diese Backfire-Effekte treten auch bei Menschen auf, deren Glaube an eine Desinformation stark im eigenen Weltbild verankert ist. Eine Widerlegung kann hier dazu führen, dass aktiv Gegenargumente gesucht werden und der Glaube an die Desinformation dann noch verstärkt wird. Der aktuelle Stand der Forschung zeigt jedoch, dass Backfire-Effekte nicht häufig vorkommen und dass die öffentliche, evidenzbasierte Widerlegung von Desinformationen eine wichtige Interventionsmaßnahme gegen die Verbreitung und den Glauben an diese ist.“

Dr. Philipp Müller

„Wie bereits erwähnt: Dieser sogenannte Backfire-Effekt kann in Einzelfällen auftreten. Viele Studien fanden ihn in der jüngeren Zeit hingegen nicht [3] [5]. Das heißt, dass Berichterstattung über oder das Widerlegen von Desinformation im Regelfall eher nicht, wie lange vermutet, den Glauben an diese Desinformation erhöht. Allerdings deutet sich an, dass gerade bei Personen, deren politische Überzeugungen mit der ursprünglichen Intention der Falschmeldung im Einklang stehen, nach der Rezeption von Aufklärungshinweisen dennoch kognitive Prozesse angestoßen werden, die zu einer Beibehaltung der eigenen Fehlwahrnehmungen führen [4]. Die Verbreitung von Faktenchecks erhöht in diesen Fällen zwar nicht direkt den Glauben an eine Falschmeldung, trägt aber auch nicht dazu bei, dass falsche Einschätzungen reduziert werden.“

Prof. Dr. Edda Humprecht

„Die Forschung zeigt gemischte Ergebnisse hinsichtlich der Wirkung der Berichterstattung über Desinformation. Einerseits kann die Aufmerksamkeit auf Desinformation deren Verbreitung und Akzeptanz erhöhen, ein Phänomen, das als ‚Streisand-Effekt‘ bekannt ist. Andererseits kann die sorgfältige und kontextualisierte Berichterstattung dazu beitragen, das Bewusstsein für Desinformation zu schärfen und ihre Auswirkungen zu mindern. Entscheidend ist, wie die Berichterstattung gestaltet wird – sie sollte darauf abzielen, Desinformation zu entlarven und gleichzeitig nicht unbeabsichtigt ihre Reichweite zu erhöhen. Die Forschung betont die Notwendigkeit, Strategien zu entwickeln, die die Aufklärung fördern und gleichzeitig die Verbreitung falscher Informationen begrenzen.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

„Die Sorge, dass das Widerlegen von Desinformation erst dazu führt, dass sie noch mehr verfängt, beruht auf der Tatsache, dass die falsche Information zum Zweck der Widerlegung zunächst nochmal wiederholt werden muss. Dies ist deshalb gefährlich, weil Studien belegen, dass die Glaubwürdigkeit auch von erkennbar falschen Nachrichten steigt, wenn man sie mehrfach sieht [10]. Hinzu kommt der kognitive Mechanismus des ‚continued influence effect‘ [11]. Dieser Effekt beschreibt, dass Desinformationen auch nach der Korrektur weiterhin im Gedächtnis verbleiben und nachhaltig das Denken, die Einstellung und das Verhalten einer Person beeinflussen können. Laut einer Meta-Analyse von Walter und Tukachinsky [12] ist die Korrektur einer Desinformation vor allem dann erfolgreich, wenn sie nachvollziehbar, konsistent zur persönlichen Einstellung und von der Quelle der Desinformation selbst stammt. Weniger erfolgreich sind Korrekturen dahingegen, wenn die Desinformation von einer glaubwürdigen Quelle veröffentlicht wurde, sie vor der Korrektur mehrmals konsumiert wurde und viel Zeit zwischen der Veröffentlichung und der Korrektur lag.“

Dr. Sabrina Heike Kessler

„Will man aktiver gegen Desinformationen vorgehen, ist es entscheidend, die unterschiedlichen Rollen der relevanten Akteure weiter zu stärken. Dazu gehört, den professionellen Journalismus und unabhängige Faktenprüfungsorganisationen in ihrer wichtigen Funktion des Fact Checking langfristig zu unterstützen, zu schützen und finanziell nachhaltig abzusichern. Diese sind oft die ersten, die verbreitete Desinformation erkennen und mit evidenzbasierten Informationen professionell und öffentlich widerlegen. Journalist:innen und Faktenprüfer:innen tragen wesentlich zu einer gut informierten Gesellschaft bei; sie können das Bewusstsein für manipulative Strategien schärfen und das Prebunking fördern. Eine objektive, sorgfältige und transparente Berichterstattung sowie eine unabhängige Faktenprüfung sind entscheidend, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die journalistischen Qualitätsmedien zu stärken und die Verbreitung falscher Informationen einzudämmen.“

„Social-Media-Plattformen sind Hauptverbreitungswege für Desinformation und können durch Anpassungen der Algorithmen, Moderation, Prebunking, Warnhinweise und Faktenprüfungen die Verbreitung falscher Informationen reduzieren. Die Transparenz über Algorithmen und Moderationspraktiken sowie die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenprüfern und der Wissenschaft wären hier weiter auszubauen. So könnten beispielsweise Frühwarnsysteme und eine (Selbst-)Regulierung im Sinne des Allgemeinwohls, der Demokratie und der Meinungsfreiheit implementiert werden.“

„Durch Gesetzgebung und Regulierung kann die Politik dazu beitragen, rechtliche Rahmenbedingungen auszubauen und Plattformen zur Verantwortung zu ziehen, einschließlich der Bereitstellung notwendiger Daten für die Wissenschaft. Auch eine stärkere internationale Zusammenarbeit ist notwendig, um länderübergreifende, globale Desinformationskampagnen effektiv zu bekämpfen.“

„Die Wissenschaft spielt eine wichtige Rolle, indem sie die Wirksamkeit verschiedener Interventionen erforscht und evidenzbasierte Strategien im Umgang mit Desinformation entwickelt. Der Wissenschaft fehlt jedoch oft der Zugang zu Daten von den Plattformen, um das Ausmaß des Problems von Desinformation insbesondere in den sozialen Medien besser zu verstehen und die Risiken für die Gesellschaft umfassend zu erforschen.“

„Am Ende ist die kontinuierliche und lebenslange Förderung der Medien- und Informationskompetenzen der Bevölkerung entscheidend im langfristigen Kampf gegen Desinformation. Letztlich sind es die Menschen, die glaubwürdige von unglaubwürdigen Quellen unterscheiden, Informationen kritisch bewerten und entscheiden, ob sie an Desinformation glauben oder nicht. Sie sind auch diejenigen, die diese (Des)Informationen verbreiten oder durch eigene Informationsbewertung und -recherche widerlegen können. Hier können viele Akteure in die Pflicht genommen werden, die Kompetenzen zu fördern – angefangen in Schulen und weiterführenden Bildungseinrichtungen, aber auch in den Medien und auf Plattformen selbst, sowie durch die Politik.“

Dr. Philipp Müller

„Es ist schwer dies aus wissenschaftlicher Sicht abschließend zu beurteilen. Ganz grundsätzlich tendiere ich dazu, die Verantwortung zur Bekämpfung von Desinformation bei den gesellschaftlichen Institutionen zu sehen, vor allem in der Politik und bei den Plattform-Betreibern. Ein wichtiger Baustein ist hier auch, mit gutem Beispiel voranzugehen und in der eigenen strategischen Kommunikation auf die Verbreitung von Falschinformationen oder gezielten Halbwahrheiten zu verzichten. Dies tun leider auch die etablierten politischen und gesellschaftlichen Akteure nicht immer. Vom Journalismus mehr Aktivität zu fordern, fällt mir schwer. Mein Eindruck ist, dass der professionelle, investigative Journalismus in Deutschland bei der Aufdeckung von Falschmeldungen und der Offenlegung politischer Unwahrheiten bereits einen vergleichsweise guten Job macht. Hier liegt es dann letztlich doch an den Nutzerinnen und Nutzern, den nach journalistischen Professionsnormen arbeitenden Medienanbietern mehr Aufmerksamkeit und Vertrauen zu schenken als solchen, die dies nicht tun. Medienkompetenzförderung, beispielsweise in Schulen, kann sie dabei unterstützen. Die wirksamste Maßnahme gegen Desinformation dürfte jedoch die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch geeignete politische Maßnahmen darstellen.“

Prof. Dr. Edda Humprecht

„Verschiedene Akteure spielen unterschiedliche, aber komplementäre Rollen im Umgang mit Desinformation. Journalismus und Medienhäuser sind entscheidend für die Aufdeckung und Korrektur falscher Informationen, während Politiker und Regierungen gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen können, um die Verbreitung von Desinformation einzudämmen. Social-Media-Plattformen haben die technische Möglichkeit und Verantwortung, Mechanismen zur Identifizierung und Reduktion von Desinformation zu implementieren. Individuelle Nutzende können durch kritisches Denken und verantwortungsbewusste Informationsverbreitung ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Wissenschaftlich gesehen gibt es in all diesen Bereichen noch Raum für Verbesserungen, insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

„Jeder Akteur im Informationsökosystem – vom Journalismus über die Politik und Plattformen bis hin zur/zum individuellen Nutzer:in – spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung und Bekämpfung von Falschinformationen, und nur durch das Zusammenspiel aller Akteure kann eine ‚Entschärfung‘ von Desinformation gelingen. Während journalistische Quellen eine akkurate Berichterstattung sicherstellen sollten, trägt die Politik eine doppelte Verantwortung: Sie muss einerseits die Rahmenbedingungen für die Bekämpfung von Desinformation schaffen und andererseits verhindern, dass sie selbst zur Quelle von Desinformation wird. Dies spielt vor allem während Wahlkämpfen eine Rolle, wenn Informationen selektiv genutzt werden, um die politische Agenda zu stützen. Soziale Plattformen haben eine immense Verantwortung, die Verbreitung von Desinformationen einzudämmen und sollten weder aktiv durch Algorithmen noch passiv durch Nicht-Entfernung von nachgewiesenen, rechtlich problematischen Falschinformationen zur (verstärkten) Verbreitung beitragen. Zudem ist es entscheidend, dass Plattformen von der Politik vorgegebene Richtlinien zur Desinformationsbekämpfung aktiv umsetzen. Individuelle Nutzer:innen schließlich müssen verantwortungsvoll mit Informationen umgehen. Sie sollten nicht nur den Inhalt und die Quellen von Informationen kritisch bewerten, sondern auch ihre eigene Voreingenommenheit (‚confirmation bias‘) reflektieren, wenn sie Informationen verarbeiten und weitergeben. Hier gibt es nach wie vor großen Bedarf an Bildung und Aufklärung, um die Fähigkeit zur kritischen Medienkompetenz zu verbessern und damit die Resilienz gegenüber Desinformation zu stärken.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Sabrina Heike Kessler: „Ich habe keine Interessenkonflikte zu deklarieren.“

Dr. Philipp Müller: „Es bestehen keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Edda Humprecht: „Es gibt keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Nicole Krämer: „Interessenkonflikte habe ich keine zu berichten.“

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Center (2023): Desinformation: Welche Rolle können Sprachmodelle und KI spielen? Science Response. Stand: 25.04.2023.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Chan MS et al. (2017): Debunking: A Meta-Analysis of the Psychological Efficacy of Messages Countering Misinformation. Psychological Science. DOI: 10.1177/0956797617714579.

[2] Hameleers M (2019): Susceptibility to mis- and disinformation and the effectiveness of fact-checkers: Can misinformation be effectively combated? Studies in Communication and Media. DOI: 10.5771/2192-4007-2019-4-523.

[3] Ecker UKH et al. (2020): Can corrections spread misinformation to new audiences? Testing for the elusive familiarity backfire effect. Cognitive Research: Principles and Implications. DOI: 10.1186/s41235-020-00241-6.

[4] Nyhan B (2021): Why the backfire effect does not explain the durability of political misperceptions. Proceedings of the National Academy of Sciences. DOI: 10.1073/pnas.1912440117.

[5] Tay LQ et al. (2022): A comparison of prebunking and debunking interventions for implied versus explicit misinformation. British Journal of Psychology. DOI: 10.1111/bjop.12551.

[6] Walter N et al. (2018): How to unring the bell: A meta-analytic approach to correction of misinformation. Communication Monographs. DOI: 10.1080/03637751.2018.1467564.

[7] Mena P (2020): Cleaning Up Social Media: The Effect of Warning Labels on Likelihood of Sharing False News on Facebook. Policy & Internet. DOI: 10.1002/poi3.214.

[8] McGuire WJ (1961): The Effectiveness of Supportive and Refutational Defenses in Immunizing and Restoring Beliefs Against Persuasion. Sociometry. DOI: 10.2307/2786067.

[9] Lu C et al. (2023): Psychological Inoculation for Credibility Assessment, Sharing Intention, and Discernment of Misinformation: Systematic Review and Meta-Analysis. Journal of Medical Internet Research. DOI: 10.2196/49255.

[10] Pennycook G et al. (2018): Prior exposure increases perceived accuracy of fake news. Journal of Experimental Psychology: General. DOI: 10.1037/xge0000465.

[11] Johnson HM et al. (1994): Sources of the continued influence effect: When misinformation in memory affects later inferences. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition. DOI: 10.1037/0278-7393.20.6.1420.

[12] Walter N et al. (2020): A Meta-Analytic Examination of the Continued Influence of Misinformation in the Face of Correction: How Powerful Is It, Why Does It Happen, and How to Stop It? Communication Research. DOI: 10.1177/0093650219854600.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2024): Die Verbreitung von Desinformation. Science Response. Stand: 14.05.2024.

[II] Science Media Center (2024): Die Wirkung von Desinformation. Science Response. Stand: 16.05.2024.