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22.06.2020

Akademien zu Klimaschutz-Schwerpunkten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Die Einführung eines europäischen CO2-Preises für Wärme und Verkehr sollte ein Ziel der deutschen EU-Präsidentschaft sein. Das schreiben die Wissenschaftsakademien Leopoldina und acatech sowie die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in einer Stellungnahme. Deutschland sollte sich neben dieser Regelung vor allem für die Entwicklung einer Klimaschutz-Strategie einsetzen, mit der die Ziele von Paris eingehalten werden können. Dazu gehört als ein weiterer Schwerpunkt der schnelle Aufbau einer regenerativen Energieversorgung in ganz Europa, mit der fossile Brennstoffe bis 2050 ersetzt werden können.

Dabei ist ein vollständig technologieoffener Ansatz für den Klimaschutz nicht erforderlich: Die erforderlichen Anlagen sind bereits so ausgereift und die wissenschaftliche Einschätzung über ihr Potenzial so genau, dass ein schneller Umbau der Energieversorgung entlang der bekannten Entwicklungen erfolgen kann. Dazu zählen die Forscher Photovoltaik und Windenergie, den Umbau der Stromnetze, die Investition in elektrische Wärmepumpen und Elektromobilität, Wasserstofferzeugung in der Mittelmeerregion und Energiespartechniken. Die Wissenschaftler bezeichnen die Investition in diese Techniken als „No-Regret”-Entscheidung.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Manfred Fischedick, Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
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  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
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  • Prof. Dr. Dr. Ulrich Schmidt, Leiter des Forschungsbereiches „Sozial- und verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler Probleme“, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
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  • Prof. Dr. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)
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Statements

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal

„Für die jetzt im europäischen Emissionshandel befindlichen Sektoren nennt die Stellungnahme mit der Einführung eines Mindestpreises für CO2 eine wichtige Voraussetzung, um über mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit Investitions- und Innovationsimpulse zu setzen. Ergänzt werden sollte das bestehende System durch weitere gezielte Anreize zur Umsetzung von neuen Technologien wie zum Beispiel über Contracts for Difference (Verträge, um finanzielle Risiken durch stark fluktuierende Preise, zum Beispiel Strompreise, zu vermeiden; Anm. d. Red.) wie sie jetzt in der deutschen Wasserstoffstrategie implementiert sind. Die Einbindung des Wärme- und Verkehrssektors in das bestehende System halte ich aufgrund der sehr stark unterschiedlichen CO2-Minderungskosten und Akteursstrukturen für nur bedingt sinnvoll. Insgesamt braucht es ohnehin neben einem Leitimpuls durch eine Bepreisung von CO2 einen breiteren Instrumentenmix – das heißt Informationsprogramme, Förderprogramme, Festsetzung von Produktstandards und so weiter – , um die vielen nicht-monetären Hemmnisse abzubauen.“

„Das Papier nennt die meisten Bausteine, von denen wir wissen, dass wir sie zur Erreichung der Treibhausgas (THG)-Neutralität brauchen. Tatsächlich sind die wesentlichen Technologien heute bereits verfügbar. Eine schnellere Marktdiffusion dieser Technologien kann dafür sorgen, die dringend notwendige Transformationsdynamik zu erzeugen und die kumulierten THG-Emissionen zu reduzieren. Sie sind das eigentliche Maß für den Klimaschutz, eine alleinige Konzentration auf ein Minderungsziel für ein spezifisches Jahr ist keine Garantie dafür, dass Temperaturgrenzen nicht überschritten werden. Entscheidend ist der Minderungspfad, daher kommt es auf schnelles Handeln an.“ 

„Auch wenn viele der zentralen Bausteine genannt werden, fehlen einige ganz entscheidende Elemente in der sehr stark angebotsorientiert denkenden, ansonsten sehr guten Stellungnahme. Dies gilt einerseits für eine umfassende Mobilitätswende, die deutlich über einen reinen Wechsel des Kraftstoffs hinausgeht und nur über umfassende Verkehrsvermeidungs- und -verlagerungsstrategien umgesetzt werden kann. Hierzu bedarf es den Mut, strukturelle Veränderungen in den Städten aber auch im Güterverkehr, wiezum Beispiel Oberleitungsversorgung von LKW, umzusetzen. Andererseits umfasst dies einen verstärkten Einstieg in eine Circular Economy, dessen Klimaschutzwirkung immer noch deutlich unterschätzt wird, Deutschland und Europa neben dem Klimaschutz aber helfen könnte, die Robustheit des Wirtschaftssystem zu erhöhen und neue Wertschöpfungspotenziale zu erschließen.“

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Der Bericht zeigt die wichtigen Schwerpunkte für ein rasches Handeln zur Erreichung der Klimaziele auf. Zur Erreichung der Klimaziele sind in der Tat strengere Emissionsminderungsziele notwendig, die rasches Handeln erfordern. Ein EU-Klimagesetz samt Monitoring ist gut und wichtig. Zudem ist auch der Vorschlag eines CO2-Mindestpreises in Europa sowie eine ökologische Steuerreform unabdingbar. Da es noch immer zahlreiche klimaschädliche Subventionen gibt, wäre es wichtig, diese so schnell wie möglich abzuschaffen.“

„Um zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien zu kommen, müssen alle Marktbarrieren des Ausbaus erneuerbarer Energien und vor allem die vielen Vorteile, die konventionelle Energien noch immer haben, abgeschafft werden. Heutige Investitionen in fossile Infrastrukturen wie Gas-Pipelines oder Terminals behindern diesen Umstieg. Somit sollte es keine finanziellen Unterstützungen für fossile Infrastrukturen geben.“

„Zudem sollten keine Subventionen in Atomkraft gewährt werden, da diese den Umstieg hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien behindern. Der Just Transition Mechanism (Mechanismus für einen gerechten Übergang, EU-Instrument zum Abfedern des Umstiegs auf erneuerbare Energien; Anm. d. Red.) darf derartige Projekte nicht unterstützen, da so der Ausbau erneuerbarer Energien behindert wird.“

Prof. Dr. Dr. Ulrich Schmidt

Leiter des Forschungsbereiches „Sozial- und verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler Probleme“, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel

„Das Ziel eines einheitlichen CO2-Preises in Europa über alle Sektoren hinweg ist absolut richtig, da nur dann der Klimaschutz zu den geringstmöglichen Kosten umgesetzt werden kann. Insofern überrascht die Forderung, nur den Wärme- und Verkehrssektor in das EU-ETS (ETS = Emissions Trading System, Emissionshandel; Anm. d. Red.) zu integrieren. Die Landwirtschaft, die immerhin für circa acht Prozent der Emissionen in Deutschland verantwortlich ist, darf hier in keinem Fall unerwähnt bleiben und sollte unbedingt ebenfalls in das EU-ETS aufgenommen werden.“

Prof. Dr. Volker Quaschning

Professor für Regenerative Energiesysteme, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)

„Die vorliegende Stellungnahme ist gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein sehr wichtiges Dokument und gibt den von der breiten Mehrheit der Wissenschaft getragenen Konsens wieder. Diese Stellungnahme mahnt die völlige Treibhausgasneutralität in Europa bis Mitte des Jahrhunderts an, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Der aktuellste IPCC-Report weist allerdings auf erhebliche Risiken für die Menschheit bereits beim Überschreiten der globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius hin. Auch das Pariser Klimaschutzabkommen fordert eine Temperaturbegrenzung möglichst auf 1,5 Grad Celsius. Darum ist für Europa eine Treibhausgasneutralität eigentlich bereits deutlich vor 2050 anzustreben.

Wünschenswert wäre der Hinweis gewesen, dass die deutsche Regierung weder für den 1,5-Grad noch den 2-Grad-Pfad eine funktionierende Strategie verfolgt, womit auch der europäische Green Deal insgesamt infrage gestellt wird.“

„Die Stellungnahme erläutert klar und völlig korrekt, dass Solar- und Windenergie in Kombination mit Speichern künftig den größten Teil der europäischen Energieversorgung sicherstellen werden. Elektromobilität und Wärmepumpen sind die wichtigsten Elemente für den Verkehr und die Wärme.“

„Mit der Aussage, dass es extrem schwierig sei, die für Europa benötigte Energie allein durch Photovoltaik und Windenergie in Europa bereitzustellen, gibt die Stellungnahme den Kräften Auftrieb, die aus welchen Gründen auch immer deren Ausbau verzögern oder verhindern wollen. Die skizzierte Alternative des Imports von Wasserstoff ist sehr ineffizient und teuer. Die dafür benötigten signifikanten Überschüsse an Solar- und Windstrom außerhalb Europas sind auf absehbare Zeit nicht vorhanden. Bis dahin wird eine Wasserstoffstrategie sogar für eine Erhöhung der Treibhausgasemissionen sorgen. Daher wäre es sinnvoller gewesen, einen möglichst hohen und zeitnahen Ausbau an Solar- und Windenergie in Europa anzumahnen. Die Potenziale für eine weitgehende Eigenversorgung sind vorhanden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Leopoldina, Acatech, Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften (2020): Ad-hoc-Stellungnahme – Juni 2020 Energiewende 2030: Europas Weg zur Klimaneutralität.