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23.11.2020

70 Prozent Effektivität des Vektor-Impfstoffs von AstraZeneca und Universität Oxford

Der Vektor-Impfstoff AZD1222 gegen COVID-19, der von der Universität Oxford in Zusammenarbeit mit der britischen Pharmafirma AstraZeneca entwickelt wurde, soll zu 70 Prozent wirksam sein. Die Universität und das Unternehmen präsentierten erste Ergebnisse einer Zwischenanalyse von zwei verschiedenen klinischen Studien in einer Pressemitteilung. In einer kombinierten Phase-II/III-Studie (COV002) aus dem Vereinigten Königreich sammelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Daten von 2741 Probanden. Versuchspersonen der Impfgruppe bekamen zuerst eine halbe Dosis des Impfstoffs und einen Monat später eine weitere volle Dosis. Für diesen Studienarm gibt die Pressemitteilung eine Effektivität von 90 Prozent an. In Brasilien nahmen 8895 Probanden an einer Phase-III-Studie (COV003) teil; Probanden der Impfstoff-Gruppe bekamen dort zwei volle Dosen, die laut den Analysen eine Effektivität von 62 Prozent erreichten. Zusammengenommen ergeben diese Ergebnisse offenbar eine Wirksamkeit von 70 Prozent. Die vorläufige Zwischenauswertung der beiden Studien basiert auf insgesamt 131 Infektionsfällen mit nachweislichem COVID-19, alle Ergebnisse erreichten statistische Signifikanz. Schwere Nebenwirkungen berichteten die Versuchspersonen nicht.

Im Studienarm im Vereinigten Königreich wurden die Probanden zusätzlich einmal die Woche auf eine SARS-CoV-2-Infektion getestet. Eine weitere Pressemitteilung der Universität Oxford interpretiert diese vorläufigen Ergebnisse als Hinweise darauf, dass der Impfstoff auch eine Übertragung des Virus verhindern könnte.

Die Firma AstraZeneca erklärte, sie wolle nun Zulassungsanträge in aller Welt stellen und zudem bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Antrag auf ein Emergency Use Listing stellen, um auch Entwicklungsländer in einem beschleunigten Verfahren rasch mit dem Impfstoff beliefern zu können. Die EU hatte vorab 300 Millionen Dosen des Impfstoffs bei dem Hersteller bestellt.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
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  • Prof. Dr. Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg
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  • Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
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  • Prof. Dr. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin
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  • Prof. Dr. Marylyn Addo, Leiterin der Sektion Infektiologie am Zentrum für Innere Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
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Statements

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln

„Es werden Ergebnisse von zwei Studien berichtet, die mit unterschiedlichen Dosierungen durchgeführt wurden. Bei COV002 wurden im Abstand von einem Monat eine halbe Dosis und dann eine volle Dosis verabreicht, es wurden 2741 Teilnehmer eingeschlossen. Bei COV003 erfolgte die Impfung mit zwei vollen Dosen (8895 Personen). Insgesamt wurden 131 COVID-19-Fälle in der Zwischenanalyse ausgewertet. Der Impferfolg wird für COV002 mit 90 Prozent und für COV003 mit 62 Prozent angegeben. Wenn alle 11 636 Teilnehmer zusammengenommen werden, beträgt die Wirksamkeit 70 Prozent. Es werden keine schwerwiegenden Sicherheitsprobleme mit dem Impfstoff berichtet.“

„Diese sehr vorläufigen Daten sind schwer zu interpretieren. Es fällt auf, dass mit einer geringeren Impfdosis eine größere Erfolgsrate zu erzielen war als mit einer höheren Dosis. Das ist zunächst nicht einleuchtend, und es müssen weitere Daten abgewartet werden, bis man das besser einschätzen kann. Ist das ein rein zufälliger Effekt? Oder gibt es immunologische Faktoren, die dies begründen? All das wissen wir derzeit noch nicht.“

„Wenn man die veröffentlichten Ergebnisse mit den bekannten Daten zu den RNA-Impfstoffen der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna vergleicht, so fallen mehrere Dinge auf: In die RNA-Impfstoff-Studien sind jeweils deutlich mehr Teilnehmer eingeschlossen worden. Dennoch ist die Zahl der beobachteten Infektionen in diesen Studien mit 94 beziehungsweise 95 Fällen niedriger als bei AstraZeneca. Allein diese Zahlen sprechen dafür, dass der AstraZeneca-Impfstoff etwas weniger effektiv sein könnte als die beiden RNA-Impfstoffe. Wir brauchen also dringend detailliertere Daten, um dies wirklich beurteilen zu können. Insgesamt ist es jedoch sehr erfreulich, dass jetzt bereits ein dritter Impfstoff kurz vor der Einführung steht. Für die baldige Überwindung des COVID-19-Pandemie macht das große Hoffnung.“

Prof. Dr. Bernd Salzberger

Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg

„AstraZeneca hat heute Zwischenergebnisse aus zwei großen Phase-II/III-Studien mit der Vektor-basierten Vakzine AZD1222 im Vereinigten Königreich und Brasilien mit circa 20 000 Probanden veröffentlicht mit bisher 131 COVID-19-Infektionen. Mit zwei verschiedenen Dosierungen fand sich eine Impfeffektivität von 90 beziehungsweise 62 Prozent, Hospitalisierungen beziehungsweise schwere Verläufe wurden bei geimpften Personen nicht beobachtet. Die Ergebnisse der Studie sind ermutigend und vergrößern das Arsenal an wirksamen Impfstoffen für eine breite weltweite Impfkampagne. Die unterschiedliche Effektivität in den unterschiedlichen Dosierungsschemata ist nicht unmittelbar zu erklären, an dieser Stelle müssen weitere Analysen erfolgen beziehungsweise die Daten aus weiteren Studien abgewartet werden.“

„Ein Vergleich der Nebenwirkungsraten mit den RNA-Impfstoffen ist bei den vorliegenden Informationen kaum möglich.“

„Die Daten aus der Studie im Vereinigten Königreich mit regelmäßiger Untersuchung auch auf asymptomatische Infektionen sind ermutigend und weisen darauf hin, dass möglicherweise durch Impfung auch die Übertragung des Virus verhindert werden kann.“

„Mit den vorliegenden Daten ist eine Priorisierung der Impfstoffverteilung bezogen auf einzelne Impfstoffe nicht gut durchführbar, generell sind hier Prinzipien etabliert, die dann auf die Charakteristika der einzelnen Impfstoffe angepasst werden sollten. Auch in dieser Hinsicht ist die Verfügbarkeit mehrerer und unterschiedlich basierter Impfstoffe sicherlich ein Vorteil.“

Prof. Dr. Clemens Wendtner

Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing

„Eine weitere gute Nachricht aus der Impfstoffentwicklung: Neben zwei mRNA-Impfstoffen steht jetzt ein Vektor-basierter Impfstoff kurz vor der Zulassung. Die heute veröffentlichten Daten zum adenoviralen Impfstoff AZD1222 reihen sich ein in eine Kette von Nachrichten, die eine baldige Impfung für große Teile der Weltbevölkerung wahrscheinlich werden lässt. AZD1222 basiert auf einem abgeschwächten Adenovirus-Vektor, der eigentlich Schimpansen infiziert und jetzt künstlich das Spikeprotein von SARS-CoV-2 exprimiert. In einer Studie, die im Vereinigten Königreich und Brasilien durchgeführt wurde, zeigt er eine ausreichende Effektivität von über 50 Prozent, die von den Zulassungsbehörden generell gefordert wird. Schwere Nebenwirkungen werden auf der Basis der vorläufigen Analyse im Kontext einer Pressemitteilung nicht berichtet.“

„In der insgesamt 11 636 Personen umfassenden Analyse ist auffallend, dass Probanden besser vor einer COVID-19-Infektion geschützt waren, die zunächst nur die halbe Dosis des Impfstoffes (2,5 x 10E10 virale Partikel) und in einem Abstand von einem Monat erst die volle geplante Dosis von 5x10E10 Partikel erhielten. In dieser Gruppe lag die Impf-Effizienz bei 90 Prozent, während bei einer anderen Gruppe mit zwei Dosen von je 5x10E10 in einmonatigem Abstand nur eine nahezu enttäuschende Effizienz von 62 Prozent berichtet wurde. Dabei könnten Immunreaktionen gegen Fremdproteine dieses vom Affen abstammenden Vektors eine Rolle spielen, bis zur vollen Auswertung und Publikation der Daten bleibt dies jedoch spekulativ. Die gute Nachricht: Selbst unter den Probanden, die trotz Impfung eine COVID-19-Erkrankung entwickelten, kam es offensichtlich zu keinen schweren Verläufen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich gemacht hätten. Diese milden oder sogenannten mitigierten Verlaufsformen sind ebenfalls als positiver Effekt dieser Impfung zu werten.“

„Auch wenn die Effektivität insgesamt ein wenig geringer erscheint als mit mRNA-Impfstoffen, hat AZD1222 einen großen Vorteil: Er ist robust und einfach in der Handhabung, quasi die ‚Arbeitsbiene‘ unter den potenziell verfügbaren Impfstoffen gegen COVID-19. Es braucht keine aufwendigen Kühlketten, gar bis minus 70 Grad Celsius, wie dies für mRNA-Impfstoffe zum Teil obligat ist. Ein einfacher Kühlschrank ist ausreichend, um den Impfstoff für sechs Monate bei zwei bis acht Grad Celsius sicher zu lagern. Dies dürfte Impfkampagnen in Ländern mit weniger Ressourcen für aufwendige Kühlketten erleichtern, nicht zuletzt wurde auch ein Großteil der Probanden in Südamerika in der Studie mit AZD1222 geimpft. Auch wird eine Produktion von bis zu drei Milliarden Impfdosen seitens der Firma in Aussicht gestellt – ein Impfstoff für die Welt.“

„Jetzt sind die nationalen Gesundheitssysteme aufgefordert, schnell verbindliche Priorisierungen für eine Impfung vorzunehmen. Gerade Personen, die besonders schwach und anfällig für eine COVID-19-Infektion sind, wären vorzugsweise zu impfen – neben Ärzten und Pflegenden, die täglich ihr Leben an vorderster Front für die Patienten riskieren. Damit könnte das Gesundheitssystem schnell entlastet werden, wenn Intensivstationen nicht mehr mit schwer erkrankten COVID-19-Patienten überfüllt wären und daher die Versorgung auch anderer Patienten mit Nicht-COVID-19-Erkrankungen ohne Einschränkungen gewährleistet werden kann. Bereits jetzt stehen viele COVID-19-Zentren in Deutschland und weltweit in den Startlöchern und bereiten sich ebenso wie der öffentliche Gesundheitsdienst auf die baldige Impfung von vielen Menschen spätestens zu Jahresbeginn 2021 vor. Insofern sind die wohl bald verfügbaren Impfstoffe gegen COVID-19 dieses Jahr ein besonderes Weihnachtsgeschenk, auf das viele Menschen lange gehofft haben und das absehbar auf dem Gabentisch liegen wird.“

Prof. Dr. Leif-Erik Sander

Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Das ist ein weiterer toller Erfolg der Impfstoffforschung, der hoffentlich dazu beitragen wird, dass möglichst schnell, wirksame Impfungen gegen COVID-19 für die gesamte Weltbevölkerung bereitgestellt werden können. In der Pressemitteilung wird eine 70-prozentige Wirksamkeit berichtet und durch ein verändertes Dosis-Regime sei sogar eine Wirksamkeit von circa 90 Prozent erreichbar. Dabei wurde den Probanden zunächst die halbe Dosis des Impfstoffs verabreicht und vier Wochen später die volle Dosis. Uns liegen die primären Daten zu diesen Ergebnissen leider noch nicht vor und die Zahl der Probanden in diesem Arm der Studie ist mit 2.741 noch vergleichsweise niedrig. Ich könnte mir vorstellen, dass durch die geringere Anfangsdosis etwas weniger Immunantworten gegen den Vektor selber, also gegen das ChAdOx-Adenovirus, ausgebildet werden. Dadurch könnte möglicherweise bei der zweiten Gabe in der höheren Dosis eine bessere Wirkung erreicht werden. Aber das ist aktuell reine Spekulation, dazu liegen mir keinerlei Daten vor. Es bleibt für den Moment eine interessante und letztlich positive Beobachtung, die Hoffnung gibt, dass der Impfstoff eine gute Wirksamkeit erreichen kann.“

„Es gibt derzeit keine vergleichende Studie der verschiedenen Impfstoffe, aber bislang zeigt sich bei den Vektorimpfstoffen und den mRNA-Impfstoffen ein ähnliches Nebenwirkungsprofil mit relativ häufigen, aber leichten Nebenwirkungen mit grippeähnlichen Symptomen und lokalen Beschwerden, die aber nur kurz anhalten. In der aktuellen Studie von AstraZeneca/Oxford gab es auch einen neurologischen Zwischenfall, der zur zwischenzeitlichen Unterbrechung der Studie führte (SMC-Material dazu [I]; Anm. d. Red.). Daher müssen mögliche Nebenwirkungen selbstverständlich weiterhin engmaschig beobachtet werden.“

„Die beteiligten Wissenschaftler*innen und die Universität Oxford geben auch an, dass die Zahl der nachgewiesenen, asymptomatischen Infektionen reduziert werden konnte. Auch dazu haben wir noch keine konkreten Zahlen vorliegen. Aber sollte sich dies bestätigen, wäre das ein weiterer wichtiger Schritt für die Kontrolle der Pandemie. Insgesamt eine sehr positive Nachricht.“

„Aus meiner Sicht sollten zunächst Personen mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 geimpft werden. Zum einen ist hier der zu erwartende Nutzen für die Patient*innen am höchsten, zum anderen kann durch die Reduktion der schweren Krankheitsfälle der Druck auf das Gesundheitssystem reduziert werden.“

Prof. Dr. Marylyn Addo

Leiterin der Sektion Infektiologie am Zentrum für Innere Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

„Die heute veröffentlichten vorläufigen Studienergebnisse zum AZD1222-Impfstoff der Firma AstraZeneca sind eine äußerst positive Nachricht. Nach den beiden mRNA-basierten Impfstoffen der Firmen Pfizer und BioNTech sowie der Firma Moderna handelt es sich hierbei nun um den ersten Vektor-Impfstoff, der eine gute Wirksamkeit zeigt. Keiner der geimpften Probandinnen und Probanden entwickelte eine schwere COVID-19-Infektion, und der Hauptprüfer der Studie sieht erste Hinweise, dass durch Impfung möglicherweise sogar asymptomatische Infektionen verringert werden können. Allerdings handelt es sich auch in diesem Falle nur um eine Pressemitteilung einer Zwischenanalyse, die finalen Daten stehen noch aus.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

AstraZeneca (23.11.2020): AZD1222 vaccine met primary efficacy endpoint in preventing COVID-19.

University Oxford (23.11.2020): Oxford University breakthrough on global COVID-19 vaccine.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2020): Impfstoffstudien von AstraZeneca gegen SARS-CoV-2 pausieren. Rapid Reaction. Stand: 09.09.2020

Weitere Recherchequellen

Science Media Center (2020): Weiterer COVID-19-Impfstoff mit offenbar hoher Wirksamkeit. Rapid Reaction. Stand: 16.11.2020.

Science Media Center (2020): Impfstoff verhindert mit über 90% Effektivität symptomatische SARS-CoV-2-Infektionen. Rapid Reaction. Stand: 09.11.2020.