Weiter kein „Mining Code“ für den Tiefseebergbau – Rückschritt oder Chance für den Ozeanschutz?
auch die 30. Jahressitzung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) endet ohne Einigung auf ein Regelwerk zum Tiefseebergbau
Umweltorganisationen werten dies als Erfolg für den Schutz der Tiefsee
Fachleute unterstützen diese Sichtweise und sehen in der Nichteinigung kein Scheitern
Am 25.07.2025 ging in Jamaikas Hauptstadt Kingston die Vollversammlung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) zu Ende. Bereits im Vorfeld war es dem ISA-Rat – einem 37 Staaten umfassenden Gremium, das von der Vollversammlung gewählt wird – nicht gelungen, sich auf einen verbindlichen „Mining Code“ zu einigen. Ein solches Regelwerk soll laut ISA einen Rechtsrahmen für die wirtschaftliche Nutzung von Ressourcen in der Tiefsee schaffen.
Umweltorganisationen bewerten das Ausbleiben eines Regelwerks als Erfolg für den Schutz der Ozeane und der Tiefsee. Denn ohne einen solchen Kodex kann die ISA keine Abbauprojekte genehmigen. Angesichts zahlreicher ungeklärter Fragen und fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die ökologischen Auswirkungen des Tiefseebergbaus hielten viele Forschende eine Einigung auf der diesjährigen Sitzung bereits im Vorfeld für unwahrscheinlich [I]. Gleichzeitig bereitet sich das kanadische Unternehmen „The Metals Company (TMC)“ jedoch auch ohne gültigen Mining Code mit Unterstützung von Donald Trump auf den baldigen Start des kommerziellen Tiefseebergbaus in internationalen Gewässern vor [II].
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sektion Tiefseeökologie und -technologie, Fachbereich Biowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Auf die Frage, inwiefern das Scheitern eines verbindlichen Regelwerks als Erfolg für den Schutz der Ozeane zu werten ist:„Die Erleichterung bei den Umweltorganisationen ist verständlich – dass zunächst einmal noch kein Mining Code vorliegt, bedeutet ja in der Tat erst einmal einen Aufschub für einen kommerziellen Abbau unter internationalem Recht. Ein rechtsfreier Raum entsteht an dieser Stelle dadurch, dass die USA und ein Industrieunternehmen die Entscheidungshoheit der Internationalen Meeresbodenbehörde infrage stellen. Das ist nicht der Meeresbodenbehörde anzulasten und davor wäre auch ein verabschiedeter Mining Code kein vollständiger Schutz: Solange es parallele Rechtssysteme gibt, besteht eine regulatorische Grauzone, die von Abbauunternehmen genutzt werden könnte.“
Wie es nun weitergeht
„Ganz generell sehe ich in der fehlenden Einigung kein Scheitern der Meeresbodenbehörde, sondern eine souveräne Entscheidung der beteiligten 170 Staaten und Staatenbünde gegen die übereilte Verabschiedung eines Regelwerks. Das ist ja auch die Haltung Deutschlands und zahlreicher anderer Staaten, die eine Pause, ein Moratorium, oder sogar eine Abkehr vom Tiefseebergbau fordern: Wir brauchen noch Zeit für zusätzliche Forschung, damit das Regelwerk wissenschaftlich fundiert ausgestaltet werden kann. Die Aufgabe für die Wissenschaft ist immens und erfordert Zeit und entsprechende Ressourcen. Die Clarion-Clipperton-Bruchzone, dem momentanen Hauptgebiet für Abbaupläne von Manganknollen, ist halb so groß ist wie Europa. Dort leben nach Schätzungen etwa 10.000 Arten. Kenntnisse über deren typische Verbreitungsmuster und den – auch längerfristigen – Einfluss eines industriellen Abbaus auf ihr Überleben sind entscheidende Komponenten für wissenschaftlich fundierten Regularien.“
Anforderungen an ein Regelwerk
„Ein geeignetes Regelwerk muss auf den bestehenden und noch zusätzlich erforderlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauen, um die bei einem Abbau unvermeidlichen Verluste an diesem ‚gemeinsamen Erbes der Menschheit‘ so gering wie möglich zu halten. Es müsste darüber hinaus die Beteiligung aller Staaten an den erwirtschafteten Gewinnen verbindlich regeln. Der angebliche Abbau ‚für die Energiewende‘ – als Gegenmaßnahme zum Klimawandel und damit zum Nutzen aller – ist eine Erzählung der Industrie. Das garantiert weder einen umweltgerechten Abbau noch eine Vereinbarkeit mit dem Grundprinzip eines gerechten ‚Benefit-Sharing‘.“
Professor für Petrologie, marum Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Bremen, und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen
Auf die Frage, inwiefern das Scheitern eines verbindlichen Regelwerks als Erfolg für den Schutz der Ozeane zu werten ist:
„Es ist zu begrüßen, dass die ISA keinen ‚Mining Code‘ verabschiedet hat. Zu groß sind unsere Wissenslücken über die Lebens- und Stoffzyklen in der Tiefsee. Die Folgeschäden eines Abbaus sind daher nicht vorherzusagen. Das ist der grundsätzliche Unterschied zum Abbau von Rohstoffen an Land. Dort gibt es ein definiertes Gelände, in dessen Untergrund die Rohstoffe verborgen sind. Ein Abbau kann – zumindest in der Theorie – umweltverträglich gestaltet werden und die Umweltfolgen sind vorhersehbar. Eine Renaturierung nach Ende des Abbaus ist machbar.“
„In der Tiefsee des offenen Ozeans ist das komplett anders. Sedimentpartikel und -porenwässer, die bei einem Abbau von Manganknollen freigesetzt werden, können über sehr lange Zeiträume in der Wassersäule verbleiben und über riesige Distanzen verfrachtet werden. Die zerstörten Habitate im unmittelbaren Umfeld des Abbaus werden Jahrtausende brauchen, um sich zu regenerieren. Eine Renaturierung ist nicht umsetzbar. Dies macht klar, dass Bergbau in der Tiefsee ganz prinzipiell keine gute Idee ist. Dennoch soll ein Regelwerk für den Abbau entwickelt werden. Dies ist ein fast hoffnungsloses Unterfangen.“
Anforderungen an ein Regelwerk
„Wie ein künftiger Mining Code aussehen könnte, ist schwer vorstellbar, denn der Umfang der erforderlichen Auflagen zum Umweltmonitoring ist nicht einfach zu definieren. Uns fehlen gekoppelte physikalische, chemische und ökologische Modellierungen, die notwendig wären, um den Umfang des erforderlichen Monitorings festzulegen und Folgeschäden eines Abbaus vorhersagen zu können. In ein so wenig verstandenes System wie die Tiefsee durch Bergbau eingreifen zu wollen, ist nicht verantwortbar.“
„Die Behauptung der Befürworter des Tiefseebergbaus, dass Metalle aus der Tiefsee für die Energiewende unverzichtbar seien, ist eine Illusion. Die Gesamtheit der Massivsulfide (mineralische Ablagerungen aus schwefelhaltigen Metallen; Anm. d. Red.) in der Tiefsee würde den weltweiten Bedarf an Kupfer bestenfalls für wenige Monate abdecken können. Und für die Manganknollen existieren keine Anlagen, mit denen Kupfer, Nickel und Kobalt – geschweige denn Seltene-Erd-Elemente – extrahiert und aufbereitet werden könnten.“
„Selbst unter optimistischen Bedingungen würde der groß angelegte kommerzielle Bezug von Metallen aus Manganknollen in Anbetracht der Diversität an Herausforderungen erst nach über 20 Jahren beginnen können. Wie brauchen die Metalle aber jetzt. Wir wären daher gut beraten, alle Pläne für den Tiefseebergbau auf Eis zu legen und stattdessen unsere ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten, eine zuverlässige Versorgung mit kritischen Rohstoffen in Anbetracht realer geopolitischer Herausforderungen sicherzustellen.“
Senior Researcher im Forschungsbereich Produkte & Stoffströme, Öko-Institut e.V., Freiburg
„Angesichts der zahlreichen offenen Fragen bei der Entwicklung eines Regelwerks das kommerziellen Tiefseebergbau effektiv reguliert, war die Verabschiedung eines Mining-Codes in diesem Jahr von vorneherein unrealistisch. Letztendlich geht es dabei nicht nur um einige technische Details, sondern auch um die Fragen, wer den Tiefseebergbau überwachen soll und wie dies praktisch und effektiv geschieht. Dazu kommen Fragen nach Sanktions- und Kompensationsmechanismen bei Verstößen. Und selbstverständlich steht die Klärung von Umweltfragen weiterhin auf der To-do-Liste: Wie sollen Bergbauaktivitäten in der Tiefsee ein Ökosystem effektiv schützen, das bisher nur in Teilen erforscht und verstanden ist?“
„Die Ausarbeitung internationaler Regeln mag langwierig und mühsam erscheinen, ist aber der einzig richtige Weg. Die aktuelle Situation bedeutet nicht, dass die Tiefsee nun ein reichsfreier Raum wird. Im Gegenteil: Allen potenziellen Investoren sollte bewusst sein, dass Tiefseebergbau ohne internationale Zustimmung ein juristisches und damit auch finanzielles Risiko bleibt.“
„Interessenskonflikte gibt es nicht.“
„Ein Interessenkonflikt besteht nicht.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Die ISA wurde 1994 auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) gegründet. Ihre zentrale Aufgabe besteht in der Regulierung und Verwaltung mineralischer Ressourcen auf dem Meeresboden außerhalb nationaler Hoheitsgebiete – einem Gebiet, das als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ definiert ist. Der Vollversammlung der ISA gehören 169 Staaten sowie die Europäische Union an.
Im Fokus des Tiefseebergbaus stehen insbesondere polymetallische Knollen – häufig auch als Manganknollen bezeichnet –, die in großen Mengen am Boden bestimmter Tiefseegebiete lagern, meist in mehreren Kilometern Tiefe. Eine besonders rohstoffreiche Region ist die Clarion-Clipperton-Zone im Zentralpazifik. Die Knollen enthalten neben Mangan auch Metalle wie Kupfer, Nickel und Kobalt – wichtige Rohstoffe für Batterien. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2023 kam jedoch zu dem Schluss, dass diese Rohstoffe aus der Tiefsee für die Energiewende nicht zwingend erforderlich seien [IV].
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Singh P et al. (2025): A Pause or Moratorium for Deep Seabed Mining in the Area? The Legal Basis, Potential Pathways, and Possible Policy Implications. Ocean development and international law. DOI: 10.1080/00908320.2024.2439877
[II] Science Media Center (2025): Trump will Tiefseebergbau zeitnah erlauben. Statements. Stand: 29.04.2025.
[III] Science Media Center (2023): Tiefseebergbau: Rohstoffquelle für die Energiewende oder unberechenbares Risiko? Press Briefing. Stand: 09.03.2023.
[IV] Manhart A et al. (2023): The Rush for Metals in the Deep Sea. Considerations on Deep-Sea Mining. Öko-Institut. Studie im Auftrag von Greenpeace.
Dr. Felix Janßen
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sektion Tiefseeökologie und -technologie, Fachbereich Biowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Prof. Dr. Wolfgang Bach
Professor für Petrologie, marum Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Bremen, und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenskonflikte gibt es nicht.“
Andreas Manhart
Senior Researcher im Forschungsbereich Produkte & Stoffströme, Öko-Institut e.V., Freiburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ein Interessenkonflikt besteht nicht.“