Vogelgrippe in den USA – Virusentwicklung, Prävention und Therapie
immer mehr Rinderfarmen in den USA melden H5N1-Fälle, drei dokumentierte Übertragungen auf den Menschen
Ansteckungen zwischen Menschen bislang nicht beobachtet, aber künftig denkbar
Impfstoffe und Medikamente in Vorbereitung oder sogar verfügbar, im Pandemiefall allerdings begrenzt
Weltweit wächst die Sorge vor dem Vogelgrippevirus. Der Subtyp H5N1 hat bereits ganze Vogelpopulationen nahezu auf jedem Kontinent getötet. Immer mehr Tierarten sind befallen. Zuletzt infizierten sich in den USA Rinder – ein Novum in der Entwicklung des Erregers, der mittlerweile auch im texanischen Abwasser zu finden ist [I]. Drei Farmarbeiter haben sich nachweislich bei den Tieren angesteckt [II]. Ihre Symptome sind mild, was aber auch bedeuten könnte, dass es weitere unentdeckte Fälle gibt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich seit 2003 mindestens 889 Menschen in 23 Ländern mit H5N1 infiziert, 463 davon starben [III]. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde bislang nicht dokumentiert. Die Fachwelt ist sich jedoch weitgehend einig: In den USA könnte etwas Bedrohliches früh eingedämmt werden oder bei fehlender Wachsamkeit unkontrolliert verlaufen [IV] [V].
Professor für Vakzinologie, Abteilung für Mikrobiologie, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, Vereinigte Staaten
Impfstoffe und Medikamente
„Alle momentan für saisonale Influenza verwendeten Klassen von antiviralen Medikamenten funktionieren (zumindest in vitro) gut gegen die momentanen H5N1-Stämme. Daher sollte auch eine Therapie mit diesen Medikamenten bei Infizierten gut funktionieren. Impfstoffe gegen H5N1 wurden entwickelt und Impfstämme, die zu den momentan zirkulierenden H5N1-Viren – auch in Kühen – passen, sind vorhanden. Diese Impfstoffe werden wie saisonale Impfstoffe hergestellt, müssen normalerweise aber mit Adjuvantien versetzt und zweimal verimpft werden, damit sie gute Titer von neutralisierenden Antikörpern induzieren; diese Antikörper (HI-Antikörper) sind ein Schutzkorrelat für Influenza und man kann daher annehmen, dass die Impfstoffe gut funktionieren werden.“
Verfügbarkeit
„Ich glaube, man sollte vorsorglich Therapeutika einlagern, ich glaube nicht, dass im Falle einer Pandemie genügend vorhanden wären. Impfstoffe sind nur sehr begrenzt verfügbar und sollten produziert und eingelagert werden. Das ist aber machbar, wenn man jetzt damit beginnt.“
Mensch-zu-Mensch-Übertragungen
„H5N1 müsste dafür zu einer weiteren Anpassung an Säugerzellen kommen. Die Rezeptorpräferenz – auch in den auf Rinder adaptierten Stämmen – ist nach wie vor alpha 2.3 linked sialic acid. Das Virus müsste sich also weiter verändern und beginnen, an den Rezeptor alpha 2.6 linked sialic acid zu binden, der bei Menschen in den oberen Atemwegen vorkommt, um eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung zu ermöglichen. Ich würde aber grundsätzlich annehmen, dass H5N1 mit Schweine- oder humanen Influenzaviren reassortieren (vermischen; Anm d. Red.) müsste, um eine Pandemie auszulösen.“
Informationspolitik in den USA
„Die Transparenz fehlt in den USA und teilweise verhindern Konflikte zwischen zuständigen Behörden, aber auch wirtschaftliche Interessen und das Fehlen von Richtlinien bei Influenza in Rindern – weil das ja neu ist – eine effiziente Nachverfolgung.“
Übertragungen außerhalb der USA
„Die Übertragung auf Rinder war wahrscheinlich ein einziger ,Transmission Event‘ und die Verbreitung beschränkt sich momentan auf milchgebende Milchkühe. Allerdings kann es zum Export von infizierten Tieren, vor allem nach Mexiko und Kanada kommen, und damit könnte sich das Virus weiter ausbreiten. Natürlich kann es auch neuerlich anderswo zu neuerlichen Übertragungen von Vögeln auf Kühen kommen. Darauf gibt es aber momentan keine Hinweise und die Ausbreitung beschränkt sich vermutlich momentan auf die USA beziehungsweise einige Bundesstaaten.“
Leiter des Instituts für Virusdiagnostik (IVD), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems
Mensch-zu-Mensch-Übertragungen
„Im Replikationszyklus der Influenzaviren sind an vielen Stellen Anpassungen erforderlich, um letztendlich Menschen infizieren zu können. In der Regel endet die spontane, sporadische Infektion eines ,Fremdwirtes‘ in einer Sackgasse für das Virus, das heißt, es wird nicht mit ausreichender Effizienz auf andere Individuen derselben Fremdwirtart übertragen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Wirt erkrankt oder nicht. Diese Grundprinzipien wurden bislang auch bei Übertragungen aviärer Influenzaviren auf Menschen oder andere Säugetiere beobachtet. Es sind in der Regel Einzelfälle. Nur in Sondersituationen kam es bei Pelztierfarmen und Meeressäugern zu größeren Ausbrüchen. Hier scheinen es aber die Wirte selbst und die generellen Bedingungen zu befördern.“
„Erforderliche Anpassungen des Virus betreffen alle Phasen des Vermehrungszyklus einschließlich der Interaktionen mit den angeborenen Immunitätsmechanismen des Wirtes. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bei einer sporadischen, ersten Infektion bereits per Zufall alle erforderlichen Anpassungen erfolgen können. Allerdings gelingt es HPAIV H5N1 bisher nicht, alle Hürden auf diesem Weg zu überwinden.“
„Wahrscheinlicher wird eine Adaption, wenn eine Wirtsspezies infiziert wird, die bereits eigene Influenzaviren besitzt, mit denen das neue (aviäre) Virus reassortieren könnte. Hierbei könnte das neue Virus Teile des Virusgenoms von bereits angepassten Influenzaviren übernehmen und so unmittelbar eine Vermehrungs- und Übertragungskompetenz für die neue Wirtsart erwerben.“
Informationspolitik in den USA
„Die epidemiologische Situation in den USA betreffend HPAIV-Infektionen in Milchkühen kann derzeit nicht umfassend bewertet werden, da Ergebnisse systematischer Surveillance-Untersuchungen oder Informationen zu umfassenden epidemiologischen Analysen bisher nicht zur Verfügung stehen. Die täglich steigenden Zahlen betroffener Milchviehhaltungen lassen vermuten, dass das tatsächliche Ausmaß der Verbreitung noch nicht bekannt ist.“
Übertragungen außerhalb der USA
„Die Gefahr weiterer Übertragungen auf Rinder (von Wildtieren auf Rinder; Anm. d. Red.) außerhalb der USA bewerten wir unter Berücksichtigung der aktuellen Daten als gering. Vermutlich bedarf es eines direkten Eintrags von hochpathogenen aviären Influenzaviren (HPAIV) in das laktierende Euter von Kühen, um eine Infektion auslösen zu können. Dieser Eintragsweg scheint nur sehr selten wirksam zu werden. Trotz nahezu 30-jähriger Zirkulation von HPAI-Viren in Wildvögeln und Geflügel in Bereichen, in denen auch Rinder und andere Wiederkäuer gehalten werden, gibt es keine weiteren Berichte über natürliche HPAIV-Infektionen bei Wiederkäuern außerhalb der USA.“
Leiter der Arbeitsgruppe Influenzavirusforschung am Institut für Medizinische Virologie, Justus-Liebig-Universität Gießen
Auftreten von H5N1 in den USA
„Es war lange Zeit sehr erstaunlich, dass H5N1 nicht großflächig auf dem amerikanischen Kontinent aufgetreten ist. Aber es war eine Frage der Zeit, da das Virus hauptsächlich über Zugvögel übertragen wird. Und auch die Übertragung auf Säuger ist erst einmal nichts Neues. Das Rind ist aber nun ein neuer Wirt. Die meisten Säuger, die betroffen sind, haben sich vermutlich bei infizierten (toten) Vögeln infiziert. Da es sich bei H5N1-Viren um aviäre Influenza-A-Viren handelt, ist die Übertragung von Vogel auf Vogel oftmals möglich. Wobei Geflügel auch sehr unterschiedlich sensitiv reagiert. Truthähne und Hühner zum Beispiel reagieren sehr sensitiv auf H5N1. Wenn hier das Virus ausbricht, versterben zumeist alle Tiere oder müssen aus seuchentechnischen Gründen gekeult werden, wodurch natürlich große ökonomische Schäden entstehen können. Auch auf Nerzfarmen haben wir eine Viruszirkulation schon beobachtet. Übertragungen auf den Menschen, die oft tödlich verlaufen, waren zuletzt zum Glück seltene Einzelfälle. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragungen ist bislang nicht beobachtet worden.“
„Wie genau nun in den USA die Infektion in der Kuh stattfindet, ist noch nicht so ganz klar. Aber man hat das Virus auch im Respirationstrakt gefunden. Man findet das Virus derzeit vor allem in den Eutern der Kühe, weil dort scheinbar der passende Rezeptor häufig vorkommt. Aber das kann sich ändern.“
Mensch-zu-Mensch-Übertragungen
„Die Grundvoraussetzung für humane Übertragungen wäre die Adaption von H5N1 an einen Säuger, ganz konkret eben an den Menschen. Das ist bisher offenbar noch nicht geschehen, aber H5N1 ist theoretisch dazu in der Lage. Das Problem bei derlei Influenzaviren ist, dass sie zu den RNA-Viren gehören. Die RNA-Polymerase dieser Viren macht sehr viele Fehler und in einer Replikationsrunde können bereits mehrere Varianten entstehen. Das kann dazu führen, dass bei bestimmten Umwelteinflüssen plötzlich eine Variante entsteht, die in Bezug auf Säuger oder eben speziell auf den Menschen einen Vorteil hat. Der Ursprungswirt wird dann nicht mehr so gut abgedeckt, aber sehr wohl der neue. Durch die natürliche Selektion dieser Stämme können sie dominant werden. Also kurzum: Vogelgrippeviren können sich sehr schnell verändern. Da Influenzaviren ein segmentiertes Genom besitzen kann es bei einer Doppelinfektion mit verschiedenen Influenzaviren zusätzlich auch zur Neukombination von Gensegmenten kommen. Dabei können Varianten mit stark veränderten Eigenschaften entstehen. Infektionen mit den Menschen nahestehenden Säugern müssen wir deshalb genau beobachten und soweit wie möglich verhindern.“
„Vogelviren nutzen einen spezifischen Rezeptor, um in die aviäre Zelle zu gelangen. Dieser Rezeptor ist beim Menschen zwar ähnlich ist, aber eben nicht gleich. Schweine haben zum Beispiel eine sehr gelichmäßige Verteilung beider Rezeptoren, weshalb sie sich mit aviären und humanen Viren infizieren können. Wenn Sie H5N1 im Labor aber verändern, also Gensegmente anderer Viren einfügen, was auch in der Natur passieren kann, können Sie unter Umständen ein Virus erhalten, welches zum Beispiel auch Mäuse infizieren kann. Im vergangenen Jahrhundert waren derlei Austausche von Gensegmenten Grundlage für die verschiedenen Pandemien. Dieses sogenannte Reassortment kann zu sehr gefährlichen Virusvarianten führen. Aufgrund der hohen genetischen Flexibilität der Influenzaviren ist es deshalb so wichtig, neue Wirtsübertragungen zu verhindern. Denn mit jedem neuen Wirt entstehen neue Möglichkeiten für H5N1 sich anzupassen. Für Influenzaviren ist es unterschiedlich schwer, sich an Säuger und den Menschen anzupassen. Aber es ist nicht unmöglich.“
Impfstoffe und Medikamente
„Bisherige gängige Therapeutika wie Neuraminidase-Hemmer scheinen auch bei H5N1 effizient zu sein. Das Problem ist aber auch hier, dass sich die Viren mit jedem neuen Replikationsprozess verändern können. Im Labor haben Sie sehr schnell ein gegenüber Neuraminidase-Hemmern unempfindliches H5N1-Virus.”
„Bei den Impfstoffen gibt es verschiedene Ansätze von klassischen Totimpfstoffen über Lebendimpfstoffe, die aber eine Revertierungsgefahr bieten. Spannend sind breitwirksame Therapeutika, die speziell auf die Funktionen abzielen, die Influenzaviren im Allgemeinen von der Zelle brauchen, um sich in der Zelle zu replizieren. Viren brauchen ja immer eine lebende Zelle für ihre Vermehrung, das unterscheidet sie grundsätzlich von den Bakterien. Das Virus ist also immer von der Zelle abhängig. Welche Abhängigkeiten das genau sind, hängt von dem jeweiligen Virus ab. Wenn man diese Abhängigkeiten findet und kurzfristig blockiert, ohne den Wirt zu schaden, hat man das Virus in die Enge getrieben. Derlei gilt dann im Idealfall für alle Influenzaviren. Wir haben zum Beispiel in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen zeigen können, dass es eine Signalkaskade gibt, die von allen Influenzaviren genutzt wird. Und wenn man die blockiert, kann man grundsätzlich das Influenzavirus hemmen. Diese Kaskade wird auch von vielen anderen Virusfamilien genutzt. Auch wenn bereits spezifische Inhibitoren dieser Signalkaskade in der klinischen Forschung sind, hat derlei Grundlagenforschung jedoch einen sehr schweren Weg bis in die Anwendung.“
Besonderheiten der Vogelgrippeviren
„Unter den vielen Faktoren, die Influenzaviren brauchen, um sich zu vermehren, ist die Spaltbarkeit des Hämagglutinin (HA) besonders wichtig. Dieses Virusprotein löst quasi die Fusion der Virusmembran mit der Zellmembran aus. Erst dann kann das virale Genom in die Zelle gelangen. Ohne diese Spaltung sind die Viren nicht infektiös. Bei den humanen Viren passiert das außerhalb der Zelle. Und da sind die Gegebenheiten begrenzt, wodurch sich diese Viren nicht überall vermehren könne. Die klassischen Vogelgrippeviren sind die H5- und H7-Viren. Diese Viren besitzen oftmals ein HA, welches nicht erst außerhalb der Zelle aktiviert wird, sondern schon innerhalb fast jeder Zelle gespalten werden kann. Die Viren, die dann von der Zelle freigeben werden, sind daher sofort infektiös und können sich in vielen verschiedenen Geweben vermehren. Andere aviäre Influenzaviren wie H9N2 haben auch das Potenzial gezeigt, sich im Menschen zu vermehren, aber eben nicht so stark wie die H5N1-Viren.“
Professorin für Vakzinologie, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Groningen, Niederlande
Impfstoffe und Medikamente
„In Europa sind vor einigen Jahren im Zuge von ‚Pre-pandemic Preparedness‘ vier sogenannte ‚Mockup‘-Impfstoffe für neue Influenzaviren, unter anderem H5N1, durch die European Medicine Association (EMA) registriert worden. Alle Impfstoffe greifen auf bestehende Technologien zur Herstellung von Grippeimpfstoffen zurück und können im Falle einer Pandemie im Prinzip relativ schnell hergestellt, weiter getestet und auf den Markt gebracht werden. Da diese Impfstoffe aus Viren hergestellt werden, muss dazu zunächst ein ‚Vakzinvirus‘ produziert werden, der sich schnell und risikolos in Zellen oder Eiern replizieren lässt. Dieser Schritt ist bereits genommen und geeignete Vakzinviren sind vorhanden. In den vergangenen Jahren sind auch mRNA-Impfstoffe für saisonale Influenzaviren entwickelt und klinisch getestet worden, diese Tests sind zurzeit noch nicht abgeschlossen. Die Technologie kann relativ leicht auf H5N1-Viren angewendet werden.“
„Die Wirksamkeit von Impfstoffen gegen das heutige H5N1-Virus konnte natürlich noch nicht im Menschen getestet werden. H5N1-Viren sind wenig immunogen in Menschen, zwei Impfungen mit adjuvantierten Impfstoffen sind darum vermutlich nötig. mRNA-Impfstoffe für andere Vogelgrippeviren waren bislang leider nicht sehr effektiv in Menschen. Darum sollte nicht nur auf diese Art Impfstoff gesetzt werden.“
Verfügbarkeit
„Die Produktionskapazität konventioneller Impfstoffe ist angepasst an die Menge von Impfstoffen, die für die jährliche Grippeimpfung benötigt werden. Der saisonale Grippeimpfstoff besteht aus Proteinen von vier verschiedenen Influenzaviren. Wenn man Impfstoff für nur einen Virus herstellen müsste, könnte man damit also theoretisch viermal so viel Impfstoff herstellen, als normalerweise saisonal benötigt werden. Diese Kapazität ist zwar erheblich, aber nicht ausreichend, um in kurzer Zeit für die gesamte Weltbevölkerung Impfstoff herzustellen. Ein wirksamer mRNA-Impfstoff könnte vermutlich schnell in großen Mengen hergestellt werden, da ausreichend Produktionskapazitäten vorhanden sind.“
„In Europa gibt es neun große Produktionsfabriken für Grippeimpfstoff, die für die Produktion eines H5N1-Impfstoffes eingesetzt werden können. Damit ist Europa also vergleichsweise gut aufgestellt. Zum Vergleich: Auf dem amerikanischen Kontinent gibt es sieben solcher Fabriken [1].“
Mensch-zu-Mensch-Übertragungen
„Die normale Infektionsroute für Influenzaviren ist über die Atemwege, ähnlich wie bei SARS-CoV-2. Ein erster Schritt dabei ist, dass sich das Virus an einen bestimmten Rezeptor auf den Zellen der Atemwege bindet. Der Rezeptor, den das H5N1-Virus benötigt, befindet sich im menschlichen Atmungssystem tief in der Lunge, im Gegensatz zu den Rezeptoren für ‚normale‘ Grippeviren, die sich im gesamten Atmungssystem befinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Viren tief in die Lunge durchdringen, ist natürlich viel geringer als die, dass sie in Nase oder Rachen ihren Rezeptor finden. Falls das H5N1-Virus ‚lernen‘ würde, an die gleichen Rezeptoren zu binden wie normale Grippeviren, ohne an Gefährlichkeit zu verlieren, wäre das ein großes Problem. Zusätzlich wären noch einige andere Anpassungen nötig. Eine solche Kombination von Anpassungen hat bislang noch nicht stattgefunden, ist also anscheinend nicht einfach zu erreichen. Je länger das Virus zirkuliert – vor allem in Säugetieren, die in engem Kontakt mit Menschen stehen – desto größer die Chance, dass doch einmal ein übertragbares Virus entstehen könnte. Wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, ist schwer abzuschätzen.“
Informationspolitik in den USA
„Ich habe die Informationslage in den USA nicht genau verfolgt. Mein Eindruck ist, dass unter anderem durch Undeutlichkeit von Kompetenzen einige Zeit verloren gegangen ist. Anscheinend liegt die Kompetenz für die Nachverfolgung bei den einzelnen Staaten und es gibt Unterschiede zwischen Staaten, wie ernst diese Aufgabe genommen wird.“
Übertragungen außerhalb der USA
„Alle Fälle scheinen auf eine einzige Übertragung von Vögeln auf eine Kuh zurückzuführen sein. H5N1-Viren haben bereits seit einigen Jahren zu großen Epidemien unter Vögeln geführt, ohne Infektionen in Kühen nach sich gezogen zu haben. Es scheint sich also um einen sehr seltenen Vorgang zu handeln. Die infizierten Tiere sind dadurch aufgefallen, dass sie weniger Futter aufnahmen, ihre Milchleistung deutlich abnahm und Euterentzündungen entwickelten. Da Futteraufnahme und Milchleistung Faktoren sind, die durch Bauern natürlich genau im Auge behalten wird, ist es unwahrscheinlich, dass eine Infektion einer Milchkuh- oder Rinderherde nicht bemerkt würde.“
„Mein Labor erhält Fördermittel von: US National Institutes of Health, US Department of Defense, Bill and Melinda Gates Foundation, PATH GlaxoSmithKline hat in der Vergangenheit ein Forschungsprojekt finanziert, in dem mein Labor involviert war. Die Icahn School of Medicine at Mount Sinai hat mehrere Patente zum Thema Influenza-Impfstoffe und Influenza-Therapien angemeldet, auf denen ich als Erfinder genannt werde.”
„Ich erhalte keine direkten Zuwendungen aus der pharmazeutischen Industrie, arbeite aber im Rahmen von größeren EU-finanzierten Konsortien mit verschiedenen Impfstoffherstellern zusammen. Das ist für einen Wissenschaftler an einer Universität unabdingbar, um überhaupt an Forschungsmittel zu kommen.”
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (30.04.2024): Vogelgrippe bei Rindern beunruhigt Fachwelt. Rapid Reaction.
Science Media Center (10.10.2023): Genom-editierte Hühner gegen Vogelgrippe resistent. Research in Context.
Science Media Center (10.02.2023): Vogelgrippe – eine verheerende Pandemie für Vögel und eine Bedrohung für die globale Gesundheit? Press Briefing.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Sparrow E et al. (2021): Global production capacity of seasonal and pandemic influenza vaccines in 2019. Vaccine. DOI: 10.1016/j.vaccine.2020.12.018.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Austin Texas Government (06.06.2024): Statusaktualisierung: Bei der Abwasserüberwachung im Austin-Travis County wurden Spuren von H5N1 festgestellt. Das Risiko für die Bevölkerung bleibt gering. Pressemitteilung.
[II] Centers for Disease Control and Prevention (10.06.2024): H5N1 Bird Flu: Current Situation Summary.
[III] World Health Organization (24.05.2024): Avian Influenza Weekly Update Number 948. Human infection with avian influenza A(H5) viruses.
[IV] The Lancet (2024): H5N1: international failures and uncomfortable truths. Editorial. DOI: 10.1016/S0140-6736(24)01184-X.
[V] Rubin EJ et al. (2024): Audio Interview: Preparing for a Possible Avian Influenza Outbreak. Podcast. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMe2406224.
[VI] World Health Organization (16.05.2024): Influenza: A(H5N1). Questions and answers.
[VIII] European Medicines Agency (2024): Incellipan. Overview.
Prof. Dr. Florian Krammer
Professor für Vakzinologie, Abteilung für Mikrobiologie, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, Vereinigte Staaten
Prof. Dr. Martin Beer
Leiter des Instituts für Virusdiagnostik (IVD), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems
Prof. Dr. Stephan Pleschka
Leiter der Arbeitsgruppe Influenzavirusforschung am Institut für Medizinische Virologie, Justus-Liebig-Universität Gießen
Prof. Dr. Anke Huckriede
Professorin für Vakzinologie, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Groningen, Niederlande