Studie: Tauender Permafrost als langfristige Kohlenstoffquelle – selbst bei negativen Emissionen?
tauende Permafrostböden könnten bis ins übernächste Jahrhundert Kohlenstoff freisetzen– selbst bei negativen Emissionen durch verstärkte CO₂-Entnahme
Permafrost enthält enorme Mengen Kohlenstoff, der bei weiterem Auftauen als CO₂ und Methan in die Atmosphäre gelangen könnte, was den Klimaschutz langfristig erschwert
Forschende halten die Modelle der Studie für hilfreich, weisen aber auf vereinfachende Annahmen hin und betonen, dass ambitionierter Klimaschutz weiterhin wirksam bleibt
Tauende Permafrostböden könnten bis ins übernächste Jahrhundert eine Quelle für atmosphärischen Kohlenstoff bleiben – selbst dann, wenn die Welt durch den Ausbau von Kohlenstoffentnahmetechniken (CDR) bereits auf einem negativen Emissionspfad ist. Das zeigt eine Modellierungsstudie, die am 12.02.2025 in „Science Advances“ erschienen ist (siehe Primärquelle).
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Wechselwirkung Klima-Biogeosphäre, Abteilung Land im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
Permafrost im Klimawandel
„In der Berichterstattung zu Permafrostböden im Klimawandel könnte man den Eindruck bekommen, dass durch das Auftauen der Permafrostböden enorme Mengen an Treibhausgasen instantan an die Atmosphäre abgegeben werden, was wiederum den Klimawandel enorm beschleunigt.“
„Derartig zugespitzt ist diese Wahrnehmung offensichtlich falsch, enthält aber wichtige Elemente. So enthalten die Permafrostböden der Arktis große Mengen an Kohlenstoff, die zurzeit nicht zu CO2 zersetzt werden können, da sie gefroren sind. Insgesamt enthalten diese Permafrostböden 1200 bis 1500 Gigatonnen Kohlenstoff. Zum Vergleich: Die Menschheit emittiert zurzeit jährlich etwa 10 Gigatonnen Kohlenstoff in Form von CO2, Permafrostböden enthalten also so viel Kohlenstoff wie 120 bis 150 Jahre der anthropogenen CO2-Emissionen auf aktuellem Niveau.“
„Ein Auftauen der Permafrostböden wird aber nicht überall gleichzeitig stattfinden, sondern Böden tauen allmählich auf. Zusätzlich kann auch nicht der komplette Kohlenstoff gleich schnell zu CO2 verarbeitet werden: Blätter werden beispielsweise schneller abgebaut als Holz. Im Endergebnis wird daher nicht der gesamte eingefrorene Kohlenstoff gleichzeitig freigesetzt, sondern über Jahrzehnte bis Jahrhunderte verteilt.“
Methodik der Studie
„Die vorliegende Studie untersucht die Reaktion der Permafrostregion auf idealisierte Treibhausgasszenarien, bei denen die Emissionen bis 2050 sehr stark ansteigen und danach deutlich reduziert werden. Dabei fallen die Emissionen in einem Experiment auf Null zurück, und in einem anderen werden sie sogar negativ. Derartige ‚Overshoot‘-Szenarien, bei denen ein Klimaziel anfänglich überschritten wird, gelten in der Klimaforschung derzeit als besonders interessant. Der starke Anstieg der CO2-Konzentration bis 2050 in der vorliegenden Studie ist dabei am oberen Rand der plausiblen Emissionsszenarien, aber nicht unrealistisch.“
„Eine der Stärken der Studie ist, dass der Untersuchungszeitraum nicht nur bis 2100 reicht, sondern bis zum Jahr 2300. Dieser Zeitraum ist unbedingt notwendig, da die Permafrostregion nur mit Verzögerung auf eine Erwärmung reagiert, so dass die vollen Auswirkungen einer Erwärmung nicht vor 2250 eingetreten sein können. Man könnte meinen, dass sich durch diesen verlängerten Analysezeitraum die Unsicherheit erhöht. Dies ist jedoch nicht der Fall, da der bei weitem größte Unsicherheitsfaktor für die zukünftige Entwicklung des Klimas die Unsicherheit über zukünftige menschliche Entscheidungen ist: Wenn wir unseren zukünftigen Energiebedarf mit Kohlekraftwerken decken, werden wir das Klima wesentlich stärker verändern, als wenn wir dafür Solarzellen nutzen. Im Vergleich zu dieser Ungewissheit sind die im Klimasystem inhärenten Unsicherheiten als eher klein einzuschätzen.“
Einordnung der Ergebnisse
„Die Studie ergänzt existierende Studien. Sie demonstriert das Hystereseverhalten (Systemverhalten, bei dem die Ausgangsgröße neben den äußerlich einwirkenden Parametern des Systems auch von seinem vorherigen Zustand abhängig ist. Daher kann das System bei gleichen äußeren Bedingungen unterschiedliche Werte annehmen.; Anm. d. Red.) des Permafrosts, sie quantifiziert die Veränderung von Methan-emittierenden Flächen, und sie untersucht den Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Nordatlantikzirkulation und dem Permafrost. Diese Ergebnisse waren vorher bekannt, die Autorinnen und Autoren haben sie besser quantifiziert und so untermauert.“
„Besonders interessant ist die Berechnung eines Nettoverlustes jeweils von 14 Gigatonnen Kohlenstoff in den beiden von ihnen untersuchten Szenarien. Diese Menge ist klein, nur etwas mehr als die aktuellen menschlichen Emissionen innerhalb eines Jahres, und die Tatsache, dass der Wert für beide untersuchten Szenarien beinahe identisch ist, impliziert, dass die Unsicherheit durch das verwendete Szenario recht gering ist. Es verbleibt allerdings eine kaum quantifizierbare Abhängigkeit vom verwendeten Klimamodell.“
Interpretation der Ergebnisse
„Die Studie unterstreicht eine Tatsache, die in der aktuellen Diskussion häufig zu kurz kommt: Emissionen aus den Permafrostregionen sind besonders dann wichtig, wenn menschliche Emissionen reduziert werden, um das Klima zu schützen. Im Vergleich zu aktuellen menschlichen Emissionen sind die Emissionen aus dem Permafrost, die in der Studie berechnet werden, nicht besonders hoch: Die Autorinnen und Autoren bestimmen Gesamtemissionen von 14 Petagramm Kohlenstoff, über mehrere Jahrzehnte verteilt. Menschen emittieren diese Menge jedoch in etwas mehr als einem Jahr. Wenn wir also das Klima nicht schützen wollen und einfach so weiter machen, wie bisher, dann sind die menschlichen Emissionen viel größer als alles, was aus dem Permafrost kommen kann.“
„Wenn wir aber die menschlichen Emissionen deutlich verringern, um das Klima zu schützen, dann werden die Emissionen aus dem Permafrost wichtig. Diese Emissionen sind kleiner als die derzeitigen anthropogenen Emissionen, aber sie lassen sich nicht gut steuern: Wenn der Permafrost auftaut, dann bleibt er erstmal aufgetaut, und Emissionen aus dem Permafrost werden nicht automatisch geringer, nur weil die Menschheit ein bisschen weniger Öl verbrennt. Unter diesen Bedingungen sorgt dann der Permafrost dafür, dass sich die Erwärmung des Klimas weniger verlangsamt, als es ohne Permafrost der Fall wäre.“
wissenschaftlicher Mitarbeiter, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Potsdam
gemeinsam verfasstes Statement mit Prof. Dr. Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung, Fachbereich Geowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Potsdam
Permafrost im Klimawandel
„Die Darstellung von Permafrost als ‚tickende Zeitbombe‘ in der medialen Berichterstattung ist irreführend, da das Auftauen und die Treibhausgasemissionen der Permafrostregion im Gleichschritt mit der globalen Erwärmung zunehmen und eben nicht‚ der eine’ Zeitpunkt existiert, an dem alles explosionsartig auftaut und Treibhausgase freigesetzt werden [VI].“
„Die Folgen des Permafrosttauen sind bereits heute vielerorts sichtbar und setzten nicht irgendwann plötzlich nach dem Überschreiten eines fernen Kipppunktes in der Zukunft ein.“
„Die Studie liefert klare Hinweise darauf, dass es infolge des Permafrosttauen zu langfristigen Emissionen von Treibhausgasen kommt, und zwar selbst, wenn die globalen anthropogenen Emissionen Netto-Null betragen oder sogar negativ sind.“
Methodik der Studie
„Die der Studie zugrunde legenden Simulationen sind mit einem aktuellen, ‚state-of-the-science‘ Erdsystemmodell gerechnet worden. Die Annahmen sind vereinfacht, aber plausibel.“
„Das besondere an der Methodik ist, dass nicht – wie in der Vergangenheit typisch – eine bestimmte Entwicklung der CO2-Konzetration in der Atmosphäre vorgeschrieben wird, sondern das Modell direkt mit Szenarien der erwartbaren menschlichen CO2-Emissionen angetrieben wird. Dadurch ist es möglich, die Auswirkungen des Permafrost-Kohlenstoff-Feedbacks zu simulieren. Die langfristige Simulation bis ins Jahr 2300 beruht zwar auf stark vereinfachten Annahmen, aber ist entscheidend, um auch die langsameren Prozesse im Erdsystem abzubilden.“
„Generell sollte jedoch bedacht werden, dass die Studie auf den Simulationen eines einzelnen Klimamodells beruht. Zur Erhärtung der Evidenz sind weitere Studien mit anderen Modellen unter ähnlichen Annahmen nötig.“
Einordnung der Ergebnisse
„Die Ergebnisse knüpfen an frühere Modell-Studien [1] an, in denen mehrere Modelle gezeigt haben, dass langfristig die Landgebiete der Arktis eine Kohlenstoff-Quelle darstellen, also die Kohlenstoff-Emissionen aus Permafrost dessen Aufnahme durch die Vegetation überwiegen. Auch Studien, die auf Beobachtungen basieren, deuten darauf hin, dass die Permafrostregion sich bereits heute von einer Kohlenstoff-Senke zu einer Quelle wandelt [2] [3].“
„Neu an der Studie ist, dass dies sogar der Fall sein könnte, wenn in Zukunft Kohlenstoff künstlich aus der Atmosphäre entfernt würde. Durch die Verwendung eines gekoppelten Erdsystemmodells können zudem mögliche Rückkopplungen mit dem globalen Kohlenstoffkreislauf oder mit der Ozeanzirkulation erfasst werden.“
„Die Autoren der Studie diskutieren verschiedene Unsicherheiten. Große Unsicherheiten bestehen immer noch darin, wie die arktischen Landgebiete sich im Zuge des Klimawandels verändern. Zum Beispiel hat es enorme Auswirkungen auf die Kohlenstoffbilanz, ob die Region eher trockener wird oder eher feuchter. Um dies sicherer vorhersagen zu können, müssen die aktuellen Klimamodelle noch weiter verbessert werden.“
„Die prognostizierte langfristige Netto-Freisetzung in Höhe von 14 Petagramm Kohlenstoff (PgC) ist im Vergleich zu aktuellen jährlichen menschlichen Emissionen – etwa 10 PgC – vergleichsweise gering. Zudem wird in einem der beiden Modell-Szenarien ein künstliches Entfernen von etwa 800 PgC aus der Atmosphäre angenommen. Auch im Vergleich dazu wäre die Netto-Freisetzung von 14 PgC aus der Permafrost-Region vergleichsweise gering, aber dennoch nicht vernachlässigbar.“
Interpretation der Ergebnisse
„Die Schlussfolgerung der Autoren, dass Permafrost-Emissionen im Rahmen von Klimaschutz-Anstrengungen besser berücksichtigt werden müssen, ist nicht neu, aber wird durch die Studie nochmals klar unterstrichen.“
„Die Studie so zu interpretieren, dass maximale Anstrengungen im Klimaschutz wenig bewirken, ist sicherlich nicht gerechtfertigt. Ohne ambitionierte Anstrengungen im Klimaschutz würden die menschlichen CO2-Emissionen auch in Zukunft natürliche Quellen um ein Vielfaches übersteigen. Bei abnehmenden menschlichen Emissionen bis hin zu Netto-Null oder Negativemissionen werden die natürlichen Quellen und Senken relativ gesehen immer wichtiger.“
„Ich würde die Studie vielmehr so interpretieren, dass wir bei der Minderung des Klimawandels nicht zu optimistisch auf natürliche (Vegetation) und künstliche (CDR) Kohlenstoffsenken zählen sollten, sondern uns auch auf unverhoffte langfristige Kohlenstoffquellen einstellen müssen.“
„Nichts bekannt.“
„Wir haben bereits gemeinsam mit den Co-Autoren der Studie N. Steinert und H. Lee publiziert.“
Primärquelle
Park SW et al. (2025): Continued permafrost ecosystem carbon loss under net-zero and negative emissions. Science Advances. DOI: 10.1126/sciadv.adn8819.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] McGuire et al. (2018): Dependence of the evolution of carbon dynamics in the northern permafrost region on the trajectory of climate change. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1719903115.
[2] Treat CC et al. (2024): Permafrost Carbon: Progress on Understanding Stocks and Fluxes Across Northern Terrestrial Ecosystems. JGR Geoscience. DOI: 10.1029/2023JG007638.
[3] Hugelius G et al. (2024): Permafrost Region Greenhouse Gas Budgets Suggest a Weak CO2 Sink and CH4 and N2O Sources, But Magnitudes Differ Between Top-Down and Bottom-Up Methods. Global Biogeochemical Cycles. DOI: 10.1029/2023GB007969.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Hugelius G et al. (2014): Estimated stocks of circumpolar permafrost carbon with quantified uncertainty ranges and identified data gaps. Biogeoscience. DOI: 10.5194/bg-11-6573-2014.
[II] Obu J (2021): How Much of the Earth's Surface is Underlain by Permafrost? JGR Earth Surface. DOI: 10.1029/2021JF006123.
[III] Lenton TM et al. (2008): Tipping elements in the Earth’s climate system. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.0705414105.
[IV] Canadell J et al. (2021): Global Carbon and other Biogeochemical Cycles and Feedbacks. In: Masson-Delmotte, V et al: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press. DOI: 10.1017/9781009157896.007.
[V] Winkelmann R. et al. (2023): Tipping points in the cryosphere. In: Lenton TM et al. (2023). The Global Tipping Points Report 2023. University of Exeter.
dazu auch:
Science Media Center (2023): Globaler Bericht zu Kipppunkten im Erdsystem und in der Gesellschaft. Statements. Stand: 06.12.2023.
Science Media Center (2024): Kipppunkte: Prognosen mit sehr großen Unsicherheiten behaftet. Statements. Stand: 02.08.2024.
[VI] Nitzbon J et al. (2024): No respite from permafrost-thaw impacts in the absence of a global tipping point. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-024-02011-4.
Dr. Thomas Kleinen
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Wechselwirkung Klima-Biogeosphäre, Abteilung Land im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Nichts bekannt.“
Dr. Jan Nitzbon
wissenschaftlicher Mitarbeiter, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Potsdam
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Wir haben bereits gemeinsam mit den Co-Autoren der Studie N. Steinert und H. Lee publiziert.“