Mikrobiomübertragung von Mutter auf Kind
unabhängig von der Geburtsmethode erhalten Babys laut Studie in den ersten Lebenswochen essenzielle Mikroorganismen der Mutter
nach einer Kaiserschnittgeburt können Mikroorganismen vor allem durch das Stillen übertragen werden
Forschende begrüßen die Ergebnisse und die Entkräftung der Annahme, dass Babys nach einer Kaiserschnittgeburt ein Defizit an mütterlichen Mikroben haben
Die Besiedlung eines neugeborenen Kindes mit Mikroben der Mutter erfolgt über mehrere Wege, wie Hautkontakt, Muttermilch oder Vaginalsekret, die zusammenwirkend das Baby mit einem Arsenal an Mikroben ausstatten. Dabei wirken diese redundant und ausgleichend, wenn zum Beispiel bei einer Kaiserschnittgeburt die Übertragung der Mikroben aus dem Vaginalsekret ausbleibt. Diese Erkenntnis präsentierte ein niederländisches Forschungsteam aus Utrecht am 08.03.2023 im Fachjournal „Cell Host & Microbe“ (siehe Primärquelle).
Stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz, Österreich
„Die Studie ist gut geplant und mit 120 Mutter-Kind Paaren sehr gut gepowert.“
„Es ist für mich sehr plausibel, dass der Mikroben-Transfer zwischen Mutter und Kind auf mehreren Wegen stattfindet.“
„Damit wird die besonders bei akuter Gefährdung des Kindes notwendige Kaiserschnittgeburt wieder in das rechte Licht gerückt. Umso mehr muss nach Kaiserschnitt das Stillen unterstützt und gefördert werden.“
Auf die Frage, ob es plausibel ist, dass andere Routen der Mikrobenübertragung die vaginale Übertragung bei dem Baby ausgleichen kann:
„Nachdem der entero-mammarian pathway ziemlich bewiesen scheint, also der Weg der Mikroben vom mütterlichen Darm zu den Milchdrüsen, ergibt das absolut Sinn: ‚From Mother’s Gut to Milk.‘ Es wäre auch von der Natur sicher nicht vorgesehen, nur einen Besiedlungsweg einzuplanen. Und es erscheint mir sehr viel attraktiver, nach einem Kaiserschnitt das Kind an den Busen zu legen als ihm mit einem Vaginalsekret-getränkten Tuch ins Gesicht zu wischen.“
Auf die Frage, ob man anhand der Daten ableiten kann, dass die Methode des ‚vaginal seedings‘ überflüssig ist und durch Stillen aufgefangen werden kann:
„So erscheint es mir! Von Seiten der Keimmenge wird es länger dauern als nach dem ‚vaginal seeding‘, damit die gleichen Mikrobenmengen beim Kind erreicht werden. Im Rahmen der raschen Veränderungen über die ersten zwei Wochen, bis es zu einem ausgewogenen, reichlich diversen und guten kindlichen Mikrobiom kommt, sind wahrscheinlich so hohe Keimdichten gar nicht notwendig, wie sie nach dem ‚vaginal seeding‘ möglich sind. Faszinierend an einer unabhängigen Studie war allerdings, dass diese Methode des ‚vaginal seeding‘ ein dem vaginalen Mikrobiom entsprechendes Mikrobiom beim Neugeborenen hinterlässt, das auch von Dauer ist [1].“
Auf die Frage, inwiefern die Aussage der Autoren plausibel ist, dass es evolutionär gesehen Sinn ergibt, dass die Übertragungswege redundant sind:
„Diese Aussage ist ganz in meinem Sinne. Es ist immer wieder faszinierend, was die Schöpfung (Evolution) so alles sich gedacht oder gemacht hat, was wir nach Jahrtausenden langsam erforschen und zu begreifen beginnen.“
Direktor der Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg
„Es handelt sich hierbei um eine sehr fundierte Studie, bei der die Forschenden untersucht haben, über welche Wege sich nach der Geburt Mikroben der Mutter beim Kind ansiedeln. Die Autoren der Studie haben bei 120 Mutter-Kind-Paaren über die ersten Lebenswochen sehr sorgfältig verschiedene Nischen von Haut und Schleimhaut untersucht – also Orte, die von Bakterien besiedelt sind. Dabei haben sie konsequent geschaut, an welchen Orten beim Kind sich Mikroben der Mutter ansammeln und von welcher Ressource, also von welcher Nische der Mutter, sie abstammen.“
„Wir wissen, dass Kaiserschnittkinder ein etwas erhöhtes Risiko für Asthma und Fettleibigkeit im Vergleich zu vaginal geborenen Kindern haben. Ein Grund dafür könnte ein etwas anderes Mikrobiom am Lebensbeginn sein. Ein zweiter möglicher Grund ist eventuell die Beeinflussung des mütterlichen Mikrobioms durch ein Antibiotikum, das um die Geburt verabreicht wird. Unter dieser Vorstellung entstanden die Ideen zum sogenannten ‚vaginal seeding‘, also das Einreiben der Kaiserschnitt-Kinder mit Sekret des mütterlichen Geburtskanals nach der Geburt. Die Natur hat dies gut eingerichtet, wir wissen, dass sich in den letzten vier Wochen vor der Geburt das Mikrobiom der Mutter im Geburtskanal verändert, um dem Kind bei der Geburt den bestmöglichen Boost an ‚guten‘ Bakterien zu verpassen. Das ist natürliches Seeding, die erste physiologische Saat eines komplexen Ökosystems Mikrobiom. Wenn diese erste Saat fehlt, dann besiedelt sich das Kind erst einmal anders, eher mit Hautbakterien der Mutter.“
„Mütter beziehungsweise Eltern von Kaiserschnitt-Kindern fragen sich häufig, ob sie für das Kind etwas tun können, um ihm und seinem Mikrobiom zu helfen. Die Studie liefert eine erste positive Nachricht, die wir den Frauen nach Geburt tatsächlich auch immer mitgeben: viel Kuscheln, viel Stillen. Damit kann das fehlende erste Mikrobiom des Geburtskanals kompensiert werden. Und dafür liefert diese Studie nun auch wissenschaftliche Beweise.“
Auf die Frage, ob man anhand der Daten ableiten kann, dass die Methode des ‚vaginal seedings‘ überflüssig ist und durch Stillen aufgefangen werden kann:
„Es ist nach meinem Kenntnisstand in Studien noch nicht bewiesen, dass das ‚vaginal seeding‘ einen langfristigen positiven Effekt zum Beispiel auf das Risiko für Asthma oder Fettleibigkeit hat. Das Seeding hat im Studienkontext positive Effekte auf die Etablierung des Mikrobioms gezeigt, aber es birgt auch eventuelle Risiken, wie die Übertragung von Viren, weshalb diese Methode von den Fachgesellschaften bisher auch noch nicht empfohlen wird. Nun kommen erste wissenschaftliche Hinweise, dass Stillen und Kuscheln einen ähnlichen Effekt auf das Mikrobiom haben kann – neben vielen anderen positiven Effekten.“
„Die Daten zeigen, dass Kaiserschnitt-Kinder sehr stark vom Stillen profitieren, und viel schneller das mütterliche Mikrobiom annehmen als vaginal entbundene Kinder. Und das viele Kuscheln, also der Kontakt mit der Haut der Mutter, sodass das Mikrobiom auf das Kind übertragen wird, sorgt für eine höhere Diversität dieses reifenden Ökosystems, die auch wieder schützend ist. Es wäre interessant, zu untersuchen, ob die Kinder, die viele Kuschel- und Stilleinheiten hatten, dann später unter anderem auch weniger Asthma entwickeln.“
Auf die Frage, ob das Stillen quantitativ (Mikrobenmenge) oder qualitativ (Mikrobenzusammensetzung) die Übertragung der Mikroben kompensieren kann:
„Wir sehen Unterschiede in den sogenannten Pionierbakterien, also bei den ersten Bakterienarten, die das Kind besiedeln, da sich die erste Übertragung unterscheidet. Man kann das Mikrobiom allerdings nicht isoliert betrachten, sondern muss es immer als Teil eines komplexen, interaktiven Systems denken. So reifen Immunsystem, Stoffwechsel und Mikrobiom gemeinsam im intensiven Austausch untereinander. Die Mikroben erzeugen Stoffwechselprodukte, die wiederum zur Entwicklung von Organen beitragen. Mikroben besiedeln unseren ganzen Körper und tragen zur Gesundheit bei, dies kann aber auch organspezifisch sein. Es gibt ein differenziertes Mikrobiom in der Lunge und im Darm: Wie kommunizieren die Bakterien miteinander, wie kommunizieren die Mikroben im Darm mit dem Hirn? Unterm Strich kann man wohl nicht sagen, dass man alle Probleme nur durch das Stillen lösen kann. Das Stillen kann die Darmbesiedlung zwar fast eins zu eins günstig beeinflussen und es reduziert das Asthmarisiko, wir wissen aber nicht, ob unterschiedliche Pionierbakterien als ‚erste Saat‘ die entscheidende Rolle dafür spielen. Hierfür benötigt es langfristige Studien, die dann auch Auswirkungen auf andere Komponenten, wie zu Beispiel das Immunsystem oder den Stoffwechsel, einbeziehen. Die Autor*innen haben diese Einschränkungen aber auch sehr defensiv kommentiert.“
Auf die Frage, inwiefern die Aussage der Autorinnen und Autoren plausibel ist, dass es evolutionär gesehen Sinn ergibt, dass die Übertragungswege redundant sind:
„Die Natur hat die Reifung und Entwicklung von Kindern so konzipiert, dass das Kind am Lebensbeginn gesund und ‚vollkommen‘ ausgestattet wird. Die Natur versetzt auch das Neugeborene in die Lage, sich zu adaptieren, wenn ‚der natürliche Weg‘ der Spontangeburt nicht eingeschlagen werden kann. Die Studie belegt, dass Kaiserschnittkinder über ‚Hilfspfade‘ (mütterliche Haut als Nische, Muttermilch) ein gesundes Mikrobiom erhalten könnten. Dies spricht für die hohe Plastizität insbesondere am Lebensbeginn. Wir kennen diesbezüglich auch andere Beispiele: Selten erleiden Neugeborene einen Schlaganfall mit Verlust von Hirngewebe, aber es kann der Natur in dieser frühen Phase der Entwicklung durchaus gelingen, dass alternative Hirnregionen sich derart adaptieren, dass Funktionen der betroffenen Hirnregion übernommen werden können. Das gibt es bei Erwachsenen zumeist nicht. Es erscheint also logisch, dass es verschiedene Pfade und Adaptationsmöglichkeiten in der ersten sehr dynamischen Lebensphase gibt, damit das Kind mit einem Mikrobiom ausgestattet werden kann, das schützend ist – auch wenn es Risikofaktoren gibt, wie zum Beispiel, dass die Mutter nicht stillen kann oder Antibiotika erhält.“
„Ich habe keine potenziellen Interessenkonflikte.“
„Ich erhalte für mein Forschungsprojekt PRIMAL zum Mikrobiom von Frühgeborenen Fördergelder vom BMBF.“
Primärquelle
Bogaert D et al. (2023): Mother-infant microbiota transmission and infant microbiota development across multiple body sites. Cell Host & Microbe. DOI: 10.1016/j.chom.2023.01.018.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2019): Gestörte Erstbesiedelung des Darmmikrobioms nach Kaiserschnitt. Research in Context. Stand: 18.09.2019.
Science Media Center (2022): Einfluss der Geburtsmethode auf Mikrobiom und Impfantwort. Research in Context. Stand: 15.11.2022.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Dominguez-Bello M et al. (2016): Partial restoration of the microbiota of cesarean-born infants via vaginal microbial transfer. Nature Medicine. DOI: 10.1038/nm.4039.
[2] Ferretti P et al. (2018): Mother-to-Infant Microbial Transmission from Different Body Sites Shapes the Developing Infant Gut Microbiome. Cell Host & Microbe. DOI: 10.1016/j.chom.2018.06.005.
Prof. Dr. Bernhard Resch
Stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz, Österreich
Prof. Dr. Christoph Härtel
Direktor der Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg