Copernicus-Report: 2024 war 1,6 Grad wärmer als vorindustrielles Niveau
2024 lag die globale Durchschnittstemperatur 1,6 Grad über vorindustriellem Niveau
Copernicus-Report offenbart viele Rekordwerte im vergangenen Jahr
Experten fast einhellig: das 1,5-Grad-Ziel ist unerreichbar, wahrscheinlich selbst bei Einsatz von CO2-Entnahme-Technologien
Das Jahr 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und gleichzeitig das erste Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau lag. Dies zeigt der Bericht „Copernicus Global Climate Highlights 2024“ auf, der am 10.01.2025 erschienen und der in Zusammenarbeit mehrerer Organisationen, darunter das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF), die NASA, die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA (NOAA) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO), entstanden ist (siehe Primärquelle). Als Hauptursache identifiziert der Bericht den menschengemachten Klimawandel, verstärkt durch unter anderem das El Niño-Ereignis.
Dozent im Forschungsbereich Global Atmospheric Dynamics, Department of Meteorology (MISU), Stockholm University , Schweden, und früher am MPI für Meteorologie Hamburg, Schweden
„Die globale Durchschnittstemperatur hat im Jahr 2024 zum ersten Mal mit Sicherheit 1,5 Grad über den frühindustriellen Temperaturen gelegen. Der Hauptgrund dafür ist die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursachte Anreicherung von Kohlendioxid in der Atmosphäre in Verbindung mit einem starken El-Niño-Ereignis, das im Winter zwischen 2023 und 2024 seinen Höhepunkt erreichte.“
„El Niño ist ein natürliches Phänomen im Pazifischen Ozean, das in unregelmäßigen Abständen auftritt und seinen Höhepunkt im Winter um Weihnachten herum erreicht. Normalerweise führt es zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur für ein bis zwei Jahre. Da die Treibhausgase die globale Durchschnittstemperatur stetig in die Höhe treiben, sind Jahre mit El Niño in der Regel auch Rekordjahre, dadurch dass sie den ständig steigenden Trend um einige Zehntel Grad verstärken.“
„Dass die globale Durchschnittstemperatur in den 2020er Jahren 1,5 Grad über der frühindustriellen Temperatur liegen könnte, wurde in dem 2021 veröffentlichten IPCC-Bericht prognostiziert [1]. In diesem Bericht stellten die Autoren fest, dass bis 2030 die Wahrscheinlichkeit etwa 50 Prozent beträgt, dass einzelne Jahre die 1,5-Grad-Marke überschreiten, dass dies aber erstmals einige Jahre früher der Fall sein wird.“
„Erst nach dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe können wir mit einer Stabilisierung der globalen Temperaturen rechnen. Aber wegen der langen Lebensdauer von Kohlendioxid in der Atmosphäre wird die Temperatur in absehbarer Zeit nicht zurückgehen, sondern ungefähr auf dem Niveau bleiben, das sie bis zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen erreicht hat – sei es bei zwei, drei oder vier Grad.“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Es gibt Ideen, wie wir Kohlendioxid künstlich aus der Atmosphäre entfernen können, aber ich halte es für höchst unrealistisch, dass wir solche Systeme so weit ausbauen können, dass die globale Erwärmung in absehbarer Zeit unter 1,5 Grad sinkt.“
„Ich denke, wir Wissenschaftler sollten einfach sagen, wie es ist: Wir haben das 1,5-Grad-Ziel verfehlt, und es gibt wirklich kein Zurück mehr. Wir sollten uns stattdessen darauf konzentrieren, die Emissionen fossiler Brennstoffe so schnell wie möglich auf Null zu reduzieren, um viel, viel schlimmere Probleme in der Zukunft zu vermeiden.“
Direktor der Forschungsabteilung Ozean im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
„Ich bin nicht überrascht. 2023 war schon ein Rekordjahr, Ende des Jahres hatten wir El Niño, und das Jahr nach einem El-Niño-Ereignis zeigt üblicherweise ungewöhnlich hohe globale Temperaturen. Insofern ist es nicht überraschend, dass der Rekord von 2023 noch einmal übertroffen wurde.“
„Hierzu passt, dass das erste Halbjahr 2024 – das noch vom El Niño beeinflusst war – deutlich wärmer war als das zweite Halbjahr.“
„Dass 2024 so viel wärmer war als vorindustriell, ist durch nichts anderes zu erklären als den menschengemachten Treibhauseffekt. Aber die genauen Werte – also knapp 1,5 Grad für 2023 und jetzt 1,6 Grad für 2024 – das ist natürliche Variabilität. Auch die Kapriolen der Meeresoberflächentemperatur – Rekorde im zweiten Halbjahr 2023 und im ersten Halbjahr 2024, dann Absinken unter die Werte von 2023 – ist natürliche Variabilität.“
„Das alles geben die Modelle her. Wir haben schon 2021 in dem IPCC-Kapitel [1], dass ich mit geleitet habe, folgendes geschrieben: Um 2030 herum gibt es eine etwa 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein Jahr über 1,5 Grad Celsius liegt. Dass jetzt – sechs Jahre vorher – ein einzelnes Jahr darüber liegt, passt also ins Bild. Die Welt nähert sich dem 1,5-Grad-Wert, auch im langjährigen Mittel, da muss es eigentlich passieren, dass vorher ein einzelnes Jahr darüber liegt.“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Das 1,5-Grad-Ziel ist praktisch bereits heute Geschichte. Wer noch immer propagiert, die Welt könne unter 1,5 Grad Erwärmung bleiben, gibt sich Illusionen hin. Wir müssen der Wirklichkeit ins Auge blicken und uns auf diese steigende Erwärmung einstellen. Und es sieht auch nicht gut aus für die Perspektive, dass die Welt später wieder unter 1,5 Grad Celsius fallen könnte, durch die Kombination von drastischer Emissionsminderung und Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Diese Kombination ist im notwendigen Umfang nicht realistisch zu erwarten.“
Professor für Meteorologie, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
„Ich habe Anfang 2024 nicht damit gerechnet, dass 2024 noch deutlich wärmer als 2023 ausfallen wird und dass die 1,5-Grad-Marke deutlich überschritten wird. Zwar hat sich das im Frühjahr 2024 für das zweite Halbjahr 2024 erwartete La-Niña-Kälteereignis im tropischen Pazifik deutlich schwächer entwickelt als vorhergesagt, aber das allein erklärt die hohen Temperaturen nicht. Erklärungen hierfür werden aktuell diskutiert, wie zum Beispiel eine Abnahme niedriger, reflektierender Wolken über dem Nordatlantik [2], aber eine schlüssige Erklärung fehlt bisher. Insofern überrascht das Ausmaß der Erwärmung im vergangenen Jahr viele Klimaforscher.“
Klimawandel versus Klimavariabilität
„Ich sehe keine der präsentierten Entwicklungen von 2024 mehr im Rahmen einer natürlichen Klimavariabilität – wenn man vom Übergang von El Niño zu neutralen Bedingungen im tropischen Pazifik absieht. Natürlich ist der konkrete Beitrag des vom Menschen gemachten Klimawandels unterschiedlich und muss über sogenannte Attributionsstudien eingegrenzt werden.“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Ich halte das 1,5-Grad-Ziel für nicht mehr haltbar. Auch werden die Technologien zur Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre nach meinem Kenntnisstand in den nächsten Jahrzehnten nicht in der Lage sein, die wirklich nötigen, großen Mengen CO2 der Atmosphäre zu entziehen. Es bleibt daher die unbedingte Notwendigkeit, die Emissionen der Treibhausgase sehr rasch zu reduzieren, um das 2-Grad-Ziel noch zu erreichen. Es muss immer wieder betont werden, dass die Kosten eines eskalierenden Klimawandels deutlich höher sein werden als die Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft. Ganz zu schweigen von den Folgen von potenziellen Massenmigrationen aus tropischen Regionen, welche durch die Erderwärmung aus der sogenannten Klimanische geraten. Das heißt, hier wird das Leben aufgrund des feuchtheißen Klimas einfach unerträglich.“
Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel
„Für mich gibt es hier keine Überraschungen. Auf der einen Seite gibt es den langfristigen anthropogenen Erwärmungstrend und auf der anderen Seite die kurzfristigen natürlichen Schwankungen. Deswegen war es wegen des El Niños im tropischen Pazifik zu erwarten, dass sowohl das Jahr 2023 als auch 2024 neue globale Temperaturrekorde bringen würden.“
Klimawandel versus Klimavariabilität
„Alle dargestellten Trends der vergangenen Jahrzehnte sind ohne den menschlichen Einfluss nicht zu erklären. Wir stecken mitten im anthropogenen Klimawandel und der bestimmt im zunehmenden Maße die Klimaentwicklung. Wir leben inzwischen in einer neuen Welt, die wir nicht kennen und an die wir nicht angepasst sind.“
Abbildung durch Klimamodelle
„Die gegenwärtige Entwicklung liegt immer noch im Rahmen dessen, was die Klimamodelle schon vor Jahren prognostiziert haben. Das allein ist schon schlimm genug, wenn man sich die Auswirkungen der Erwärmung ansieht. Allerdings berücksichtigen die Modelle einige langsame Rückkopplungen nicht, die in den nächsten Jahrzehnten an Relevanz gewinnen könnten und die globale Erwärmung beschleunigen würden. So ist Einfluss der kontinentalen Eismassen auf Grönland und in der Antarktis nicht hinreichend in den Modellen dargestellt, genauso wie die mögliche Abnahme der Effizienz der CO2-Aunahme durch die Land- und Meeresregionen.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Earth Resilience Science Unit, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
„Der Bericht stellt die aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen präzise dar, die in ihrer Höhe ab Herbst des Jahres auch erwartbar waren. Das heißt, die Überschreitung der 1,5 Grad sowie auch die extrem hohen Ozeantemperaturen waren in diesem Sinne nicht überraschend, genausowenig wie die anderen Ergebnisse. Noch am meisten überrascht war ich von der Tatsache, dass 2024 nicht nur knapp die 1,5-Grad-Marke überschritten hat, sondern mit 1,6 Grad doch schon recht deutlich – um 0,10 Grad – darüber liegt.“
Klimawandel versus Klimavariabilität
„Im Vergleich zum vorindustriellen Zeitraum bewegt sich keine der im Bericht dargestellten Entwicklungen mehr im Rahmen einer natürlichen Schwankung. Wir befinden uns tief im Anthropozän, oder anders gesagt: Wir befinden uns tief im vom Menschen verursachten Klimawandel.“
Abbildung durch Klimamodelle
„Die beobachtete globale Erwärmung bewegt sich im Rahmen aktueller Klimamodellierung. Dennoch verharren die globalen CO2-Emissionen und auch andere Treibhausgase wie Methan nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau. Zudem scheinen einige global wichtige Kohlenstoffsenken schwächer zu werden, ein Beispiel ist hier der Amazonasregenwald [3].“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Mit globalen Erwärmungsleveln über der 1,5-Grad-Marke in den vergangenen 16 von 17 Monaten ist eine zumindest vorübergehende Überschreitung des 1,5-Grad-Ziels aus meiner Sicht inzwischen unvermeidlich. Im weiteren Verlauf dieses Jahrhunderts ist es ebenfalls sehr ambitioniert, die Temperatur unter die 1,5-Grad-Grenze zu senken, aber durch Einsatz und Skalierung entsprechender CDR-Methoden (Carbon Dioxide Removal-Technologien, mit denen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden soll; Anm. d. Red.) noch erreichbar. Die aktuellen Trends der globalen Emissionen auf einem weiterhin hohen Niveau zeigen aber in eine andere Richtung, nämlich hin zu weiterer Erwärmung. Eine gute Quelle ist hier der Climate Action Tracker [4].“
Klimaphysiker und Arbeitsgruppenleiter, Abteilung Klimadynamik, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
„Auch wenn sich der neue Jahresrekord für 2024 bereits mindestens seit einigen Monaten angedeutet hat, bleibt dessen Ausmaß eine Überraschung. Überraschend ist dabei vor allem jener Anteil der Temperaturrekorde, der nicht auf das El-Niño-Ereignis 2023/24 zurückzuführen ist. Wie bereits in 2023 sprechen wir da über ungefähr 0,2 Grad an globaler Erwärmung, die über den bisherigen Trend plus El Niño hinaus gehen. Auch die räumliche Verteilung der Temperaturanomalien – mit hohen Werten auch außerhalb der El-Niño-Regionen – legt nahe, dass noch andere Faktoren beteiligt sind.“
Klimawandel versus Klimavariabilität
„Es ist nicht einfach zu sagen, wie groß der Anteil natürlicher Schwankungen jenseits von El Niño beim aktuellen Geschehen ist. Analysen von Beobachtungsdaten deuten darauf hin, dass ein Rückgang insbesondere niedrig liegender Wolken maßgeblich beteiligt ist [2]. Was jedoch hinter diesem Rückgang steckt, ist noch unbeantwortet. Es ist schwierig auszuschließen, dass natürliche Schwankungen dazu deutlich beigetragen haben – das wäre eine gute Nachricht hinsichtlich der zu erwartenden weiteren Erwärmung. Weitere Kandidaten für eine Erklärung sind der Rückgang von Aerosol-Partikeln, die den Wolken als Kondensationskeime dienen, sowie eine verstärkende Rückkopplung zwischen der Oberflächenerwärmung und dem Wolkenrückgang. Sollte einer oder auch beide dieser Mechanismen maßgeblich beteiligt sein, spräche das bei einem gegebenen Pfad zukünftiger Treibhausgasemissionen für eine stärkere Erwärmung.“
Abbildung durch Klimamodelle
„Wie viel Erwärmung haben wir bei einem gegebenen Emissionspfad zu erwarten? Die Spanne an Antworten, die uns Klimamodelle geben, ist leider nach wie vor ziemlich groß. Ein Grund dafür ist, dass die Wolken in Klimamodellen meist noch sehr vereinfacht dargestellt werden müssen: Die Gitterboxen der Klimamodelle sind typischerweise deutlich größer als die Luftbewegungen, die einzelne Wolken hervorbringen. Auch die Wechselwirkungen zwischen Aerosol-Partikeln und Wolken sind schwierig zu simulieren.“
„Die nun beobachtete recht kräftige Erwärmung befindet sich noch im Unsicherheitsbereich der Klimamodelle. Die jüngsten Rekorde sind mit dem bisherigen Verständnis der Klimaforschung also nicht völlig inkompatibel. Die Entwicklung legt vielmehr nahe, dass die zu erwartende Erwärmung sich eher im oberen Bereich der Unsicherheitsspanne abspielen könnte.“
„Ich sehe zwei wesentliche Gründe, warum die Klimaforschung in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte machen dürfte bei der Verringerung von Unsicherheiten bezüglich der zu erwartenden Erwärmung. Erstens haben wir noch nicht allzu lange eine kräftige Erwärmung, die so deutlich aus den natürlichen Schwankungen herausragt. Mit jedem Jahr an zusätzlichen Beobachtungen bei einer zunehmend starken Erwärmung werden wir ein klareres Bild davon bekommen, wie das Klimasystem tatsächlich auf den menschlichen Eingriff reagiert. Zweitens kommen wir durch technologischen Fortschritt mit den Klimamodellen endlich in den Bereich, in dem auch Wolken zunehmend explizit simuliert werden können, wodurch unsichere Vereinfachungen entfallen. Aus diesen Gründen gehe ich davon aus, dass wir in den nächsten Jahren ein deutlich klareres Bild davon bekommen dürften, wie das Klimasystem tatsächlich reagiert.“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad ist lediglich in der Theorie noch zu schaffen. Würden wir von heute auf morgen dauerhaft keine zusätzlichen Treibhausgase mehr emittieren, würde sich die Temperatur mehr oder weniger sofort stabilisieren. Dabei würden sich eine nachträgliche Erwärmung der trägen Ozeane und ein allmählicher Rückgang der atmosphärischen Treibhausgaskonzentration – auch ohne künstliche CO2-Entnahme – zunächst in etwa ausgleichen. In diesem theoretischen Fall würde die 1,5-Grad-Marke also nicht langfristig überschritten, und die globalen Temperaturen würden nach einigen Jahren ganz allmählich wieder sinken. Preist man jedoch die gesellschaftliche Dimension einschließlich Wirtschaft und Politik mit ein, ist ein Szenario, welches mit der 1,5-Grad-Grenze vereinbar wäre, mittlerweile höchst unplausibel. Meines Wissens gibt es im Bereich der künstlichen CO2-Entnahme noch keine aussichtsreichen Kandidaten, die so schnell in so großem Maße eingesetzt werden könnten, dass sich daran maßgeblich etwas ändern würde.“
„An dieser Stelle möchte ich gern auch auf dieses Statement des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) hinweisen, an dem ich nicht beteiligt war [5].“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig
„2024 hat weit weniger überrascht als 2023, das seinerseits deutlich über den Erwartungen lag. Zwar hat 2024 unauffällig begonnen, was mich Ende Februar zur Vermutung veranlasst hat, dass 2024 kaum wärmer als 2023 werden würde. Allerdings haben neuerliche Wärmeschübe im australen Winter – unserem Sommer – über Antarktika geholfen, die Temperaturen auch global über den bisherigen Werten zu halten. Dazu kam ein zumindest meinen Erwartungen nicht gerecht werdender Übergang zu neutralen, statt zu La-Niña-Bedingungen im tropischen Pazifik. Damit ist die Abkühlung am Ende des Jahres ebenfalls sehr gering geblieben, wodurch in Gesamtsumme 2024 letztlich 2023 noch einmal deutlich überbieten konnte. Dass 2024 insgesamt vielleicht dennoch etwas über den Erwartungen für vergleichbare Jahre mit auslaufendem El Niño lag, kann sowohl mit der schwer abschätzbaren Reduktion der kühlenden Sulfat-Aerosole zu tun haben – vor allem durch regulatorische Maßnahmen in der Schifffahrt –, als auch mit der Tatsache, dass natürliche Faktoren wie solare Aktivität einen winzigen positiven Beitrag geleistet haben. Und selbstredend sind leider die Treibhausgasemissionen weiter unvermindert angestiegen.“
„Noch kurz ein paar Worte zu 2023, das ab Juli überraschend frühe Monatsrekorde produziert hat: Normalerweise würde bei Wechsel von La Niña auf El Niño erst das Jahresende richtig warm, wohingegen 2023 quasi ein Frühstarter war. Das Thema damals war insbesondere der sehr warme Nordatlantik, der mit zu den Rekorden beigetragen hat. Insbesondere in diesem Zusammenhang wurden die reduzierten Schiffsemissionen als Faktor ins Spiel gebracht, was allerdings nur ein geringer Beitrag gewesen ist, wie zahlreiche Studien seitdem gezeigt haben. Zufällige großräumige Windänderungen – 2023 etwas schwächer als in den Vorjahren – haben wohl ebenso einen Beitrag geleistet. Beide Faktoren, die auch in 2024 weiterhin eine Rolle gespielt haben, bekamen nur eben deutlich weniger Aufmerksamkeit. Ebenso wie die bereits erwähnte Antarktis, die im Juli/August sowie Oktober 2024 erneut sehr warme Phasen hatte, ähnlich denen im Juli und September 2023. Insbesondere Letztere hat den damaligen krassen neuen Septemberrekord mit verursacht. Sicher gibt es Warmlufteinbrüche in der Antarktis öfter, in der Dekade vor 2023 jedoch kaum im australen Winter.“
„Alle anthropogenen und natürlichen Faktoren zusammengenommen, lässt sich sowohl 2024 als auch 2023 mittlerweile gut erklären. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob es schlimmer ist, dass wir nun erstmals auf Jahresbasis deutlich über den 1,5 Grad aus dem Pariser Abkommen liegen, oder dass wir es als Menschheit scheinbar gar nicht mehr richtig wahrnehmen beziehungsweise einordnen. Statt sich dem universellen Problem unserer Zeit schlechthin ohne Angst, dafür aber mit jeder Menge Zuversicht zu widmen, erfinden wir Fake-Probleme und erstarren in Gewohnheit. Wohl wissend, dass sowohl aus sozialer, als auch ökologischer Sicht ein ‚weiter so‘ eigentlich keine Lösung ist. Statt lösungsorientierter und empathischer Politik, schwingen zunehmend Soziopathen und Rattenfänger das Zepter. Den Menschen werden irrationale Ängste eingeredet, für die man gleich die Pseudo-Lösungen mit präsentiert. Nichts davon bringt uns voran, im Gegenteil. Dunkle, den Intellekt und die Wissenschaften verachtende Zeiten scheinen wieder angebrochen zu sein. Vielleicht ist das momentan sogar die noch größere Gefahr. Sehr gut möglich, dass der Klimawandel dabei als negativer Katalysator dient.“
Klimawandel versus Klimavariabilität
„Im Prinzip lässt sich 2024 nach aktuellem Wissensstand vollständig erklären. Einzig die exakten Beiträge reduzierter Sulfat-Emissionen und/oder gestiegener Treibhausgasemissionen sind noch nicht klar, da deren Abschätzung nachträglicher sauberer Analyse bedarf. Ob es dadurch gerechtfertigt sein könnte, von einem leicht beschleunigten Erwärmungstrend zu sprechen, bleibt abzuwarten. Die sogenannte ‚Hiatus’-Diskussion (Kontroverse um eine Pause der globalen Erwärmung mit relativ stagnierenden Oberflächentemperaturen 1998 bis 2013; Anm. d. Red., siehe dazu [I]) sollte uns Warnung genug sein, falsche Rückschlüsse auf Trendänderungen betreffend zu ziehen. Der Klimawandel ist ganz sicher nicht plötzlich außer Kontrolle. 2025 wird sehr wahrscheinlich wieder kühler als 2023 und 2024 ausfallen.“
Abbildung durch Klimamodelle
„Die Klimamodelle zeigen eine weite Spanne von Erwärmungsszenarien. Einzig ein so starker Sprung wie 2023/24 scheint nicht simuliert. Jedoch trifft das nicht zu, da es durchaus einzelne Modellsimulationen gibt, deren natürliche Variabilität die Änderungen der vergangenen beiden Jahre abbildet. Selbst für 2023 haben wir einen Modelllauf gefunden, der die starke Erwärmung unter den gleichen ENSO-Bedingungen (steht für El Niño and Southern Oscillation, Anm. d. Red.) bereits simuliert hat (noch nicht publiziert). Dazu habe ich oben bereits etwas geschrieben. Die Modelle kennen nur Projektionen des menschengemachten Strahlungsantriebs. Übermäßige Reduktion von Sulfat-Emissionen beispielsweise kennen die Modelle noch nicht. Daher gibt es auch keinen Grund, Diskrepanzen herbeizureden, wo keine sind.“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Derzeit haben wir eine trend-basierte Erwärmung zwischen 1,3 und 1,4 Grad global. 2023 und 2024 waren Ausreißer nach oben, so wie 2025 wieder auf oder sogar unter dem Trend landen dürfte – ebenso 2026, wobei das am Ende davon abhängt, wie stark La Niña letztlich ausfallen wird beziehungsweise, wie lange La Niña anhalten wird. Nach aktuellem Stand werden wir das Paris-Limit von 1,5 Grad um das Jahr 2030 trend-basiert reißen. Selbst wenn der Rückgang in 2025 nicht so stark ausfallen sollte wie erwartet, so wird die Ursache anhand der bis dahin analysierten Änderung der Sulfatmengen dennoch bald ermittelt und verstanden werden. Vielleicht sei an der Stelle auch der Vulkan Hunga-Tonga noch einmal erwähnt – sein Ausbruch war im Januar 2022. Möglicherweise haben die warmen Episoden in der Antarktis mit sogenannten zirkulatorischen, also indirekten Feedbacks durch den Vulkan zu tun. Am Ende also zwei Jahre, in denen alle natürlichen Faktoren – Sonne, Vulkane, El Niño – die menschengemachten Faktoren zeitgleich verstärkt haben. So wie während des Hiatus in die entgegengesetzte Richtung.“
„Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass 1,5 Grad zwar als Ziel eine wichtige Marke ist, jedoch nicht wichtiger als 1,6, 1,7, 1,8 Grad und so weiter. Das 1,5-Grad-Ziel war aus meiner Sicht in der Tat nie realistisch, auch wenn es noch heute physikalisch einfach einhaltbar wäre – wofür es halt Null-Emissionen ab sofort brauchen würde. Zwei Grad ist das, was uns im besten Falle gelingen sollte. Ob dann Investments in CDR-Technologien wirklich getätigt werden, weiß ich nicht. Vorstellen kann ich es mir ehrlich gesagt nicht, selbst wenn es skalierbar wäre. Die beste Strategie wäre zu verlangen, dass jede jetzt noch neu emittierte Tonne CO2 per CCS ausgeglichen werden muss. Das wäre die effektivste Art einer Kohlenstoff-Steuer – die Idee stammt nicht von mir. Vermutlich läuft es darauf hinaus, dass man sich anpassen wird, was wiederum eine verdammt teure Strategie ist. Alles bekanntes Wissen.“
„Daher erwarte ich endlich ehrliche, redliche, solidarische und emphatische Politik, die weder mit niederträchtiger Sündenbock-Rhetorik Diskursvandalismus betreibt, noch Verharrungs-Lobbyisten nach dem Mund redet, nur um am Status Quo so wenig wie möglich ändern zu müssen. Das setzt nicht nur massiv die demokratischen Strukturen aufs Spiel, sondern raubt heutigen und künftigen Generationen schlicht und ergreifend die Zukunft. Es mangelt längst nicht mehr an Wissen, es mangelt am Willen, Probleme zu lösen! Nur so gewinnen wir dringend benötigtes institutionelles Vertrauen zurück. Wie lange wollen wir – buchstäblich – noch mit dem Feuer spielen?“
Professor an der School of Earth, Atmosphere and Environment, Faculty of Science, Monash University , Melbourne, Australien
„Im Großen und Ganzen ist es nicht überraschend. 2023 hatte dies schon angedeutet, da auf ein El Niño Jahr meist ein sehr warmes Jahr folgt, und es auch schon eine Andeutung von einer sehr warmen Nordhemisphäre gab, die möglicherweise zum Teil mit verringerten Aerosolen aus der Schifffahrt zusammenhängt. Auch die Vulkaneruption 2022 des Hunga Tonga hat viel Wasserdampf in die Stratosphäre gebracht, die möglicherweise auch zu ungewöhnlich warmen Temperaturen beigetragen hat.“
Klimawandel versus Klimavariabilität
„Die längerfristigen – über Dekaden – globalen Klimaveränderungen sind weit jenseits aller natürlichen Schwankungen und eindeutig auf den durch Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen. Auch das sich das Land mehr erwärmt als die Ozeane ist ein klares Element des globalen Klimawandels.“
„Die Schwankungen von Jahr zu Jahr auf regionaler Ebene sind meist dominiert von internen, natürlichen Wetterschwankungen.“
Abbildung durch Klimamodelle
„Wir müssen davon ausgehen, dass die Vorhersagen und die Realität nicht genau übereinstimmen werden und es zu ‚Überraschungen‘ kommen wird. Wir versuchen ja eine Klimaveränderung vorherzusagen, die es so noch nie gegeben hat. Mit Modellen, die auf diesen Zeitskalen von Jahrzehnten bis Jahrhunderten noch nie vorher angewandt und verifiziert wurden.“
„Ein Beispiel dafür ist der Trend in tropischen Pazifik der vergangenen 40 Jahre, der klar von den Modellvorhersagen abweicht. Die Modelle sagen einen permanenten El Niño vorraus, aber tatsächlich haben wir in einen Trend zu einem permanent La Niña [6].“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Das Pariser Abkommen von 2015 war, aus meiner Sicht damals nicht erreichbar, wenn man sich bewusst macht, welche Dimensionen und Zeitskalen im Klimasystem und auch in der globalen Wirtschaft, Politik und sozialen Systemen steckt. Warum die Politiker das unterschrieben haben, ist mir nicht klar. Vielleicht waren sie sich dessen bewusst, aber es ist zu befürchten, dass die Politiker das Problem wirklich nicht voll verstanden haben und massiv unterschätzen.“
„Wir werden auf jeden Fall für viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte um mehr als 1,5 Grad über dem natürlichen Klima erleben, aller Wahrscheinlichkeit auch mehr als 2 Grad und es ist zu befürchten, dass es sogar mehr als 3 Grad werden. Die Folgen werden global schwerwiegend sein und wir müssen alle Anstrengungen machen diese Klimaveränderungen zu minimieren.“
Professorin, Leiterin Klimamodellierung, Institut für Meereskunde, Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN), Universität Hamburg
„Diese Entwicklung ist so erwartbar wie ernst. 2024 war geprägt durch regionale Temperaturanomalien – nicht zuletzt El Niño – und Extremereignisse. Das bildet sich in den Monats- und im Jahresmittel der globalen Temperatur ab. 2024 schließt in dieser Entwicklung an 2023 an. 2024 gibt einen Vorgeschmack auf das Klimageschehen bei 1,5 Grad Erderwärmung.“
Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels
„Physikalisch ist das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, unerreichbarer denn je. Politisch ist das 1,5-Grad-Ziel ernstzunehmender denn je.“
„Wer denkt, dass 1,5-Grad-Ziel jetzt abschreiben zu können, macht es sich zu einfach. Selbst wenn die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, muss das Ziel bleiben, so wenig wie möglich über 1,5 Grad hinauszugehen.“
„Die menschengemachten Treibhausgasemissionen müssen unmittelbar und dramatisch gesenkt werden, um die Erderwärmung zumindest im langjährigen Mittel auf 1,5 Grad zu begrenzen.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich erkläre hiermit, dass keine Interessenkonflikte bestehen.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“
„Keinerlei Interessenkonflikte meinerseits.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Copernicus Climate Change Service (2025): Global Climate Highlights 2024.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] IPCC (2021): Chapter 4: Future Global Climate: Scenario-based Projections and Near-term Information. In Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Dort Kapitel 4.4.1.1.
dazu Science Media Center (2021): Report der Arbeitsgruppe I zum 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC veröffentlicht. Press Briefing. Stand: 08.08.2021.
und
Science Media Center (2021): Stimmen zum WG-I-Report des IPCC-Berichtes. Statements. Stand: 09.08.2021.
[2] Goessling HF et al. (2024): Recent global temperature surge intensified by record-low planetary albedo. Science. DOI: 10.1126/science.adq728.
[3] zum Beispiel Gatti LV et al. (2021): Amazonia as a carbon source linked to deforestation and climate change. Nature. DOI: 10.1038/s41586-021-03629-6.
[4] Climate Action Tracker (14.11.2024): As the climate crisis worsens, the warming outlook stagnates. Webseite des Climate Action Tracker.
[5] Deutsches Klima-Konsortiums (DKK) (07.10.2024): DKK zum Umgang mit dem 1,5°C-Ziel. Webseite des DKK.
[6] Watanabe M et al. (2024): Possible shift in controls of the tropical Pacific surface warming pattern. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-07452-7.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2017): Analyse von Studien zur globalen Erwärmungspause „Hiatus“. Statements. Stand: 03.05.2017.
Dr. Thorsten Mauritsen
Dozent im Forschungsbereich Global Atmospheric Dynamics, Department of Meteorology (MISU), Stockholm University , Schweden, und früher am MPI für Meteorologie Hamburg, Schweden
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Jochem Marotzke
Direktor der Forschungsabteilung Ozean im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
Prof. Dr. Andreas Fink
Professor für Meteorologie, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich erkläre hiermit, dass keine Interessenkonflikte bestehen.“
Prof. Dr. Mojib Latif
Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel
Dr. Nico Wunderling
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Earth Resilience Science Unit, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
Dr. Helge Gößling
Klimaphysiker und Arbeitsgruppenleiter, Abteilung Klimadynamik, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“
Dr. Karsten Haustein
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keinerlei Interessenkonflikte meinerseits.“
Prof. Dr. Dietmar Dommenget
Professor an der School of Earth, Atmosphere and Environment, Faculty of Science, Monash University , Melbourne, Australien
Prof. Dr. Johanna Baehr
Professorin, Leiterin Klimamodellierung, Institut für Meereskunde, Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN), Universität Hamburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“