Biodiversität: Maßnahmen für den Naturschutz sind wirksam
Metastudie: zwei Drittel der Studien zur Wirksamkeit von Naturschutzmaßnahmen finden bessere Biodiversität durch die Eingriffe
Bedrohung der biologischen Vielfalt hat viele Ursachen, ist global ein wachsendes Problem
Forschende loben die Studie, sehen aber auch Mängel und warnen vor der Annahme, dass der Gefahr für die Biodiversität schon ausreichend begegnet wird
Naturschutzmaßnahmen für den Erhalt und die Wiederherstellung von Artbeständen und Ökosystemen wirken und haben bereits weltweit positive Auswirkungen auf die Biodiversität. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende in einer Metastudie, die am 25.04.2024 im Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Als besonders effektiv identifiziert das Team dabei die Bekämpfung invasiver Arten, Verringerung von Lebensraumverlusten und Wiederherstellung von Lebensräumen sowie nachhaltiges Management von Ökosystemen und in etwas geringerem Ausmaß die Einrichtung von Schutzgebieten.
Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Ökologie, Fachbereich Biologie, Universität Freiburg, Schweiz
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?
„Naturschutzmaßnahmen an einzelnen Orten funktionieren und sind sinnvoll, aber das Ausmaß und die Anzahl von Maßnahmen, die nötig wären, um dem globalen Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken, ist so groß und wächst wahrscheinlich so schnell, dass dieser punktuelle Schutz nicht den globalen Trend aufhält. Wir verlieren zu schnell an Biodiversität und dies an zu vielen Orten, als dass die bisher geleisteten Naturschutzmaßnahmen trotz ihrer Wirksamkeit den allgemeinen Trend aufhalten. Wir brauchen Naturschutz in einem viel größerem Ausmaß, oder besser noch: Wir sollten verhindern, dass die fünf globalen Triebkräfte des Verlustes – invasive Arten, Klimawandel, Land- und Seenutzungsänderungen, Verschmutzung, Übernutzung – die Biodiversität weiter reduzieren. Also mehr Prävention, damit weniger Restauration, Anpassungen oder Kontrolle nötig sind.“
„Die schlimmste Folgerung, die Entscheidungsträger oder die Gesellschaft aus dieser Arbeit ziehen sollten, wäre ‚es wird schon gut, die Maßnahmen wirken ja‘. Dies würde vom Ausmaß der tatsächlich existierenden Probleme ablenken und unter Umständen dringend benötigte erhöhte Ressourcen vom Naturschutz abziehen. Es tut mir leid, dass ich den vielleicht erhofften positiven ‚Spin‘ dieser Arbeit leider stören muss.“
Kurator für Ökologie, Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg , und außerplanmäßiger Professor für Biodiversität und Naturschutz, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier, UND Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN
Methodik
„Metaanalysen sind die am besten geeignete statistische Methode, um die Ergebnisse zahlreicher Einzelstudien zu kombinieren. Die Analysen der Autoren bewerten erstmals den Erfolg von unterschiedlichen Naturschutzmaßnahmen auf globaler Ebene. Sie zeigen eindrucksvoll, dass viele Maßnahmen Erfolg hatten. Zwar können wir auch bei uns den Erfolg der Schutzmaßnahmen für Wanderfalke, Schwarzstorch, Biber und Co. sehen, doch dies ist die erste Analyse, die die Erfolge global quantifiziert.“
„Ein generelles Problem bei Metaanalysen zu ökologischen Themen ist, dass bestimmte Themen oder Regionen in den einzelnen Untersuchungen unterrepräsentiert sind, wie hier zum Beispiel Studien zur Verschmutzung oder zum Klimawandel, die daher nicht separat ausgewertet werden konnten.“
„Die Ausweisung von Schutzgebieten ist eine der ältesten Naturschutzmaßnahmen. Daher darf es nicht verwundern, wenn die Anzahl der Studien zur Effektivität von Schutzgebieten besonders groß ist und dass gerade ältere Untersuchungen vor allem Schutzgebiete bewertet haben. Dass Schutzgebiete einen positiven Effekt auf die Biodiversität haben, konnten auch wir in einer Studie zu den Bestandstrends von Heuschrecken in Rheinland-Pfalz zeigen [1]. Dies ändert natürlich nichts daran, dass es eine große Zahl von Gefährdungsfaktoren gibt. In der aktuellen Studie geht es ja nicht um den Status der Biodiversität oder die Ursachen des Biodiversitätsverlustes, sondern um die Wirksamkeit einzelner dagegen getroffenen Maßnahmen.“
Auf die Frage, inwiefern den Studien mit Laufzeiten zwischen einem Monat und 110 Jahren überhaupt vergleichbar sind:
„Generell wurden hier alle Zeitreihen zur Effektivität von Maßnahmen aufgenommen. Hätte man nur eine bestimmte Mindestlaufzeit analysiert, so wäre die Stichprobe deutlich reduziert worden. Einige Maßnahmen können tatsächlich erst nach längerer Zeit wirksam werden, dies hängt aber stark von den Zielorganismen ab. So haben Insekten zum Beispiel eine sehr kurze Generationszeit, so dass ein Erfolg schon sehr früh sichtbar werden kann, bei Elefanten dauert es dagegen deutlich länger.“
Abwägung der Eingriffe
„Es ist wichtig, aus den Erfolgen und Fehlschlägen anderer Naturschutzprojekte zu lernen. Für den erfolgreichen Schutz jeder Art oder jeden Ökosystems muss zunächst der wichtigste Gefährdungsfaktor identifiziert werden, um dann gezielt dessen Wirkung zu reduzieren. Wenn der Hauptgefährdungsfaktor Überdüngung ist, hilft es wenig, sich auf die Bekämpfung invasiver Arten zu konzentrieren. Daher kann eine einzelne Maßnahme im Naturschutz nicht ausreichen. Invasive Arten sind vor allem auf ozeanischen Inseln und in Seen problematisch. Gelingt es zum Beispiel auf einer Insel, invasive Ratten zu entfernen, so können sich zahlreiche Vögel, Insekten und andere Arten erholen. In Mitteleuropa sind invasive Arten aber nicht der Hauptgefährdungsfaktor, sondern eher die schnellen Veränderungen der Landnutzung.“
Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?
„Die Politik muss die Biodiversitätskrise genauso ernst nehmen wie die Klimakrise. Während für Militär und Wirtschaft schnell ein oder zwei ‚Wumms‘ verfügbar gemacht wurden, werden für den Schutz der biologischen Vielfalt im Vergleich nur Kleckerbeträge aufgewendet. Diese Studie zeigt ja, dass Maßnahmen Erfolg haben, wenn sie nur durchgeführt werden. Auch rechtliche Regelungen sind hierbei wichtig, wie zum Beispiel durch die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Restoration Law), die momentan im Europäischen Rat auf Eis liegt. Hierbei ist es vor allem auch wichtig, die bislang weniger beachteten Artengruppen – wirbellose Tiere, Pilze – nicht zu vergessen.“
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?
„Natürlich ist die Biodiversitätskrise sehr dramatisch, daher betonen die Autoren zu Recht, dass es deutlich mehr Initiativen zum Schutz der Natur braucht. Aber die Studie zeigt sehr deutlich, dass Naturschutzmaßnahmen durchaus etwas bringen, wenn man sie nur durchführt. Wichtig ist es aber auch, die Effekte von Maßnahmen zu messen, damit Ziele erreicht werden können. Die Studie liefert also sehr gute Argumente, um der Einstellung ‚Das bringt alles nichts‘ entgegenzuwirken.“
Professor für Naturschutz (Biodiversity Conservation), Geographisches Institut, University College London (UCL), Vereinigtes Königreich
„Insgesamt ist es gut, zu wissen, dass die Instrumente, die wir im Naturschutz einsetzen, weitgehend funktionieren. Allerdings ist wichtig, zu berücksichtigen, dass die Autoren in weniger als der Hälfte der untersuchten Studien einen insgesamt positiven Effekt feststellen, der gleichzeitig über den des „nichts tun“ hinausgeht, während in einem weiteren Fünftel der Fälle die Maßnahmen nur den Diversitätsverlust verlangsamen, aber nicht aufhalten.“
„Darüber hinaus ist der Wissensgewinn, den ich aus der Studie ziehen kann, nur relativ begrenzt. So wissen wir zum Beispiel aus unseren eigenen Studien schon sehr gut, welche Maßnahmen erfolgreich sind.“
„Weiterhin wird die Kontrolle invasiver Arten sehr präsent diskutiert. Hierzu ist anzumerken, dass der bei weitem effektivste Ansatz nicht die Kontrolle einmal eingeführter Arten darstellt, die sich in den allermeisten Fällen – abgesehen eventuell von Inseln – nur in ganz frühen Stadien der Invasion nachhaltig durchführen lässt, sondern die Verhinderung des Einbringens der Arten in neue Regionen. Das lässt sich aber nicht mit ‚klassischen‘ Natuschutzansätzen erreichen, sondern nur durch Aufklärung, Erziehung und begleitende politische und gesetzliche Ansätze, wo in der Tat in Zukunft deutlich mehr passieren sollte.“
„Darüber hinaus ist der Zeitrahmen, der hier dargestellt wird, etwas kritisch zu hinterfragen. Es werden 110 Jahre angegeben, allerdings scheint dies nur durch eine einzige Studie (!) begründet, während alle anderen Studien sich im Rahmen von maximal 500 Monaten zu bewegen scheinen (siehe Grafik S3). Das sind immerhin noch etwa 40 Jahre, also ein durchaus respektabler Zeitraum. Hier wäre aus meiner Sicht etwas mehr Offenheit beziehungsweise kritisches Hinterfragen des Studienzeitraums angebracht gewesen.“
„Insgesamt spiegelt die Studie in vielerlei Hinsicht als Meta-Analyse auch unsere generellen Schwerpunkte in der Naturschutzforschung wider. Das heißt, Studien, die explizit Auswirkungen auf die Diversität von terrestrischen Insektengemeinschaften untersuchen, erscheinen relativ selten in der Literaturliste, wobei diese Gemeinschaften bei weitem die meisten derzeit global bekannten Arten beinhalten.“
Leiterin des Fachgebiets Nachhaltige Landschaftsentwicklung, Institut für Geowissenschaften und Geographie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Methodik
„Diese Studie greift eine der großen Fragestellungen auf – hinsichtlich der Wirkungen von Naturschutzmaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen auf den Erhalt und zumindest die Reduktion des Verlusts von Biodiversität. In ihrer Art ist sie eine einzigartige Metastudie durch die herausragend große Anzahl an Publikationen und den zugrunde liegenden Studien sowie mit Blick auf die Zeitreihe, die den Analysen zugrunde liegt. Ein großer Vorteil ist, dass zum einen die Art von möglichen Naturschutzmaßnahmen – wie zum Beispiel die Kontrolle invasiver Arten, die nachhaltige Nutzung von Ökosystemen und viele andere – mit Blick auf deren Wirkungen gegenüber eines Unterlassens entsprechender Maßnahmen betrachtet wird, zum anderen aber auch die Wirkungen auf den verschiedenen Ebenen der Biodiversität betrachtet werden. Es werden auch die großen Unsicherheiten (Vertrauensintervall) aufgezeigt, die sich aus den unterschiedlichen Laufzeiten und Ansätzen der Studien ergeben. Eine Kernbotschaft ist, dass sich die Erfassung der Wirkung von Naturschutzmaßnahmen auch mit kürzerfristigen Studien erreichen lässt. Dies ist insofern relevant, als sich der Charakter von Naturschutzmaßnahmen über die Zeit verändert hat und es relevant ist, neue Formen von Naturschutzmaßnahmen laufend zu betrachten.“
„Die Studie ist eine umfassende Metaanalyse, die auf einer Methode – PRISMA – beruht, in der systematisch Literatur gesucht, ausgewählt und analysiert wird. In dieser Form und in der Art ihrer Aggregation zu klaren Aussagen, welche Wirkungen Naturschutzmaßnahmen haben können, ist sie ausgesprochen umfassend, auch wenn gerade auf dem afrikanischen Kontinent eine geringere Präsenz der einbezogenen Studien besteht.“
„Die Studie unterstützt die Evidenz, dass Naturschutzmaßnahmen grundsätzlich in der Mehrzahl positive Effekte für den Schutz, Erhalt und die Wiederherstellung von Biodiversität zeigt. Was sehr spannend und sicherlich erst durch eine solche Metastudie sichtbar ist: Es kann durchaus auch eher verhaltene bis hin zu negativen Effekten geben, für die die Studie beispielsweise auf den Versuch verweist, invasive Algenarten zu entfernen oder auch auf Effekte für bestimmte Fischarten, deren Prädatoren durch Naturschutzmaßnahmen stärker ansteigen.“
„Soweit ich diese Metaanalyse verstanden habe, wird dabei betrachtet, dass sich der Charakter von Studien und publizierten Ergebnissen über die Zeit verändert hat. Naturschutzmaßnahmen haben sich einfach auch über die Zeit verändert von einem ‚Totalschutz‘ von Gebieten – Nationalparks, erste Naturschutzgebiete – bis hin zu heute sehr differenzierten Maßnahmen, invasive Arten zu entnehmen oder Habitate für seltene Arten besser zu schützen. Die Autoren schreiben selbst, dass die Wirkung mancher Maßnahmen – etwa eine bessere Kontrolle der Umweltverschmutzung oder von Maßnahmen zur Klimawandelanpassung / des Klimaschutzes – nicht so einfach vergleichend betrachtet werden können. Ich denke damit wird eine relevante Forschungslücke angesprochen.“
Auf die Frage, inwiefern den Studien mit Laufzeiten zwischen einem Monat und 110 Jahren überhaupt vergleichbar sind:
„Das ist ausgesprochen schwer zu bewerten. Ich kenne einige Langzeitexperimente. Ökosysteme unterliegen aber Entwicklungszyklen, und daher ist es absolut davon abhängig, welche Kriterien und Indikatoren in den einzelnen Studien herangezogen worden sind. Ein Beispiel: Der Schutz eines ‚nativen Buchenwaldsystems‘ wie den ‚Heiligen Hallen‘ in Mecklenburg-Vorpommern hilft uns zu verstehen, wie sich ein solches Ökosystem ohne direkten Einfluss entwickeln kann – Klimawandel und den Faktor Stickstoff klammere ich aus. Über die Zeit gibt es aber auch Stadien, die artenärmer sind – beispielsweise, wenn so ein Wald komplett geschlossen ist, dann ist es die meiste Zeit des Jahres ziemlich finster und es gibt daher wenig Bodenvegetation. Das ist völlig natürlich, aber es bedeutet eine Phase mit einer geringeren Diversität der Flora. Wenn dann langsam das Zerfallsstadium einsetzt, wird es diverser, da Biodiversität auch von ‚Störungen‘ abhängig ist – das heißt, je mehr unterschiedlichste Nischen es auf kleinem Raum gibt, umso mehr Arten von Flora und Fauna haben zwischenzeitlich eine Chance, dort Lebensraum zu finden. Daher kann ich die Aussage zu den ‚nicht erkennbar‘ positiveren Effekten bei Langzeitstudien nicht wirklich bewerten. Ich denke, es ist aber doch eine Kernbotschaft, dass auch kürzere Studien sinnvoll sind und helfen, zumindestens Trends abzuschätzen. Wie geschrieben – auf ökosystemarer Ebene ist dies einfach Zyklen unterworfen, die nicht jeden Indikator zu jeder Zeit als sinnvoll erscheinen lassen.“
Abwägung der Eingriffe
„Aus einer Metastudie ist das schwer abzuleiten, da man dann wirklich die Einzelbeispiele betrachten muss. Die Aussage ist, dass im Schnitt die meisten Naturschutzmaßnahmen signifikant positivere Effekte für die Biodiversität zeigen, als wenn diese unterbleiben. Und die zweite Aussage ist, dass es davon Ausnahmen gibt, wenn zum Beispiel seltene Arten plötzlich mehr Fressfeinde haben oder die Kontrolle invasiver Algen dazu führt, dass sie sich eher besser ausbreiten. Generell aber entnehme ich der Studie, dass die Kontrolle invasiver Arten eines der wirkmächtigsten Naturschutzinstrumente sein könnte.“
„Jedoch ist schwierig einzustufen, dass doch relativ große Unterschiede in der Anzahl der zugrunde gelegten Studien bestehen. Das drückt sich in den Vertrauensintervallen aus. Die Autoren haben versucht, dies sichtbar zu machen. Es gibt natürlich einen Bias, der daraus resultiert, dass Studien sich häufig auf besonders ‚interessante‘ Beispiele und Feldexperimente konzentrieren. Die Metaanalyse hat versucht, dies aufzufangen – soweit ich das beurteilen kann. Trotzdem – und auch aufgrund des geographischen Bias – wäre ich vorsichtig, die Aussagen direkt für die gesamte Welt zu übertragen. Selbst ähnliche Naturschutzmaßnahmen haben in den unterschiedlichen Weltregionen ziemlich unterschiedliche Ausprägungen und manchmal auch Wirkungen – ich denke hier an die 20.000 Elefanten für Deutschland, weil man etwas zu eifrig war, eine spezielle Art zu schützen.“
Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?
„Die Autor:innen sprechen hier ein zentrales Problem solcher Studien an – die Übertragung und (Hoch-)Skalierung der Studienergebnisse. Naturschutz funktioniert oft punktuell sehr gut, aber – und auch das schreiben die Autor:innen – er ist nicht nur direkt abhängig von dafür gedachten Maßnahmen, sondern auch von anderen Faktoren, zu denen Klimawandel, hoher Stickstoffeintrag, oft aber auch verdeckte Prozesse gehören – zum Beispiel illegale Nutzung von Ressourcen in geschützten Flächen, wie dies in vielen Ländern Asiens und Afrikas, aber teils auch in Europa etwa in Waldgebieten in den östlichen europäischen Ländern trotz Schutzstatus geschieht. Alle Schritte vorwärts, völkerrechtliche Verträge zu vereinbaren, um Biodiversität zu erhalten, besser zu schützen oder auch wiederherzustellen, sind ein wichtiger Schritt. Ob die Ziele von Kunming-Montreal besser verfolgt werden können als die Aichi-Ziele, hängt aber von sehr vielen anderen Faktoren ab.“
„Da ich ziemlich viel in sehr unterschiedlichen Ländern forsche, ist meine vorsichtige Einschätzung, dass solche Erklärungen und Verträge zwar eine große Außenwirkung entfalten, dass aber dabei oft das Problem auf der lokalen Ebene übersehen wird. Die Wahrnehmung von Wert der Natur führt lokal zu direkten Konsequenzen, inwieweit Biodiversität als etwas Schützenswertes oder manchmal auch eher Bedrohliches – zum Beispiel Elefanten und Tiger – empfunden wird, das eine Wertewahrnehmung auf anderer Ebene erfährt. Ich wiederhole mich hier: Die 20.000 Elefanten für Deutschland zeigen das Problem ziemlich deutlich auf. Auch eine Skalenebene höher sieht es nicht immer besser aus. Wanderkorridore zwischen und Vernetzung von Lebensräumen werden beispielsweise in fast allen Weltregionen ziemlich bedenkenlos der Weiterentwicklung der Infrastruktur oder immer größeren homogenen Wirtschaftsflächen geopfert – zum Beispiel für industrialisierte Landwirtschaft.“
„Letztlich müssen wir uns fragen, welche Prioritäten wir Werten bei Entscheidungen geben. Es ist bei einer immer noch steigenden Weltbevölkerung unter Klimawandel trotz aller Bemühungen um Klimaschutz und Regulation von Umweltverschmutzungen schlichtweg eine Frage der Ressourcenkapazitäten. Die Autor:innen schließen damit, dass sie den hohen ökonomischen Wert von Biodiversität betonen, der die dafür notwendigen Investitionen rechtfertigt. Ich schließe mich dem vollumfänglich an, nur findet Ökonomie eben auch ganz lokal statt. Menschen, die hungern oder kein Wasser haben oder vielleicht eine Chance sehen, einen etwas höheren Lebensstandard zu haben, werden sich vermutlich immer erstmal dafür entscheiden, dies zu erreichen (Maslowsche Pyramide). Naturschutz heißt also nicht nur Investitionen für direkte Maßnahmen, sondern würde eine ausgewogene globale ökonomische Entwicklung erfordern, die es erlaubt, den Wert von Natur in die eigene Lebenswelt einbeziehen zu können, weil Raum dafür ist.“
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?
„Natürlich sind Naturschutzmaßnahmen sinnvoll, weil wir sonst schon weitaus mehr Arten und Lebensräume verloren hätten. Der Artikel zeigt auf, welche Effekte aus einer unglaublich großen Anzahl an Studien zu beobachten sind, die in der Mehrzahl auf positive Wirkungen verschiedener Naturschutzmaßnahmen hinweisen. Er ist nur – als Metaanalyse – nicht so einfach übertragbar, weil jede dahinterstehende Studie eigene Rahmenbedingungen und natürlich auch eigene Ziele hatte. Vielleicht aus einer Perspektive entwickelter Länder – die die Mehrheit der Studien in der Metaanalyse darstellen – ist die Botschaft durchaus sinnvoll. Mit Blick auf Länder in Entwicklung mag sie nicht so einfach übertragen werden, was die Autor:innen aber transparent darstellen. Leider lassen sich Handlungsempfehlungen selbst aus so einer umfassenden Metastudie nicht ableiten, da eben kein differenziertes Bild für die Wirkungsweise von Naturschutzmaßnahmen in deren Kontext ableitbar ist.“
„Der Verlust an Biodiversität – das betonen die Autor:innen – ist nicht Ergebnis nur eines Faktors (Schutz oder Nicht-Schutz), sondern hängt einfach von sehr vielen anderen Faktoren ab. Dies ist zum Beispiel die räumliche Disparität von Klimawandelfolgen und der weiterhin hohe Eintrag von Stickstoff, aber eben auch manchmal einfach Randeffekte – ein Schutzgebiet kann auch zu klein sein, fehlende Vernetzung – Isolation, die zu Verlusten der genetischen Diversität führt – Nebennutzungen (Tourismus), illegale Nutzungen, das Absenken des Grundwasserspiegels durch überhöhte Wassernutzung und so weiter. All das kann eine sehr große Rolle spielen und Schutzbemühungen schlichtweg ad absurdum führen.“
„Naturschutzmaßnahmen sind dennoch unverzichtbar, allerdings muss das Monitoring ihres Erfolgs oder auch Scheiterns schlichtweg den Kontext und möglicherweise nicht vorgesehene Einwirkungen betrachten. Anderweitig ist es schwer zu erklären, warum sie in manchen Fällen den gewünschten Erfolg haben und in anderen nicht. Das ist etwas, worauf die Metastudie hinweist, die ja nur sehr generell Effekte erfasst, aber auch die großen Unsicherheiten / Bandbreiten in der erfassten Wirkung aufzeigt.“
Postdoktorandin im Fachgebiet Mensch Umwelt Interaktionen, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften, Kassel Institute for Sustainability, Universität Kassel
Methodik
„Diese neue Studie baut auf einer transparenten, klar beschriebenen Methodik eines Rapid Evidence Assessments aus, also eines schnellen, effektiven Screenings von über 186 vorhandenen Studien mit 655 Feldversuchen.“
„Während seit langem bekannt ist, dass Maßnahmen zum Natur- und Artenschutz wirksam sind, zeigt diese Studie eine globale Übersicht der Effektivität solcher Maßnahmen von 1890 bis in die Gegenwart auf. Dies macht es möglich zu vergleichen, welche Maßnahmen besonders effektiv für den Schutz von Arten und Biotopen, der Biodiversität oder für die Bekämpfung invasiver Arten sind. Diese Metastudie erlaubt es, verschiedenste Maßnahmen und ihre Wirksamkeit zu vergleichen.“
„Die Studie offenbart einen bedeutenden Wandel in der Strategie der Naturschutzmaßnahmen. Während bis in die 1990er Jahre der Fokus hauptsächlich auf dem Schutz von Naturschutzgebieten lag, zeigt sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Verschiebung hin zu Maßnahmen wie der Anpassung an den Klimawandel, der Reduzierung der Zerstörung oder der Wiederherstellung von Lebensräumen, der Kontrolle invasiver Arten, Schadstoffbekämpfung und einem nachhaltigen Ökosystemmanagement. Diese Veränderung spiegelt die zunehmenden Treiber der Biodiversitätskrise wider.“
„Das Überraschende ist, dass Studien mit längerer Laufzeit nicht signifikant häufiger positive oder negative Auswirkungen von Erhaltungsmaßnahmen aufweisen als kürzere Studien: Die Effekte von Natur- und Artenschutz sind also schon kurzfristig messbar – und das im globalen Vergleich.“
„Während die AutorInnen einen positiven Trend von Natur- und Artenschutzmaßnahmen aufzeigen, zeigen die Daten aber auch, dass viele Naturschutzprojekte geringen Erfolg gehabt haben. Hier wäre eine ausführlichere Darstellung wünschenswert gewesen, um Lehren und bewährte Praktiken aus abgeschlossenen Schutzprojekten zu ziehen – denn die Biodiversitätskrise schreitet mit beispielloser Geschwindigkeit voran.“
„Im globalen Vergleich ist die Metastudie jedoch bedingt aussagekräftig: für den Globalen Süden, besonders für den Afrikanischen Kontinent, fehlen die Daten zu Langzeitstudien. Auch für marine Gebiete und Inselstaaten, so die AutorInnen, fehlen noch viele Daten.“
Abwägung der Eingriffe
„Die Stärke dieser Studie ist, dass sie sich verschiedene Kategorien von Conservation-Maßnahmen und deren Effektivität weltweit anschaut und so Hunderte von bestehenden Studien und Feldversuchen miteinander verknüpft. Und diese Studien zeigen, dass Natur- und Artenschutzmaßnahmen, wenn sie mit der nötigen Sorgfalt und Fachkenntnis umgesetzt werden, funktionieren, so die AutorInnen.“
„Dennoch ist eine Ausweitung der nachweißlich wirksamen Conservation-Maßnahmen unerlässlich, einhergehend mit einer erheblichen Aufstockung der Finanzierung und des Engagements für die Umsetzung. Hier ist ein starker politischer Wille gefragt.“
„Leider gibt uns die Studie keine Hinweise, welche konkreten Maßnahmen angewendet wurden, und auf welcher Flächengröße diese Maßnahmen implementiert wurden. Dies lässt offen, wie genau Naturschutzpraktiken am besten umgesetzt werden können, um maximale Wirkung zu erzielen. Hier besteht also weiterhin Forschungsbedarf.“
Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?
„Um die Ziele des Kunming Montreal Global Biodiversity Frameworks zu erreichen, braucht es jedoch mehr als nur ein paar Conservation-Maßnamen. Im Abkommen sollen bis 2030 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meeresflächen unter Schutz gestellt werden. Laut der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ist dies jedoch nicht genug: So sagt ein 2020 erschienenes Diskussionspapier, dass etwa 50 Prozent der eisfreien Landfläche der Erde unter Schutz gestellt werden müsse, um 80 bis 90 Prozent der globalen Biodiversität langfristig zu sichern [5].“
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?
„Auch wenn sich die aktuelle Publikation wie ein ‚Nur weiter so, dann wird das schon!‘ liest, ist Vorsicht geboten. Allein durch Arten- und Biotopschutz und die Bekämpfung invasiver Arten wird sich die Biodiversitätskrise nicht lösen lassen. Hier sind allumfassende Strategien gefragt, die die Treiber der Biodiversitätskrise in ihrer Wurzel bekämpfen. Dies bedeutet zum Beispiel, einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und die damit einhergehende Reduktion des CO2-Ausstoßes, einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Rohstoffen und flächendeckenden Natur- und Artenschutz mit gewährleisteter Konnektivität zwischen Schutzflächen an Land und auf See. Hier ist starker politischer Wille gefragt, um zeitnah zu handeln, und Artenvielfalt weltweit, auch besonders auf Inseln, zu stärken und zu schützen.“
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung
Methodik
„Für diese Studie wurden nach strengen Kriterien Arbeiten ausgewählt, die zentral für die Thematik sind – wobei für Metastudien typischerweise viele Studien nicht berücksichtigt werden können, auch begrenzt durch die ausschließliche Auswahl englischsprachiger Literatur.“
„Die Ergebnisse zeigen, dass wir mit Naturschutzmaßnahmen durchaus erfolgreich sein können – ein Sachverhalt, der in der Diskussion in der Öffentlichkeit und auch in Fachkreisen aufgrund einer insgesamt sehr kritischen Lage leicht übersehen wird. Das Gefühl, nicht erfolgreich zu sein, geht auch darauf zurück, dass wir uns immer mehr wünschen als erreicht wird – und im Vergleich zum maximal Wünschbaren ist die Realität immer eher ernüchternd; aber ein Vergleich sollte stets als Grundlage nehmen, was passiert wäre, wenn wir nicht handelten. Diese Studie zeigt sehr schön auch diese relativen Erfolge.“
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?
„Allerdings dürfen wir nicht annehmen, dass diese lokal und regional erfolgreichen Maßnahmen uns schon in der Fläche entscheidend weiterhelfen. Auch der Fokus auf Schutzmaßnahmen insbesondere in bereits besser ausgestatteten Gebieten – oft in Schutzgebieten –, dürfte einen eher optimistischen Eindruck hinterlassen, denn die umfangreichen Gebiete ohne Maßnahmen sind im gewählten Ansatz von Anfang an ausgeschlossen, falls nicht vergleichbare Studien mit Maßnahmen durchgeführt wurden, die einen solchen Vergleich erst ermöglichen. Die Studie zeigt also nicht, dass wir in der Fläche erfolgreich sind, sondern ‚nur‘, dass wir bei entsprechenden Maßnahmen in vielen Kontexten erfolgreich sein könnten. Das wäre dann der Fall, wenn wir in der Tat den sogenannten transformativen Wandel erreichten, wie er auch im Globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES [2] oder auch einer neuen Studie in Science [3] als Kernelement für einen Weg aus der Krise aufgezeigt wird.“
„Konkrete lokale Maßnahmen sind aber dennoch wichtig, um der Natur und der Biodiversität ein Überleben in Raum und Zeit zu ermöglichen, um diese dann in eine nachhaltigere Welt in der Zukunft zu überführen – so wir entsprechend transformativ in der Lage sind zu handeln. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre auf europäischer Skala beispielsweise die Verabschiedung der immer noch gefährdeten Wiederherstellungsverordnung (Nature Restoration Law). Die vorliegende Studie zeigt auch den Erfolg von Renaturierungsmaßnahmen; und eine vor wenigen Tagen veröffentlichte gemeinsame Stellungnahme des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), des Beirates für Waldpolitik (WBW) und des Beirates für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBBGR) des BMEL zeigt, wie Renaturierung in Deutschland erfolgreich sein könnte – mit und ohne Nature Restoration Law [4].”
Professor für Biodiversität der Tiere und Leiter des Evolutioneums, Universität Hamburg, und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
„Die Krise der Biodiversität – das sogenannte Artensterben – ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Nachdem sich zuletzt auf der Montreal-Konferenz im Dezember 2022 die internationale Gemeinschaft zum Erhalt der Biodiversität verpflichtet hat, brauchen Regierungen robuste Daten über die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen, idealerweise im Vergleich miteinander und mit globaler Perspektive. Diese liefert nun die aktuelle Studie – meines Wissens erstmals derart umfassend, unter Auswertung von rund 180 Einzelstudien und im Rückblick über den Zeitraum der vergangenen mehr als einhundert Jahre. So lässt sich erstmals im Vergleich zeigen, dass einzelne und welche der verschiedenen Naturschutz-Anstrengungen tatsächlich wirksam sind.“
„Das war bisher für einzelne Maßnahmen hier und da immer wieder einmal deutlich geworden, aber hier liegt nun erstmals ein globaler und über ein Jahrhundert reichender Vergleich vor. Mit dem Ergebnis, dass gleich mehrere der Naturschutz-Maßnahmen durchaus wirkungsvoll sind, dass aber noch sehr viel mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, um weltweit natürliche Lebensräume und ihre Artenvielfalt wirksam zu erhalten.“
„Was wir jetzt noch klarer sehen: Unsere bisherigen Anstrengungen in dieser Richtung waren also nicht unwirksam, aber alles andere als hinreichend.“
Methodik
Auf die Frage, inwiefern den Studien mit Laufzeiten zwischen einem Monat und 110 Jahren überhaupt vergleichbar sind:
„Während frühere Studien sich meist auf Schutzgebiete an sich bezogen, kommen neuerdings etwa Renaturierung/Management hinzu. Die Laufzeit der Studien – zu sehen in der Länge der Balken in Fig. 2 – hat keinen Einfluss darauf, ob sich eine Maßnahme als (un-)wirksam in der Analyse erwies. Im Umkehrschluss: Auch kurzfristigere Studien – nicht Maßnahmen! – können positive Effekte aufzeigen, es braucht dazu nicht unbedingt immer Langzeitstudien.“
Abwägung der Eingriffe
„Die Hauptautoren (Langhammer/Brooks) arbeiten für beziehungsweise sind neben ihrer universitären Institution auch bei ‚Re:wild‘ beziehungsweise der IUCN engagiert, das heißt, mit Projekten zur Renaturierung von Lebensräumen befasst. Gerade diese Maßnahmen – in Grafik 2 Habitat loss reduction / restoration und ecosystem management – erwiesen sich nun als besonders effektiv. Zu Recht befördert das die Argumentation, zukünftig mehr in diese Maßnahmen zu investieren. Dagegen erscheint der reine Flächenschutz – bei vergleichbarer Anzahl von Studien! – etwas weniger effektiv. Aber: Am wirksamsten ist es laut dieser Studie, invasive Arten zu bekämpfen. Dagegen liegen zu wenige Studien vor, um hier mit dieser Methodik sinnvoll etwas im Vergleich zum Einfluss von Klima oder Verschmutzung – von Giften bis Plastik – auszusagen.“
„Aber: Diese Studie darf nicht grundsätzlich missverstanden werden! Sie vergleicht vor dem Hintergrund bestehender Studien der Vergangenheit einzelne Maßnahmen und ihre bisher nachweisbare Wirksamkeit. Sie steht damit zwar nicht im Widerspruch zu anderen Studien, die anders vorgehen, aber sie zeigt auch nicht die ganze Wahrheit!“
„Denn: Wir wissen aus vielen anderen Analysen (IPBES et cetera), dass der Haupttreiber der Artenverluste Habitatverlust und Landnutzungsänderung sind – egal wie wirksam sich ausweislich der neuen Studie bisher einzelne Gegenmaßnahmen darstellen. Der große Effekt etwa bei der Kontrolle invasiver Arten heißt also nicht, dass dies die – einzige! – Maßnahme der Wahl ist, um die Biodiversitätskrise zu bekämpfen.“
Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?
„Als am wirksamsten erwiesen sich laut dieser Studie die – gerade auf Inseln – vergleichsweise effektiv umzusetzenden Maßnahmen zur Ausrottung/Begrenzung gebietsfremder/invasiver Arten. So wirksam dies war, so wenig setzt dies insgesamt bei den Haupttreibern der Biodiversitätskrise an – und die sind weiterhin: Verlust an Lebensraum und den Beständen vieler Arten, denen wir durch unsere wachsende Weltbevölkerung und Ressourcennachfrage den Platz zum Leben rauben.“
„Dass die Anstrengungen gerade beim Flächenschutz – also Unterschutzstellung bisher naturnaher Gebiete, Renaturierung anderer zuvor ‚genutzter‘ – bisher weniger wirksam sind, wie die Daten zu den Schutzgebieten unterschiedlicher Ausprägung zeigen, sollte uns zu denken geben. Diese müssen global und eben großflächiger ausgerollt werden – soll heißen (wie die Autoren schreiben): ‚expand these to the scale necessary to reverse the global biodiversity crisis‘.“
„Dazu müssen wir die Umsetzung des 30x30-Ziels engmaschig überwachen und in kurzen Abständen Maßnahmen anpassen und auch politisch stringent umsetzen. Das Ziel ist gesteckt, der Weg vorgezeichnet. Das entlässt uns nicht, auch hierzulande entsprechende Anstrengungen zu unternehmen – und gleichzeitig durch finanzielle Unterstützung vor allen in den Biodiversitätszentren im globalen Süden Schutzmaßnahmen zu fördern.“
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?
„Der Erhalt der Natur zahlt sich ohne Zweifel aus! Und die bisherigen Maßnahmen greifen – wenngleich in unterschiedlicher Weise und insgesamt noch zu wenig!“
„Die schlechte Nachricht weiterhin: Tatsächlich haben die bisherigen Naturschutzmaßnahmen die Verluste an Lebensraum und Artenvielfalt nur mehr verlangsamt. Die Krise ist keineswegs vorbei, wir stehen erst am Beginn eines massenhaften Aussterbens, und die Biodiversität ist weiterhin in Gefahr. Die Nachrichten über Verluste an Arten und Lebensraum kommen im Stakkato und werden zunehmen. Die Warnung des Weltbiodiversitätsrates IPBES zum drohenden Verlust von mehr als einer Million Arten sowie andere entsprechende Studien der jüngsten Zeit bleiben weiterhin akut wichtig.“
„Die gute Nachricht: Wir können es schaffen! Denn wir lernen etwa aus dieser Studie immer besser, was in der Vergangenheit und auch in Zukunft funktioniert, was noch getan werden muss, um die Artenvielfalt weltweit zu schützen.“
„Dabei ist vor allem anderen ein wirksamer Flächenschutz sowie Renaturierung und Management der Ökosysteme – bei uns ebenso wie in anderen Weltregionen – das vorrangige Ziel und weiterhin unverzichtbar.“
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
„Diese Studie markiert eine Zeitenwende in der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Biodiversität. In den vergangenen Jahrzehnten wurden tausende von Studien durchgeführt, in denen der negative Einfluss des Menschen auf die Natur untersucht und immer wieder bestätigt wurde. Dies hat sehr stark das Bild verfestigt, dass der Einfluss des Menschen auf die Natur grundsätzlich schlecht ist. Diese Studie zeigt, dass der Einfluss des Menschen auf die Biodiversität auch sehr positiv sein kann. Das gibt Hoffnung, dass eine Wende beim Schutz der Biodiversität möglich ist – und macht Mut, dies nun auch großflächiger anzugehen.“
Methodik
„Die Methodik ist ausgezeichnet und entspricht dem neuesten Stand der Forschung. Das Neue an dieser Arbeit ist, dass das erste Mal eine umfassende übergeordnete Analyse bestehender Naturschutzmaßnahmen durchgeführt wurde, und zwar das ganze Spektrum, von Naturschutzgebieten bis zur Kontrolle invasiver Arten. Diese Studie gibt damit einen umfassenden Überblick, ob Naturschutz Wirkung zeigt.“
„In dieser Studie wurde in der Literatur nach allen Arbeiten gesucht, in denen eine Naturschutzmaßnahme mit einer Kontrolle verglichen wurde. Die ersten Naturschutzmaßnahmen waren das Einrichten von Schutzgebieten, in den zurückliegenden Jahren kamen weitere Typen von Maßnahmen dazu. Das Wesentliche ist immer, dass nicht die Maßnahme per se bewertet wurde, sondern die Maßnahme im Vergleich zu einer Kontrolle. Das heißt, die Frage war immer: Funktioniert Naturschutz besser oder schlechter, als keine Maßnahme anzuwenden.“
Auf die Frage, inwiefern den Studien mit Laufzeiten zwischen einem Monat und 110 Jahren überhaupt vergleichbar sind:
„Die Interventionen dauerten unterschiedlich lange. Das Ergebnis zeigt, dass lange Interventionen die gleiche Effektstärke zeigen wie kurze Interventionen. Die Studien sind vergleichbar, weil die Effektstärke pro Zeiteinheit berechnet wurde. Das heißt, es wurde zum Beispiel analysiert, ob die Zunahme in der Häufigkeit einer bedrohten Art pro Jahr davon abhängt, ob die Maßnahme viele Jahre oder wenige Jahre durchgeführt wurde. Effekte der Dauer sind in beide Richtungen vorstellbar. Effekte könnten zum Beispiel zu Beginn schnell eintreten, aber dann nicht weiter steigen.“
Abwägung der Eingriffe
„Die Analyse ist als erster Auftakt zu verstehen und zeigt, dass es in der Zwischenzeit genug Studien gibt, mit denen Naturschutzmaßnahmen umfassend evaluiert werden können. In Zukunft müsste man mehr ins Detail gehen und prüfen, welche Maßnahmen besonders gute Wirkung entfaltet haben – und warum. Dies könnte dann in Zukunft zur Verbesserung von Naturschutzmaßnahmen genutzt werden.“
Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?
„Die Studie zeigt, dass Naturschutzmaßnahmen im Mittel positive Wirkung zeigen. Allerdings sind dies bisher punktuelle Maßnahmen, die jetzt in der Fläche ausgerollt werden müssen. Dazu braucht es kluge Ansätze mit einer Mischung unterschiedlicher Politikinstrumente. Für Deutschland bedeutet dies zum Beispiel die erfolgreiche Verabschiedung des Renaturierungsgesetzes in Brüssel, kombiniert mit Modellprojekten, die demonstrieren, wie Renaturierungsmaßnahmen in Deutschland umgesetzt werden können. Hinzu kommt eine ausreichende Finanzierung. Hierbei können Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz die zentrale Rolle spielen.“
Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Nachrichten?
„Bei Biodiversitätsschutz ist die Problemlage anders als beim Klimaschutz. Die Biodiversität kann in der Tat in der Fläche wieder ansteigen; es ist möglich, die Kurve zu bekommen. Diese Studie zeigt, wie erfolgreich Naturschutzmaßnahmen sein können. Sie zeigt damit, dass ‚positives Denken‘ beim Schutz der Biodiversität wissenschaftlich begründet und berechtigt ist. Mir ist in den vergangenen Jahren, vor allem bei Jugendlichen, so viel negatives Denken bis hin zu Zukunftsangst und Depressionen begegnet, dass es dringend notwendig ist, auch auf die Erfolge im Naturschutz hinzuweisen.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Langhammer PF et al. (2024): The positive impact of conservation action. Science. DOI: 10.1126/science.adj6598 .
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Ogan S et al. (2022): Re-surveys reveal biotic homogenization of Orthoptera assemblages as a consequence of environmental change. Diversity and Distributions. DOI: 10.1111/ddi.13548.
[2] Diaz S et al. (2019): The global assessment report on biodiversity and ecosystem services. Summary for policymakers. IPBES. DOI: 10.5281/zenodo.3553458.
[3] Pereira HM et al. (2024) Global trends and scenarios for terrestrial biodiversity and ecosystem services from 1900 to 2050. Science. DOI: 10.1126/science.adn3441. (Diese Veröffentlichung trägt das gleiche Embargo wie die Primärquelle. Der Link ist erst mit Ablauf der Sperrfrist aktiv.)
[4] Sachverständigenrat für Umweltfragen SRU (2024): Renaturierung: Biodiversität stärken, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften.
[5] Drenckhahn D et al. (2020): Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun? Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Diskussion Nr. 24.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] UN Convention on Biological Diversity: The Biodiversity Plan for Life on Earth.
[II] Science Media Center (2022): Nach Abschluss der Weltnaturkonferenz COP15. Rapid Reaction. Stand: 20.12.2022.
[III] Science Media Center (2023): Ein Jahr Weltnaturabkommen – Wie geht die Umsetzung in Deutschland und der EU voran? Rapid Reaction. Stand: 18.12.2023.
Prof. Dr. Sven Bacher
Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Ökologie, Fachbereich Biologie, Universität Freiburg, Schweiz
Prof. Dr. Axel Hochkirch
Kurator für Ökologie, Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg , und außerplanmäßiger Professor für Biodiversität und Naturschutz, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier, UND Vorsitzender des Komitee zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN
Prof. Dr. Jan Axmacher
Professor für Naturschutz (Biodiversity Conservation), Geographisches Institut, University College London (UCL), Vereinigtes Königreich
Prof. Dr. Christine Fürst
Leiterin des Fachgebiets Nachhaltige Landschaftsentwicklung, Institut für Geowissenschaften und Geographie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Dr. Ina Sieber
Postdoktorandin im Fachgebiet Mensch Umwelt Interaktionen, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften, Kassel Institute for Sustainability, Universität Kassel
Prof. Dr. Josef Settele
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung
Prof. Dr. Matthias Glaubrecht
Professor für Biodiversität der Tiere und Leiter des Evolutioneums, Universität Hamburg, und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main