Biodiversität in Deutschland: Faktencheck Artenvielfalt
erste umfassende Analyse der Biodiversität zeigt: negative Trends überwiegen deutlich
dringender Handlungsbedarf, um biologische Vielfalt und Stabilität der Ökosysteme sicherzustellen
Fachleute im Briefing: Politische Instrumente für effektiven Naturschutz existieren, sind aber wenig aufeinander abgestimmt; gesetzte Ziele werden nicht verbindlich umgesetzt
soeben wurde der „Faktencheck Artenvielfalt“ veröffentlicht – die erste umfassende Bestandsaufnahme und Bewertung der Biodiversität in Deutschland: ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in Deutschland sind bestandsgefährdet, 60 Prozent der Lebensräume in schlechtem oder unzureichendem Zustand, deutlich häufiger sind die Artengemeinschaften mit steigenden Gefährdungen ausgesetzt als das diese geringer werden. Etwa 150 Autorinnen und Autoren haben den Stand des Wissens für die fünf Hauptlebensräume – Agrar- und Offenland, Wald, Binnengewässer und Auen, Küsten und Küstengewässer, urbane Räume – zusammengetragen, zeigen Trends auf und identifizieren direkte und indirekte Treiber der Entwicklungen. Zudem beleuchten sie, wie wirksam konkrete Maßnahmen in den jeweiligen Lebensräumen sind, welche Hindernisse sich diesen in den Weg stellen und wie die Transformation hin zum Erhalt und der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt gelingen kann. Finanziert wurde das Assessment vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
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Das Transkript können Sie hier als pdf herunterladen.
Zum Abschluss des Press Briefings hat das SMC den Fachleuten folgende Frage stellt: „Was ist für Sie das wesentliche Element, damit der gesellschaftliche Weg künftig zur Erhaltung und Wiederherstellung der Biodiversität beiträgt beziehungsweise zumindest in diese Richtung führt?“ Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.
Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und koordinierende Leitautorin des Kapitels Agrar- & Offenland sowie Leitautorin in des Kapitels Indirekte Treiber
„Wir wollen Biodiversität fördern. Dabei können wir nicht nur einen Weg gehen. Aber ein ganz wichtiger Weg ist für mich der Zugang durch die Bildung. Nur was wir kennen, das schützen wir. Wir haben Studien, in denen wir Jugendliche verglichen haben, die entweder in intensiv oder in traditionell bewirtschafteten Weinanbaugebieten aufgewachsen sind. Beide Gruppen haben ein ganz unterschiedliches Verständnis von Biodiversität. Und dieses Verständnis – also, dass es überhaupt Biodiversität gibt und was das für Arten sind – müssen wir in unser Bildungssystem rein bekommen. Noch funktioniert das nicht. Aber ich halte das für einen zentralen Weg, einen von vielen.“
Leiterin der Forschungsfelds Biodiversität und Gesellschaft, Institut für sozial-ökologische Forschung GmbH (ISOE), Frankfurt am Main und Leitautorin des Kapitels Transformationspotenziale des aktuellen Berichts
„Ich teile das Bild, dass es viele Wege braucht für eine Trendwende zum Erhalt der Artenvielfalt. Ich nehme aus der Arbeit an unserem Kapitel zu den Transformationspotenzialen mit, dass Naturschutz eigentlich nicht länger als das Gegenteil von Naturnutzung verstanden werden sollte. Das wünsche ich mir für die Zukunft. Das bedeutet, dass wir nicht nur einen anderen Naturschutz brauchen, sondern dass wir vor allem auch eine andere Naturnutzung brauchen. Wir haben es im Briefing angerissen: Wir müssen Biodiversitätsschutz viel stärker in das wirtschaftliche Handeln, aber auch in das individuelle Handeln, in die eigenen Praktiken des Alltagshandelns integrieren.“
Professor für Geobotanik, Institut für Biologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Co-Vorsitzender des aktuellen Berichts
„Ich glaube, das Bild der verschiedenen Wege ist auch eine Antwort auf die Frage, die hier aufgekommen ist: Was kann man tun, um den Leuten Biodiversität nahezubringen? Im Grunde hat wahrscheinlich jeder Mensch seine eigene, ihre eigene Motivation, warum man sich für Biodiversität einsetzt. Man möchte Natur Natur sein lassen, wie in Nationalparks. Man möchte vielleicht davon profitieren, indem wir ein sicheres Wirtschaften haben, in dem saubere Luft produziert wird. Oder man hat relationale Werte: Man liebt es, unter diesen Linden zu laufen und man hat diese Bäume schon sein Leben lang gekannt. Jeder von uns hat einen ganz besonderen Bezug in dieser oder der anderen Art und Weise. Und wenn wir auf Diversität setzen, dann ist es auch die Diversität der Motivationen, die am Ende alle das Gleiche bewirken: dass tatsächlich Biodiversität geschützt und gefördert wird und auch renaturiert wird. Aus welchen Beweggründen auch immer.“
Leiter der Arbeitsgruppe Spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität, Universität Leipzig, und Direktor des Botanischen Gartens Leipzig und Geschäftsführender Direktor des Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und Vorsitzender des aktuellen Berichts
„Die gesellschaftlichen Prozesse sind meines Erachtens die wichtigen. Wir müssen es irgendwie schaffen, gemeinsam mit sehr viel Kreativität und Energie einen attraktiven, neuen Lebensstil zu entwickeln. Und die Politik muss das fördern, muss uns dabei helfen, genau das zu ermöglichen. Dazu gehört sehr viel. Zum Beispiel kann man aufhören, naturschädliche Subventionen auszuzahlen. Aber sehr viel wichtiger ist es noch, wirklich einen neuen Umgang mit uns selber, mit der Natur in der Gesellschaft zu schaffen, der kompatibel ist mit Biodiversität und vor allen Dingen die Biodiversität nutzt. Und als eine Facette davon ist es notwendig, eine neue Form der Landnutzung zu entwickeln, mit Forschung. Eine Landnutzung, bei der tatsächlich mit Biodiversität gewirtschaftet wird und mit Biodiversität am Ende auch Geld verdient wird. Und eine Landnutzung, bei der Erfolge in der Biodiversität belohnt werden, auch finanziell, so dass sich das für die Waldbauern und für die Landwirtinnen und Landwirte am Ende auch tatsächlich rechnet.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Wirth C et al. (2024): Faktencheck Artenvielfalt. ISBN: 978-3-98726-095-7.
Weiterführende Recherchequellen
Wirth C (2024) : Präsentation des „Faktencheck Artenvielfalt”
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[1] Dias S et al. (2019): Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services. IPBES Global Assessment Report.
dazu:
Science Media Center (2019): Globales Assessment des Weltbiodiversitätsrates. Statements. Stand 06.05.2019.
und:
Science Media Center (2019): Globaler Bericht zur Biodiversität – Wird das der '1,5-Grad-Paris-Moment' für Biodiversität?. Press Briefing. Stand: 04.04.2019.
[2] Science Media Center (2023): Ein Fünftel der europäischen Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht. Statements. Stand: 08.11.2023.
Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein
Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und koordinierende Leitautorin des Kapitels Agrar- & Offenland sowie Leitautorin in des Kapitels Indirekte Treiber
Dr. Marion Mehring
Leiterin der Forschungsfelds Biodiversität und Gesellschaft, Institut für sozial-ökologische Forschung GmbH (ISOE), Frankfurt am Main und Leitautorin des Kapitels Transformationspotenziale des aktuellen Berichts
Prof. Dr. Helge Bruelheide
Professor für Geobotanik, Institut für Biologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Co-Vorsitzender des aktuellen Berichts
Prof. Dr. Christian Wirth
Leiter der Arbeitsgruppe Spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität, Universität Leipzig, und Direktor des Botanischen Gartens Leipzig und Geschäftsführender Direktor des Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und Vorsitzender des aktuellen Berichts