Bahnreform: Adressiert die neue Strategie des Bundesverkehrsministeriums die größten Probleme der Bahn?
drei Sofortprogramme sollen Bahnhöfe, Informationen und Zustand der Züge kurzfristig verbessern
für langfristig pünktlichere Züge soll der Schienennetzbetreiber DB InfraGo unabhängiger vom DB Mutterkonzern werden und die Hochleistungskorridore bis 2036 sanieren
Forscher sehen Lücken, bewerten die Strategie unterschiedlich: mit Blick auf die Bahn realistisch, mit Blick auf die wünschenswerte Mobilitätswende zu wenig
Bis 2029 sollen mindestens 70 Prozent der Fernzüge der Deutschen Bahn pünktlich fahren, im Nahverkehr solle die Pünktlichkeit der Züge „dauerhaft“ bei 90 Prozent liegen, daran wolle er sich messen lassen, sagte Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder am 22.09.2025 bei der Vorstellung der „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“ [I] in Berlin. Zu den Änderungen, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, gehören unter anderem eine Stärkung der Unabhängigkeit der Eisenbahn-Infrastrukturgesellschaft DB InfraGo vom DB Mutterkonzern. So sollen die Gewinne der InfraGo ausschließlich dem Schienennetz zugutekommen. Zudem soll künftig die gemeinnützige Infrastrukturgesellschaft für den DB Navigator zuständig sein und über Zugläufe informieren. Über Sofortprogramme sollen die Sicherheit von Bahnhöfen, der Komfort in Zügen und Informationen über den aktuellen Fahrplan verbessert werden. Zur angepeilten Pünktlichkeit von Güterzügen, konnte der Bundesverkehrsminister auf Rückfrage keine Angabe machen. Die Pressekonferenz können Sie hier nachschauen.
Drei Forscher hatten in einem Press Briefing des SMC Ende August Ursachen für die Verspätungen der DB sowie mögliche Abhilfen skizziert. Dazu gehört vor allem eine bessere finanzielle Aufsicht des Bundes über die Bahn und darüber hinaus mehr Überholmöglichkeiten auf der Strecke, eine bessere Wartung der Züge sowie mehr Reserven bei Zügen und Personal [II]. Das SMC hat diese und weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um eine Einschätzung der Bahnstrategie gebeten.
Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal
Bewertung der Agenda
„Für eine Verkehrswende zu einer klimagerechten nachhaltigen Mobilität ist eine Reform der Deutschen Bahn notwendig, bei der eine klare Zielorientierung im Fokus steht. Das Papier adressiert einen Teil der Probleme, hat aber Lücken an zentralen Punkten.“
„Die darin formulierten Pünktlichkeitsziele fallen hinter bestehende Ziele zurück – das reduziert den Druck für Veränderungen. Für eine verlässliche Bahn bräuchte es ambitionierte, verbindliche und mit Sanktionen verknüpfte Pünktlichkeitsziele.“
„Für die Entwicklung des Schienennetzes ist ein umfassendes Zielbild nötig, um eine wachsende Verkehrsnachfrage erfüllen zu können. Das Papier geht zwar auf die Verbesserung des bestehenden Netzes ein, denkt aber einen umfassenden Netzausbau nicht ausreichend mit. Wenn künftig mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden soll, sind der Ausbau des Netzes in die Fläche notwendig, sowie deutlich leistungsstärkere Bahnstrecken mit viel mehr Ausweichmöglichkeiten, als dies bislang konzipiert ist. Notwendig sind auch zusätzliche Gleisanschlüsse für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene.“
Profitabilität
„Durch den Fokus auf eine dauerhafte Wirtschaftlichkeit – Ziel 2 der Strategie – besteht die Gefahr, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Mit dem Ziel der Profitabilität wurden Reserven in Personal, Zügen, Wartungsintervallen und Infrastruktur abgebaut, die für ein zuverlässiges System aber wichtig sind. Für die Zukunft ist zu befürchten, dass mit dem Profitabilitätsziel viele notwendige Maßnahmen nur in abgespeckter Form oder zeitlich verzögert umgesetzt werden – ob in der Digitalisierung, der Zuverlässigkeit der Züge, dem Streckennetz oder der Qualität der Bahnhöfe.“
„Zentral für die Erreichung der Ziele ist die Finanzierung – diese ist aber trotz des Sondervermögens bislang unzureichend. Ein mehrjähriger Infrastrukturfonds mit zusätzlichen Mitteln für den Ausbau der Schiene wäre hier sinnvoll.“
Inhaber des Lehrstuhls Netzwerkökonomie, Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
„In der Agenda greift Verkehrsminister Patrick Schnieder einige Impulse seines Vorgängers Volker Wissing auf und fügt andere hinzu, so dass insgesamt eine Neuausrichtung der Bahnpolitik erkennbar wird. Nach dem Verkauf von Arriva und Schenker in der Amtszeit von Wissing, soll sich die Deutsche Bahn (DB) von weiteren Beteilungen trennen. Mit der neuen Leistungsvereinbarung LV InfraGO – eine Fortführung Volker Wissings Idee Infraplan (enthält Zielvorgaben des Bundes für den Schienennetzbetreiber InfraGO, ist gedacht als zentrales Steuerelement, Anm. d. Red.) – sollen Qualitätsziele für die Schiene festgehalten werden und somit eine intensivere Steuerung der Infrastruktursparte durch den Bund ermöglicht werden.“
Sinnvoll: Abschied von unrealistischen Zielen
„Hingegen ist von einer Verdoppelung der Verkehrsleistung im Personenverkehr nicht mehr die Rede, ebenso wenig von der Steigerung des Marktanteils der Schiene auf 25 Prozent des Güterverkehrs. Diese unrealistischen Ziele haben in der Vergangenheit eher Unheil gestiftet. Der Deutschlandtakt wird noch als ‚dauerhafte Leitstrategie für die Infrastruktur‘ erwähnt – tatsächlich sein bester Aspekt –, aber nicht mehr als dringender Auftrag zum Ausbau der Fernverkehrsangebote, zum Beispiel für eine Taktverdichtung. Vielmehr soll für die DB Fernverkehr bis 2026 ein gesondertes Sanierungs- und Entwicklungsprogramm vorgelegt werden, damit sie nicht ein ähnliches Schicksal wie die DB Cargo ereilt. Diese Hinwendung zum Realismus in der Bahnpolitik ist sehr begrüßenswert, wie auch die Einsicht, dass für die Wiederherstellung der Pünktlichkeit mehr Zeit benötigen wird.“
Sinnvoll: Unabhängigerer Gleisinfrastrukturbetreiber
„Ebenso begrüßenswert ist die Absicht einer stärkeren Entflechtung von InfraGO und Konzern. Ein wirklich kreativer Gedanke ist dabei: Der DB Navigator soll von der DB Fernverkehr an die DB InfraGO gehen. Das hat Potenzial: Alle Anbieter des Schienenfernverkehrs können sich diskriminierungsfrei im DB Navigator wiederfinden. Die Gefahr ist: Die InfraGO ist vom Endkunden weiter entfernt. Es wäre daher gut, wenn dieses Vertriebs- und Marketinginstrument auch von den Verkehrsunternehmen mitgestaltet und möglicherweise von einem externen Drittanbieter – im Auftrag der InfraGO – betrieben wird.“
„Auch die personelle Verflechtung von InfraGO und Konzern soll richtigerweise reduziert werden. Einen Vorstand für Technik soll es auf Ebene des Konzerns nicht mehr geben. Er war wohl nicht besonders wirksam. An dieser Stelle zeigen sich jedoch Lücken in den Eckpunkten des Ministers: Wer soll für die effiziente Gestaltung des Gesamtsystems Schiene verantwortlich sein? Dies kann nur das Ministerium selbst sein, doch das wird noch nicht gesehen. Eine Möglichkeit besteht darin, das Eisenbahn-Bundesamt EBA von einer reinen Aufsichtsbehörde zu einer strategischen Eisenbahnsystementwicklungsbehörde weiterzuentwickeln, wie der Wissenschaftliche Beirat des BMV – dem ich angehöre – neulich vorgeschlagen hat. Denn heute ist auch das EBA noch nicht dafür aufgestellt.“
Notwendig: Kostenaufsicht durch unabhängige Behörde
„Eine weitere Lücke in den Eckpunkten betrifft die Unkenntnis des Bundes über die Kosten im Bereich der Infrastruktur. Er hat allenfalls einen blassen Schimmer davon, was zum Beispiel Gleise, Signale oder Bauarbeiten kosten dürfen. Unter dieser Voraussetzung ist ‚Gemeinwohlorientierung‘ eine Einladung an die InfraGO, nach Herzenslust Steuergelder abzuschöpfen. Daran werden auch LV InfraGO und Infraplan nicht viel ändern. Nötig ist vielmehr eine dauerhafte Befassung einer Bundesbehörde mit dieser Frage, im Idealfall der unabhängigen Bundesnetzagentur. Auch das wird noch nicht gesehen.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte“
„Ich bin seit Längerem unter anderem für die Bundesnetzagentur im Bereich der Eisenbahnregulierung tätig, derzeit auch an einem Gutachten für die DB InfraGO. Die hier geäußerten Vorschläge sind meine persönlichen.“
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bundesverkehrsministerium (2025): Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene. Eckpunkte zur Reform der Deutschen Bahn.
[II] Science Media Center (2025): Wie wird die Bahn wieder pünktlich – wie könnte Lutz’ Nachfolger die drängendsten Probleme lösen? Press Briefing. Stand: 20.08.2025.
Thorsten Koska
Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte“
Prof. Dr. Kay Mitusch
Inhaber des Lehrstuhls Netzwerkökonomie, Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich bin seit Längerem unter anderem für die Bundesnetzagentur im Bereich der Eisenbahnregulierung tätig, derzeit auch an einem Gutachten für die DB InfraGO. Die hier geäußerten Vorschläge sind meine persönlichen.“