EU-Pläne zur Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO2
Neue EU-Strategie zu CCS und CCU für die kommenden Jahrzehnte
Umweltschutzverbände positionierten sich kürzlich unterschiedlich zu den Technologien
Forschende gehen von breitem Einsatz aus, dafür nötige Infrastruktur und Anreizmechanismen für negative Emissionen müssten noch ausgearbeitet werden
Am 06.02.2024 wird die EU-Kommission ihre Carbon Management Strategie vorstellen. Darin beschreibt sie ihre Pläne für die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) oder dessen Nutzung (CCU) in der EU: Welche Emissionsmengen sollen in den kommenden Jahrzehnten so vermieden oder der Atmosphäre entzogen werden? Zu welchen Anteilen sollen diese Emissionen aus fossilen Kraftwerken, der Industrie (zum Beispiel Chemie- oder Zementindustrie), der Bioenergie (BECCS) oder direkt aus der Atmosphäre (DACCS) stammen? Wie sollen Investitionen in die notwendigen Anlagen gefördert werden?
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Perspectives Climate Group, und Perspectives Climate Research
Zur nötigen Größenordnung der gespeicherten oder genutzten Emissionen
„Im Blick auf CO2- oder gar Klimaneutralitäts-Ambitionen müssen die Kapazitäten – und vor allem auch die Finanzierung deren laufender Nutzung – für CO2-Speicherung in den kommenden Jahrzehnten drastisch gesteigert werden. Hierfür sind konkrete Zielwerte hilfreich. Sie sollten aber als politische Ziele, die dynamisch und anpassbar sind, verstanden werden. Um der Zivilgesellschaft, Industrie und Forschung kritischen Einblick zu geben über die Effektivität der dafür eingesetzten Politikinstrumente braucht es klare Zwischenziele – auch in Bezug auf operationelle Schritte der Infrastruktur-Planung und Implementierung von Anreizinstrumenten – mit eingebauten Gelegenheiten zum Nachschärfen.“
Zur Finanzierung von CCS und CCU
„Ziele allein reichen nicht, diese müssen durch konkrete Finanzierungs- oder Regulierungsinstrumente unterfüttert werden. Langfristig wird eine reine Subventionspolitik aufgrund ihrer Steuerlast nicht funktionieren und es muss schon heute eine Vision geschaffen werden, wie die Subventionen nach und nach durch Marktinstrumente oder Regulation abgelöst werden, wobei die Kostenverteilung nach dem Verursacherprinzip erfolgen sollte.“
Zu den Speicherpotenzialen
„Die geologischen Speicherpotenziale sind für die Europäische Dekarbonisierung und die CO2-Entfernung nicht limitierend. Auch handelt es sich um sichere und technisch problemlos skalierbare Technologien. Jedoch werden auch künftig lokale Widerstände gegen dafür notwendige Infrastrukturen und die langen Implementierungszeiten limitierend sein. Eine frühe und klare Planung ist hier unerlässlich, um später von Kostenvorteilen zu profitieren. Außerdem muss in Bezug auf BECCS die Nachhaltigkeit der Biomasse und in Bezug auf DACCS die sinnvolle Einbettung in den Strommarkt planerisch mit allen Stakeholdern sichergestellt sein.“
Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Zur nötigen Größenordnung der gespeicherten oder genutzten Emissionen
„Die ermittelten Zahlen im Rahmen der Carbon Management Strategie der EU erscheinen plausibel. Natürlich können zahlreiche Faktoren diese Zahlen nach unten – beispielsweise durch technologische Entwicklungen bei der Emissionsvermeidung oder Abnahme der Industrieproduktion in Europa – oder nach oben – beispielsweise durch technologische Entwicklungen bei DACCS oder handelspolitische Verknappung des LNG-Angebots und damit einhergehende vermehrte Nutzung von Kohle – verschieben. Entsprechend steht im Vordergrund, diese Technologien in die Klimapolitik zu integrieren und den Markteintritt zu fördern, ohne den Grenzanreiz – also wie viel CO2-Speicherung gemacht wird – zu stark zu verzerren oder vorzuschreiben.“
Zur technischen Umsetzbarkeit
„Gemessen an den aktuellen Planungen der europäischen CCS-Betreiber erscheinen die 50 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2030 in jedem Fall ambitioniert, aber technologisch erreichbar. Denn bis 2030 steht die CO2-Abtrennung an den Emissionsquellen im Vordergrund. In den langfristigen Projektionen bis 2050 spielt vor allem DACCS eine zunehmend wichtigere Rolle. Während bei BECCS die Skalierbarkeit vor allem durch die Biomasseverfügbarkeit begrenzt ist, konkurrieren bei DACCS derzeit noch verschiedene Technologieansätze mit entsprechenden Risiken, aber auch Chancen. Insbesondere bei einer technologisch günstigen Entwicklung stellt sich die Frage, ob die EU an ihren ursprünglichen Zielen festhält oder sogar noch ambitioniertere Netto-Negativziele formuliert, um ihrer historischen Verantwortung bei der atmosphärischen CO2- Konzentration gerecht zu werden.“
Zu den Speicherpotenzialen
„Das physische, kumulative Speicherpotenzial stellt sicherlich keine Begrenzung für die Carbon Management Strategie der EU dar. Allein im Untergrund der Nordsee könnten Schätzungen zufolge etwa 150 Gigatonnen CO2 (150 Milliarden Tonnen; Anm. d. Red.) gespeichert werden [1]. Die anvisierte jährliche Menge in der Carbon Management Strategie im Jahr 2050 ist 0.45 GtCO2, von der aber nur 0.25 GtCO2 geologisch gespeichert werden sollen.“
„Allerdings sollte das physische, kumulative Speicherpotenzial nicht mit dem ökonomischen Speicherpotenzial verwechselt werden. Denn nicht alles CO2 kann zu den gleichen Kosten eingelagert werden, sondern bei einer theoretischen vollen Ausnutzung des Potenzials würde es zu steigenden Grenzkosten bei der Speicherung kommt. Wichtig ist daher, dass sich die CO2-Abscheidungstechnologien, die die geologische CO2-Speicherung vorsehen, in einem marktwirtschaftlichen Prozess mit anderen Technologien zur CO2-Speicherung oder zur CO2 Vermeidung behaupten müssen.“
„Für die Umsetzung der Carbon Management Strategie ergibt sich eine physische Beschränkung – insbesondere in der kurzen Frist – sowohl durch die Verfügbarkeit von CO2-Injektionsstellen als auch durch die noch fehlende CO2-Pipeline Infrastruktur, die im Hinblick auf die anvisierten Mengen deutlich günstiger sind als schiffsbasierter CO2-Transport [2].“
Zu Argumenten für und gegen eine Nutzung von CCS in fossilen Kraftwerken
„Hinsichtlich des Problems der CO2-Anreicherung in der Atmosphäre spricht theoretisch nichts gegen den Einsatz von CCS in fossilen Kraftwerken. Dagegen sprechen jedoch die Kosten – insbesondere, wenn Abscheidegrade von über 90 Prozent erreicht werden sollen – so dass es nicht plausibel erscheint, dass sich fossile Kraftwerke mit CCS gegenüber erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung in großem Maßstab durchsetzen könnten. Es benötigt allerdings in der Carbon Management Strategie keine aufwändige Diskussion um den Ein- beziehungsweise Ausschluss verschiedener Emissionsquellen, da die Emissionen aus den Kraftwerken ohnehin aus ökonomischen Gründen verdrängt werden.“
Zu den Anteilen von CCS in Kraftwerken und Industrie, BECCS und DACCS
„Grundsätzlich sollten sich die Anteile aus einem marktwirtschaftlichen Entdeckungsprozess ergeben, vorausgesetzt, die Technologien können in einem Marktumfeld miteinander konkurrieren. Dieses Marktumfeld ist aber derzeit für technische Methoden zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre noch nicht gegeben.“
„Insbesondere bei DACCS handelt es sich noch um eine sehr junge Technologie und entsprechende Learning-by-Doing Effekte in diesem Sektor sollten unterstützt werden, denn nur mit DACCS und BECCS können netto-negative Emissionsziele erreicht werden.“
„Gleichzeitig würde aber eine frühzeitige, subventionierte Integration von DACCS und BECCS in den Emissionshandel die Emissionsvermeidung teilweise substituieren und dann bei diesen Technologien das Learning-by-Doing abschwächen.“
„Um diesen Effekt zu vermeiden, können die physische CO2-Entnahme aus der Atmosphäre und die entsprechende Anrechnung, zum Beispiel im EU ETS, zeitlich getrennt werden. Ein Intermediär – zum Beispiel eine staatsnahe Behörde – könnte bereits jetzt die CO2-Entnahme durch BECCS und DACCS ankaufen, die damit verbundenen Zertifikate könnten dann zu einem späteren Zeitpunkt im EU ETS auktioniert werden.“
Zur Finanzierung von CCS und CCU
„Für die CO2-Abscheidung an Emissionspunktquellen (zum Beispiel Kraftwerke oder Industrieanlagen; Anm. d. Red.) mit nachfolgender Speicherung besteht durch die CCS Directive bereits ein Anreiz, da sie festlegt, dass dann keine Zertifikate abgegeben werden müssen. Das heißt man spart den Preis der Zertifikate. Dieser existierende Anreiz reichte bislang noch nicht aus, damit Unternehmen in ein entsprechendes CO2-Pipelinenetzwerk beziehungsweise CO2-Lieferkettensystem investieren. Letzteres begründet sich aber insbesondere mit der rechtlichen, politischen und auch gesellschaftlichen Unsicherheit bezüglich CCS, insbesondere im Hinblick auf Transport und Speicherung. Die vorgelegte Carbon Management Strategie mit genannten Größenordnungen kann daher ein wichtiges Signal sein, so dass die Unternehmen ihre Investitionszurückhaltung ablegen. Gleichzeitig ist zu prüfen, inwieweit Markteintrittshemmnisse, die sich insbesondere durch die Kapitalkosten ergeben, abgemildert werden können. Wichtig ist dabei aber, dass nicht der marginale Anreiz für die CO2-Speicherung verzerrt wird. Vereinfacht gesagt: Der Bau der Pipeline könnte zusätzlich gefördert werden, aber nicht die eingespeicherte Tonne CO2.“
„Gleichzeitig vereinfacht sich die Anrechnung von CO2-Verwendung und Speicherung durch die geplante Ausweitung des Emissionshandels. Mit der Einführung des EU ETS2 sind etwa 75 Prozent der Emissionen durch ein Emissionshandelssystem abgedeckt. Wenn sich die Preise angeglichen haben, beziehungsweise EU ETS1 und ETS2 integriert wurden, werden die Emissionen – zumindest bei nicht biogenen Prozessen – entlang von Projektketten erfasst. Ein Anbieter, der beispielsweise zehn Tonnen negative Emissionen erzeugt, dafür aber zwei Tonnen emittiert, muss dann nicht aufwendig die Differenz bestimmen, um zu berechnen, wie viele Zertifikate ihm zustehen. Stattdessen kann er direkt zehn Zertifikate bekommen, weil die zwei emittierten Tonnen bereits im ETS abgebildet wurden. Das bedeutet auch, dass sich so DACCS- oder BECCS-Projekte nur dann lohnen, wenn insgesamt negative Emissionen entstehen.“
„Damit es sich rechnen kann, muss es aber möglich sein, entnommenes CO2 ‚zu verkaufen‘, also in Zertifikate umzuwandeln. Diese Möglichkeit gibt es derzeit noch nicht. Hier plant die EU ab 2026 die nötigen Schritte bei der Anpassung des EU ETS einzuleiten. Diese bestimmen dann wiederum auch, wie bei CCU ‚upstream‘ und ‚downstream‘ accounting eingesetzt werden könnte (upstream: Emissionen oder Einsparungen werden dann gezählt, wenn Produkte – zum Beispiel Kraftstoffe – auf den Markt gebracht werden; downstream: Emissionen werden gezählt, wenn sie entstehen, zum Beispiel, wenn Kraftstoffe verbrannt werden; Anm. d. Red.).“
„Für die schrittweise Integration der atmosphärischen CO2-Entnahme in den europäischen Emissionshandel bietet sich eine zentrale Institution an, deren mögliche Funktionen häufig unter dem Begriff CO2-Zentralbank zusammengefasst werden [3].“
„Die Ausgestaltung sowie die Definition und Überwachung einer solchen CO2-Zentralbank kann in den kommenden Jahren entwickelt werden. Weil ein operatives Agieren aber voraussetzt, dass diese Institution auf eine Reserve aus CO2-Entnahmezertifikaten (Carbon Removal Certificates, CRCs) zurückgreifen kann, sollte ein Ankauf von atmosphärischer CO2-Entnahme möglichst zeitnah erfolgen. Die angekaufte entnommene Menge kann dann intern zu Zertifikaten umgewandelt werden. Diese liegen in einer Reserve und können zu einem späteren Zeitpunkt entweder verkauft, oder auch gelöscht werden, um die netto-negativen Klimaziele einzuhalten.“
„Um mit dem Ankauf zu beginnen, müssen die Nationalstaaten nicht auf eine Zentralbank auf EU-Ebene warten. Ambitionierte Staaten können bereits jetzt Zertifikate durch angekaufte negative Emissionen erzeugen und sie dann später an die europäische Zentralbank transferieren. Das bereits existierende Reverse Auctioning System für BECCS in Schweden kann dabei als Orientierung dienen.“
Leiter Forschungscluster Klimapolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin
Zur nötigen Größenordnung der gespeicherten oder genutzten Emissionen
„Das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 lässt sich nur erreichen, wenn zur Mitte des Jahrhunderts mehrere Hundert Millionen Tonnen CO2 industriell abgeschieden und dann entweder gespeichert oder weiterverwendet werden. Diese Größenordnung hat die EU-Kommission schon 2018 genannt, in der Folgenabschätzung zum Green Deal – sie wurden damals allerdings kaum beachtet.“
Zu den Anteilen von CCS in Kraftwerken und Industrie, BECCS und DACCS
„Es lässt sich derzeit nicht realistisch abschätzen, welche relativen Anteile BECCS, DACCS und andere CDR-Methoden bis 2050 erreichen könnten. Bei BECCS hängt es wesentlich von der Verfügbarkeit nachhaltiger Biomasse ab, bei DACCS von der Kostenentwicklung. Nicht unterschätzt werden sollte die Bedeutung von Direct Air Carbon Capture and Use (DACCU), bei dem das aus der Atmosphäre abgeschiedene CO2 für kohlenstoffhaltige Produkte verwendet wird, zum Beispiel für synthetische Kraftstoffe – auch das ist in der EU-Strategie vorgesehen, und erklärt einen Teil der großen Menge an abzuscheidendem CO2.“
Zur Finanzierung von CCS und CCU
„Die Nutzung von CCS ist bereits in den ETS integriert. Die Einbindung von CCU wird derzeit geprüft, ist wegen der Vielzahl möglicher Anwendungsformen allerdings sehr viel komplexer. Bei CCS wird es auf EU-Ebene wohl einer gezielten finanziellen Förderung von Transportinfrastrukturen wie Pipelines und Terminals bedürfen, sowie einer europaweit koordinierten Netzplanung.“
stellvertretende Direktorin des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Zur öffentlichen Wahrnehmung von CCS
„Zusammen mit norwegischen Kollegen haben wir die öffentliche Wahrnehmung von CO2-Einlagerung und -Speicherung unter der Nordsee in den fünf Nordseeanrainerstaaten Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Großbritannien untersucht [4]. Die Bedenken über negative Umweltauswirkungen sind in Deutschland und Großbritannien am höchsten. Unter den norwegischen Befragten sind die Bedenken vergleichsweise am geringsten. Diese Bedenken sind auch dadurch beeinflusst, dass mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland und Großbritannien angaben, noch nie zuvor von CCS gehört zu haben. Wohingegen in Norwegen nur 25 Prozent noch nie von CCS gehört haben. Aus der Forschung zur Risikowahrnehmung wissen wir, dass diese sowohl von den wahrgenommenen Risiken als auch von mangelnder Vertrautheit mit Technologien beeinflusst werden kann. Wir tendieren dazu, neuen Dingen erst einmal skeptischer gegenüberzustehen, besonders wenn wir sie mit Risiken verknüpfen. Starke Bedenken hegen die Befragten auch in Bezug auf die Kosten für den Aufbau der Infrastruktur, die für eine Einlagerung in der Nordsee notwendig wären.“
Zu Argumenten für und gegen eine Nutzung von CCS in fossilen Kraftwerken
„Die Bedenken gegen CCS und CDR sind aber in der Bevölkerung und unter Umweltverbänden auch deshalb groß, weil die Sorge besteht, die Technologien könnten als Ausrede verwendet werden, um sich bei der Emissionsvermeidung weniger anzustrengen. Eine Diskussion auf der EU-Ebene, um den Einsatz von CCS für das Abscheiden der Emissionen von fossilen Kraftwerken könnte also den Widerstand gegen CCS wieder aufleben lassen. Der Einsatz von CCS in Kombination mit fossilen Kraftwerken wird sich – wie Herr Rickels ausgeführt hat – nur in Einzelfällen lohnen. Deshalb drängt sich die Frage auf, inwieweit es sich dabei um eine Scheindebatte handelt, die eigentlich dazu dienen soll, Druck aus der Diskussion um die Zukunft fossiler Kraftwerke – im Besonderen der Gaskraftwerke – zu nehmen. Das könnte den befürchteten Effekt haben, dass die Diskussion um CCS dazu führt, dass das Ambitionsniveau bei der Vermeidung von Emissionen aus fossilen Quellen heruntergeschraubt wird.“
Zu internationalen Kooperationen bei der Speicherung
„Derzeit ist die Speicherung von CO2 auf deutschem Gebiet rechtlich nicht erlaubt und die Planungen sehen zunächst vor, es zu Lagerstätten in Norwegen oder Dänemark zu bringen. Das ist sinnvoll, da dort bereits Teile der Infrastruktur und Kapazitäten verfügbar sind. Befragte in allen Ländern unserer Studie bewerten CCS aber signifikant positiver, wenn CO2 aus heimischen Anlagen auf dem eigenen Gebiet gespeichert wird, als wenn es sich dabei um importiertes CO2 aus anderen Ländern handelt. Viele finden, jedes Land sollte selbst die Verantwortung für seine Emissionen und deren Einlagerung übernehmen. Ähnliches gilt für die Kompensation heimischer Residualemissionen. Diese Argumente sprechen nicht grundsätzlich dagegen, dass über nationale Grenzen hinweg kooperiert werden sollte, aber sie legen nahe, dass auch in Deutschland überlegt werden sollte, wie und in welchem Umfang CO2 abgeschieden, sequestriert und gespeichert werden kann.“
Institutsleiter, Institut für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
Zur nötigen Größenordnung der gespeicherten oder genutzten Emissionen
„Da es anthropogene Treibhausgasemissionen gibt, die nicht vermieden werden können, müssen wir um ‚Netto-Null‘ bei den anthropogenen Treibhausgasemissionen zu erreichen, Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre und möglicherweise auch aus den Ozeanen entnehmen und dauerhaft einlagern.“
„Gemäß der Studie ‚Klimaneutrales Deutschland 2045‘ der Agora Energiewende wären das im Jahr 2045 allein für Deutschland 63 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. Etwa 11 Millionen Tonnen hiervon können durch naturbasierte Methoden wie beispielsweise Landnutzungsänderung oder Wiederverwässerung von Mooren der Atmosphäre entzogen werden. Der Großteil muss also entweder indirekt über die energetische Nutzung von Biomasse mit CO2-Abscheidung und Einlagerung (BECCS) oder direkt der Atmosphäre entzogen werden (DACCS). Beides hat Vor- und Nachteile. Da für BECCS nur nachhaltig gewonnene Biomasse genutzt werden kann, ist das Potenzial generell begrenzt und man wird nicht ohne DACCS auskommen. Da die Restemissionen nach 2045 erwartungsgemäß noch weiter zurückgehen werden, wird für 2050 für Deutschland noch von etwa 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten an erforderlichen netto negativen Treibhausgasemissionen pro Jahr ausgegangen.“
„Hinzu kommt, dass man in Zukunft neben Biomasse und Plastikabfällen CO2 auch als Kohlenstoffquelle für „erneuerbare“ chemische Produkte sowie Energieträger für technisch oder wirtschaftlich nicht elektrifizierbare Anwendungen benötigt. Das hierfür zum Einsatz kommende CO2 sollte nicht fossilen Ursprungs sein, zumindest bei Produkten, die eine kurze Lebensdauer haben. Andernfalls würde sich die der Atmosphäre zu entnehmende Menge CO2 entsprechend erhöhen.“
Zur Finanzierung von CCS und CCU
„Ich gehe deshalb davon aus, dass nach 2050 global mindestens eine Gigatonne CO2 (Eine Milliarde Tonnen; Anm. d. Red.) pro Jahr aus der Atmosphäre entnommen und eingespeichert werden muss. DAC ist im Gegensatz zu BECCS heute kommerziell noch nicht im größeren Maßstab verfügbar und die Kosten sind noch recht hoch. Es muss daher ein schneller Markthochlauf für DAC angereizt werden, damit in wenigen Jahrzehnten die erforderlichen Herstellkapazitäten für DAC-Anlagen vorhanden sind. Gleichzeitig müssen Infrastrukturen für die Einlagerung von CO2 im Untergrund geschaffen werden, konkret ein CO2-Pipelinenetz und die notwendigen Anlagen zur sicheren Einspeicherung von CO2 in ehemaligen Öl- und Gaslagerstätten unter dem Meeresboden sowie auch an Land. Wie auch die Infrastruktur für die Bereitstellung von Energie betrachte ich die Infrastruktur für netto negative Treibhausgasemissionen als eine für das Land kritische Infrastruktur, das heißt eine komplette Verlagerung ins Ausland halte ich für riskant.“
Zu den Speicherpotenzialen
„Die EU und auch Deutschland verfügt über ausreichend große Lagerstätten für die Speicherung von CO2 im Untergrund. Der Bevölkerung muss vermittelt werden, dass eine sichere Entsorgung des CO2 möglich und notwendig ist.“
Zu den Anteilen von CCS in Kraftwerken und Industrie, BECCS und DACCS
„Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Infrastruktur für die Einspeicherung des CO2 zuerst mit fossilem CO2 aus industriellen Punktquellen, wie etwa der Baustoffindustrie, der chemischen Industrie oder der Entsorgungswirtschaft (Müllheizkraftwerke), betrieben wird, weil diese aktuell vorhanden sind und weiterbetrieben werden und dort die Abscheidekosten viel geringer sind als bei DAC. Perspektivisch sollten fossile Punktquellen aber so weit wie möglich eliminiert werden, um die Menge des einzuspeichernden CO2 zu begrenzen. Als generelle Leitlinie gilt der Vorrang der Vermeidung beziehungsweise der Reduktion von Treibhausgasemissionen vor der Kompensation.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich sehe keine Interessenkonflikte.“
„Interessenskonflikte liegen nicht vor.“
„Es besteht kein Interessenkonflikt.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte in Bezug auf das Thema. Wir forschen an neuen Methoden für DAC im Rahmen mehrerer, mit öffentlichen und privaten Mitteln geförderter Projekte, unter anderem dem Helmholtz-Vorhaben DACStorE, einem Vorhaben der Bosch Forschungsstiftung und einem Vorhaben der Vector-Stiftung.“
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] CDRmare (2023): Carbon dioxide storage in geological formations below the German North Sea. Knowledge summary. DOI: 10.3289/CDRmare.18_V2.
[2] Bennaes A et al. (2024): Modeling a supply chain for carbon capture and offshore storage — A German–Norwegian case study. International Journal of Greenhouse Gas Control. DOI: 10.1016/j.ijggc.2023.104028.
[3] Rickels W et al. (2022): Procure, Bank, Release: Carbon Removal Certificate Reserves to Manage Carbon Prices on the Path to Net-Zero. Energy Research & Social Science. DOI: 10.1016/j.erss.2022.102858.
[4] Merk C et al. (2023): Carbon Capture and Storage - Publics in five countries around the North Sea prefer to do it on their own territory. Arbeitspapier.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] BDI, DGB, NABU, WWF (10.01.2024): Industrietransformation aus einem Guss: Gemeinsames Thesenpapier zur Einordnung von Carbon Management als Teil einer umfassenden Klimastrategie.
[II] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (30.01.2024): CCS: Breites Umweltbündnis warnt vor gefährlichem Irrweg. Pressemitteilung.
Matthias Honegger
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Perspectives Climate Group, und Perspectives Climate Research
Prof. Dr. Wilfried Rickels
Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Dr. Oliver Geden
Leiter Forschungscluster Klimapolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin
Dr. Christine Merk
stellvertretende Direktorin des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Prof. Dr. Roland Dittmeyer
Institutsleiter, Institut für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen