Weniger Pestizide durch neue Gentechnik?
laut EU-Kommission soll Zulassung von neuen gentechnisch veränderten Pflanzen helfen, den Einsatz von Pestiziden zu senken
NGOs halten dagegen, dass Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Vergangenheit oft zu mehr Pestizideinsatz führte
Forschenden zufolge kann neue Gentechnik einer von vielen notwendigen Ansätzen sein, um den Einsatz von Fungiziden und Insektiziden zu verringern
Die EU-Kommission plant, gentechnisch veränderte Pflanzen, die durch neue Methoden der Gentechnik (NGT) gezüchtet wurden, unter bestimmten Bedingungen aus der strengen Regulierung herauszunehmen. Der Vorschlag soll am 05.07.2023 vorgestellt werden, eine geleakte Version ist bereits verfügbar [I]. Diese Deregulierung könnte unter anderem dazu führen, dass mehr Sorten auf den Markt kommen, die resistent gegen Krankheitserreger sind. Das wiederum könnte dabei helfen, den Einsatz von Pestiziden zu verringern – so die Hoffnung der Kommission.
Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Auf die Frage nach dem Potenzial der neuen Gentechnik, zur Senkung des Pestizideinsatzes beizutragen:
„Es gibt zahlreiche Projekte, bei denen mithilfe der neuen Züchtungstechnologien Pflanzen entwickelt werden, die resistenter gegen Pilze, Viren, Bakterien und andere Schädlinge sind. Viele dieser Pflanzen wurden schon erfolgreich im Feld getestet, allerdings überwiegend außerhalb Europas, weil in der EU Feldtests für Gentech-Pflanzen derzeit fast unmöglich sind. Wenn die Zulassung in der EU vereinfacht wird, würden in naher Zukunft viele schädlingsresistente Pflanzen auf den Markt kommen, die hohe Erträge mit viel geringeren Pestizidmengen ermöglichen. Das wäre ein wichtiger Baustein, um das Ziel der Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zu erreichen – und zwar ohne, dass dabei die einheimische Produktion einbricht.“
Auf die Frage, wie stichhaltig der Einwand ist, dass neue Gentechniken den Einsatz von herbizidresistentem Saatgut und damit mehr Pestiziden begünstigen:
„Die von den NGOs angeführten Beispiele aus Brasilien und den USA beziehen sich auf die alte Gentechnik, nicht die neuen Züchtungsmethoden. Bei der alten Gentechnik gibt es bisher vor allem zwei Pflanzenmerkmale im großflächigen Einsatz: zum einen die Insektenresistenz, die den Insektizideinsatz deutlich senkt, und zum anderen die Herbizidtoleranz, die den Herbizideinsatz in den meisten Fällen nicht senkt, sondern zum Teil sogar steigert. Natürlich erwähnen gentechnikkritische NGOs nur diejenigen Beispiele, die in ihr Weltbild passen. Die Effekte hängen vom jeweiligen Merkmal ab und nicht von der Züchtungsmethode. Nicht alle Merkmale senken den Pestizideinsatz. Welche Merkmale wie eingesetzt Nachhaltigkeit fördern können, ist eine wichtige Frage, die weiter untersucht werden muss. Dabei hilft aber die Tabuisierung der Gentechnik nicht weiter.“
Auf die Frage, wie stichhaltig der Einwand ist, dass die Zulassung neuer Gentechniken zu stärkerer Abhängigkeit von Großkonzernen, geringerer genetischer Vielfalt im Pflanzenbau und damit höherem Pestizideinsatz führt:
„Die Dominanz weniger Großkonzerne im Bereich der Gentechnik kommt vor allem dadurch zustande, dass die Zulassungsverfahren so extrem langwierig und teuer sind. Das können sich kleinere Firmen nicht leisten. Wegen der hohen Regulierungskosten beobachten wir Entwicklungen nur bei den ganz großen Kulturarten, wie Mais, Raps, oder Soja. Für kleinere Kulturen lohnt sich das nicht. Wenn wir die Regulierung nun vereinfachen und damit viel kostengünstiger machen, könnten auch kleine Firmen und öffentliche Einrichtungen wieder mitspielen. Außerdem würden wir dann auch Entwicklungen bei viel mehr verschiedenen Kulturarten sehen. Die Forschung an sich ist nämlich recht einfach und kostengünstig. Bisher gibt es mit den neuen Züchtungstechnologien bereits Projekte an über 60 verschiedenen Kulturarten. Das ist sehr vielversprechend für mehr Diversität in den Systemen.“
Auf die Frage, wie die EU dafür sorgen könnte, dass neue GVOs die gewünschten positiven ökologischen Effekte haben:
„Die Richtung von Innovationen folgt stets konkreten wirtschaftlichen Anreizen. Damit tatsächlich Pflanzenmerkmale entwickelt und eingesetzt werden, die Pestizide einsparen, ist es richtig, den Pestizideinsatz politisch zu regulieren, denn dann entsteht seitens der Landwirte eine Nachfrage nach genau solchen Innovationen. Um Vielfalt von Kulturarten zu erreichen, kann man politisch eine Zahl von Kulturarten festlegen, die jeder Betrieb mindestens anbauen muss, denn dann entsteht eine Nachfrage nach Innovation in vielen Kulturarten. Kluge Politik kann und muss einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Innovationen sich in erwünschte und nachhaltige Richtungen entwickeln.“
Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung, Georg-August-Universität Göttingen
Auf die Frage nach dem Potenzial der neuen Gentechnik, zur Senkung des Pestizideinsatzes beizutragen:
„Der Verordnungsentwurf wird auf die aktuellen bis ins Jahr 2030 reichenden Pflanzenschutzreduktionsziele der EU keinen Einfluss mehr haben. Der Gesetzgebungsvorgang steht ja noch sehr am Anfang und es ist mit kontroversen Debatten zu rechnen. Selbst bei einem raschen Inkrafttreten sind keine sofortigen Effekte zu erwarten. Vieles befindet sich noch im Stadium der Grundlagenforschung. Die neuen Techniken können im besten Fall zwar die Züchtungsprozeduren beschleunigen, aber Feldprüfungen im Freiland und die Formalitäten des Sortenrechtes sind nach wie vor erforderlich und zeitintensiv.“
„Die Reduktionswirkung des vorliegenden Entwurfes auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist uneinheitlich einzuschätzen. Die größten Einspareffekte können dort erwartet werden, wo durch die Pflanzenzüchtung neue Abwehrmechanismen aus dem eigenen Genpool der Kulturpflanzen gegen Pflanzenkrankheiten etabliert oder bestehende Abwehrmechanismen gestärkt werden. Bei Sorten mit solchen Eigenschaften könnte also der Fungizidaufwand reduziert werden. Gentechnische Verfahren gegen den Insektenbefall von Kulturpflanzen greifen bisher zumeist auf fremde Gene zurück, zum Beispiel aus Bakterien (wie zum Beispiel Bt-Mais; Anm. d. Red.). Damit werden mit solchen Verfahren hergestellte Sorten voraussichtlich auch künftig keine bevorzugte Zulassung erhalten.“
Auf die Frage, wie stichhaltig der Einwand ist, dass neue Gentechniken den Einsatz von herbizidresistentem Saatgut und damit mehr Pestiziden begünstigen:
„Die Herbizidresistenz lastet seit den Neunzigerjahren im weltweiten Ackerbau wie eine schwere Hypothek auf den Gentechnikverfahren. Der Einsatz von Herbiziden ist dort, wo diese Kulturpflanzen angebaut wurden, nicht zurückgegangen. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Damit wurden etliche vor 30 Jahren gemachte Versprechungen nicht eingelöst. Der Herbizideinsatz und das Unkrautmanagement allgemein ist in diesen Produktionsverfahren nicht umweltgerechter geworden. Es ist auch bisher nicht absehbar, dass die neuen Züchtungstechniken dabei helfen werden, herbizidfreie oder herbizidreduzierte Verfahren auf den Weg zu bringen. Der Verordnungsentwurf scheint diese Erfahrungen zu berücksichtigen und klammert deshalb die Herbizidresistenzen bei den Privilegierungen der neuen Techniken kategorisch aus. Das halte ich für eine kluge Entscheidung, die gleichzeitig sichtbar macht, dass man sich bei dem Entwurf um eine breite Suche nach einem Kompromiss bemüht hat.“
Leiter der Gruppe Molekulare Pflanzenzüchtung, Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, Schweiz
„Seit Jahrzehnten spielt die Pflanzenzüchtung in der Landwirtschaft eine wichtige Rolle: Die Entwicklung neuer resistenter Pflanzensorten hilft, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und negative Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt zu verringern.“
„Die Argumentation, dass neue Züchtungsverfahren den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln begünstigen, bezieht sich auf die Herbizidtoleranz der ersten Generation gentechnologisch veränderter Pflanzen in einzelnen Ländern und wird der Breite von Eigenschaften, welche durch neue Züchtungsverfahren verbessert werden können, nicht gerecht. Tatsächlich beziehen sich über 92 Prozent der heute beschriebenen Anwendungen der Genom-Editierung bei Kulturpflanzen auf Toleranz gegenüber extremen Umwelteinflüssen, Krankheitsresistenz und Schädlingstoleranz, Produktqualität sowie Wachstums- und Ertragseigenschaften [1][2].“
„Zur Verbesserung der Krankheitsresistenz – und somit zur Reduktion des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes – sind neue Züchtungsverfahren besonders wertvoll: Sie erlauben es nicht nur, bekannte Resistenzquellen schnell in neue Sorten einzubringen, sondern auch Resistenz-Mechanismen nutzbar zu machen, welche mit herkömmlichen Methoden der Pflanzenzüchtung nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind. Aus den weltweit über 130 wissenschaftlich dokumentierten Beispielen, in welchen Kulturpflanzen mithilfe der Genom-Editierung bezüglich Krankheitsresistenz verbessert wurden [1][2], ist der Mehltau-resistente Weizen [3][4] und die Kraut- und Knollenfäule-resistente Kartoffel [5][6] besonders relevant für die landwirtschaftliche Produktion in Europa unter minimalem Pflanzenschutzmittel-Einsatz.“
„Von großer Bedeutung sind neue Züchtungsverfahren auch für Kulturen mit langer Generationszeit und komplexer Reproduktionsbiologie, wie beispielsweise den Apfel oder die Rebe [7] . Hier kann die Krankheitsresistenz verbessert werden, ohne die sortenspezifische Kombination von Eigenschaften zu verlieren. Dadurch können neue Eigenschaften – wie zum Beispiel Resistenz – mit guten Fruchteigenschaften am effizientesten kombiniert werden. Diese Verfahren können auch auf unterschiedliche Sorten angewendet werden und somit einen Beitrag zur Förderung der Agrobiodiversität dieser ökonomisch wichtigen Kulturen leisten.“
„Es ist wichtig anzumerken, dass der Einsatz neuer Züchtungsverfahren allein nicht ausreicht, um das Ziel der Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50 Prozent bis 2030 zu erreichen. Eine umfassende integrierte Schädlingsbekämpfung und ein nachhaltiges Pflanzenschutzmanagement, das verschiedene Ansätze kombiniert, sind hierzu notwendig. Es ist jedoch ebenso wichtig, dass das enorme Potenzial neuer Züchtungsverfahren für eine nachhaltige Landwirtschaft sinnvoll genutzt wird und die Methoden dazu nicht die Hände einiger weniger gespielt werden, welche sich unter der heutigen Gesetzgebung teure Deregulierungsverfahren leisten können. Es wäre wünschenswert, dass durch eine zeitgemäße Gesetzgebung das Potenzial neuer Züchtungsverfahren in Zukunft auch durch kleinere Züchtungsunternehmen genutzt werden könnte.“
„Insgesamt tragen neue resistente Pflanzensorten, unabhängig davon, ob sie konventionell oder mit Hilfe der Gentechnologie entwickelt werden, erheblich zur Nachhaltigkeit und Effizienz der Landwirtschaft bei. Sie ermöglichen eine Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln, was zu einer geringeren Umweltbelastung führt und die Produktivität der Landwirtschaft steigert. Durch die Förderung weiterer Forschung und Entwicklung in diesem Bereich können wir die Landwirtschaft zukunftsfähig gestalten und gleichzeitig die Herausforderungen des Pflanzenschutzes bewältigen.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Ich bin Mitglied des Forum Genforschung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT). Das Forum fördert einen differenzierten und sachlichen Umgang mit neuen Entwicklungen in der Genforschung. Dazu stellt es wissenschaftliche Informationen zu einem breiten Spektrum an gesellschaftsrelevanten Themen zur Verfügung und fördert auf dieser Basis den Dialog zwischen Forschung, Politik und Gesellschaft.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Datenbank des European Sustainable Agriculture Through Genome Editing (EU-SAGE). Stand: 04.07.2023.
[2] Dima O et al. (2022): Interactive database of genome editing applications in crops and future policy making in the European Union. Trends in Plant Science. DOI: 10.1016/j.tplants.2022.05.002.
[3] Wang Y et al. (2014): Simultaneous editing of three homoeoalleles in hexaploid bread wheat confers heritable resistance to powdery mildew. Nature Biotechnology. DOI: 10.1038/nbt.2969.
[4] Li S et al. (2022): Genome-edited powdery mildew resistance in wheat without growth penalties. Nature. DOI:10.1038/s41586-022-04395-9.
[5] Kieu NP et al. (2021): Mutations introduced in susceptibility genes through CRISPR/Cas9 genome editing confer increased late blight resistance in potatoes.Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-021-83972-w.
[6] Kümin M et al. (2023): Neue Züchtungstechnologien: Anwendungsbeispiele aus der Pflanzenforschung. Swiss Academies Communications. DOI: 10.5281/zenodo.7919401.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] ARC (15.06.2023): Leak – Draft NGT Regulation and Impact Assessment revealed. Agricultural and Rural Convention – ARC2020.
[II] Foodwatch (2023): Falsche Versprechen der Neuen Gentechnik. Pressemitteilung.
[III] BUND (06.06.2023): Echte Pestizidreduktion statt leerer Gentech-Versprechen. Pressemitteilung.
[IV] Foote N (16.05.2023): EU-Kommission bindet Gentechnik-Lockerung an Pestizidreduktion. Euractiv.
Prof. Dr. Matin Qaim
Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Dr. Horst-Henning Steinmann
Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Bruno Studer
Leiter der Gruppe Molekulare Pflanzenzüchtung, Department Umweltsystemwissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, Schweiz