Die „Letzte Generation" und die Debatte um Kipppunkte des Klimasystems
Die Bewegung „Letzte Generation“ tritt häufiger als „Letzte Generation vor den Kipppunkten“ auf – entspricht das dem Stand der Forschung?
Kippelemente des Klimasystems sind zentraler Teil der Klimadebatte, die Forschung dazu ist aber mit großen Unsicherheiten behaftet
Experten sehen die Namensgebung kritisch und unterstreichen die Unsicherheiten in der Forschung
Die Bewegung „Letzte Generation” tritt bei ihren Aktionen in jüngster Zeit zunehmend unter dem Namen „Letzte Generation vor den Kipppunkten” auf. Es scheint zwar eindeutig, dass wir uns in den letzten Legislaturperioden befinden, in denen die Politik noch wirksam gegen das Überschreiten der Pariser Klimaziele agieren kann. Dennoch bleibt die Frage, inwiefern die neue Selbstbezeichnung des Bündnisses möglicherweise einen Begriff nutzt – die Kipppunkte –, der in der öffentlichen Debatte missverstanden wird. Die ursprüngliche Namensgebung wird mit einem Tweet des damaligen US-Präsidenten Barack Obama aus dem Jahr 2014 in Verbindung gebracht: „Wir sind die erste Generation, die die Effekte des Klimawandels zu spüren bekommt und die letzte Generation, die etwas dagegen tun kann.“
Leiter der Arbeitsgruppe Dynamik des Paläoklimas, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Assoziierter Professor in der Arbeitsgruppe Paläoklimadynamik, Fachbereich Physik des Klimasystems, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM), Universität Bremen
„Der Name ‚Die letzte Generation vor den Kipppunkten” ist unsinnig. Gemeint ist wahrscheinlich ‚Die letzte Generation, die das Erreichen von Kipppunkten noch vermeiden kann‘. Wann die Kipppunkte erreicht werden, ist noch nicht ganz in der Wissenschaft geklärt. Es gibt sogenannte positive und negative Feedbacks, einige davon sind noch nicht ausreichend erforscht. Trotzdem sollte man potenzielle Gefahren und irreversible Änderungen des Klimas jetzt im Blick haben, die Energiewirtschaft umsteuern und nachhaltige Maßnahmen ergreifen.“
„Die Wissenschaft ist divers und kontrovers. Medien nehmen immer nur Teile der Wissenschaft wahr, das ist unvermeidlich. Das Klimasystem ist komplex und es gibt Nichtlinearitäten und irreversible Änderungen – das zeigen sowohl Modelle als auch Klimadaten aus der Erdvergangenheit. Im Detail ist allerdings nicht ganz klar, ob einzelne Phänomene wie zum Beispiel das Abschmelzen des arktischen Packeises irreversibel sind. Auch wenn das Abschmelzen des arktischen Meereises reversibel ist, wird der Verlust des sommerlichen arktischen Eises gravierende Auswirkungen haben – für das Klima, das Ökosystem, Extremereignisse und so weiter. Insofern ist der Fokus auf Kipppunkte nicht angemessen.“
„Etliche der Phänomene sind keine Kippelemente/-punkte, aber trotzdem sehr gravierend.“
Auf die Frage, inwiefern das Erreichen bestimmter Kipppunkte mit besonderen Risiken verbunden ist:
„Einige Kippunkte sind noch nicht ausreichend beforscht. In der Tat ist zum Beispiel der Verlust des Westantarktischen Eisschildes bei einer fortschreitenden Erwärmung sehr riskant und unwiederbringlich. Ein durchschnittlicher globaler Meeressspiegelanstieg von drei bis fünf Metern hätte enorme Auswirkungen auf den Menschen. In meinen Augen ist dies ein gutes Beispiel für ein eher regionales Phänomen mit globalen Auswirkungen.“
Auf die Frage, inwiefern eine Fokussierung der Debatte auf die Kipppunkte von anderen wichtigen klimarelevanten Fragestellungen wegführen könnte:
„Diskussionen in der Öffentlichkeit über wissenschaftliche Themen sind sehr relevant. Das betrifft ja nicht nur die Klimaproblematik. Einzelne Aspekte herauszugreifen, insbesondere wenn sie noch nicht verstanden sind, wird sich wahrscheinlich langfristig nicht als das richtige Vorgehen darstellen. Eine ‚Ablenkung‘ sehe ich nicht, aber man sollte sachlich bleiben, potenzielle Gefahren benennen und den Forschungsbedarf kommunizieren.“
„Die Dringlichkeit von Entscheidungen, das Aufsetzen von Rahmenbedingungen und die Umsetzung auf regionaler und globaler Skala sind von Klimaforschern seit Jahren und Jahrzehnten immer wieder betont worden. Neu ist in meinen Augen, dass nun damit auch eine Generationenfrage und die politische Verantwortung verknüpft wird. Das ist legitim und bringt es in gewisser Weise auf den Punkt.“
„Untergangsformulierungen wie ‚Letzte Generation‘ halte ich für nicht so optimal. Es klingt für mich zu passiv. Ich fände es besser, konsequente Wege in die kohlenstofffreie Energieversorgung zu fordern und zu verfolgen. Ich habe hier allerdings keine gute Idee, wie man das gut benennen könnte.Die Herausforderungen sind in der Tat mit drastischen (und möglicherweise abrupten) Klimawechseln sowie mit unserem Umgang mit den Ressourcen auf der Erde verknüpft. Da brauchen wir eine mutige Herangehensweise, weniger Apokalypse.“
Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage, Sektion Klimadynamik, Fachbereich Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
In Ergänzung des Statements von Gerrit Lohmann:
„Zunächst einmal ist es unwahrscheinlich, dass die Erwärmung selbst zu kippen droht, dass also eine moderate menschgemachte Erwärmung zu einer Freisetzung von Treibhausgasen aus natürlichen Systemen wie dem Permafrost in einem solchen Ausmaß führt, dass die Erwärmung sich verselbstständigt und gar nicht mehr aufzuhalten wäre. Andererseits gibt es im Klimasystem tatsächlich Elemente, die trotz einer allmählichen Erwärmung vergleichsweise schnell und zum Teil unumkehrbar kippen könnten. Eines der klarsten Beispiele hierfür ist der Grönländische Eisschild. Wenn dieser zunehmend abschmilzt, gelangt seine Oberfläche in tiefere und damit wärmere Luftschichten, wodurch die Schmelze weiter beschleunigt wird, bis große Teile des Eisschildes komplett verschwunden sind. Es könnte sein, dass die bisherige Erwärmung sogar bereits ausreicht, um diesen Kipppunkt in Gang zu setzen. Allerdings handelt es sich um einen langsamen Prozess, der viele Jahrhunderte andauern würde und an dessen Ende der globale Meeresspiegel um etwa sechs Meter höher liegen würde. Insgesamt gibt es noch einen hohen Forschungsbedarf zum Thema der Kipppunkte.“
Leiter der Arbeitsgruppe Dynamik des Klima-Vegetation-System, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg, und Direktor emeritus, Professor (i.R.) für Allgemeine Meteorologie,Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN), Meteorologisches Institut, Universität Hamburg
„Der Begriff ‚Klimakipppunkt‘ schürt Ängste, viel mehr als die Begriffe ‚Klimakatastrophe‘ oder ‚abrupte Klimaänderungen‘ dies in der Vergangenheit getan haben. Im öffentlichen Verständnis – zum Beispiel zu hören in Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von ‚Fridays for Future‘und insbesondere der ‚Letzten Generation‘– scheint der Begriff ‚Klimakipppunkt‘ wörtlich interpretiert zu werden in dem Sinne, dass das Klima – vielleicht sogar das globale Klima – schlagartig kippen könne, wenn ein bestimmter Wert der globalen Erwärmung überschritten werde. Dabei wird – nach meiner Wahrnehmung auch in den Medien und der Politik – nicht oder nur wenig beachtet, dass Klimakipppunkte stets im zeitlichen und räumlichen Kontext gesehen werden müssen.“
„Laut einer aktuellen Meta-Studie [1] haben die meisten zurzeit diskutierten Kippelemente nicht das Potenzial, das Klima abrupt, innerhalb nur weniger Jahre, zu ändern. Bei den Kippelementen mit der vermutlich größten Wirkung auf die menschliche Gesellschaft – den schmelzenden Inlandeismassen in Grönland und der Antarktis – dauert das ‚Kippen‘ eher Jahrhunderte oder Jahrtausende. Manche der vermuteten Kippelemente – wie das arktische Sommermeereis – zeigen kein Kippverhalten, sondern folgen direkt der globalen Erwärmung und gehen bei einem Rückgang der Erwärmung wieder in ihren gegenwärtigen Zustand zurück.“
„Die im Zusammenhang mit der anthropogenen Erwärmung in diesem Jahrhundert diskutierten Kipppunkte wirken hauptsächlich regional und würden eine globale Erwärmung von ungefähr 4,5 Grad – das ist das stärkste Klimaänderungsszenarium SSP 8.5 – nur um etwa 5 Prozent verstärken. Allerdings können auch nur regional wirkende Kippelemente zu erheblichen Folgen für Mensch und Ökosysteme in den betroffenen Regionen führen. Ob Extremwetter oder extreme Witterung – wie zum Beispiel Hitzewellen und Dürren – auf ein Kippverhalten der atmosphärischen Dynamik zurückzuführen sind, ist zurzeit noch nicht geklärt. Eine Zunahme von regionalen und lokalen Extremereignissen, die zu erheblichen sozioökonomischen Folgen führen, ist bereits jetzt zu erkennen. Manche der Folgen könnten gemindert oder gar vermieden werden, würden bereits jetzt Anpassungsmaßnahmen ergriffen.“
„Die meisten Studien zu Kippelementen werden mit stark vereinfachten Modellen durchgeführt. Dabei handelt es sich um Modelle, die die physikalischen und biologischen Modelle eher skizzieren und aufgrund ihrer Struktur bereits Kipppunkte beinhalten. Selbst komplexere Klimasystemmodelle beschreiben viele Prozesse in stark vereinfachter Form, sodass ihre Aussagen mit Vorsicht zu betrachten sind. Das Dilemma: Die Beschreibung von Kippelementen ändert sich mit der Komplexität der Klimasystemmodelle. In manchen Fällen verschwinden Klimakipppunkte, wenn kleinräumige Klimaprozesse – wie zum Beispiel Wolkenbildung oder die Struktur der Landoberfläche – in den Modellen realistischer dargestellt werden. Umgekehrt wird vermutet, dass viele Klimamodelle zu sehr auf Stabilität getrimmt werden. Mit quasi-realistischen, geografisch sehr fein auflösenden Modellen kann aufgrund ihres hohen Rechenaufwandes nicht nachgewiesen werden, ob überhaupt ein Kipppunkt vorliegt, also ein Übergang von einem Gleichgewichtszustand in einen anderen. Um festzustellen, ob ein Klimagleichgewicht vorliegt, müssten die Klimamodelle über eine sehr lange Zeit gerechnet werden, und dies ist mit den Modellen, die die Klimaprozesse im Kilometerbereich zu beschreiben gestatten, zurzeit noch nicht möglich.“
„Laut einer aktuellen Übersichtsstudie [1] sind nur zwei der aktuell diskutierten Kippelemente im Klimasystem gut bis sehr gut verstanden, die aber eigentlich keine Klimakippunkte sind: Der Verlust tropischer Korallenriffe und der Verlust des arktischen Sommermeereises. Der Verlust tropischer Korallenriffe hat im Wesentlichen sozioökonomische Folgen. Ihre Klimaeffekte sind vermutlich gering. Das arktische Sommermeereis ist im Gegensatz zu früheren Vermutungen kein Kippelement, denn es verschwindet im gleichen Tempo, mit der die Klimaerwärmung in dieser Region voranschreitet, und kehrt bei einer Klimaabkühlung wieder zurück. Regional können die Klimafolgen des Meereisschwundes bedeutend sein, ein Einfluss auf die globale Mitteltemperatur ist vermutlich kaum zu erkennen. Wann und wie das arktische Meereis ganzjährig, auch im Winter, verschwinden könnte, also ob das arktische Meereis insgesamt ein Kippelement ist, ist noch nicht geklärt. Am unsichersten zu beantworten ist die Frage nach der Kaskade von Kippelementen, die durchaus zu erheblichen Klimaänderungen führen könnte. Hierzu liegen aber nur einfache, eher konzeptionelle mathematische Modelle vor.“
Auf die Frage, inwiefern das Erreichen bestimmter Kipppunkte mit besonderen Risiken verbunden ist:
„Besonders riskant ist das Abschmelzen der Eismassen auf Grönland und der Antarktis, die zu einer Erhöhung des Meeresspiegels führen und damit die Menschen in allen Küstenbereichen bedroht. Ab welcher globalen Erwärmung das Abschmelzen beginnt, können wir noch nicht verlässlich berechnen. Die Abschätzungen reichen von plus 1,5 Grad bis plus 5 Grad globaler Erwärmung seit der industriellen Revolution – also eine Spannweite von ‚droht bereits jetzt zu beginnen‘ bis ‚erst bei drastischer globaler Erwärmung‘. Ebenfalls unklar ist, wie rasch das Abschmelzen geschehen kann. Die Abschätzungen reichen von Jahrhunderten bis Jahrtausende, also nicht abrupt in Bezug auf die menschliche Zeitskala von wenigen Jahrzehnten.“
„Ebenfalls sehr riskant dürfte eine Kaskade von großräumigen Kippelementen sein. Hierzu ist allerdings nur wenig bekannt. Eine Kaskade ist theoretisch vorstellbar, aber ob sie existiert, ist nicht klar. Entsprechend unsicher sind sämtliche Abschätzungen hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Geschwindigkeit, mit der die verschiedenen Kippelemente nacheinander kippen.“
„Manche Kippelemente wirken eher regional, wie das Auftauen des arktischen Permafrostes. Ein Auftauen des Permafrostes würde zusätzliche Treibausgase – vor allem Methan – freisetzen, aber die ‚Methanbombe‘, die zu einer drastischen globalen Erwärmung führt, hat sich als nicht mehr haltbare Vermutung herausgestellt. Das Auftauen des Permafrostes hat allerdings erhebliche sozioökonomische Konsequenzen, zum Beispiel Schäden in der Infrastruktur, und erhebliche negative Konsequenzen für die lokalen Ökosysteme.“
„Es gibt auch lokale Kippelemente, die bereits bei geringer lokaler Erwärmung oder Änderung der Niederschlagsverhältnisse aktiviert werden. Dazu gehören zum Beispiel natürliche Stauseen in Gebirgen oder durch Permafrost zusammengehaltene Felsformationen, die aufbrechen können und lokale Siedlungen und Ökosysteme unmittelbar bedrohen. In diesen Fällen einen Kipppunkt in Form eines Schwellwertes der globalen Mitteltemperatur anzugeben, erscheint nicht sinnvoll. Eine Bedrohung durch solche Kippelemente besteht bereits jetzt.“
Auf die Frage, inwiefern eine Fokussierung der Debatte auf die Kipppunkte von anderen wichtigen klimarelevanten Fragestellungen wegführen könnte:
„Ein Fokus nur auf Klimakipppunkte könnte ‚Nicht-Kipppunkte‘ – also Klimaänderungen, die bereits begonnen haben und stetig zunehmen – außer Betracht geraten lassen. Zu den ‚Nicht-Kipppunkten‘ gehören vermutlich Extremereignisse, also extreme Wetterlagen und extreme Witterungen. Hitzewellen nehmen bereits signifikant zu, Starkniederschläge und Dürren in manchen Regionen der Erde ebenfalls. Hier muss bereits jetzt mit Anpassungsmaßnahmen gehandelt werden. Nehmen wir zum Beispiel die Flutkatastrophe im Ahrtal. Wir wissen noch nicht, wieviel Klimawandel hinter dieser Flut steckt. Wir wissen aber, dass nicht nur das extreme Niederschlagsereignis, sondern viele andere Faktoren – wie eine nicht-nachhaltige Besiedlung und Bewirtschaftung der Böden – das extreme Niederschlagsereignis zur Katastrophe haben werden lassen – so wie die zahlreichen anderen ,Jahrhundertfluten’ in den vergangenen Jahrzehnten an der Oder, Elbe, Donau und deren Nebenflüssen.“
„Das Auftreten von Klimakipppunkten ist sozioökonomisch betrachtet ein sehr wichtiges Thema, da abrupte Änderungen zu sozioökonomischen Verwerfungen führen, während sich die Gesellschaft auf allmähliche Änderungen – also auch auf langsame, sich eher graduell ändernde Kippelemente – im Prinzip gut einstellen könnte – politisch stabile Verhältnisse vorausgesetzt. Und dieser Zusatz scheint mir besonders wichtig zu sein. Bei politischer Instabilität – vor allem bei gewalttätigen innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen – verliert eine Gesellschaft die Fähigkeit, weitere Treibhausgasemissionen zu verringern und sich an Klimaänderungen anzupassen. Neben den Klimakipppunkten gibt es auch gesellschaftliche Kipppunkte – tatsächlich stammt der Begriff Kipppunkt aus der Sozialwissenschaft [2]. Gesellschaftliche Kipppunkte können bedrohlicher sein als Klimakipppunkte, können aber auch positiv wirken, wenn sie zu verstärktem Klimaschutz führen. Daher ist die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen innerhalb einer Gesellschaft sowohl für die Vermeidung von zusätzlichen Treibhausgasemissionen, als auch für das Ergreifen von Anpassungsmaßnahmen wichtig.“
Leiterin der Arbeitsgruppe Eisdynamik im Department Erdsystemanalyse sowie Co-Leiterin des Future-Lab Erdsystem-Resilienz im Anthropozän, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam, und Professorin am Institut für Physik und Astronomie, Universität Potsdam
„Kippelemente sind wichtige Elemente für das Erdsystem und damit für unser Leben auf dem Planeten, bei denen selbstverstärkende Prozesse zu weitreichenden, teils unumkehrbaren Veränderungen führen können. Ein Beispiel ist der Grönländische Eisschild: Durch die fortschreitende Erderwärmung kommt es verstärkt zu Schmelzen an der Oberfläche des Eisschildes – sinkt diese hierdurch in niedrigere Lagen ab und wird somit wärmeren Temperaturen ausgesetzt, kann dies wiederum das Schmelzen weiter verstärken. Ab einer kritischen Temperatur kann diese Rückkopplung zu anhaltendem Eisverlust und einem langfristigen Anstieg des Meeresspiegels führen.”
„Auch in anderen Teilen des Erdsystems, wie dem Westantarktischen Eisschild oder dem Amazonas-Regenwald, gibt es solche potenziellen Kipppunkte. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats IPCC kommt zu dem Schluss, dass die Gefahr, solche Kipppunkte zu überschreiten, im Bereich von 1,5 bis 2,5 Grad Erderwärmung von ‚moderatem Risiko’ auf ‚hohes Risiko' anwächst.”
„Klar ist: Angesichts der potenziell einschneidenden Folgen sollten wir dieses Risiko verschwindend gering halten. Jedes Zehntelgrad zählt, deshalb ist und bleibt die Diskussion über Klimafolgen so wichtig. Dies gilt jedoch nicht nur bezüglich der Kipppunkte, sondern beispielsweise auch mit Blick auf die bereits heute spürbare Zunahme von Extremen wie Hitzewellen oder Dürren und ihre verheerenden Folgen für Menschen rund um den Globus.”
„Oft missverstanden: Werden Kipppunkte überschritten, passiert nicht von heute auf morgen eine Katastrophe. Doch das Überschreiten dieser Schwellenwerte kann fundamentale Veränderungen auslösen, die die Zukunft von Teilen unseres Erdsystems mitunter auf hunderte oder tausende Jahre vorausbestimmt.”
„Auch oft missverstanden: Eine konkrete Erwärmungsschwelle, die alle Kippelemente gleichzeitig zum Kippen bringen würde, gibt es nicht. Doch viele Kippelemente im Erdsystem sind miteinander verknüpft, und das kann ein Problem werden. Denn die Wechselwirkungen zwischen diesen Elementen können dafür sorgen, dass kritische Temperaturschwellen sich verändern und einzelne Elemente schneller an einen Kipppunkt gelangen, an dem sie sich langfristig destabilisieren.”
„Ich sehe keinen Interessenkonflikt.“
„Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“
„Ich sehe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
McSweeney R (2020): Explainer: Nine ‘tipping points’ that could be triggered by climate change. CarbonBrief.
Armstrong McKay et al. (2022): Exceeding 1.5°C global warming could trigger multiple climate tipping points. Science. DOI: 10.1126/science.abn7950.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Wang S et al. (2023): Mechanisms and Impacts of Earth System Tipping Elements. Review in Review of Geophysics. DOI: 10.1029/2021RG000757.
[2] Gladwell M (2001): The Tipping Point: How little things can make a big difference. Little, Brown and Company. SBN-13: 9780349113463.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Lenton TM et al. (2008): Tipping elements in the Earth’s climate system. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.0705414105.
Prof. Dr. Gerrit Lohmann
Leiter der Arbeitsgruppe Dynamik des Paläoklimas, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Assoziierter Professor in der Arbeitsgruppe Paläoklimadynamik, Fachbereich Physik des Klimasystems, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM), Universität Bremen
Dr. Helge Goessling
Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage, Sektion Klimadynamik, Fachbereich Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Prof. Dr. Martin Claußen
Leiter der Arbeitsgruppe Dynamik des Klima-Vegetation-System, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg, und Direktor emeritus, Professor (i.R.) für Allgemeine Meteorologie,Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN), Meteorologisches Institut, Universität Hamburg
Prof. Dr. Ricarda Winkelmann
Leiterin der Arbeitsgruppe Eisdynamik im Department Erdsystemanalyse sowie Co-Leiterin des Future-Lab Erdsystem-Resilienz im Anthropozän, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam, und Professorin am Institut für Physik und Astronomie, Universität Potsdam