Kann das Deutschlandticket eine Verkehrswende einleiten?
Nachfolger des 9-Euro-Tickets wird das Deutschlandticket für 49 Euro
Forschende: Ein Schritt in die richtige Richtung – Mobilitätsverhalten kann sich damit anpassen.
Preis könnte aber zu hoch sein, Geld für Infrastrukturausbau muss noch kommen
Der Nachfolger des 9-Euro-Tickets ist nun also unterwegs, gestern haben sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie Bundeskanzler Olaf Scholz auf eine gemeinsame Finanzierung geeinigt. Damit können sich nun die Bundesländer auf die genaue Form des „Deutschlandtickets“ einigen. Die Verkehrsminister der Länder hatten dafür bereits vor rund drei Wochen Eckpunkte vorgelegt. Demnach soll das Ticket bundesweit und mit einheitlichem Tarif im öffentlichen Personennahverkehr gültig sein, 49 Euro im Monat kosten und als Abonnement verkauft werden. Einzelne Länder wollen daneben auch ein Ticket für 29 Euro anbieten, als Sozialticket.
Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
„Das Deutschlandticket für 49 Euro ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, der Schwung aus dem Sommer konnte nicht mitgenommen werden.“
„Zum Eckpunkteprogramm: Gut ist ein bundesweit einheitlicher Tarif. Die Frage, die sich als nächstes stellt, ist allerdings: Wofür brauchen wir dann noch die Verkehrsverbünde?“
„49 Euro sind zu teuer und gegenüber einer Reihe von bestehenden Angeboten nicht deutlich besser! Außerdem bleibt das Leistungsversprechen auf ÖPNV und SPNV begrenzt: Was fehlt sind „erste und letzte“ Meile – also die Wege zu und von den Haltestellen – sowie der Fernverkehr.“
„Ein Monatspreis von 29 Euro wäre auch deshalb besser, weil er mehr Menschen adressiert und deutlich mehr Schwung in Richtung Umstieg schafft. Denn immer deutlicher wird: Das 9-Euro-Ticket hat in den drei Monaten in den Ballungsräumen doch eine leichte Verschiebung des Modal Splits zugunsten des öffentlichen Nachverkehrs geschafft.“
Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)
„Die Einigung von Bund und Ländern auf das ,Deutschlandticket‘ birgt auf Basis der vorliegenden Informationen – wichtige Details sind noch unklar – mehr Schatten als Licht: Einerseits ist die Unterstützung der Politik für den öffentlichen Verkehr zu begrüßen. Andererseits ist diese Förderung nicht zielgerichtet: Für viele Nutzer in den Städten wird sich wenig ändern – der Preis liegt im Bereich heutiger Abopreise in den Städten. Große Profiteure sind Fahrgäste im ,Speckgürtel‘, die lange Strecken pendeln und eher nicht zu den sozial Benachteiligten gehören. Ihre Fahrpreise sinken deutlich.“
„Derzeit gibt es noch keine Infos, ob das Ticket nur im Abo verkauft wird, von diesen Konditionen wird maßgeblich abhängen, wie weit auch Gelegenheitskunden das Angebot nutzen werden. Diese Gelegenheitskunden haben mit dem 9-Euro-Ticket maßgeblich zur Überlastung des Systems beigetragen.“
„Das große Fragezeichen liegt bei der Finanzierung: Bund und Länder wollen je 1,5 Milliarden Euro jährlich bereitstellen, der Bund erhöht zudem die Mittel für den Nahverkehr an die Bundesländer um eine Milliarde Euro jährlich. Diese zusätzlichen Mittel sind erforderlich, um die Kostensteigerungen abzufangen, es sind keine Mittel in Sicht, um Kapazität und Qualität des öffentlichen Verkehrs auszubauen. Der Sommer hat gezeigt, dass auf vielen Strecken die Kapazität der Eisenbahn erschöpft ist.“
„Wichtiger als Preissenkungen wäre es, die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs so auszubauen, dass Wachstum möglich wird. Die Einigung von Bund und Ländern trägt nicht dazu bei. Die drei Milliarden Euro Unterstützung für das neue Ticket sind mehr, als der Bund für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ausgibt. Leider ist es ein gängiges Muster der Politik, die Wähler lieber kurzfristig mit konsumptiven Subventionen zu erfreuen, als Geld in den Ausbau der Infrastruktur zu investieren.“
Leiter der Forschungsgruppe "Flexible Transport Systems and Complex Urban Dynamics", Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", Technische Universität Dresden
„Die Bundes- und Landesregierungen gehen mit dem vorgesehenen Deutschlandticket einen wegweisenden Schritt zur vereinfachten, nachhaltigen und sozial gerechten Mobilitätswende.“
„Durch die geplanten Maßnahmen wird ein ausgewogener Kompromiss gefunden, der zum einen die Nachfrage über den Preis fördert und zum anderen den notwendigen Ausbau des Angebots ermöglicht. Der aktuell angestrebte Preis für das Ticket, Inklusive möglicher Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen, liegt ungefähr in einem Bereich, den sowohl wir an der TU Dresden als auch die Forschenden aus München in ihren Umfragen für akzeptabel beziehungsweise attraktiv identifizierten. Da diese erfragten Preise im Rahmen steigender Energie- und Transportkosten ermittelt worden sind, sollten diese mittelfristig erneut überprüft werden.“
„Für den Erfolg des geplanten Deutschlandtickets ist auch die längerfristige Einführung relevant: Fahrgäste können ihr Mobilitätsverhalten mit dem Ticket und dem erforderlichen finanziellen Aufwand besser abschätzen. Die Planungssicherheit der Fahrgäste kann über ein verändertes Mobilitätsverhalten dazu führen, langfristige Investitionen umzulenken, Mobilitätsbedürfnisse besser zu identifizieren und folglich den Ausbau des Angebots passgenau zu steuern.“
„Vorab erkläre ich, dass ich keinerlei Interessenkonflikten unterliege: Ich unterhalte weder zum BMDV noch zu Länderministerien noch zu Verkehrsunternehmen geschäftliche Beziehungen, mir sind auch keine Vorteile von einem dieser Organisationen in Aussicht gestellt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2022): 9-Euro-Ticket: Forschende ziehen mithilfe neuer Daten Bilanz. Press Briefing. Stand 02.09.2022.
Prof. Dr. Andreas Knie
Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Prof. Dr. Christian Böttger
Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)
Dr. Jan Schlüter
Leiter der Forschungsgruppe "Flexible Transport Systems and Complex Urban Dynamics", Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", Technische Universität Dresden