Ringen um antarktische Meeresschutzgebiete geht weiter
Antarktis-Kommission diskutiert bis Freitag wieder über neue Meeresschutzgebiete
Russland und China blockieren seit Jahren wegen wirtschaftlicher Interessen
Einigung weiterhin unwahrscheinlich; Schutzgebiete wären wichtig für lokale Ökosysteme und globale Meeresschutz-Ziele
Die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) tagt bis zum 04.11.2022 und diskutiert wieder einmal über mögliche Meeresschutzgebiete im Südpolarmeer. Seit Jahren blockieren Russland und China eine Einigung. Beide Länder betreiben in der Gegend Fischerei, vor allem auf antarktischen Krill und Seehecht. In der CCAMLR sind 24 Länder und die EU vertreten, Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden. Ob es in diesem Jahr auf der Konferenz in Hobart, Australien, zu einer Einigung kommen wird, ist fraglich.
Leiter der Sektion Funktionelle Ökologie, Fachbereich Biowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Stellvertretender Direktor, Helmholtz-Institut für Funktionelle marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB)
Das folgende Statement ist eine aktualisierte Version des Statements aus der ursprünglichen Aussendung vom Oktober 2021 [II].
„Die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) hat es in den letzten Jahren nicht geschafft, weitere große Meeresschutzgebiete in der Antarktis zu beschließen. Die 27 Mitgliedsländer konnten sich nicht darauf verständigen, dass die drei Vorschläge für Meeresschutzgebiete in der Ost-Antarktis, an der Antarktischen Halbinsel und im Weddellmeer auf ausreichender wissenschaftlicher Grundlage beruhen und im vorgeschlagenen Umfang notwendig sind. Auch bei den Forschungs- und Monitoringplänen zu den bestehenden Meeresschutzgebieten bei Südgeorgien und im Rossmeer gab es keine Fortschritte.“
„Die eigentliche Aufgabe der CCAMLR ist der Erhalt und die sinnvolle Nutzung ebender Ressourcen der Antarktis. Die CCAMLR reguliert also die antarktische Fischerei, die hauptsächlich den Krill und den Schwarzen Seehecht betrifft. Dies geschieht auf der Basis des Vorsorgeprinzips und des ökosystembasierten Managements. Meeresschutzgebiete sind eine von vielen möglichen Managementmaßnahmen. Der Schwerpunkt der Arbeit der CCAMLR liegt aber auf dem direkten Management der Fischerei.“
„Die Kommission beschließt auf der Basis der Empfehlungen des Wissenschaftsausschusses der CCAMLR Maßnahmen für jeden Bestand. Diese reichen von ‚closed fishery‘ – das heißt keinerlei Befischung – bis zu exakten jährlichen Fangquoten. Die Kommission entscheidet auch über die Fangsaison und über die erlaubten Fangtechniken. Besonders wichtig ist dabei, dass Seevögel, Pinguine und Robben durch die Fischerei nicht beeinträchtigt werden. Die strengen Auflagen werden durchgesetzt: Jedes Fischereischiff hat einen Beobachter eines anderen CCAMLR-Mitglieds an Bord, die Fangmengen müssen umgehend an CCAMLR gemeldet werden und jede noch so kleine Regelverletzung – zum Beispiel der Verlust von Fanggeräten – muss an CCAMLR berichtet werden und wird genau untersucht. Es gibt kaum eine Fischerei auf der Welt, die umfassender reguliert wird. Das eigentliche Problem ist aber illegale Fischerei auf den Schwarzen Seehecht. Dagegen hat die CCAMLR keine direkte Handhabe, denn der Antarktische Ozean ist ein internationales Gewässer. Die CCAMLR versucht auf der politischen Ebene zu erreichen, dass kein Staat diese gut organisierten und gut vernetzten Aktivitäten unterstützt.“
„Die vorgeschlagenen antarktischen Meeresschutzgebiete wären ein wichtiger Baustein eines globalen Netzwerks von Schutzgebieten, das alle wichtigen marinen Ökosysteme abdecken sollte. Zudem wären sie der entscheidende Schritt hin zum Erreichen des Ziels, zehn beziehungsweise 30 Prozent der Meeresfläche unter Schutz zu stellen.“
„Jedes der vorgeschlagenen antarktischen Meeresschutzgebiete ist in sich besonders. Zum Beispiel ist das Gebiet um die antarktische Halbinsel hochproduktiv, das heißt reich an Plankton, Krill und Fischen, während das Weddellmeer im südwestlichen Teil dauerhaft von Meereis bedeckt ist. Das ist auch ein wesentliches Argument für seinen Schutz. Sollte das antarktische Meereis im Zuge des Klimawandels stark abnehmen, wäre das südwestliche Weddellmeer ein Rückzugsort für alle Arten, die auf das Eis angewiesen sind.“
„Auch dieses Jahr haben wir nur wenig Hoffnung, dass der CCAMLR ein Durchbruch gelingt. Sollten die drei Meeresschutzgebiete wieder nicht beschlossen werden, wäre das kurzfristig kein Drama, denn diese Gebiete sind ja nicht unmittelbar durch menschliche Aktivitäten bedroht. Der antarktische Kontinent ist unbewohnt, es gibt keine kommerzielle Schifffahrt, Tourismus beschränkt sich auf kleine Gebiete an der antarktischen Halbinsel, der Abbau von Rohstoffen ist verboten und die Fischerei ist durch die CCAMLR gut kontrolliert.“
„Allerdings wären Meeresschutzgebiete aus Sicht des Vorsorgeprinzips auch heute schon sinnvoll, weil sie die zukünftige Nutzung – zum Beispiel durch Fischerei – des Gebiets einschränken würden. Und genau das ist meines Erachtens der entscheidende Grund dafür, dass sich die CCAMLR-Mitglieder nicht auf diese Meeresschutzgebiete verständigen können. Die Nationen, die in der Antarktis Fischerei betreiben und in Zukunft betreiben wollen, sind der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Gebiete vor allem durch ihre Größe die zukünftige Entwicklung der Fischerei – die ja noch niemand genau kennt – zu sehr einschränken. Vor allem Russland und China machen sehr deutlich, dass sie diesen Vorschlägen nicht zustimmen werden.“
„Die Fronten sind also verhärtet. Die Befürworter halten eisern an ihren Vorschlägen fest, die Gegner lehnen sie ebenso entschlossen ab. Da die CCAMLR alle Beschlüsse einstimmig fassen muss, bewegt sich nichts. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wird der Knoten auf höchster politischer Ebene durchschlagen oder aber Befürworter und Gegner nehmen sich die Aufforderung der japanischen Delegation zu Herzen: ‚Nehmt die inhaltliche Diskussion wieder auf, nur so kann ein gemeinsamer Weg gefunden werden.‘ Das könnte funktionieren: Wir gehen alle einen Schritt zurück, oder auch zwei, werden bescheidener in unseren Forderungen – auch wenn es schmerzt – und haben mehr Geduld. Dann können wir uns hoffentlich in einigen Jahren über funktionierende antarktische Meeresschutzgebiete freuen.“
„Einen kleinen Lichtblick gibt es dieses Jahr aber doch: Der CCAMLR-Wissenschaftsausschuss wird der Kommission empfehlen, Fischnester – das heißt Gebiete, in denen Fische ihre Eier am Meeresboden ablegen und dort bewachen – in die Liste der ,Verletzlichen Meeresökosysteme‘ (Vulnerable Marine Ecosystems, VME) aufzunehmen. In solchen Gebieten ist Fischerei am Meeresboden prinzipiell verboten. Zudem wird der Wissenschaftsausschuss der Kommission empfehlen, das kürzlich im Weddellmeer entdeckte, über 1000 Quadratkilometer große Gebiet mit Fischnestern als ,Verletzliches Meeresökosystem‘ auszuweisen [1].“
Professorin am Institut für Chemie und Biologie des Meeres, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, und Gruppenleiterin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Wissenschaftliches Mitglied am Helmholtz-Institut für Funktionelle marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB)
Das folgende Statement ist eine aktualisierte Version des Statements aus der ursprünglichen Aussendung vom Oktober 2021 [II].
„Die Fischerei im Südpolarmeer wird durch die CCAMLR reguliert und hat in den letzten zehn Jahren extrem zugenommen. Die Krill-Fangquoten werden in einzelnen Gebieten an der antarktischen Halbinsel immer früher im Jahr erreicht, so dass diese geschlossen werden müssen. Das erhöht wiederum den Fischereidruck in anderen Regionen im atlantischen Sektor des Südpolarmeers, so dass auch dort bald die angesetzten Fangquoten ausgeschöpft sind.“
„Die Krill-Fischerei, die früher nur im antarktischen Sommer aktiv war, ist – durch den Rückgang des Meereises im Winter – fast ganzjährig im atlantischen Sektor des Südpolarmeers aktiv. In dem Krill-Fischereigebiet nahe der antarktischen Halbinsel sind heutzutage die Krill-Fangaktivitäten räumlich und zeitlich so konzentriert wie niemals zuvor.“
„Eine der neuen Herausforderungen der CCAMLR ist, das Krill-Fischereimanagement gemäß der neuen Krill-Fischereiaktivität zu reformieren, so dass das Ökosystem nicht gefährdet wird. Diese Frage hat in diesem Jahr und wird in Zukunft einen großen Raum in der CCAMLR einnehmen. Durch die momentane weltpolitische Situation der westlichen Welt mit Russland und China ist es fraglich, wie diese Reformen zeitnah zu realisieren sind. Bezüglich der diskutierten Meeresschutzgebiete haben sich die Fronten sehr verhärtet, so dass sich in dieser Richtung wahrscheinlich in den nächsten Jahren gar nichts bewegen wird.“
Ko-Direktorin am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Das folgende Statement stammt aus der ursprünglichen Aussendung vom Oktober 2021 [II]. Der Expertin zufolge sind alle Aussagen weiterhin gültig.
„Die Fischerei im Südpolarmeer wird in erster Linie durch das Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis und die dadurch gegründete Kommission CCAMLR geregelt. Die Kommission beschließt unter anderem Fangmengen für verschiedene wirtschaftlich relevante Arten – Krill und Fische – unter Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise. Die Einhaltung von Standards wird durch verschiedene Maßnahmen sichergestellt, zum Beispiel durch Beobachter an Bord und Berichtspflichten. Die Kommission hat aber keine Möglichkeiten, effektiv gegen illegale Fischerei vorzugehen. Angesichts wachsenden Drucks auf marine Ökosysteme in der Antarktis durch den Klimawandel stellt die Überfischung durch genehmigte und illegale Fischereiaktivitäten eine Bedrohung dar. Das Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag enthält ein Moratorium bezüglich der Ausbeutung nicht-lebender Ressourcen des Meeresbodens in Form von zum Beispiel Öl und Gas.“
„Die angestrebten Schutzgebiete stellen objektiv große Bereiche des Ozeans unter Schutz und können so als Rückzugsgebiete dienen. Die Lage entspricht dem Netzwerkcharakter, an verschiedenen Stellen des Südpolarmeers Schutzgebiete einzurichten und dadurch Forschung an der Effektivität der Schutzmaßnahmen zu ermöglichen.“
„Die Antarktis ist durch die Versauerung und Erwärmung besonderem Druck ausgesetzt, während sie gleichzeitig einen bedeutsamen Faktor der Klimastabilität darstellt. Industrielle Fischerei erhöht den Druck auf Bestandteile des Ökosystems, zum Beispiel Krill, ohne dass die Folgen im Zusammenhang mit dem Klimawandel abschließend erforscht wären. Ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten ist zumindest ein Ansatz, um den Druck durch menschliche Eingriffe auf besonders sensible Ökosysteme stellenweise zu reduzieren. Meeresschutzgebiete allein werden die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Antarktis und den übrigen Planeten aber nicht aufhalten.“
„Meiner Einschätzung nach sollte weiter versucht werden, die Gegner der antarktischen Meeresschutzgebiete zum Einlenken zu bewegen. Auch in dem langen Prozess um das Meeresschutzgebiet im Rossmeer gab es schließlich Kompromisse und Zustimmung.“
Auf die Frage, wie realistisch es noch ist, dass das in den UN-Nachhaltigkeitszielen festgesetzte Zehn-Prozent-Ziel zum Meeresschutz in Zukunft erreicht wird:
„Das Festhalten an einer Zahl ist für den politischen Prozess sicherlich sinnvoll. Wichtiger ist aber, wie das Schutzniveau ausgestaltet ist, zum Beispiel ob Fischerei eingeschränkt oder verboten ist, und ob die Einhaltung sichergestellt werden kann. Auch kommt es rechtlich darauf an, wo sich diese Gebiete befinden und wer dementsprechend die Regelungs- und Durchsetzungskompetenz besitzt. Für die hohe See gibt es keine abschließenden Regelungen zu marinen Schutzgebieten, weil die Verhandlungen zu einem Abkommen zum Schutz biologischer Vielfalt in Bereichen außerhalb nationaler Hoheitsgewalt nicht abgeschlossen sind. Ich bezweifle, dass in Zukunft zehn Prozent der Meere effektiv unter Schutz gestellt werden, sodass verschiedene Tätigkeiten einschließlich der Ausbeutung von Ressourcen untersagt und Verstöße geahndet werden.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Purser et al. (2022): A vast icefish breeding colony discovered in the Antarctic. Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2021.12.022.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Deutsche Stiftung Meeresschutz (19.10.2021): Keine neuen Antarktis-Schutzgebiete.
Hier finden Sie eine Karte der vorgeschlagenen antarktischen Meeresschutzgebiete.
[II] Science Media Center (2021): Keine neuen Meeresschutzgebiete in der Antarktis. Rapid Reaction. Stand: 29.10.2021.
Dies ist die ursprüngliche Aussendung, in der sich die Forschenden für das SMC nach der Konferenz der CCAMLR in 2021 äußerten.
Prof. Dr. Thomas Brey
Leiter der Sektion Funktionelle Ökologie, Fachbereich Biowissenschaften, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Stellvertretender Direktor, Helmholtz-Institut für Funktionelle marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB)
Prof. Dr. Bettina Meyer
Professorin am Institut für Chemie und Biologie des Meeres, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, und Gruppenleiterin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Wissenschaftliches Mitglied am Helmholtz-Institut für Funktionelle marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB)
Prof. Dr. Nele Matz-Lück
Ko-Direktorin am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel