ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme legt ihre ersten Empfehlungen vor
ExpertInnenkommission Gas und Wärme legt Zwischenbericht vor
Entlastung im Doppelschritt: Im Dezember Einmalzahlung, Entlastung für 80 Prozent des Abschlags ab März 2023
Forschende: Entlastung grundsätzlich gut und sinnvoll, Vorschlag enthält jedoch auch Probleme
Der Staat soll private Gaskunden in zwei Schritten entlasten: Als erstes könnte er den Monatsabschlag der Kunden für Dezember 2022 übernehmen. Als zweites könnte der Preis pro Kilowattstunde Gas ab März aufgeteilt werden: 80 Prozent des Abschlags würden auf einen Preis von 12 Cent pro Kilowattstunde subventioniert, die restlichen 20 Prozent müsste der Verbraucher in voller Höhe übernehmen. Die Differenz zwischen den garantierten 12 Cent und dem tatsächlichen Preis soll der Staat ausgleichen. Auch wer am Ende des Jahres weniger als 80 Prozent verbraucht hat, muss diese Unterstützung nicht zurückerstatten. So soll der Sparanreiz vollständig erhalten bleiben. Ähnlich soll auch die Industrie entlastet werden. Hier soll ab Januar für 70 Prozent des normalen Verbrauchs eine staatliche Entlastung gezahlt werden. Das sieht der Vorschlag der ExpertInnenkommission Gas/Wärme vor, der heute in Berlin vorgestellt wurde (siehe Primärquelle). Der Gaspreisdeckel soll bis April 2024 laufen.
Abteilungsleiterin in der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
„Grundsätzlich ist es sinnvoll, dass Gaskosten, die durch die hohen Marktpreise entstehen, entlastet werden. Die Belastung durch die hohen Energiepreise ist enorm, deswegen sind Entlastungen sinnvoll. Die vorgeschlagene Einmalzahlung im Dezember 2022 ist grundsätzlich richtig, aber es auf die Abschlagszahlung des Vormonats (September 2022; Anm. d. Red.) zu beziehen, kann Ungerechtigkeiten hervorbringen. Kunden, die zum Beispiel schon sehr viel Gas eingespart haben, werden dafür bestraft, indem sie weniger Entlastung bekommen. Da wäre eine Pauschalzahlung pro Kopf sinnvoller gewesen, die besteuert wird, um den sozialen Ausgleich zu erhalten.“
„Wenn schon an Verbrauchszahlen orientiert wird, dann im Vergleich zu Vorjahreswerten, damit mögliche Einspareffekte berücksichtigt werden können. Noch besser wären Prämien für das Energiesparen, um zu vermeiden, dass der Gasverbrauch so stark nach oben geht.“
„Ich sehe die große Gefahr, dass nicht ausreichend Gas eingespart wird, weil den Menschen und Unternehmen suggeriert wird, ihre Energiekosten würden weitestgehend übernommen. Das wäre das falsche Signal. Nicht die Gaspreise müssen gedeckelt werden, sondern die Gaskosten. Und das gelingt am besten, indem das Sparen belohnt wird – oder durch eine pauschale Zahlung, die auch sozial differenziert werden kann. Die pauschale Zahlung hätte zudem den Vorteil, dass es ein Instrument ist, welches bereits etabliert ist.“
„Den Preis für 80 Prozent des Bedarfs auf 12 Cent je Kilowattstunde festzulegen, ist ein sehr teures Instrument, welches sozial nicht ausreichend differenziert, da auch hohe Einkommensbezieher Entlastung bekommen, obwohl sie es nicht benötigen.“
„Zudem ist die Gefahr von Mitnahmeeffekten der Versorger groß. Da die Preise derart hoch subventioniert werden, ist die Gefahr groß, dass Versorger Preise und somit Margen willkürlich erhöhen. Daher muss Transparenz geschaffen werden und Versorger müssen verpflichtet werden, transparent zu machen, welche eigene Kostenkalkulation der Preisgestaltung gegenübersteht. Die Politik sollte regulierend eingreifen.“
„Auch die Industrie sollte für das Sparen belohnt werden, Prämien für Gassparen wären sinnvoller.“
Leiter der Forschungsgruppe „Prosoziales Verhalten“, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
„Unter den aktuellen Umständen finde ich die Vorschläge grundsätzlich gut. Insbesondere ist klar zu erkennen, dass die Kommission Anreize zum Energiesparen erhalten wollte. Zudem soll die Einmalzahlung einkommenssteuerpflichtig sein, was die verteilungspolitischen Effekte etwas verbessert. Jedoch gibt es auch Probleme, zum Beispiel:“
„Das Verfahren ist ungerecht in dem Sinne, dass es bisherige Energiesparer schlechter stellt als Haushalte, die viel Energie verbrauchen. Und zwar folgendermaßen: Stellen Sie sich vor, ein Haushalt zahlt 100 Euro Abschlag, lebt aber zu 100 Prozent ‚energieeffizient‘ (beispielsweise ein Haushalt mit vier Personen, der sparsam lebt). Ein anderer Haushalt zahlt ebenfalls 100 Euro, ist aber nur zu 50 Prozent energieeffizient (beispielsweise ein kleinerer Haushalt, den Energiesparen bisher nicht interessiert hat). Nun bekommen beide 100 Euro geschenkt, der Haushalt, der bisher Energie verschwendet hat, hat aber die ‚einfache‘ Möglichkeit, Energie zu sparen (bis zu 50 Prozent), der Haushalt, welcher energiesparend gelebt hat, hat keine Möglichkeiten zum Energiesparen.“
„Wenn wir nun noch zwischen Haushalten mit niedrigem und hohem Abschlag unterscheiden, verstärkt sich der Effekt: Logischerweise (und wissenschaftliche Evidenz bestätigt dies auch) leben Haushalte mit höherem Abschlag tendenziell weniger energiesparend. Dies gilt nicht für jeden Haushalt, aber in der Tendenz. Überspitzt werden also die ‚Energieverschwender‘ der Vergangenheit besonders unterstützt. Dies ist schon ungerecht, allerdings schwierig zu berücksichtigen. In der Regulierung von Netzbetreibern versucht man ähnliche Ungerechtigkeiten durch ein sogenanntes Benchmarking auszugleichen. Bei der Datenlage und dem Zeitdruck ist dies jedoch kaum möglich.“
„In der Theorie erhält der Vorschlag nach meinem aktuellen Verständnis großteils die Anreize zum Gassparen. Jedoch nur, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher die Wirkungsweisen richtig verstehen und als Homo oeconomicus agieren. Es gibt jedoch viele wissenschaftliche Belege, dass dies nicht so ist, insbesondere beim Energieverbrauch.“
„Es ist meines Erachtens durchaus fraglich, ob wir allen Gaskund:innen helfen sollten, oder nur den wirklich vulnerablen. Es werden durch diesen Vorschlag sehr viele Haushalte unterstützt, was die Maßnahme sehr teuer macht. Hierdurch bleibt dann weniger Budget für andere Maßnahmen.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme (10.10.2022): Sicher durch den Winter. Zwischenbericht.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Andor MA et al. (2018): Behavioral economics and energy conservation–a systematic review of non-price interventions and their causal effects. Ecological economics. 148, 178-210. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2018.01.018.
Prof. Dr. Claudia Kemfert
Abteilungsleiterin in der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Dr. Mark Andor
Leiter der Forschungsgruppe „Prosoziales Verhalten“, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung