Wie motiviert man Menschen zum Gassparen?
Eine Gaspreisbremse kommt. Das ist für Hausbesitzer, die mit Gas heizen, erstmal eine gute Nachricht. Wenn die Preise aber gesenkt werden, könnten die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Gassparbemühungen nachlassen. Das wäre riskant: Denn ohne eine deutliche Verbrauchsreduktion wird es schwierig, den Winter ohne Gasmangellage zu überstehen. Nur wenn der Verbrauch um rund 20 Prozent gegenüber den vergangenen drei Jahren sinkt und zu den Importmengen der vergangenen Wochen zusätzliches Gas über die neuen deutschen Terminals importiert wird, ist es unwahrscheinlich, dass auch bei einem kalten Winter eine Gasmangellage in Deutschland auftritt [I]. Je weniger aber eingespart wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass das Gas selbst bei einem durchschnittlichen Winter nicht ganz ausreichen könnte. Die Folge wären Gassperren, die eine schwere Wirtschaftskrise auslösen können [II].
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E.ON Energy Research Center, Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik, RWTH-Aachen
Auf die Frage, ob es realistisch ist, im Privathaushalt 20 Prozent Erdgas einzusparen:
„Im Mittel kann man ganz klar sagen: Ja, das ist möglich, aber es ist verbunden mit Komforteinschränkung. So ehrlich muss man sein. Sowohl niedrigere Raumtemperaturen als auch weniger Trinkwarmwasser sind Komfortthemen.“
„Es gibt natürlich Menschen, die schon in der Vergangenheit äußerst sparsam waren, die schon wenig Trinkwarmwasser verbraucht und sehr reduziert geheizt haben. Für diese wird es deutlich schwieriger, 20 Prozent einzusparen, weil sie vielleicht schon an der Grenze sind, was ihren Lebenskomfort angeht. Andere waren in der Vergangenheit sehr großzügig mit Energie. Gerade Gas war insbesondere in den letzten zehn Jahren so günstig, dass die Beheizung für diejenigen, die finanziell gut gestellt waren, kein entscheidender Kostenfaktor in ihrer Haushaltsbilanz war.
Das ist ein Trend, den man über die Jahre statistisch beobachten konnte – dass es in den Räumen immer wärmer geworden ist und dass der Komfort sich hin zu höheren Temperaturen und zu leichterer Bekleidung im Winter entwickelt hat. Das sind Effekte, die man jetzt gut nutzen kann. Wenn wir für diesen und vielleicht auch den nächsten Winter auf eine Temperatur von 19 Grad zurückgehen, dann ist das im Innenraumbereich zuhause noch gut zu ertragen. Der eine oder andere wird sogar noch ein bisschen tiefer gehen können und das wird direkt weitere Einsparungen bringen – das ist von der individuellen Präferenztemperatur abhängig.“
„Im Bereich Trinkwarmwasser ist die einfachste Form zu sparen, weniger zu verbrauchen. Man kann auch Temperaturen absenken, aber dabei hat man aber immer das Problem der Legionellen, das man mitbedenken muss. Also ist die einfachste und wirksamste Methode, weniger Trinkwarmwasser in Anspruch zu nehmen. Das heißt praktisch: Wenn man duscht, kürzer duschen. Vielleicht kann man auch weniger häufig duschen, sofern das für einen selbst ertragbar ist. Wenn man diese Maßnahmen kombiniert und bisher eher im statistischen Mittel war, kann man – nach dem, was wir für typische Einfamilienhäuser berechnet haben – gut 20 Prozent einsparen.“
Inhaber des Lehrstuhls für Energiewirtschaft, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
„Ich möchte als Ökonom ausdrücklich eine Lanze für den Preis als Steuerungssignal brechen. Das ist ein ganz wichtiger Baustein. Der Preis muss weiterhin eine Rolle spielen. Gleichzeitig sollten wir den Preis ergänzen: durch zusätzliche Informationen über den Gasverbrauch. Es ist immer noch so, dass Haushalte besser über ihre Stromrechnungen Bescheid wissen als über ihre Erdgasrechnung. […] Viele wissen gar nicht, ob ihr Gasbezugsvertrag schon erhöht wurde oder noch nicht. Auch Instrumente, die den Verbrauch in Echtzeit erfassen, können helfen. Aber selbst wenn man sieht, wie viel man im Moment verbraucht, muss man das mit dem Verbrauch in der Vergangenheit vergleichen – diese Information liegt dann aber nicht vor.“
„Für den nächsten Winter sollte man versuchen, Transparenz für die Haushalte zu schaffen über ihre gegenwärtigen Kosten und dann eventuell weitere Informationen zum Verbrauch bereitstellen. Allerdings überfordert man einen Haushalt auch schnell in der Kommunikation. Einfach zu bleiben und zu sagen: ,Leute, zieht euch einen warmen Pullover an, senkt die Raumtemperatur ab, ohne dass ihr wirklich friert, und duscht kürzer“, ist eine sehr klare Kommunikation, die die Menschen verstehen.“
Wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, Potsdam
„Menschen sind außerordentlich stark an Routinen gebunden und Routinen zu überwinden ist schwierig. Wenn wir einen milden Winter haben und die Leute heizen auf 23 Grad und dann wird es sehr kalt und wir sagen: ‚Jetzt solltet ihr auf 19 Grad zurück!‘ – dann werden die meisten das wahrscheinlich nicht tun. Sie haben sich dann an 23 Grad gewöhnt. Wenn sie dann plötzlich wieder reduzieren sollen – zumal wenn es kurzfristig ist –, ich glaube, dann haben Menschen schnell Entschuldigungen parat, warum sie das nicht tun. Es ist besser, das Schritt für Schritt vorzubereiten und zu sagen: ,Versucht mit 19 Grad hinzukommen, das könnt ihr jetzt schon üben.‘ Vielleicht ist das jetzt noch nicht 100 Prozent notwendig. Aber damit zu experimentieren und den Leuten die Zeit zu geben, neue Routinen und Gewohnheiten einzuführen, ist eine gute Idee.“
„Über Wärmepumpen, die mit erneuerbarem Strom laufen, oder über erneuerbare, synthetische Gase auf der einen Seite und über erhöhte Effizienz auf der anderen Seite können wir viel tun. Aber ich denke, Suffizienz-Maßnahmen – also weniger Energiedienstleistung in Anspruch nehmen als wir das heute tun – werden auch ein Teil der Zukunft sein. Was wir im Rahmen der aktuellen Krise tun, kann durchaus auch mittel- und langfristig zu neuen Routinen führen – dass man sich beispielsweise daran gewöhnt, nicht bei minus 20 Grad draußen im T-Shirt im Wohnzimmer sitzen. Eine Verhaltensänderung langsam aber stetig einzuführen, macht auch mittel- und langfristig Sinn.“
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2022): Gassspeicher Report. Stand: 30.09.2022.
[II] Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (27.09.2022): Gemeinschaftsdiagnose #2-2022.
[III] Science Media Center (2022): Womit man in der Wohnung auf einfache Weise am meisten Erdgas spart. Fact Sheet. Stand: 06.10.2022.
[IV] Labandeira X et al. (2017): A meta-analysis of the price elasticity of energy demand. Energy Policy. DOI: 10.1016/j.enpol.2017.01.002.
[V] Auffhammer M et al. (2018): Natural Gas Price Elasticities and Optimal Cost Recovery Under Consumer Heterogeneity: Evidence from 300 million natural gas bills. Working Paper. DOI: 10.3386/w24295.
[VI] Alberini A et al. (2020): Responsiveness to energy price changes when salience is high: Residential natural gas demand in Ukraine. Energy Policy. DOI: 10.1016/j.enpol.2020.111534.
Prof. Dr. Dirk Müller
E.ON Energy Research Center, Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik, RWTH-Aachen
Prof. Dr. Felix Müsgens
Inhaber des Lehrstuhls für Energiewirtschaft, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
Prof. Dr. Ortwin Renn
Wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, Potsdam