Ernährungssicherheit in Kriegszeiten: Welchen Beitrag können Deutschland und die EU leisten?
Der Krieg in der Ukraine bedroht die Ernährungssicherheit in vulnerablen Regionen wie Nordafrika und dem Mittleren Osten und könnte noch viele weitere Millionen Menschen in den Hunger treiben. Russland und die Ukraine exportieren große Mengen Getreide und Ölsaaten und diese Exporte brechen in Teilen durch den Krieg und dessen Auswirkungen ein [I]. Zwar sind auch in der EU steigende Preise vor allem für Tierfutter und Düngemittel spürbar – die Lebensmittelversorgung ist hier aber nicht gefährdet. Dennoch ist eine Debatte darüber entbrannt, was Deutschland und die EU tun können und sollten, um einer globalen Hungerkatastrophe entgegenzuwirken. Welche Maßnahmen wirklich effektiv und machbar sind und sich angesichts der fortschreitenden Klima- und Biodiversitätskrise rechtfertigen lassen, ist umstritten.
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Das SMC hat die die Experten am Ende des Press Briefings folgendes gefragt: „Was würden Sie der Bundesregierung und der EU jetzt als konkrete und kurzfristige Schritte empfehlen, um die Hungerkatastrophe, die der Welt droht, abzuwenden?“ Die Antworten stellen wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung.
Senior Scientist in der Arbeitsgruppe Landnutzung und Resilienz, Department Klimaresilienz, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
„Wir haben heute einen Aufruf mit 17 Punkten als offenen Brief an die Bundesregierung verfasst. Es gibt sehr viele verschiedene Maßnahmen, die wir vorschlagen, sowohl auf der Produktions- wie auf der Nachfrageseite, sowohl kurzfristig wie langfristig. Und unser Aufruf ist, viele von diesen Maßnahmen gemeinsam zu bündeln – weil wir oft sehen können, dass man durch eine Bündelung zum einen eine größere Zustimmung von allen beteiligten Akteuren erreicht, aber auch, dass die sich dann gegenseitig befruchten und gegenseitig eine Dynamik entwickeln. Deswegen reichen keine Einzelmaßnahmen, sondern man muss wirklich so breit denken und systemisch denken.“
„Als Beispiel jeweils eine von den kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen und von der Produktions- und Nachfrageseite. Kurzfristig auf der Nachfrageseite: Während der Krise ist die Umstellung der Kantinen oder die Förderung von pflanzenbasierter, gesunder Ernährung zum einen durch eine Subvention, zum anderen auch durch Bezuschussung von Umschulung von Personal oder Weiterbildung von Personal wichtig. Eine kurzfristige, produktionsseitige Maßnahme ist eine Förderung der Vorziehung von Stallumbau hin zu mehr Tierwohl. Damit sorgen wir zum einen dafür, dass kurzfristig eventuell Überkapazitäten reduziert werden. Langfristig wird den Landwirten auch ein besseres Verdienstpotenzial ermöglicht, weil natürlich Tierwohl auch höhere Preise bedeutet. Eine langfristige Maßnahme auf Nachfrageseite: Da finde ich, dass wir viel mehr über Ernährung und Gesundheit nachdenken müssen. Eine Integration von Ernährung in unsere Gesundheitssysteme, zum Beispiel über die Krankenversicherung, eine Absetzbarkeit von Ernährungsberatung auch als Prävention – das ist sehr wichtig. Und schließlich auf Produktionsseite langfristig: Mein absoluter Favorit ist immer die Stickstoffüberschuss-Besteuerung. Meiner Meinung nach würde die sehr viele Probleme auf einmal lösen, am besten flankiert mit einem Border Adjustment Mechanism.“
Professor für Agrarpolitik, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen
„In erster Linie ist es die humanitäre Hilfe. Die muss international koordiniert sein und ganz mächtig sein, um wirklich in den nächsten Monaten etwas zu machen. Es ist für die Welthungerhilfe und die anderen Institutionen, die dafür zuständig sind, einfach viel teurer geworden jetzt und ihnen fehlen die Mittel. Da müssen wir wirklich substanziell etwas machen, sonst fällt uns das, wie ich vorher angedeutet habe – zum Beispiel über Unruhen in manchen Ländern und Flüchtlingsströme – wieder auf die Füße. Da gibt es schon die Anfänge, ist keine Frage. Aber wir müssen einen langen Atem haben.“
Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
„Die erste Empfehlung ist: Agiert international abgestimmt, denn viele Maßnahmen, die wir heute diskutiert haben, funktionieren nur, wenn sie mindestens auf EU-Ebene einigermaßen koordiniert stattfinden. Und zweitens: Nehmt das Problem ernst, stärkt das World Food Programme, seht die entwicklungspolitischen Komponenten hier. Ich denke, wir müssen die Lage ernst nehmen.“
„Was wir hier selbst tun können? Wenn wir auf die Konsumseite gucken, sind da zwei Elemente. Das eine ist der Appell, sich anzugucken: Wie funktionieren die eigenen Konsummuster? Andererseits würde ich dafür plädieren, uns anzugucken: Wie passen wir unsere Sozialpolitiken entsprechend an? Gerade Haushalte mit einem sehr geringen Einkommen sind im Moment an allen Ecken von Preissteigerungen betroffen. Das ist etwas, was wir ernst nehmen müssen. Die Bundesregierung hat das angekündigt, aber ich will es noch mal unterstreichen.“
„Produktionsseitig würde ich sagen: Setzt die Beimischungspflicht für Biokraftstoffe aus. Das ist keine besonders effiziente Maßnahme. Umgekehrt würde man da zumindest bei gewissen Rohstoffen einen Effekt erzielen. Man könnte vielleicht Mengen substituieren, die auch für menschliche Ernährung geeignet sind. Ich glaube, perspektivisch müssen wir uns insgesamt das Thema Umbau der Tierhaltung vornehmen, nicht nur auf der Produktionsseite. Wir müssen die Landwirte dabei mitnehmen und es hängt stark auch wieder mit unserem Konsum zusammen.“
„Und vielleicht noch in einem philosophischen Sinn: Wir lernen aus unseren Krisen zu wenig. Wir lernen zu wenig, wie wir Probleme diskutieren. Wir diskutieren dann für Monate wieder irgendwelche Falschinformationen. Das hat COVID gezeigt, das hat die Flüchtlingskrise gezeigt. Wir müssen uns einfach besser konzentrieren. Wie lösen wir Krisen gesellschaftlich auf? Ich glaube, auch da kann die Wissenschaft immer eine Rolle spielen, indem sie versucht, Vor- und Nachteile aufzuzeigen und zu zeigen: Es ist eben nicht schwarz und weiß, sondern es sind sehr schwere Aufgaben, die Politiker zu entscheiden haben und dabei sollten wir sie unterstützen und versuchen, rationale Debatten zu führen.“
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Weiterführende Recherchequellen
Cramon-Taubadel S (2022): The Russian invasion of Ukraine reminds us that agriculture and agricultural policy have global and geostrategic dimensions. Blogpost auf der Webseite der Fakultät der Agrarwissenschaften der Uni Göttingen.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2022): Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf Ernährungssicherheit. Rapid Reaction. Stand: 10.03.2022.
[II] EU Kommission (23.03.2022): Kommission trägt zur weltweiten Ernährungssicherheit bei und unterstützt Landwirte und Verbraucher in der EU.
[III] Pörtner et al. (28.03.2022): We need a food system transformation – in the face of the Ukraine war, now more than ever. Stellungnahme unterzeichnet von über 600 Forschenden.
[IV] EU Kommission (2021): EU Agricultural Outlook 2021-2031.
[V] Fesenfeld L et al. (31.03.2022): Offener Brief – Handlungsmöglichkeiten für die Transformation des Ernährungssystems angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Dr. Benjamin Bodirsky
Senior Scientist in der Arbeitsgruppe Landnutzung und Resilienz, Department Klimaresilienz, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel
Professor für Agrarpolitik, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Sebastian Lakner
Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock