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10.03.2022

Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf Ernährungssicherheit

Der Krieg in der Ukraine gefährdet die Ernährungssicherheit in vulnerablen Regionen der Welt und könnte Millionen Menschen in den Hunger treiben. Die Ukraine und Russland sind wichtige Exporteure von Getreide – bei Weizen etwa machen sie gemeinsam ein Drittel der globalen Exporte aus, beziehungsweise ein Viertel, wenn man auch Exporte innerhalb der EU berücksichtigt. Die Lebensmittelversorgung vieler Weltregionen ist von diesen Exporten abhängig. Besonders betroffen sind Länder des globalen Südens, in denen durch Dürren, Misswirtschaft und Kriege ohnehin schon viele Menschen hungern.

Die Lebensmittelexporte aus der Ukraine und Russland sind durch den Krieg bereits gefährdet und werden voraussichtlich weiter einbrechen, wenn der Krieg weiter anhält: In der Ukraine schädigt der Krieg die Lebensmittelproduktion und Infrastruktur [I]; Russland wird voraussichtlich aufgrund der weitreichenden Sanktionen gegen das Land deutlich weniger Güter exportieren. Andererseits, so befürchten Forschende, könnte Putin Getreideexporte als eine geopolitische Waffe einsetzen [I].

Am Freitag kommen die G7-Agrarminister zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um über diese Problematik zu diskutieren [II]. Sie wollen Möglichkeiten erörtern, die Lebensmittelmärkte zu stabilisieren. Gleichzeitig ist in der EU eine Diskussion darüber entbrannt, ob der nachhaltige Umbau der Landwirtschaft zurückgestellt werden sollte, um durch intensive Landwirtschaft steigende Lebensmittelpreise abfangen zu können – auf Kosten des Klima- und Umweltschutzes.

Das SMC hat einige Experten und Expertinnen um ihre Einschätzung gebeten, wie sich der Ukraine-Krieg auf globale Lebensmittelmärkte auswirkt und künftig auswirken könnte und welche Handlungsspielräume es gibt, um die Lebensmittelversorgung besonders für Regionen des globalen Südens aufrechtzuerhalten.

Übersicht

     

  • Jun.-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger, Junior-Professorin für Nachhaltige Entwicklung - Landnutzungs-Synergien und Konflikte, Department für Ökologie und Management natürlicher Ressourcen, Zentrum für Entwicklungsforschung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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  • Prof. Dr. Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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  • Prof. Dr. Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
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  • Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Professor für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen
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  • Prof. Dr. Sebastian Hess, Leiter des Fachgebiets Agrarmärkte, Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre, Fakultät Agrarwissenschaften, Universität Hohenheim
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  • Dr. Marco Springmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter on environmental sustainability and public health, Oxford Martin Programme on the Future of Food, Oxford Martin School, Social Science Division, Universität Oxford, Großbritannien, Vereinigtes Königreich
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  • Prof. Dr. Martin Banse, Direktor des Instituts für Marktanalyse, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
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Statements

Jun.-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger

Junior-Professorin für Nachhaltige Entwicklung - Landnutzungs-Synergien und Konflikte, Department für Ökologie und Management natürlicher Ressourcen, Zentrum für Entwicklungsforschung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Steigende Nahrungspreise als ein Effekt des Ukraine-Krieges führen dazu, dass Hunger und Armut im globalen Süden zunehmen und Hungerkrisen sich verschärfen – insbesondere in den Ländern, die viel Nahrung importieren. Der andere Effekt ist, dass der Nutzungsdruck auf Landflächen zunimmt und damit steigt die Gefahr, dass immer mehr Flächen, die für den Biodiversitäts- und Klimaschutz wichtig sind, in die landwirtschaftliche Nutzung genommen werden. Ohnehin war der Ökotourismus in vielen Ländern von der COVID-Krise wegen Reisebeschränkungen schwer gebeutelt. Angesichts steigender Nahrungsmittelpreise und sinkender Einnahmen aus dem Ökotourismus wird es immer schwerer, das berechtigte Interesse des Natur- und Klimaschutzes zu vertreten. Deshalb würde ich die Frage, ob Intensivierung (der Landwirtschaft; Anm. d. Red.) sinnvoll ist, von zwei Faktoren abhängig machen: Zum einen sollten wir uns fragen, ob es Potenzial für eine nachhaltige Intensivierung gibt und wie dies erreicht werden kann. Dies würde dazu führen, dass die Nahrungsmittelproduktion auf Flächen erhöht wird, die noch nicht optimal genutzt werden. Gerade in vielen Teilen von Subsahara-Afrika gibt es sicherlich noch auszuschöpfendes Potenzial für eine gesteigerte Produktion. Wichtig ist aber auch, darauf zu achten, dass diese Intensivierung nachhaltig ist und nicht zu einer Übernutzung der Böden, Beschleunigung des Klimawandels und Verlust von Biodiversität, zum Beispiel durch übermäßigen Einsatz von Pestiziden führt. Die andere Frage ist, wofür die landwirtschaftlichen Erträge aktuell genutzt werden. Nicht nur die Nahrungspreise, sondern auch Energie- und Futtermittelpreise steigen angesichts der Krise. Angesichts dessen, dass global ein Großteil der landwirtschaftlichen Erträge insbesondere in Lateinamerika oder Südostasien bereits heute produziert werden, um dann verfüttert oder verheizt zu werden, würde ich eher eine Debatte darüber führen, ob wir zum Beispiel die Subventionen für Energie aus Biomasse abschaffen und den Import von Futtermitteln beschränken sollten.“

Prof. Dr. Matin Qaim

Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Die Situation auf den Weltagrarmärkten war schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine angespannt, mit Preisen für Getreide, Ölsaaten und anderen Lebensmitteln, die höher waren als in den letzten 20 Jahren. Grund hierfür waren eine weiter steigende Weltnachfrage, hohe Energie- und Transportkosten, hohe Preise für Düngemittel und schlechte Ernten in einigen Regionen, die durch klimawandelbedingte Wetterextreme verursacht wurden.“

„Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges vor knapp zwei Wochen sind die internationalen Preise für Weizen und einige andere Lebensmittel um weitere 50 Prozent gestiegen, und sie steigen weiter.“

„Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit größten Exporteuren von Weizen, Gerste, Mais und Sonnenblumenöl. Beide Länder zusammen machen im Normalfall zum Beispiel rund ein Drittel aller Weizenexporte weltweit aus (ein Viertel, wenn man auch Exporte innerhalb der EU berücksichtigt; Anm. d. Red.). Wenn diese Mengen wegen des Krieges wegfallen, dann führt das zu extremer Knappheit auf den internationalen Märkten und zu starken Preisanstiegen.“

„Sprunghaft ansteigende Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen und Mais sind vor allem für arme Menschen ein Problem und bedeuten mehr Hunger. Die Situation könnte sich in den kommenden Monaten weiter zuspitzen, weil die größten Mengen aus der Schwarzmeer-Region im Normalfall im Sommer und Herbst geerntet und exportiert werden. Sollten diese Mengen im laufenden Jahr komplett fehlen, könnte die Zahl der hungernden Menschen kurzfristig um über 100 Millionen ansteigen.“

„Hauptimporteure von Getreide aus Russland und der Ukraine sind Länder im mittleren Osten, Nordafrika und anderen Teilen Afrikas – also Regionen, in denen ohnehin Hunger verbreitet ist und viele Menschen arm sind. Diese Regionen sind von wegbrechenden Mengen am stärksten betroffen, aber auch in anderen Regionen steigen die Preise, und arme Menschen können sich nicht mehr ausreichend Lebensmittel leisten.“

„In Europa steigen die Preise für Lebensmittel ebenfalls, was arme Bevölkerungsschichten besonders trifft. Hier sollten soziale Ausgleichsmechanismen für besonders Bedürftige greifen. Insgesamt ist Europa aber weniger stark auf Lebensmittelimporte aus Russland und der Ukraine angewiesen. Von leeren Regalen in Europa ist also nicht auszugehen.“

„Zusätzlich zu den Lebensmittelexporten sind vor allem Russland und Belarus auch große Exporteure von Düngemitteln in viele Teile der Welt. Beide Länder zusammen machen zum Beispiel rund 30 Prozent der weltweiten Kalium-Düngerexporte aus. Russland allein macht im Normalfall auch rund 15 Prozent aller weltweiten Stickstoff-Düngerexporte aus. Düngemittel werden also auch knapper und teurer, und weniger Düngemittel bedeuten niedrigere Erträge dort wo diese Düngemittel fehlen, zum Beispiel in Afrika. Das wird es zusätzlich erschweren, die fehlenden Lebensmittelmengen durch Mehrproduktion anderswo auszugleichen.“

„Was kann und muss getan werden, um große Hungerkrisen durch den Ukraine-Krieg abzuwenden?

     

  • Nahrungsexporte aus Russland sollten soweit es geht aus den Handelsembargos ausgeklammert werden.
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  • Ad-hoc Exportbeschränkungen anderer Länder, die in der Vergangenheit bei steigenden Preisen immer wieder beobachtet wurden, sollten verhindert werden, weil dies im Rest der Welt die Situation deutlich verschlimmern kann.
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  • In Europa und anderen Teilen der Welt sollten wir versuchen, dieses Jahr möglichst viel Getreide und Ölsaaten zu produzieren und möglichst wenig in die Verwendung außerhalb des unmittelbaren Lebensmittelbereichs fließen zu lassen. Ich denke dabei zum Beispiel an Reduktionen im Bereich der Biokraftstoff-Verwendung, was durch Aussetzung der Biokraftstoffmandate politisch möglich ist. Weniger Getreide zu verfüttern, wäre auch gut und richtig, aber das ist kurzfristig politisch schwerer umsetzbar.
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  • Hohe Erntemengen müssen und sollten nicht auf Kosten der Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit gehen. Nur: Je weniger wir hier ernten, desto mehr Regenwald wird anderswo gerodet. Deswegen ist eine flächendeckende Umstellung auf Biolandwirtschaft mit ihren niedrigeren Erträgen nicht der richtige Weg.
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  • Neue Technologien wie genomische Züchtung und digitale Innovationen können und müssen längerfristig helfen, hohe Erträge mit weniger Dünger und Pestiziden zu erreichen. Das wird in der momentanen Krise kurzfristig nicht helfen, ist aber wichtig, um die Lebensmittelversorgung auf längere Sicht nachhaltiger und krisenfester zu machen.”
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Prof. Dr. Sebastian Lakner

Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock

„Die ukrainische Landwirtschaft ist von den Kriegshandlungen stark betroffen, sodass die bereits im Boden befindlichen Aussaaten nicht weiterbearbeitet werden können. Die Frühjahrsbestellung im März/April wird aufgrund der kriegerischen Handlungen teilweise nicht möglich sein, den Betrieben fehlt auch der Treibstoff, den sie an die ukrainische Armee abgegeben oder in Kriegsregionen verbrannt haben.“

„Es ist aktuell noch nicht überschaubar, in welchem Umfang Russland seine Agrargüter exportieren kann, da es Sanktionen gibt und das Schwarze Meer durch die Türkei blockiert ist. Bei SWIFT sind allerdings im Moment medizinische und landwirtschaftliche Güter ausgenommen. Des Weiteren gibt es Länder, die sich den Sanktionen nicht angeschlossen haben. Russland kann über den Landweg oder das Kaspische Meer weiterhin exportieren, sodass die Mengen wenigstens in Teilen dem Weltmarkt zur Verfügung stehen. Die Exportwege sind nur komplizierter und der Transport dieser Güter wird teurer.“

„Durch den Ausfall der Exporte dürften vor allem Entwicklungsländer betroffen sein. Die Ukraine beliefert zwar teilweise auch die EU, aber vor allem auch Import-abhängige Länder im Nahen Osten (zum Beispiel Syrien oder Libanon), die Maghreb-Staaten oder Staaten in Ostafrika. Hier werden in den nächsten Monaten schon signifikante Mengen für die Versorgung dieser Region fehlen.“

„Die EU hat in vielen Bereichen einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent, sodass wir bei einigen Agrargütern Netto-Exporteur sind. Der Selbstversorgungsgrad lag 2020 beim Schweinefleisch bei 130 Prozent, bei Rindfleisch bei 109 Prozent und bei Geflügelfleisch 106 Prozent. Auch im Getreidebereich liegen wir bei leichten Schwankungen etwas über 100 Prozent. Die EU kann Probleme in der Beschaffung grundsätzlich durch die höhere Kaufkraft etwas kompensieren. Das bedeutet, dass es zwar im Einzelfall Lieferschwierigkeiten geben kann, aber die Versorgungslage in der EU ist nicht gefährdet.“

Auf die Frage, welche Lebensmittel besonders betroffen sind und welcher Anteil der weltweit produzierten Menge durch den Krieg potenziell wegfallen könnte:
„Es ist damit zu rechnen, dass die Ukraine als Lieferant für Agrargüter ausfällt. Das betrifft vor allem Weizen, Gerste, Raps, Mais und Sonnenblumen. Beim Getreide hat die Ukraine 2021/22 einen Anteil von 14 Prozent der am Weltmarkt gehandelten Menge. Einen möglichen Preisanstieg kann ich nicht beziffern, der hängt von der Dauer des Krieges ab. Im Moment wird Weizen bereits für über 400 Euro pro Tonne gehandelt, übliche Preise liegen unter 200 Euro pro Tonne, bereits letztes Jahr waren die Preise leicht auf 250 Euro angestiegen. Das heißt, die Versorgungsprobleme treffen auf eine bereits leicht angespannte Marktlage.“

Auf die Frage, inwiefern in der EU Preissteigerungen durch soziale Ausgleichsmechanismen abgefedert werden können:
„Es ist mit höheren Lebensmittelpreisen zu rechnen und diese gehen leider einher mit höheren Energiepreisen. Es gibt in der EU in vielen Staaten Sozialpolitiken für Menschen mit niedrigen Einkommen. Dies ist jedoch ein Politikbereich, der in die nationale Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt. Gerade Menschen mit geringen Einkommen leiden an verschiedenen Punkten gleichzeitig, weil hohe Heizkosten und hohe Benzinpreise ein großes Problem darstellen. Höhere Lebensmittelpreise kommen hier dazu.“

„Es gibt in Deutschland verschiedene Instrumente, um den ökonomischen Druck durch den Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland für Menschen mit geringem Einkommen zu lindern. Es ist denkbar, die Hartz-IV-Sätze nach oben anzupassen und es gibt den Heizkosten-Zuschuss für Wohngeldempfänger, dessen Erhöhung bereits angekündigt wurde. Auch eine Erhöhung der Pendlerpauschale könnte höhere Kosten für Menschen mit längerem Fahrweg zur Arbeit etwas abpuffern. Ein Teil des Benzinpreises besteht in der Mineralölsteuer, auch diese Steuer könnte die Bundesregierung kurzfristig und temporär reduzieren.“

„Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, solche Lösungen zu prüfen, ich würde davon ausgehen, dass dies in anderen EU-Mitgliedsstaaten auch getan wird. Insofern sind hohe Preise für viele Menschen ein Problem, das jedoch teilweise gelöst werden kann. Mittelfristig ergibt sich daraus eher die Aufgabe, dass der Staat in den Jahren 2022 und 2023 hohe Schulden aufnehmen muss, die über einen längeren Zeitraum wieder abgebaut werden müssen.“

Auf die Frage, welche Möglichkeiten gibt es, die Märkte zu stabilisieren und die Lebensmittelversorgung sicherzustellen:
„Es gibt unterschiedliche Reaktionen auf die absehbare Versorgungskrise, die allerdings alle mit Kosten und unerwünschten Nebeneffekten einhergehen. Manche dieser Optionen sind ordnungspolitisch nicht unproblematisch.“

„Wichtig ist festzuhalten, dass die Versorgungslage auf dem Weltmarkt zunächst temporär ist, da unklar ist, wie lange der Krieg anhält und wie schwerwiegend die Folgen für die ukrainische Landwirtschaft und die Infrastruktur sind.“

„Erstens: Jede Krisenreaktion sollte zunächst auf kurzfristige Effekte abzielen und möglichst international – das heißt mindestens auf EU-Ebene oder über die G7 – abgestimmt werden.“

„Zweitens: Es ist von zentraler Bedeutung, die internationalen Märkte offenzuhalten und keine Export-Restriktionen einzuführen, die zwar am nationalen Markt zu Erleichterungen führen, aber die Lage an den Weltagrarmärkten zusätzlich verschärfen.“

„Drittens: Erhebliche Mengen an Getreide und Mais könnten für den Weltmarkt freigesetzt werden, wenn wir die Beimischungspflicht für Kraftstoffe kurzfristig aufheben. Wir verwenden laut UFOP-Bericht von 2020 global gesehen neun Prozent der Erntemenge aus der Pflanzenproduktion für Bioethanol und fünf Prozent für Biodiesel. Die Beimischung von Biokraftstoffen ist inzwischen keine Zukunftstechnologie mehr und könnte kurzfristig auf gesetzgeberischem Weg beendet werden. Diese Maßnahme könnte sogar einen erheblichen positiven Effekt erzielen, wenn sie international, vor allem mit den USA, abgestimmt durchgeführt würde.“

„Viertens: Wir verwenden im Moment einen großen Teil der Getreideproduktion für Futtermittel, um preisgünstiges Fleisch zu exportieren. Es ist damit zu rechnen, dass aufgrund der gestiegenen Futtermittelkosten Fleisch teurer wird. Es ist die Frage, inwieweit wir in den reichen Industriestaaten unseren Fleischkonsum auf dem Niveau aufrechterhalten wollen, während das Getreide am Weltmarkt als Lebensmittel fehlt. Es ist allerdings im Moment schwierig, hier politisch regulierend einzugreifen. Der Fleischkonsum betrifft die privaten Entscheidungen von Konsumenten. Das heißt, hier könnten kurzfristig zunächst Appelle als naheliegende Mittel helfen.“

„Fünftens: Es gäbe die Möglichkeit, die strategische Lagerhaltung in der EU – und in anderen Ländern – teilweise aufzulösen und für die Versorgung der Entwicklungsländer freizugeben. Die Ukraine hat bisher das World Food Programme der UN beliefert, das heißt die EU und die USA sollten gemeinsam Maßnahmen ergreifen, die diese Lieferungen ersetzen.“

„Sechstens: Im Rahmen der EU-Agrarpolitik könnte die Verpflichtung, ab 2023 vier Prozent des Ackerlandes als Brache bereitzustellen, später beginnen und die Verpflichtung kurzfristig und temporär absenken. Dies könnte 2023 zu einer gewissen Ausweitung der Produktion führen. Diese Maßnahme ist allerdings für das Jahr 2022 nicht relevant. 2018 wurden innerhalb der EU etwa zwei Millionen Hektar Brache stillgelegt, davon etwa die Hälfte in Spanien. Ohne Spanien liegt der Anteil der Brachen am Ackerland bei 2,1 Prozent. In Deutschland geht es um circa 180.000 Hektar Brachflächen, hier liegt der Anteil am Ackerland bei etwa 1,5 Prozent. Viele Brachflächen befinden sich auf den schlechteren Ackerstandorten, das heißt wenn diese Flächen in die Produktion genommen würden, wäre der Ertrag unterdurchschnittlich und nicht auf jedem dieser Standorte könnte qualitativ hochwertiges Getreide erzeugt werden. Diese Maßnahme hat daneben auch erhebliche umweltpolitische Nachteile. Die Biodiversitäts- und Klimakrise gehen trotz des Krieges in der Ukraine unvermindert weiter. Es gibt Klimaziele für den Sektor Landwirtschaft und die Brache ist hier zumindest eine Möglichkeit, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Auch für den Erhalt der Biodiversität ist die Brache eine effektive Maßnahme, um einzelne Arten zu schützen und Rückzugsräume zu schaffen. Insofern muss eine temporäre Absenkung der Brache-Verpflichtung gut mit den beschriebenen Nachteilen politisch abgewogen werden. Eine temporäre Absenkung der Brachverpflichtung wäre nicht ohne Folgekosten. Da die Anbauentscheidungen erst in der zweiten Jahreshälfte getroffen werden, erscheint es hier sinnvoll, etwas abzuwarten, da das Ausmaß der Krise noch nicht vollständig absehbar ist. Diese Option kann auch noch im Mai oder Juni gezogen werden.“

„Die grundsätzliche Stoßrichtig einiger Interessensverbände in Brüssel, die Umweltausrichtung der EU-Agrarpolitik grundsätzlich zu hinterfragen oder abzuschaffen, erscheint vor diesem Hintergrund nicht zielorientiert. Die Umweltprobleme sind weiterhin drängend und das Aussetzen von Umweltmaßnahmen könnte erhebliche Umweltkosten für die Gesellschaft, aber auch für die Landwirtschaft zur Folge haben. Maßnahmen wie die Verpflichtung zur Bereitstellung von Brachflächen oder die Vorgaben zur Fruchtfolge dienen auch dazu, das Produktionspotenzial der europäischen Agrarbetriebe mittelfristig abzusichern.“

„Insgesamt muss es in dieser Versorgungskrise darum gehen, kurzfristig effektive Maßnahmen zu ergreifen und Zielkonflikte sinnvoll abzuwägen. Hierbei sollte die Versorgung der Entwicklungsländer mit Lebensmittel im Mittelpunkt stehen.“

Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel

Professor für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen

„Die russische Invasion der Ukraine wird immense Konsequenzen für Millionen von Ukrainer haben, für die Sicherheit in Europa, für die Energiemärkte, aber auch für die Agrarmärkte und die weltweite Ernährungssicherheit.“

„Die Ukraine, Kasachstan und Russland machten in den letzten Jahren etwa 25 Prozent der globalen Getreideexporte (hauptsächlich Weizen und Mais) aus. Infolge der Invasion wird die ukrainische Getreideproduktion wahrscheinlich um mindestens 35 Millionen Tonnen im Vergleich zu 2021 fallen. Zusätzlich werden Schäden an der Infrastruktur, etwa an Hafenanlagen, den Export von Produktionsüberschüssen verringern. Die russische Produktion wird höchstwahrscheinlich nicht betroffen sein, aber logistische und finanzielle Restriktionen werden russische Getreideexporte verzögern, umleiten und möglicherweise auch reduzieren.“

„35 Millionen Tonnen sind etwa 7,6 Prozent des globalen Getreidehandels, was erstmal nach einer relativ kleinen Menge klingt. Aber die internationalen Getreidemärkte waren schon vor der Invasion belastet, internationale Getreidevorräte sind gering und der Welthunger ist in den letzten Jahren wieder gestiegen. Daher sind Getreidepreise auch gegenüber kleinen Angebotsschocks sehr empfindlich. Getreidepreise sind seit dem Beginn der Invasion um 50 Prozent auf historische Höchststände gestiegen. Wenn die Feindseligkeiten nicht enden und die russischen Truppen sich nicht sofort zurückziehen, ist auch keine Erleichterung in Sicht.“

„Für die Ernährungssicherheit in einkommensstarken Ländern wie Deutschland stellen verringerte Getreideexporte aus der Region des Schwarzen Meeres keine Bedrohung dar. Die Inflation der Nahrungsmittelpreise wird zunehmen, weil Getreide als Grundnahrungsmittel und als Futtermittel für die Viehzucht (zum Beispiel für Milch- und Fleischproduktion) wichtig ist. Deutsche geben aber durchschnittlich nur 14 bis 15 Prozent ihres Einkommens für Essen und Trinken aus, sodass die meisten Haushalte damit zurechtkommen können, und die deutsche Regierung kann gezielte Sozialhilfe für Haushalte leisten, die das nicht können.“

„In einkommensschwachen Ländern ist die Situation ganz anders. Die Inflation der Nahrungsmittelpreise trifft jene Haushalte sehr hart, die jetzt schon 50 Prozent ihres Einkommens oder mehr für Essen ausgeben. Als direkte Folge der russischen Invasion der Ukraine bedrohen zunehmende Getreideknappheit und hohe Preise die Ernährungssicherheit von Hunderten Millionen Menschen, besonders in Afrika und Südostasien.“

„Als kurzfristige Antwort auf diese plötzliche und dramatische Herausforderung müssen Deutschland und die EU zur Vorbereitung und Finanzierung einer groß angelegten und international koordinierten Lebensmittelhilfe beitragen. Zusätzlich ist es sehr wichtig, dass Regierungen auf der ganzen Welt der Versuchung widerstehen, ‚egoistische‘, prozyklische Maßnahmen (wie etwa Verbote von Getreide-Exporten) zu ergreifen, die die heimische Bevölkerung auf Kosten der Armen und Hungernden in anderen Ländern schützen.“

„Mittel- und langfristig sind Bemühungen, gemeinsam landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit zu steigern, von entscheidender Bedeutung. Wir müssen Wege finden, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, die gleichzeitig auch klima- und umweltfreundlich sind. Das ist schwieriger, als die Produktion einfach durch den Einsatz von mehr Düngemittel und Chemikalien zu erhöhen. Um Hunger nachhaltig zu bekämpfen und die globale Landwirtschaft resilienter gegenüber Schocks zu machen, werden wir vermehrt in landwirtschaftliche Forschung und Innovation sowohl in einkommensstarken als auch einkommensschwachen Ländern investieren müssen.“

Prof. Dr. Sebastian Hess

Leiter des Fachgebiets Agrarmärkte, Institut für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre, Fakultät Agrarwissenschaften, Universität Hohenheim

„Die Ukraine und Russland gehören zu den wichtigsten Agrarexporteuren der Welt, insbesondere bei Weizen, Gerste und Sonnenblumen. Der Angriff Russlands fällt in eine Phase, in der die globalen Agrarmärkte ohnehin seit einigen Monaten durch relative Rohstoffknappheit und steigende Preise geprägt waren. Weltweit sind die Preisnotierungen für Weizen seit Kriegsbeginn weiter sprunghaft angestiegen.“

„Preise für Agrarprodukte spiegeln sowohl die zu einem Zeitpunkt tatsächliche Verfügbarkeit auf den internationalen Märkten als auch die Erwartungen von Käufern und Verkäufern im Hinblick auf die zukünftige Verfügbarkeit wider.“

„Die unmittelbaren Reaktionen der Märkte während der ersten Tage des Krieges sind daher zum einen dadurch geprägt, dass laufende Exporte aus der Ukraine schon unmittelbar durch das Kriegsgeschehen beeinträchtigt sind. Zum anderen spiegeln die Preise die große Verunsicherung der Marktteilnehmer im Hinblick auf die kurz- und langfristige Verfügbarkeit entsprechender Exporte aus der Ukraine und Russland wieder: Innerhalb der nächsten Wochen und Monate wird sich zeigen, inwiefern in der Ukraine eine reguläre Bestellung der Felder für die neue Ernte überhaupt möglich sein wird, oder ob Kriegshandlungen und unterbrochene Logistikketten für Dünger, Pflanzenschutz und Treibstoffe dies im großen Umfang verhindern.“

„Ferner ist noch offen, ob und inwiefern die Exportlogistik in den Schwarzmeerhäfen eher vorübergehend beeinträchtigt ist oder kriegsbedingt womöglich über Monate ausfallen könnte.“

„Zusätzlich zur Entwicklung der ukrainischen Exporte werden die kommenden Wochen zeigen, ob und in welchem Umfang Russland im Jahresverlauf weiterhin Weizen exportieren wird. Neben einer möglichen Beeinträchtigung der Export-Infrastruktur und makroökonomischen Unsicherheiten könnte Russland auch Agrarexporte aus politischen Gründen zurückhalten. Die Folgen für die Ernährungssituation der kommenden Monate könnte insbesondere für Länder verheerend sein, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind und deren Bevölkerung über relativ wenig Kaufkraft verfügt. Russland würde sich durch entsprechende Maßnahmen zwar auf Dauer als Handelspartner und damit in seiner Rolle als globale Kornkammer ebenfalls diskreditieren, aber dieser Effekt dürfte für Russland aus einer Reihe von Gründen weniger drastisch ausfallen als bei Öl und Erdgas. Mit anderen Worten: die Aussichten für die mittelfristige Versorgung mit Getreide erscheinen zum gegenwärtigen Zeitpunkt für eine Reihe von Ländern sehr ernst.“

Auf die Frage, welche Weltregionen besonders betroffen sind:
„Besonders betroffen sind ärmere Haushalte in Ländern, deren Nahrungsmittelversorgung relativ stark von Importen abhängt. Dies betrifft unter anderem Länder des Mittleren Ostens, Nordafrika sowie viele der am wenigsten entwickelten Länder der Erde. Dabei geht es weniger um die physische Herkunft der Nahrungsmittel als um die globale Preisentwicklung: Der Welthandel mit Getreide funktioniert ähnlich einem System korrespondierender Röhren, bei denen sich der allgemeine Füllstand in Form ähnlicher Preise weitgehend gleichmäßig über die Weltmärkte verteilt.“

„Weltweite Hochpreisphasen für Agrargüter wurden in den vergangenen 15 Jahren wiederholt beobachtet. In Ländern und Regionen, in denen ein Teil der Bevölkerung den überwiegenden Teil des verfügbaren Einkommens unmittelbar für Grundnahrungsmittel ausgeben muss, haben solche Hochpreisphasen wiederholt zu Hunger, Mangelernährung, politischen Unruhen und Fluchtbewegungen geführt.“

„Gleichzeitig wurden internationale Mechanismen zur Beobachtung der Märkte und zum besseren Prognostizieren verfügbarer Lagermengen und Ernteschätzungen ausgebaut, um die Informationsunsicherheit im Welt-Getreidemarkt zu reduzieren. Für die kommenden Monate bleibt zu hoffen, dass aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre bereits vielerorts Strukturen erwachsen sind, welche den anstehenden Herausforderungen zumindest vorübergehend begegnen können. Angesichts der Bedeutung der ukrainischen und russischen Agrarexporte für die Weltmärkte steht jedoch zu befürchten, dass dies nicht vollständig gelingen wird.“

Auf die Frage, inwiefern in der EU mit Preissteigerungen zu rechnen ist und wie diese durch soziale Ausgleichsmechanismen abgefedert werden könnten:
„In Westeuropa wie in anderen Regionen mit relativ hohem Pro-Kopf-Einkommen betragen die Ausgaben der privaten Haushalte für Nahrungsmittel nicht mehr als 10 bis 20 Prozent des Einkommens. Zudem weisen viele Nahrungsmittel einen hohen Verarbeitungsgrad und geringe Wertanteile der Rohstoffe auf, weshalb selbst stark steigende Preise für Agrarrohstoffe nur begrenzt negativen Einfluss auf die Kaufkraft haben. Preissteigerungen für Energie und Treibstoffe dürften einstweilen für die meisten Menschen in EU-Staaten deutlich relevanter sein.“

Auf die Frage, welche Möglichkeiten gibt es, die Märkte zu stabilisieren und die Lebensmittelversorgung sicherzustellen:
„Kurzfristig wird man versuchen, verfügbare Reserven freizugeben und punktuell möglicherweise auftretenden, akuten Versorgungsengpässen durch Hilfsprogramme zu begegnen. Langfristig sollte der russische Angriff auf die Ukraine ein weiterer Weckruf dafür sein, weltweit mehr in Landwirtschaft und Markt-Infrastruktur zu investieren. Diese Erkenntnis ist jedoch keineswegs neu.“

Auf die Frage, inwiefern es notwendig ist, die Landwirtschaft zu intensivieren, um globale Ernährungssicherheit zu gewährleisten:
„Der russische Angriff auf die Ukraine zeigt wie unter einem Brennglas, dass unser Agrar- und Ernährungssektor sich den Herausforderungen Nachhaltigkeit, Energieproduktion und Welternährung gleichermaßen stellen muss. Die Europäische Union ist zum einen ein sehr großer und kaufkräftiger Markt für Nahrungsmittel und zum anderen ein für die Weltmärkte ebenfalls sehr wichtiger Produktionsraum für Agrargüter.“

„Der Wunsch, die europäische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren, könnte durch eine forcierte Erzeugung erneuerbarer Energien in Europa oder anderen Teilen der Welt die Nahrungsmittelpreise weiter in die Höhe treiben und den Druck auf Ökosysteme erhöhen. Ein Rückfall in agrar- und energiepolitische Anreizstrukturen früherer Jahrzehnte muss daher vermieden werden, denn die globalen Herausforderungen bei Klima- und Ressourcenschutz sind nicht über Nacht weniger drängend geworden.“

„Stattdessen sollte eine grundlegende Modernisierung des europäischen Agrar- und Ernährungssystems vor dem Hintergrund der ökologischen Intensivierung angestrebt werden. Dies bedeutet, dass sich aus ,konventionellen‘ und ,ökologischen‘ Wirtschaftsweisen ein neues Leitbild einer gleichermaßen nachhaltigen und ertragreichen Landwirtschaft entwickeln muss. Auch eine Änderung von Ernährungs- und Verbrauchsmustern kann in dieser Hinsicht einen Beitrag leisten.“

„Kurz: Die in den vergangenen Jahren anvisierten Ziele im Hinblick auf einen nachhaltigeren europäischen Agrarsektor sollten nicht in Frage stehen, aber einige der gegenwärtig dazu vorgesehenen Mittel müssen vor dem Hintergrund des russischen Kriegs in der Ukraine und den weltweiten Auswirkungen auf die Agrarmärkte eine gesellschaftspolitische Neubewertung erfahren.“

Dr. Marco Springmann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter on environmental sustainability and public health, Oxford Martin Programme on the Future of Food, Oxford Martin School, Social Science Division, Universität Oxford, Großbritannien, Vereinigtes Königreich

„Die Ukraine trägt mit Ihren Exporten von Weizen und Ölsaaten maßgeblich zur weltweiten Ernährungssicherheit bei. Insbesondere in Ländern des mittleren Ostens und Teilen Afrikas könnten bis zu 200 Kilokalorien pro Person und Tag weniger verfügbar sein, was weitreichende Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit in diesen Ländern hätte.“

„Solange die Nachfrage nach Weizen und Ölsaaten gleichbleibt, ist auch mit einem weltweiten Anstieg der Preise zu rechnen. Das beträfe dann auch tierische Produkte, die auf Weizen und Ölsaaten als Futtermittel angewiesen sind.“

„Teilweise wird nun gefordert, die Produktion von Weizen und Ölsaaten in anderen Ländern zu erhöhen. Doch das ist aus zweierlei Hinsicht nicht zielführend. Zum einen benötigen Produktionsänderungen Zeit, die in der gegenwärtigen Lage nicht gegeben ist. Zum anderen würde eine Erhöhung der Getreide und Ölsaat-Produktion einer Ernährungswende zu gesünderen und nachhaltigeren Ernährungsweisen entgegenlaufen.“

„Warum ist das so? Zurzeit wird fast ein Fünftel allen Weizens als Futtermittel verwendet. Bei Ölsaaten übersteigt die Verwendung als Futtermittel sogar den direkten Konsum. Ein erheblicher Teil der Weizen- und Ölsaat-Produktion trägt also zur Produktion von tierischen Lebensmitteln wie zum Beispiel Schweinefleisch bei. Der übermäßige Konsum tierischer Lebensmittel ist weder gesund noch nachhaltig, und dessen Verringerung ist ein Kernbestandteil einer auf Nachhaltigkeit und Gesundheit beruhenden Ernährungswende.“

„Eine Anpassung der Nutzung von Weizen und Ölsaaten als Futtermittel ist eine Maßnahme, die sowohl kurzfristig wie auch langfristig sinnvoll ist. Wenn die ukrainischen Exporte von Weizen und Ölsaaten nur deren Verwendung als Futtermittel beträfen, würde sich die Verfügbarkeit an solchen Futtermitteln um ein Zehntel bis einem Fünftel verringern. Um diesen Betrag müssten dann auch die Tierbestände und sowohl die Produktion als auch der Konsum tierischer Lebensmittel angepasst werden.“

„Hier ist nicht nur die Politik gefordert, unterstützend einzugreifen, sondern auch jeder Einzelne kann durch Umstellungen in der Ernährungsweise zu einer Verringerung der Nachfrage von Futtermitteln beitragen. Von der Politik wäre kurzfristig eine gezielte Unterstützung von betroffenen Landwirten sicherlich sinnvoll, aber vor allem bedarf es Maßnahmen, die eine Ernährungswende hin zu einem nachhaltigeren, gesünderen, und weniger von Futtermitteln abhängigen Ernährungssystem unterstützen.“

„Kurz gesagt: eine Verringerung der Produktion und des Konsums tierischer Lebensmittel, insbesondere in europäischen Ländern mit vielfach zu hohem Konsum wäre eine geeignete Maßnahme, um die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Ernährungssicherheit abzufedern.“

Prof. Dr. Martin Banse

Direktor des Instituts für Marktanalyse, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig

„Die Ukraine und Russland haben sich in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Exporteure von Weizen und Mais sowie Ölsaaten entwickelt. Nach Projektionen der FAO/OECD [1] sollte – ohne den Ukraine-Krieg – diese Bedeutung noch steigen. Bei einem Ausfall der Exporte dieser Güter ist mit deutlich steigenden Weltmarktpreisen zu rechnen. Die gegenwärtigen Marktreaktionen mit Preisnotierungen für Weizen von derzeit sogar über 400 US-Dollar pro Tonne deuten eine Aufwärtsentwicklung an, die höher liegt als in der ,Nahrungsmittelpreiskrise‘ von 2007/08. Dabei ist zu beachten, dass die Marktsituation in diesem Wirtschaftsjahr insbesondere bei Weizen durch niedrige Lagerbestände und hohe Preise auch vor dem Ausbruch des Krieges schon angespannt war. Dadurch reagiert der Markt auch mit diesen extremen Preisausschlägen. Zudem ist Russland ein bedeutender Exporteur von Düngemitteln. Fehlen die russischen Mengen am Weltmarkt, wird das die ohnehin schon angespannte Lage wohl weiter verschärfen.“

Auf die Frage, welche Regionen besonders betroffen sind:
„Die Versorgungsituation in der EU mit Getreide und Ölsaaten ist als eher stabil zu betrachten. Allerdings sind viele nahrungsmittelimportierende Länder von der gegenwärtigen Unsicherheit und Volatilität besonders betroffen. Der wertmäßige Anteil von Russland und der Ukraine an allen Getreideexporten weltweit betrug in 2020 zusammen 16 Prozent [2]. Beide Länder exportieren in ähnliche Regionen, insbesondere nach Afrika und Asien.“

„Weiter ist zu beachten, dass mehr als 80 Prozent der russischen Getreideexporte in 2020 Weizen waren, ein wichtiges Grundnahrungsmittel in vielen Ländern. Hier sind die Hauptimportländer die Türkei und Ägypten. Die Getreideexporte der Ukraine bestehen aus überwiegend Mais (Anteil 55 Prozent in 2020), der als Futtermittel verwendet wird, sowie Weizen (Anteil 35 Prozent in 2020). Die Hauptimportländer für Mais aus der Ukraine waren in 2020 China und die EU und für Weizen Ägypten und Indonesien [2].“

„In vielen Ländern stellen die Ukraine und Russland einen wichtigen Teil der Importe an Getreide. Hier würde ein Ausfuhrstopp zu deutlichen Versorgungsengpässen führen. Je höher der Anteil, desto abhängiger sind diese Länder von den Exporten aus Russland beziehungsweise der Ukraine.“

Die Abhängigkeit von russischen oder ukrainischen Getreide- und Ölsaatenlieferungen betrifft besonders Länder aus dem globalen Süden, Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, in denen ein wesentlich größerer Anteil der Ausgaben für den privaten Konsum auf Lebensmittel entfällt. Diese einkommensschwachen Länder sind von dem derzeitigen Preisauftrieb besonders stark betroffen. Soziale Spannungen oder sogar Unruhen sind hier besonders zu befürchten, die die ohnehin prekäre Lage dieser Länder noch verschärfen.“

Auf die Frage, welche Lebensmittel besonders betroffen sind:
„Obwohl der Fokus der derzeit betrachteten Agrarprodukte auf Getreide (hier besonders Weizen und Mais) und auf den Ölsaaten (Sonnenblumensaat, Soja) liegt, haben diese Produkte doch eine ‚Ankerfunktion‘ auf den internationalen Agrarmärkten. Diese Produkte dienen nicht nur als Grundlage für Nahrungsmittel wie Brot und Pflanzenöle, sondern auch Tierfutter. Deutlich steigende Preise für Getreide und Ölsaaten treiben somit auch die Kosten für die tierische Erzeugung in die Höhe. Wichtig ist an dieser Stelle auch der Preisauftrieb für Energie, der die Produktionskosten in der Landwirtschaft zum Beispiel für Diesel und Düngemittel stark steigen lässt. Dadurch ist mit einem Preissprung für alle Nahrungsmittel zu rechnen.“

Auf die Frage, inwiefern in der EU mit Preissteigerungen zu rechnen ist und wie diese durch soziale Ausgleichsmechanismen abgefedert werden können:
„Die Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, die ursächlich durch erhöhte Preise für die eingesetzten Rohstoffe resultieren, sind für die EU als gering einzustufen. Die Rohstoffkosten haben nur einen geringen Anteil an den Gesamtkosten der Produktion unserer Nahrungsmittel. Preissteigerungen in anderen Bereichen, beispielsweise Energie, können hier einen größeren Einfluss haben. Weiter ist zu beachten, dass der Anteil an Einkommen, den ein Haushalt für Nahrungsmittel ausgibt, in der EU vergleichsweise gering ist im Gegensatz zu ärmeren Ländern, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind.“

Auf die Frage, welche Möglichkeiten gibt es, die Märkte zu stabilisieren und die Lebensmittelversorgung sicherzustellen:
„Es ist eine ‚konzertierte‘ weltweite Aktion notwendig, um die absehbaren Folgen der gegenwärtigen Krise besonders in den Ländern des globalen Südens abzumildern. Dabei sollten einseitige, ,egoistische‘ politische Maßnahmen wie zum Beispiel Exportverbote vermieden werden. Diese Maßnahmen verschärfen nur die gegenwärtige Volatilität auf den internationalen Märkten und tragen dazu bei, den Hunger zu den Ärmsten der Armen zu exportieren. Länder mit hohem Einkommen sollten Maßnahmen ergreifen, die Inflation der Lebensmittelpreise mit sozialpolitischen Instrumenten abzumildern. Ankündigungen von Getreideexport-Verboten wie zum Beispiel von Ungarn oder Argentinien sind Beispiele dafür, dass solche Maßnahmen die Krise eher verschärft als vermindert haben.“

Auf die Frage, inwiefern es notwendig ist, die Landwirtschaft zu intensivieren, um globale Ernährungssicherheit zu gewährleisten:
„Eine intensive landwirtschaftliche Produktion steht nicht im Widerspruch zu einer nachhaltigen Produktion. Bei jeder Produktionsform gibt es Zielkonflikte zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit. Das Ziel sollte sein, Produktionsformen zu wählen, die sowohl hohe Erträge als auch geringe negative Folgen für die Umwelt und das Klima aufweisen. Ein wichtiger Aspekt ist, dass zurzeit die weltweiten Düngemittelpreise auf sehr hohem Niveau sind sowie die weltweite Versorgung knapp ist, was einen effizienteren Einsatz von Düngemitteln notwendig machen kann. Dies würde die möglichen negativen Folgen einer intensiveren Produktion für Klima und Biodiversität reduzieren.“

In dieser Krise wird deutlich, dass neben der Notwendigkeit einer international abgestimmten politischen Reaktion, verstärkt Anstrengungen unternommen werden müssen, in denjenigen Ländern, die besonders auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind, die Hürden für eine nachhaltige Intensivierung der eigenen Nahrungsmittelerzeugung zu mindern. Dies gilt besonders beim Zugang zu Boden, ertragssteigernden Inputs sowie Bildung.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel: „Ich erkläre, dass kein Interessenkonflikt besteht. Ich habe keine finanziellen Interessen in der Ukraine, der Getreideproduktion oder dem Getreidehandel. In den 1990er Jahren bis 2006 war ich als Politikberater in der Ukraine tätig. Diese Arbeit wurde von der deutschen Regierung finanziert.“

Prof. Dr. Sebastian Hess: „Meinerseits liegen keine Interessenkonflikte vor.“

Dr. Marco Springmann: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] OECD (2021): OECD-FAO Agricultural Outlook 2021-2030). Gemeinsamer Bericht der OECD und der Food and Agricultural Organization (FAO) der UN.

[2] UN Comtrade Database. Zitierte Datenpunkte stammen aus der Comtrade Datenbank der UN.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Cramon-Taubadel S (2022): The Russian invasion of Ukraine reminds us that agriculture and agricultural policy have global and geostrategic dimensions. Blogpost auf der Webseite der Fakultät der Agrarwissenschaften der Uni Göttingen.

[II] BMEL (2022): Ukraine-Krieg: Özdemir lädt zu G7-Agrarsondertreffen. Pressemitteilung des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.