Medizin & Lebenswissenschaften

5. November 2021

Booster-Impfungen gegen COVID-19 – Wie stark können sie das Infektionsgeschehen eindämmen und schwere Fälle verhindern?

Jede geimpfte Person soll sechs Monate nach seiner Grundimmunisierung eine Booster-Impfung erhalten können. Darauf einigten sich am 05.11.2021 die geschäftsführenden Gesundheitsminister von Bund und Ländern. Die Booster-Impfung soll dazu beitragen, die aktuelle Infektionswelle einzudämmen. Als Positivbeispiel wird hierbei wiederholt auf Israel verwiesen, wo im Spätsommer eine intensive Booster-Impfkampagne dazu geführt hat, dass die Infektionszahlen der vierte Infektionswelle relativ schnell gesenkt werden konnten.

Weshalb eine Booster-Impfung ein halbes Jahr nach der Grundimmunisierung sinnvoll ist und inwieweit damit weitere Infektionen verhindert werden können, beleuchtet dieses Fact Sheet. Das Fact Sheet kann hier als pdf heruntergeladen werden.

In dem parallel erscheinenden SMC-Corona-Report wird erläutert, inwiefern sich eine Booster-Impfkampagne auf die Belegung der Intensivbetten auswirken könnte.

Übersicht

  • Dauer der Grundimmunisierung mit zwei Impfdosen
  • Effekt einer Booster-Impfung
  • Fazit und Gedankenexperiment
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Dauer/Haltbarkeit des Immunschutzes durch Grundimmunisierung

  • Forschende aus Israel stellten in einer großen Kohorte von fast 34 000 vollständig geimpften Personen mit Comirnaty fest, dass Durchbruchsinfektionen deutlich häufiger stattfanden, wenn die letzte Impfung mindestens 146 Tage (∼ 4,8 Monate) zurücklag (adjustierte Odds Ratio: 2,06; 95 Prozent Konfidenzintervall (CI): 1,69 bis 2,51) [1].
  • Das Risiko für eine Durchbruchsinfektion war bei älteren Personen höher:
    • adjustierte Odds Ratio bei über 60-Jährigen war 2,76 (CI: 1,62 bis 3,08), also das Verhältnis zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten war um 176 Prozent erhöht
    • bei 40- bis 59-jährigen aOR=2,22 (CI: 1,62 bis 3,08)
    • bei 18- bis 39-jährigen aOR=1,67 (CI: 1,21 bis 2,29)
  • In einer weiteren Studie aus Israel wurde gezeigt, dass die Infektionsrate im Juli bei Personen aller Altersklassen für diejenigen höher war, die früher geimpft wurden [2].
  • Eine Auswertung von 3 436 957 elektronischen Krankenakten (davon 1 043 289 Personen vollständig geimpft) in den USA ergab, dass der Schutz der Pfizer/Biontech-Impfung Comirnaty gegen COVID-19-Infektion innerhalb von fünf Monaten von 93 auf 53 Prozent zurückgeht. Der Schutz gegen COVID-19-bedingte Hospitalisierung blieb dagegen hoch bei 97 Prozent [3].

Effekt einer Booster-Impfung

  • Eine dritte Impfung – sowohl mit Comirnaty, Spikevax oder Vaxzevria – als auch eine zweite Impfung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson erhöhen die Antikörpertiter und verstärken die T-Zell-Antworten [4][5][6][7][8].
  • Die Booster-Impfungen weisen ein ähnliches Nebenwirkungsprofil auf, wie die Zweitimpfungen [4][6][8].
  • In Israel wurde mit der Ausbreitung der Delta-Variante und dem Aufkommen einer vierten Infektionswelle eine Booster-Impfkampagne mit Comirnaty ausgerollt.
  • Am Anfang wurden die älteren und vulnerablen Bevölkerungsgruppen mit einer dritten Comirnaty-Dosis geimpft. Ende August gab es eine erste Auswertung zur Effektivität der dritten Impfung bei Personen älter als 60 Jahre:
    • Mindestens zwölf Tage nach der Auffrischungsdosis war die Rate der bestätigten Infektionen in der Gruppe mit Auffrischungsimpfung um den Faktor 11,3 – also etwa ein Elftel – niedriger als in der Gruppe ohne Auffrischungsimpfung (CI: 10,4 bis 12,3); die Rate der schweren Erkrankungen war um den Faktor 19,5 niedriger (CI: 12,9 bis 29,5) [9].
  • Eine ausführlichere Analyse aller Altersklassen erfolgte Ende Oktober 2021 [10]:
    • Die Forschenden analysierten die Daten von 728 321 dreifach Geimpften und der gleichen Anzahl von Personen, die die dritte Impfung (noch) nicht erhalten hatten.
    • Die Zahl der COVID-19-bedingten Krankenhauseinweisungen ging über alle Altersgruppen (ab 18 Jahre) um 93 Prozent (CI: 88 bis 97) zurück. Der stärkste positive Effekt konnte hier in der Altersgruppe ab 70 Jahren beobachtet werden, in der die Prävalenz für einen schweren Krankheitsverlauf am höchsten ist. Auch in der Altersgruppe 40 bis 69 Jahre reduzierte eine dritte Impfung das Risiko für eine Krankenhauseinweisung um 92 Prozent (CI: 83 bis 97). Für die Altersgruppe unter 40 Jahren konnte aufgrund der geringen Anzahl von Krankenhauseinweisungen keine Aussagen getätigt werden.
    • Das Risiko schwer an COVID-19 zu erkranken wurde durch die dritte Dosis um 92 Prozent reduziert und das Risiko für COVID-19-bedingten Todesfälle um 81 Prozent.
    • Gewertet wurden alle Fälle, die später als sieben Tage nach der dritten Impfung auftraten.
    • Der Beobachtungszeitraum von im Schnitt 13 Tage nach der Booster-Impfung ist relativ kurz.

Abbildung 1: Tägliche Inzidenz von SARS-CoV-2-Infektionen für verschiedene Altersgruppen zu Beginn der Drittimpfung. Aus Barda N et al. [10].

  • Die Forschenden visualisieren auch eine Analyse (Abbildung 1), die zeigt, dass kurz nach Beginn der Impfkampagne für die dritte Dosis in jeder Altersgruppe die Inzidenz in den jeweiligen Altersgruppen im Vergleich zu den noch nicht geimpften Altersgruppen zu sinken begann.

  • Mit Blick auf die Viruslast zeigt ein weiteres Forschungsteam, dass eine doppelte Impfung mit Comirnaty die Infektiosität von Durchbruchsinfektionen selbst bei der Delta-Variante anfänglich wirksam reduziert und dass dieser Schutzeffekt zwar mit der Zeit abnimmt, aber durch eine Auffrischungsimpfung zumindest vorübergehend wiederhergestellt werden kann [11].

Fazit und Gedankenexperiment

  • Eine dritte Impfung erhöht die Immunantwort gegen SARS-CoV-2, verringert die Infektionsraten und die Viruslast bei Durchbruchsinfektion (bei Comirnaty) in den ersten Wochen nach der dritten Impfung sowie das Risiko für eine Krankenhauseinweisung. Damit senken Booster-Impfungen im Schnitt auch die Weitergabe des Virus.

  • Eine Booster-Impfung ist für ältere Personen sinnvoll, weil das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs und einer damit verbundenen Krankenhauseinweisung verringert werden kann.

  • Aber auch für alle anderen Altersgruppen kann eine Booster-Impfung sinnvoll sein, weil damit die Infektionsgefahr verringert oder die Viruslast gesenkt und somit die Weitergabe der Infektion verhindert werden kann.

  • Die Booster-Impfkampagne in Israel scheint dazu geführt zu haben, dass die vierte Infektionswelle gebrochen werden konnte.

  • In Israel erreicht die vierte Infektionswelle am 16. September 2021 ihren Höhepunkt und fiel danach ab [10]. Zu diesem Zeitpunkt hatten etwa 50 Prozent der bereits doppelt geimpften Personen eine dritte Dosis erhalten [Corona Dashboard Israel]. Da die Booster-Impfkampagne in Israel altersstratifiziert bei den ältesten Personen angefangen durchgeführt wurde, belaufen sich die 50 Prozent in etwa auf die ältere Hälfte der Bevölkerung.

  • Aufgrund der unterschiedlichen Altersstrukturen in der israelischen und deutschen Bevölkerung würde eine Booster-Impfkampagne in Deutschland vermutlich nicht so kurzfristig zum Erfolg führen. Die unterschiedliche Situation in Deutschland und Israel lässt sich mit einem Gedankenexperiment nachvollziehen.

    Abbildung 2: Anteil der Bevölkerung der jünger als ein bestimmtes Alter ist. Personen, die älter als 100 Jahre sind, wurden zum Altersjahrgang 100 zusammengefasst.

  • In Israel sind die älteren 50 Prozent der Bevölkerung alle Personen ab 29 Jahren. Wenn man in Deutschland die Hälfte der Bevölkerung impft und mit den Ältesten beginnt, würde man nur alle Personen ab 45 Jahren impfen können (siehe Abbildung 2). Durch die ältere Bevölkerung in Deutschland könnten also 16 Altersjahrgänge weniger geimpft werden. Um alle Altersjahrgänge ab 29 Jahren zu impfen, müssten in Deutschland 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden. Diese Beispielrechnung beachtet natürlich nicht, dass nicht alle Personen eines Altersjahrgangs geimpft werden. Das Beispiel zeigt aber, dass Deutschland einen höheren Anteil der Bevölkerung boostern muss, um die besonders gefährdeten oberen Altersgruppen zu schützen. Gleichzeitig ist mit der gleichen Impfquote in Deutschland ein kleinerer Teil an jüngerer und damit mobilerer Bevölkerung geschützt, die wiederum einen größeren Einfluss auf die Virusverbreitung hat.

  • Im aktuellen Corona Report wird erläutert, weshalb eine Booster-Impfkampagne keinen kurzfristigen Einfluss auf die Belegung der Intensivstationen haben wird: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/coronavirus/corona-report/corona-report-05112021/

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Israel A et al. (2021): Elapsed time since BNT162b2 vaccine and risk of SARS-CoV-2 infection in a large cohort. medRxiv. DOI: 10.1101/2021.08.03.21261496.

[2] Goldberg Y et al. (2021): Waning Immunity after the BNT162b2 Vaccine in Israel. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2114228.

[5] Falsey AR et al. (2021): SARS-CoV-2 Neutralization with BNT162b2 Vaccine Dose 3. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMc2113468.

[6] Choi A et al. (2021): Safety and immunogenicity of SARS-CoV-2 variant mRNA vaccine boosters in healthy adults: an interim analysis. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-021-01527-y.

[7] Atmar RL et al. (2021): Heterologous SARS-CoV-2 Booster Vaccinations – Preliminary Report. medRxiv. DOI: 10.1101/2021.10.10.21264827.

[9] Bar-On YM et al. (2021): Protection of BNT162b2 Vaccine Booster against Covid-19 in Israel. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2114255. https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2114255

[11] Lefine-Tiefenbrun M et al. (2021): Viral loads of Delta-variant SARS-CoV-2 breakthrough infections after vaccination and booster with BNT162b2. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-021-01575-4.